Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 21.05.2012 | |
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Aktenzeichen | OVG 2 B 8.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 6 Abs 3 S 1 AufenthG, § 6 Abs 3 S 2 AufenthG, § 5 Abs 1 Nr 1 AufenthG, § 2 Abs 3 AufenthG, § 23 Abs 2 AufenthG, § 19 Abs 2 SGB 12, § 48 S 2 SGB 12, § 5 Abs 1 Nr 13 SGB 5, § 264 Abs 2 SGB 5, § 264 Abs 7 SGB 5, Art 6 GG, Art 8 MRK, § 42 Abs 2 VwGO |
Auf die Berufung der Beigeladenen und der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 11. Dezember 2009 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte oder die Beigeladene vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Klägerin, ukrainische Staatsangehörige, begehrt die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug an ihren Ehemann, der ebenfalls ukrainischer Staatsangehöriger ist.
Die am ... September 1940 geborene Klägerin beantragte am 17. September 1999 gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann bei der Botschaft der Beklagten in Kiew die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung im Rahmen der Aufnahme jüdischer Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion. Das Regierungspräsidium Karlsruhe erteilte gegenüber dem Bundesverwaltungsamt am 15. November 2004 für die Klägerin und ihren ersten Ehemann, der am 14. November 2004 verstorben war, eine Aufnahmezusage. Nachdem die deutsche Botschaft in Kiew den Antrag zunächst mit Bescheid vom 23. März 2005 abgelehnt hatte, entschied sie auf die Remonstration der Klägerin am 8. August 2006 positiv über ihre Aufnahme. Daraufhin reiste die Klägerin am 21. Januar 2007 mit einem Visum in die in die Bundesrepublik Deutschland ein und erhielt am 31. Januar 2007 eine Niederlassungserlaubnis auf der Grundlage von § 23 Abs. 2 AufenthG. Seit ihrer Einreise bezieht die Klägerin Leistungen nach dem SGB XII (Grundsicherung im Alter). Wegen einer Sehbehinderung als Folge einer Diabetes mellitus ist sie seit März 2009 als Schwerbehinderte dem mit einem Grad der Behinderung von 100 anerkannt. Ausweislich eines Attestes der Fachärztin für Neurologie I... vom 19. April 2012 leidet sie außerdem an einer multifaktoriellen Gangstörung aufgrund einer Parkinson-Erkrankung.
Die Klägerin heiratete am 9. August 2008 in der Ukraine den am 22. Februar 1940 geborenen P..., mit dem sie seit September 2005 bis zu ihrer Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland in der Ukraine zusammengelebt hatte. Herr I... erhält in der Ukraine eine Rente in Höhe von umgerechnet ca. 100 Euro, die nach Angaben der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland nicht ausgezahlt würde. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2008 wandte sich die Klägerin an die deutsche Botschaft in Kiew und bat um Genehmigung der Einreise ihres Ehemanns in die Bundesrepublik Deutschland. Darin führte sie aus, sie sei im Jahr 2007 nach Deutschland gekommen, um näher bei ihrem Sohn und dessen Familie zu sein, der schon seit 5 Jahren in Deutschland wohne. Sie leide seit 1990 an Diabetes und als Komplikation an Retinopathie. Sie habe noch 8 % Sehkraft und sei auf fremde Hilfe angewiesen. Ihr Sohn habe drei Kinder und arbeite viel. Die Familie ihres Sohnes unterstütze sie zwar so viel sie könne, aber meistens sei sie allein. Deshalb wolle sie ihren Ehemann möglichst schnell bei sich haben, er könne ihr beistehen.
Herr I... beantragte am 18. März 2009 bei der Botschaft der Beklagten in Kiew die Erteilung eines Visums zum Zweck des Ehegattennachzuges zur Klägerin. In ihrem an die Beigeladene gerichteten Schreiben vom 23. März 2009 führten die Klägerin und ihr Ehemann zur Begründung des Visumantrages aus, Herr I... sei von dem Spracherfordernis ausgenommen, weil er wegen einer körperlichen und geistigen Krankheit nicht mehr in der Lage sei, einfache Deutschkennnisse nachzuweisen. Er habe einen Infarkt gehabt und leide an Glaukom, Hypertonie und Vergesslichkeit. Die Klägerin beziehe unverschuldet Leistungen nach dem SGB XII. Sie sei alt, sehr krank und fast blind. Aufgrund ihrer Krankheiten könne ihr nicht zugemutet werden, mit ihrem Ehemann in der Ukraine zu leben. Daher liege eine Ausnahme von dem Regelerfordernis der Lebensunterhaltssicherung vor.
