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Unterhaltsvorschuss; Prozesskostenhilfe; Beschwerde; hinreichende Erfolgsaussichten; Aufhebung der Bewilligungsbescheide; Ersatzanspruch; Bewilligungsvoraussetzungen; Zusammenleben des allein erziehenden Elternteils mit dem Kind; Inobhutnahme; Änderung des Lebensmittelpunkts des Kindes; Unterhaltsbedarf; Deckung des Bedarfs; Kostenbeitrag der Eltern; Mitteilungspflichten; Anzeigepflicht; falsche bzw. unvollständige Angaben gegenüber der Unterhaltsvorschussstelle


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat Entscheidungsdatum 11.05.2012
Aktenzeichen OVG 6 M 100.12 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 166 VwGO, § 114 ZPO, § 42 Abs 2 S 3 SGB 8, § 91 Abs 1 Nr 7 SGB 8, § 92 Abs 1 Nr 5 SGB 8, § 45 SGB 10, § 48 SGB 10, § 1 Abs 1 Nr 2 UVG, § 1 Abs 4 S 2 UVG, § 5 Abs 1 Nr 1 UVG, § 6 Abs 4 UVG

Leitsatz

Die Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII bewirkt nach § 1 Abs. 4 Satz 2 UVG einen Wegfall der Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG. Für den Unterhaltsvorschuss als Ausfallleistung ist während einer Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII kein Raum (mehr).

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 21. März 2012 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Fünf der insgesamt sieben Kinder der Klägerin bezogen seit Januar 2007 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Nachdem eines der Kinder am 30. August 2010 und weitere vier Kinder am 30. Dezember 2010 vom zuständigen Jugendamt in Obhut genommen wurden, hob der Beklagte sämtliche die Kinder betreffenden Bewilligungsbescheide für den Zeitraum ab der jeweiligen Inobhutnahme auf und forderte von der Klägerin zugleich Erstattung der im Zeitraum September 2010 bis Januar 2011 bzw. im Januar 2011 geleisteten Unterhaltsvorschusszahlungen. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung abgelehnt, die Klage habe keine hinreichenden Erfolgsaussichten. Die Aufhebung der Bescheide über die Bewilligung von Unterhaltsvorschuss sei zu Recht auf § 48 SGB X gestützt worden, die Rückerstattung des zu Unrecht geleisteten Unterhaltsvorschusses beruhe auf § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG und begegne ebenfalls keinen durchgreifenden Bedenken.

II.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Klägerin ist unbegründet. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - in Verbindung mit § 114 der Zivilprozessordnung - ZPO - biete, ist jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden. Sowohl hinsichtlich des gegenüber der Klägerin geltend gemachten Ersatzzahlungsanspruchs (1.) als auch hinsichtlich der Aufhebung der Bewilligungsbescheide mit Wirkung für die Vergangenheit und für die Zukunft (2.) sind hinreichende Erfolgsaussichten zu verneinen.

1. Rechtsgrundlage für den der Klägerin gegenüber geltend gemachten Ersatzanspruch ist § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG. Dieser Anspruch besteht unabhängig vom Fortbestand der Bewilligungsbescheide (BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2011 - 5 C 19.10 -, NJW 2011, S. 2068 f., Rn. 16 bei juris m.w.N.).

Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG gilt: Haben die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung in dem Kalendermonat, für den sie gezahlt worden ist, nicht oder nicht durchgehend vorgelegen, so hat der Elternteil, bei dem der Berechtigte lebt, den Betrag insoweit zu ersetzen, als er die Zahlung der Unterhaltsleistung dadurch herbeigeführt hat, dass er vorsätzlich oder fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht oder eine Anzeige nach § 6 unterlassen hat. Diese Voraussetzungen liegen voraussichtlich vor.

a) Seit die in Rede stehenden fünf Kinder der Klägerin vom Jugendamt in Obhut genommen wurden, sind die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung entfallen. Allerdings spricht viel dafür, dass der Anspruch auf Unterhaltsleistungen ab der Inobhutnahme nicht an den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG scheitert - wie der Beklagte und das Verwaltungsgericht angenommen haben -, sondern an den Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 Satz 2 UVG.