Nachdem die Beigeladene die Zustimmung zur Visumerteilung wegen der fehlenden Sicherung des Lebensunterhaltes versagt hatte, lehnte die Beklagte den Visumantrag mit Bescheid der Botschaft vom 6. April 2009 und mit Remonstrationsbescheid vom 19. Mai 2009 ab. Zur Begründung führte sie aus, der Lebensunterhalt von Herrn I... sei nicht gesichert. Umstände, die eine Ausnahme von der Regelvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung begründen könnten, seien nicht ersichtlich. Dem Ehepaar sei zuzumuten, die eheliche Lebensgemeinschaft im gemeinsamen Heimatland fortzuführen, in dem beide bis zur Ausreise der Klägerin im Januar 2007 gelebt hätten. Auch vor dem Hintergrund der von der Klägerin geltend gemachten Erkrankungen sei nicht ersichtlich, weshalb für sie eine Rückkehr in die Ukraine nicht in Frage kommen solle. Außerdem habe Herr I... bislang keinen Nachweis über die erforderlichen Sprachkenntnisse vorgelegt. Aus der von ihm vorgelegten ärztlichen Bescheinigung gehe nicht hervor, dass die dort aufgeführten Erkrankungen dem Erwerb einfacher Deutschkenntnisse entgegenstünden.
Auf die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 11. Dezember 2009 die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 19. Mai 2009 verpflichtet, dem Ehemann der Klägerin ein Visum zum Zweck des Familiennachzugs zu erteilen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Ehemann der Klägerin sei das Visum zu erteilen, obwohl der Lebensunterhalt nicht gesichert sei. Der vorliegende Fall sei so atypisch gelagert, dass ausnahmsweise von dem Regelerfordernis des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abzusehen sei. Die persönlichen Belange der Klägerin und ihres Ehemannes seien durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt und wögen derart schwer, dass eine Versagung des Visums mit dem gesetzgeberischen Anliegen nicht zu vereinbaren sei. Die Eheleute seien nicht nur aufgrund ihres hohen Alters, sondern zudem aufgrund ihrer Erkrankungen gänzlich unverschuldet nicht in der Lage, den Lebensunterhalt selbst zu sichern. Der Klägerin könne auch nicht zugemutet werden, in die Ukraine zurückzukehren und dort die eheliche Lebensgemeinschaft zu führen. Zwar habe sich die Klägerin früher in der Ukraine zurecht gefunden. Dies sei ihr aber aufgrund der geschilderten Erkrankungen jetzt nicht mehr ohne erhebliche, unzumutbare Einschränkungen möglich. Es sei auch zu beachten, dass sich die Klägerin von ihrem Sohn und dessen Familie in Deutschland trennen müsste, wenn sie in die Ukraine zurückkehren wollte. Es sei nicht sicher, dass die Klägerin später die Möglichkeit bekommen würde, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Das Visum sei ferner zu erteilen, obwohl der mittlerweile 69 Jahre alte Ehemann sich nicht gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen könne. Denn er sei gemäß § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AufenthG wegen seiner Erkrankungen nicht in der Lage, einfache Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen. Die Häufung der gesundheitlichen Beschwerden mache es ihm unmöglich, sich die erforderlichen Deutschkenntnisse in zumutbarer Weise anzueignen.
Zur Begründung der vom Senat mit Beschluss vom 15. März 2011 auf Antrag der Beklagten und der Beigeladenen zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend: Die Verpflichtungsklage sei wegen fehlender Klagebefugnis bereits unzulässig. Die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland gewähre dem in Deutschland lebenden Ausländer keine rechtliche Möglichkeit, die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an seinen volljährigen und in vollem Umfang handlungsfähigen Ehepartner zu erreichen. Nach den gesetzlichen Regelungen des Aufenthaltsgesetzes sei grundsätzlich jeder Ausländer selbst dafür verantwortlich, die aufenthaltsrechtlichen Anforderungen zu erfüllen und die entsprechenden Anträge zu stellen. Auch Art. 6 Abs. 1 GG gebiete nicht, dem (deutschen oder ausländischen) Ehegatten eines nachzugswilligen Ausländers eine eigene verfahrensrechtliche Position einzuräumen. Der Umstand, dass eine behördliche Entscheidung auch Rechte des Ehegatten eines Ausländers aus Art. 6 Abs. 1 GG berühre, eröffne dem Ehegatten nicht ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung einen – vom Vorgehen des direkt betroffenen Ausländers unabhängige – verfahrensrechtliche Abwehrposition aus eigenem Recht. Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Die Klägerin bzw. ihr Ehemann hätten keinen Anspruch auf den angestrebten Ehegattennachzug. Das angefochtene Urteil gehe unzutreffend von einem die Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG rechtfertigenden atypischen Fall aus. Das Alter und die Erkrankungen der Eheleute begründeten keinen atypischen Fall. Würde man bei Ausländern allein wegen einer typisch zu nennenden alters- und krankheitsbedingten Unfähigkeit zur Lebensunterhaltssicherung einen atypischen Fall bejahen, werde der von der Rechtsprechung als Ausnahme angesehene Fall eines Absehens von der Lebensunterhaltssicherung für diesen Personenkreis gleichsam zum Regelfall. Die Klägerin könne darauf verwiesen werden, die Gemeinschaft mit ihrem ukrainischen Ehemann im gemeinsamen Herkunftsland herzustellen. Dies sei ihr auch unter Berücksichtigung der Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK zumutbar. Die Klägerin und ihr Ehemann seien trotz ihres Alters und ihrer Erkrankungen von 2005 bis zum Wegzug der Klägerin im Jahr 2007 in der Lage gewesen, in der Ukraine einen gemeinsamen Hausstand zu führen. Eine möglicherweise bessere ärztliche Versorgung der Klägerin und ihres Ehemannes in der Bundesrepublik rechtfertige vor dem Hintergrund des Gewichts, das der Gesetzgeber der Sicherung des Lebensunterhalts einräume, nicht die Annahme, dass die Führung der Lebensgemeinschaft in der Ukraine unzumutbar sei. Auch die Trennung der Klägerin von in Deutschland lebenden Familienangehörigen führe nicht zur Bejahung eines atypischen Falles. Es sei ihr zumutbar, die familiären Beziehungen durch Besuche, Telefongespräche oder Briefkontakte aufrechtzuerhalten. Außerdem hätte der Aufnahmebescheid von August 2006 der Klägerin erlaubt, ihren damaligen Lebensgefährten nach einer Heirat in diesen Bescheid einzubeziehen und mit diesem zusammen nach Deutschland überzusiedeln. Dass die Klägerin dies versäumt habe und im Januar 2007 allein nach Deutschland verzogen sei, stehe der Annahme eines atypischen Falles im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG entgegen. Zudem stünden die fehlenden Deutschkenntnisse des Ehemannes einem Anspruch auf Ehegattennachzug entgegen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 11. Dezember 2009 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Beigeladene schließt sich zur Begründung der Berufung den Ausführungen der Beklagten an und führt ergänzend aus: Der Klägerin und ihrem Ehemann sei es zumutbar, die Ehe in ihrem Heimatland zu führen. Hinweise darauf, dass eine medizinische Versorgung in der Ukraine nicht gewährleistet sei, existierten nicht.
Die Beigeladene beantragt sinngemäß,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 11. Dezember 2009 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und führt ergänzend aus, dass sie vor dem 1. Januar 1945 geboren sei und daher im Sinne der Vorschriften über die Aufnahme jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion als ein Opfer des Nationalsozialismus gelte. Sie bedürfe des besonderen Schutzes der Bundesrepublik Deutschland.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und der Gerichtsakten verwiesen.
Die Entscheidung konnte durch die Berichterstatterin anstelle des Senats ergehen, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 87 a Abs. 2 und Abs. 3 VwGO).
I.
Die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen sind zulässig. Insbesondere genügt die Berufungsbegründung der Beigeladenen mit Schriftsatz vom 12. April 2011 den Anforderungen von § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. § 124 a Abs. 3 Satz 4 VwGO. Hiernach muss die Berufungsbegründung u.a. einen bestimmten Antrag enthalten. Dem Antragserfordernis ist genügt, wenn in der Berufungsbegründung hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt, dass, in welchem Umfang und weshalb der Berufungsführer an der Durchführung des zugelassenen Berufungsverfahrens festhalten will (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. März 2011 – 2 B 37.10 -, juris Rn. 11). Dies ist hier der Fall. Aus den Ausführungen der Beigeladenen ergibt sich, dass sie eine Abänderung des angefochtenen Urteils und eine Abweisung der Klage begehrt.
II.
Die Berufungen sind auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben.
1. Offen bleiben kann, ob die Verpflichtungsklage, mit der die Klägerin in eigenem Namen eine Verpflichtung der Beklagten erstrebt, ihrem Ehemann ein Visum zum Ehegattennachzug zu erteilen, zulässig ist. Anerkannt ist in der Rechtsprechung die Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) des Ehegatten eines Ausländers für eine Anfechtungsklage gegen die den ausländischen Ehegatten betreffende Ausweisung und die damit verbundene Abschiebungsandrohung (BVerwG, Urteil vom 3. Mai 1973 – I C 20.70 -, BVerwGE 42, 141). Die Klagebefugnis ergibt sich in dieser Abwehrsituation direkt aus Art. 6 Abs. 1 GG. Darüber hinaus hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass dem Familienangehörigen eines Ausländers die Klagebefugnis für eine Anfechtung der Versagung einer Aufenthaltserlaubnis zukommt, wenn mit der Aufhebung der Ablehnung der Aufenthalt des Familienangehörigen aufgrund der gesetzlichen Fiktion bis zu einer (erneuten) Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt gelten würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. August 1996 – 1 C 8.94 -, BVerwGE 102, 12). Unterschiedlich beurteilt wird in der Rechtsprechung hingegen, ob der Ehegatte bzw. Familienangehörige eines Ausländers auch für das über das Anfechtungsbegehren hinausgehende Verpflichtungsbegehren auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung an seinen ausländischen Familienangehörigen klagebefugt ist (offen gelassen: BVerwG, Urteil vom 27. August 1996, a.a.O.; verneint: VG Augsburg, Urteil vom 18. September 2009 – Au 1 K 09.836 -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10. Dezember 1986 – 11 S 644/86 -, NVwZ 1987, 920 und Beschluss vom 17. September 1992 – 11 S 1704/92 -, juris Rn. 20 ff.; bejaht: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19. Dezember 1988 – 13 S 3134/88 -, NVwZ 1989, 1194; VG Ansbach, Urteil vom 17. September 1998 – AN 5 K 98.00143 -, InfAuslR 1998, 497; VG Berlin, Urteil vom 30. August 2007 – 3 V 62.06 -, juris Rn. 16 ff.; OVG Berlin, Urteil vom 16. Dezember 2003 –8 B 26.02 -, juris Rn. 22). Diese Frage bedarf hier keiner abschließenden Klärung.
2. Die Klage ist jedenfalls unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung des Visums an ihren Ehemann. Der Ablehnungsbescheid der Botschaft der Beklagten in Kiew vom 19. Mai 2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
a. Als Rechtsgrundlage für die Erteilung des Visums zum Nachzug des Ehemannes der Klägerin kommen zunächst §§ 4 Abs. 1 Satz 1, 6 Abs. 3 Satz 1 und 2 i.V.m. §§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 1, 30 Abs. 1 und 5 Abs. 1 AufenthG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl S. 2258) in Betracht. Die Voraussetzungen dieser Bestimmungen liegen nicht vollständig vor.
aa. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Das ist gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthGder Fall, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten Mittel außer Betracht. Es bedarf mithin der Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers - einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes - in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist. Hierfür ist ein Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den voraussichtlich zur Verfügung stehenden Mitteln anzustellen, wobei sich der Bedarf grundsätzlich nach den Maßstäben des Sozialrechts bemisst (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 16. November 2010 - 1 C 20.09 -, BVerwGE 138, 135 Rn. 20, 21).
Die Voraussetzungen von § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG sind nicht erfüllt. Denn der Lebensunterhalt des Ehemannes der Klägerin einschließlich seines Krankenversicherungsschutzes wäre im Falle seines Nachzuges in die Bundesrepublik Deutschland ausschließlich durch öffentliche Mittel gesichert. Die dem Ehemann der Klägerin in der Ukraine zustehende Rente in Höhe von umgerechnet ca. 100 Euro würde in der Bundesrepublik Deutschland nicht ausgezahlt. Nach den Angaben der Klägerin im Prozesskostenhilfeverfahren verfügt ihr Ehemann über keinerlei Vermögen. Er könnte seinen Lebensunterhalt daher nur durch Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) bestreiten, auf die er einen Anspruch hätte. Er wäre leistungsberechtigt im Sinne von § 19 Abs. 2 SGB XII, denn er hat die Altersgrenze des § 41 Abs. 2 Satz 2 SGB XII erreicht und ist nicht in der Lage, seinen Lebensunterhalt aus seinem eigenen bzw. dem nach § 19 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 43 Abs. 1 SGB XII berücksichtigungsfähigen Einkommen oder Vermögen seiner Ehegattin zu bestreiten. Auch der Krankenversicherungsschutz wäre nur durch öffentliche Mittel gesichert. Der Ehemann der Klägerin hätte keinen Anspruch auf Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Denn § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V bestimmt insoweit einschränkend, dass Ausländer, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, Angehörige eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder Staatsangehörige der Schweiz sind, von der Versicherungspflicht nach Absatz 1 Nr. 13 nur erfasst werden, wenn sie eine Niederlassungserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Befristung auf mehr als zwölf Monate nach dem Aufenthaltsgesetz besitzen und für die Erteilung dieser Aufenthaltstitel keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besteht. Daran fehlt es im Fall des Ehemanns der Klägerin. Er besitzt schon keine Niederlassungserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Befristung auf mehr als zwölf Monate und es ist derzeit auch nicht vorherzusehen, wann ihm ein solcher Aufenthaltstitel erteilt werden wird. Darüber hinaus besteht für ihn auch eine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Denn insoweit ist allein auf die abstrakte gesetzliche Regelung abzustellen; es kommt auf eine etwaige Ausnahme im Einzelfall nicht an (vgl. Urteil des Senats vom 25. Januar 2012 – OVG 2 B 10.11 -, juris Rn. 29). Im Übrigen würde eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund der Regelung des § 5 Abs. 8a Satz 2 SGB 5 ausscheiden, denn der Ehemann der Klägerin hätte Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (vgl. grundlegend: BSG, Urteil vom 6. Oktober 2010 – B 12 KR 25/09 R -, juris). Als Empfänger von Leistungen der Grundsicherung im Alter (und bei Erwerbsminderung) nach §§ 41 ff. SGB XII hätte er eine sozialhilferechtliche Absicherung im Krankheitsfall. Gemäß § 48 Satz 2 SGB XII i.V.m. § 264 Abs. 2 SGB V wäre eine gesetzliche Krankenkasse verpflichtet, seine Krankenbehandlung zu übernehmen, wobei er formal und leistungsrechtlich den gesetzlich Krankenversicherten gleichgestellt wäre, ohne Krankenversicherungsbeiträge zahlen zu müssen (vgl. Schlette, in Hauck/Noftz, Sozialhilfe, Stand: März 2012, § 48 SGB XII Rn. 5). Der Träger der Sozialhilfe müsste die Aufwendungen der Krankenkasse, die dieser durch die Übernahme der Krankenbehandlung entstehen, zuzüglich einer Verwaltungskostenpauschale erstatten (vgl. § 264 Abs. 7 Satz 1 SGB V).
Es ist auch nicht ausnahmsweise von dem Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich des Krankenversicherungsschutzes abzusehen. Die Sicherung des Lebensunterhalts ist in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG als allgemeine Regelvoraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels normiert. Damit bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass die Sicherung des Lebensunterhalts bei der Erteilung von Aufenthaltstiteln im Ausländerrecht als eine Voraussetzung von grundlegendem staatlichen Interesse anzusehen ist (vgl. BTDrucks 15/420 S. 70). Diese bereits im Ausländergesetz 1990 getroffene Wertung wurde durch die Neuregelung des Aufenthaltsrechts im Zuwanderungsgesetz noch verstärkt, indem die Sicherung des Lebensunterhalts nunmehr nicht nur bei der Erteilung von Titeln zum Daueraufenthalt, sondern für alle Aufenthaltstitel von einem Regelversagungsgrund (vgl. § 7 Abs. 2 AuslG 1990) zu einer Regelerteilungsvoraussetzung herauf gestuft worden ist. Ausnahmen von der Regel sind grundsätzlich eng auszulegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 2009 – 1 C 3.08 -, juris Rn. 11). Ein Ausnahmefall ist daher nur bei besonderen, atypischen Umständen gegeben, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, oder die Erteilung eines Aufenthaltstitels muss aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa des Art. 6 GG oder des Art. 8 EMRK geboten sein, z.B. weil die Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland nicht möglich ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 30. April 2009, a.a.O., Rn. 13 und vom 26. August 2008 – 1 C 32.07 -, BVerwGE 131, 370 Rn. 27; Urteil des Senats vom 25. Januar 2012, a.a.O., Rn. 53).
Atypische Umstände, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Recht beseitigen, liegen nicht vor. Insbesondere sind solche Umstände nicht darin zu sehen, dass der Ehemann der Klägerin alters- und krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Der Ehemann der Klägerin hätte bei einer Genehmigung seines Nachzuges unabhängig davon, ob er krankheitsbedingt erwerbsunfähig ist, einen Anspruch auf Grundsicherung im Alter nach dem Vierten Kapitel SGB XII. Leistungsberechtigt wäre er deshalb, weil er die in seinem Fall geltende gesetzliche Altersgrenze von 65 Jahren überschreitet und seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln i.S.v. § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, insbesondere nicht durch seine Rente, bestreiten kann. Bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis von Menschen ausländischer Staatsangehörigkeit, die das Rentenalter erreicht haben und deren - ganz oder zum Teil im Ausland erworbene - Rentenansprüche und Vermögen nicht zur Bestreitung des nach dem Sozialhilferecht als angemessen angesehenen Lebensunterhaltes ausreichen, ist die Annahme eines Ausnahmefalles vom Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhaltes ebenso wenig gerechtfertigt wie in Fällen, in denen Ausländer wegen ihres Alters oder dauerhafter Erkrankung keine den Lebensunterhalt sichernde Beschäftigung finden können. Die Versagung des Aufenthaltstitels entspricht bei diesen Fallgruppen vielmehr dem mit der Regelerteilungsvoraussetzung verfolgten Zweck, die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu verhindern (vgl. zur zweiten Fallgruppe: Urteil des Senats vom 25. Februar 2009 – OVG 2 B 20.08 -). Bei der Beurteilung kommt es auch nicht darauf an, ob der Ehemann der Klägerin „unverschuldet“ Leistungen nach dem SGB XII in Anspruch nehmen würde. Anders als im Einbürgerungsrecht, in dem die Voraussetzung der Lebensunterhaltssicherung auch dann erfüllt ist, wenn der Ausländer die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen nicht zu vertreten hat (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG), lässt sich den Regelungen in §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 3 AufenthG eine derartige Einschränkung nicht entnehmen. Vielmehr räumt das Aufenthaltsgesetz den fiskalischen Interessen, die mit dem Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts verfolgt werden, ein größeres Gewicht ein als das Einbürgerungsrecht (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2009 – 5 C 22.08 -, juris Rn. 24).
Der Schutz von Ehe und Familie im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK gebietet ebenfalls nicht ein Absehen von dem Regelerfordernis der Lebensunterhaltssicherung. Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst zwar namentlich die Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. - BVerfGE 76, 1, 42). Jedoch gewährt Art. 6 GG grundsätzlich keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Das Grundgesetz überantwortet die Entscheidung, in welcher Zahl und unter welchen Voraussetzungen der Zugang zum Bundesgebiet ermöglicht werden soll, weitgehend der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Dezember 2007 - 2 BvR 2341/06 -, InfAuslR 2008, 239, 240). Die in Art. 6 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm verpflichtet Ausländerbehörde und Gerichte jedoch, die familiäre Bindung des den Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d.h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Für die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG ist die Frage, ob es dem in Deutschland lebenden Ehegatten zumutbar ist, die eheliche Lebensgemeinschaft im Ausland zu führen, von erheblicher Bedeutung. Denn wenn die familiäre Lebensgemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland gelebt werden kann, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist – etwa weil ihm dort flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht -, drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. April 1989 - 2 BvR 1169/84 - BVerfGE 80, 81, 95). Eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG liegt dagegen fern, wenn die Lebensgemeinschaft zumutbar auch im gemeinsamen Herkunftsland geführt werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. August 2008 - 1 C 32.07 -, BVerwGE 131, 370 ff.). Auch für die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs nach Art. 8 EMRK kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte der Frage erhebliche Bedeutung zu, ob das Familienleben ohne Hindernisse auch im Herkunftsland möglich ist (vgl. EGMR, Urteil vom 19. Februar 1996 - 53/1995/559/645 - InfAuslR 1996, 245, Gül; Urteil vom 28. November 1996 - 73/1995/579/665 - InfAuslR 1997, 141, Ahmut) oder ob der Nachzug das einzige adäquate Mittel darstellt, in familiärer Gemeinschaft zu leben (vgl. EGMR, Urteil vom 21. Dezember 2001 - 31465/96 - InfAuslR 2002, 334, Sen).
Von diesen Maßstäben ausgehend beeinträchtigt die Versagung der Visumerteilung die Klägerin und ihren Ehemann nicht unverhältnismäßig in ihren durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Rechten. Bei der anzustellenden Abwägung überwiegen die öffentlichen Belange, die gegen den angestrebten Daueraufenthalt sprechen, gegenüber dem Interesse der Eheleute, ihre Ehe in Deutschland zu führen. Der Klägerin und ihrem Ehemann ist es möglich und zumutbar, die eheliche Lebensgemeinschaft in der Ukraine herzustellen. Beide Eheleute sind ukrainische Staatsangehörige. Die Klägerin hat 66 Jahre in der Ukraine gelebt und ist mit den dortigen Lebensverhältnissen vertraut. Sie ist zum Zweck der Eheschließung in den Jahren 2007 und 2008 in die Ukraine gereist und hat nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung auch nach der Heirat ihren Ehemann gelegentlich in der Ukraine besucht. Zwar ist davon auszugehen, dass sie heute aufgrund des Fortschreitens ihrer Erkrankungen – sie ist mittlerweile fast blind und gehbehindert - nicht mehr in der Lage wäre, alleine eine Reise in die Ukraine zu bewältigen. Dass sie nach einer ggf. in Begleitung durchzuführenden Ausreise in der Ukraine mit der Unterstützung ihres Ehemannes nicht Zumutbar leben könnte, ist jedoch nicht erkennbar. Nach den von der Klägerin nicht in Zweifel gezogenen Angaben der Beklagten und der Beigeladenen ist die medizinische Grundversorgung in der Ukraine gewährleistet. Sie macht nicht geltend, dass aufgrund ihrer Erkrankungen notwendige, konkrete medizinische Behandlungen bzw. Medikamente dort nicht zur Verfügung stehen würden. Dass die medizinische Versorgung in Deutschland besser sein dürfte, etwa weil sie auch Leistungen von Pflegediensten umfasst, genügt nicht für die Annahme, dass es für die Klägerin unzumutbar wäre, in der Ukraine zu leben.
Die Umstände der Aufnahme der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland als jüdische Zuwandererin aus der ehemaligen Sowjetunion begründen ebenfalls keine Unzumutbarkeit ihrer Rückkehr in die Ukraine. Die Aufnahme erfolgte auf der Grundlage von Anordnungen der Länder nach § 23 Abs. 1 i.V.m. mit § 23 Abs. 2 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes in der bis zum 23. Mai 2007 geltenden Fassung. Die Aufnahmepraxis der Beklagten beruhte auf einem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 9. Januar 1991 und richtete sich bei Personen, die – wie die Klägerin - bereits vor dem 1. Juli 2001 einen Antrag auf Erteilung einer Aufnahmezusage gestellt hatten (sog. Übergangsfälle I), weiterhin nach dem Teilrunderlass des Auswärtigen Amtes vom 25. März 1997 (vgl. VG Berlin, Urteil vom 16. September 2010 – VG 29 K 117.09 -; Antwort der Bundesregierung vom 30. Juni 2006, Zukunft der jüdischen Zuwanderung nach Deutschland, BT-Drs. 16/2097, S. 4). Die auf dem Beschluss vom 9. Januar 1991 beruhende Praxis der Aufnahme jüdischer Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion ist dahingehend zu würdigen, dass dieser Personenkreis im Bewusstsein der historischen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für die Verbrechen des Nationalsozialismus zur Erhaltung der Lebensfähigkeit der jüdischer Gemeinden in Deutschland und zur Revitalisierung des jüdischen Elements im deutschen Kultur- und Geistesleben aufgenommen wurde. Er ist von der Bundesrepublik Deutschland nicht als verfolgte oder durch ein Flüchtlingsschicksal gekennzeichnete Gruppe aufgenommen worden (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 – 1 C 3.11 -, juris Rn. 19 ff.). Die Klägerin macht auch nicht geltend, ein individuelles Schicksal als Holocaust-Opfer in der Ukraine erlitten zu haben. Soweit sie in ihrem Schriftsatz vom 26. April 2012 darauf verweist, „Opfer nationalsozialistischer Verfolgung“ zu sein, dürfte sie damit die für die Aufnahme jüdischer Emigranten aktuell geltenden Verwaltungsvorschriften ansprechen, die als Aufnahmevoraussetzung nunmehr grundsätzlich verlangen, dass die Sicherung des Lebensunterhalts absehbar ist und Grundkenntnisse der deutsche Sprache nachgewiesen sind, bei Opfern nationalsozialistischer Verfolgung hierauf allerdings verzichten, wobei für vor dem 1. Januar 1945 geborene Personen die nationalsozialistische Verfolgung widerleglich vermutet wird (vgl. Ziffer I 3 der Anordnung des Bundesministeriums des Innern gemäß § 23 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes über die Aufnahme jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion mit Ausnahme der Baltischen Staaten vom 24. Mai 2007 in der Fassung vom 22. Juli 2009, abgedruckt bei HTK-AuslR, § 23 AufenthG). Hieraus folgt nicht, dass die Rückkehr der Klägerin wegen eines Flüchtlingsschicksals unzumutbar wäre. Zum einen ist die Aufnahme der Klägerin nicht auf Grundlage der Anordnung des BMI vom 24. Mai 2007 erfolgt; zum anderen kommt in der genannten Ausnahmevorschrift lediglich eine großzügigere Behandlung von Opfern nationalsozialistischer Verfolgung bzw. von vor dem 1. Januar 1945 geborenen Personen zum Ausdruck. Eine Abkehr von den in dem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 9. Januar 1991 niedergelegten Gründen für die Aufnahme jüdischer Zuwanderer ist darin nicht zu erkennen.
Zu keiner anderen Beurteilung führt schließlich der Umstand, dass die der Klägerin auf der Grundlage von § 23 Abs. 2 AufenthG erteilte Niederlassungserlaubnis bei einer dauerhaften Ausreise zu ihrem Ehemann erlöschen würde (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG) und sie auch nicht die Möglichkeit haben dürfte, wenn ihr Ehemann früher versterben sollte, erneut als jüdische Zuwandererin in der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen zu werden (vgl. Ziffer IV Nr. 2 der Anordnung des BMI vom 24. Mai 2007). Dass die Klägerin ein verfestigtes Aufenthaltsrecht in Form einer Niederlassungserlaubnis besitzt, steht der Zumutbarkeit einer Rückkehr in ihr Heimatland nicht entgegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 2009, a.a.O., Rn. 12). Ob die Klägerin im Falle des früheren Versterbens ihres Ehemannes einen Anspruch auf Nachzug zu ihrem Sohn in die Bundesrepublik Deutschland hätte, würde sich nach den allgemeinen ausländerrechtlichen Bestimmungen (vgl. § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) beurteilen.
Der Klägerin ist ein Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht im Hinblick auf die Beziehung zu ihrem in Deutschland lebenden volljährigen Sohn unzumutbar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Beziehung zwischen erwachsenen Familienangehörigen in aller Regel in ihrem verfassungsrechtlichen Kern auf eine Begegnungsgemeinschaft angelegt und kann deshalb durch wiederholte Besuche, durch Brief- und Telefonkontakte sowie durch Zuwendungen aufrecht erhalten werden. Weitergehende Schutzwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 GG ergeben sich nur dann, wenn ein Familienmitglied auf wesentliche Lebenshilfe angewiesen ist und ein anderes Familienmitglied diese Hilfe tatsächlich regelmäßig erbringt und diese sich nur in der Bundesrepublik Deutschland erbringen lässt. Unter diesen Voraussetzungen erfüllt die Familie im Kern die Funktion einer Beistandsgemeinschaft (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Dezember 1989 – 2 BvR 377/88 -, InfAuslR 1990, 74, 75). Diese Voraussetzungen liegen hier indessen nicht vor. Die Klägerin hat in ihrem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 17. Oktober 2008 ausgeführt, dass ihr Sohn drei Kinder habe, viel arbeite und daher nicht viel Zeit habe, um sich um sie zu kümmern. Nach ihren ergänzenden Angaben in der mündlichen Verhandlung erhält sie Hilfe von einem Pflegedienst. Die Unterstützung durch ihren berufstätigen Sohn besteht darin, dass dieser auf ihre Bitte hin Einkäufe erledigt. Diese Hilfeleistung genügt nicht für die Annahme einer Beistandsgemeinschaft. Zwar kann eine Familie auch dann die Funktion einer Beistandsgemeinschaft erfüllen, wenn das die Lebenshilfe erbringende Familienmitglied berufstätig ist und deshalb die Hilfe nur während seiner Freizeit leisten kann. Eine Beistandsgemeinschaft liegt allerdings nur vor, wenn die wesentliche Hilfe von dem Familienmitglied und nicht von anderen Personen geleistet wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Dezember 1989, a.a.O.). Dies ist hier nicht der Fall, denn die Pflegeleistungen werden von einem Pflegedienst erbracht.
Gegenüber den familiären Belangen der Klägerin und ihres Ehemannes wiegen die öffentlichen Belange, die gegen den angestrebten Daueraufenthalt sprechen, schwer. Der Ehemann der Klägerin wäre hinsichtlich seines gesamten Unterhaltsbedarfs dauerhaft auf Leistungen nach dem SGB XII angewiesen. Mit seinem Nachzug wären erhebliche Belastungen der öffentlichen Hand verbunden: Der Regelbedarf bei Ehegatten beträgt 337 Euro monatlich zuzüglich eines Zuschlag wegen Alters nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII in Höhe von 17 % (57,29 Euro). Auf ihn würde die Hälfte der Kosten der von der Klägerin angemieteten Wohnung entfallen (ca. 220 Euro). Hinzu kommen die aufgrund seines Alters und seiner Erkrankungen zu erwartenden erheblichen Kosten für die Übernahme der Krankenbehandlung, die der Sozialhilfeträger gegenüber der Krankenkasse nach § 264 Abs. 7 Satz 1 SGB V zu erstatten hätte. Diese Kosten wären aller Voraussicht nach deutlich höher als die im Falle der Mitgliedschaft in einer gesetzlichen Krankenversicherung zu entrichtenden Beiträge.
bb. Da ein Anspruch auf Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug bereits daran scheitert, dass der Lebensunterhalt des Ehemanns der Klägerin nicht gesichert ist, kann offen bleiben, ob einem Anspruch außerdem entgegenstehen würde, dass dieser das Spracherfordernis nicht erfüllt und von diesem auch nicht gemäß § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AufenthG ausgenommen ist.
b. Als Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Erteilung eines Visums kommt schließlich nicht die Verwaltungspraxis der Beklagten bei der Einbeziehung von Ehegatten im Zusammenhang mit der Aufnahme jüdischer Zuwanderer i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG (Selbstbindung der Verwaltung) in Betracht. Nach der auf Ziffer 8 des Teilrunderlasses des Auswärtigen Amtes vom 25. März 1997 gestützten Verwaltungspraxis der Beklagten wurden nicht-jüdische Ehegatten, die im Haushalt des aufnahmeberechtigten jüdischen Antragstellers lebten, in den Antrag nur eingeschlossen, wenn die Ehe bereits vor der Einreise des Aufnahmeberechtigten in das Bundesgebiet bestanden hat. Dies war bei der Klägerin nicht der Fall. Sie hat die Ehe erst nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland geschlossen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Weil die auch von der Beigeladenen als Rechtsmittelführerin durchgeführte Berufung Erfolg hat, entspricht es der Billigkeit, deren außergerichtliche Kosten der Klägerin aufzuerlegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.