aa) Unterhaltsvorschussleistungen werden gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG nur an Kinder gewährt, die im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem ihrer Elternteile leben, der ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten oder Lebenspartner dauernd getrennt lebt. Im vorliegenden Verfahren stellt sich insoweit allein die Frage, ob die Kinder in diesem Sinne bei ihrer Mutter, der Klägerin, als allein erziehendem Elternteil gelebt haben. Das Verwaltungsgericht und der Beklagte haben angenommen, dass es an dem danach erforderlichen Zusammenleben seit der Inobhutnahme am 30. August 2010 bzw. 30. Dezember 2010 fehle. Ohne dass dies im vorliegenden Fall abschließend geklärt werden müsste, spricht viel dafür, dass dies unrichtig ist, dass vielmehr die Inobhutnahme für sich genommen nicht die Annahme rechtfertigt, der allein erziehende Elternteil würde mit dem betroffenen Kind nicht mehr im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG zusammenleben. Die Inobhutnahme hat als Maßnahme der sozialpädagogischen Krisenintervention grundsätzlich lediglich vorübergehenden Charakter (Röchling in LPK-SG VIII, 4. Auflage, 2011, § 42, Rn. 46). Sie ändert daher für sich genommen im Grundsatz auch nichts am Zusammenleben des betroffenen Kindes mit dem allein erziehenden Elternteil. Hierzu müsste sie eine Änderung des Lebensmittelpunktes bewirken (OVG Münster, Beschluss vom 17. September 2009 - 12 E 1564/08 -, Rn. 15 bei juris; Grube, UVG, 2009, § 1, Rn. 48). Das kann bei einer lediglich vorübergehenden Trennung grundsätzlich nicht angenommen werden. Ob und unter welchen Voraussetzungen insofern Ausnahmen gelten können und ob diese hier gegeben sind, lässt sich vorliegend nicht abschließend beurteilen, da das Verwaltungsgericht die Akten des Jugendamtes nicht beigezogen hat und nähere Umstände über die Inobhutnahme deshalb nicht bekannt sind.

bb) Die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung sind infolge der Inobhutnahme allerdings im Hinblick auf § 1 Abs. 4 Satz 2 UVG entfallen. Nach dieser Vorschrift besteht kein Anspruch auf Unterhaltsleistung nach dem Unterhaltsvorschussgesetz, soweit der Bedarf eines Kindes durch Leistungen nach dem SGB VIII gedeckt ist. Das ist hier der Fall. Der Unterhaltsvorschuss soll bei allein erziehenden Elternteilen eine ausfallende finanzielle Beteiligung des anderen Elternteils (zumindest teilweise) kompensieren. Hierfür besteht kein Bedürfnis, wenn aufgrund der Leistungen der Jugendhilfe kein unterhaltsrechtlicher Bedarf mehr besteht. Die Vorschrift bezweckt, den Anspruch auf Unterhaltsvorschuss in diesen Fällen zu beseitigen (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses Familie, Senioren, Frauen und Jugend, BT-Drucksache 16/5444, S. 7). Das kann in Fällen der Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII ungeachtet ihres lediglich vorübergehenden Charakters angenommen werden. Nach Absatz 2 Satz 3 dieser Vorschrift hat das Jugendamt während der Inobhutnahme für das Wohl des Kindes zu sorgen und dabei den notwendigen Unterhalt sicherzustellen. Während der Inobhutnahme wird der Unterhaltsbedarf des Kindes daher regelmäßig vollständig durch das Jugendamt gedeckt. Dementsprechend sind auch die an sich unterhaltspflichtigen Eltern des Kindes gemäß § 91 Abs. 1 Nr. 7 SGB VIII im Falle der Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII zu einem Kostenbeitrag heranzuziehen. Elternteile werden dabei getrennt herangezogen (§ 92 Abs. 2, 2. Halbsatz SGB VIII). Hieran zeigt sich, dass für den Unterhaltsvorschuss als Ausfallleistung während einer Inobhutnahme kein Raum (mehr) ist. Der hiergegen vorgebrachte Einwand der Klägerin, die Inobhutnahme sei rechtswidrig erfolgt, rechtfertigt keine andere Einschätzung.

Ob im Falle einer rechtswidrigen Inobhutnahme etwas anderes gelten müsste, kann dabei vorliegend auf sich beruhen. Denn diese Behauptung der Klägerin wird von ihr selbst nicht erläutert und ist auch nach Aktenlage völlig substanzlos. Vielmehr spricht der Umstand, dass der Klägerin nach den unwidersprochenen Angaben des Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 5. April 2011 durch zwischenzeitlich ergangene Entscheidung des Familiengerichts im Wege der einstweiligen Anordnung die elterliche Sorge entzogen wurde, gegen diese Annahme. Im Übrigen wäre auch bei einer rechtswidrigen Inobhutnahme der Bedarf der Kinder der Klägerin durch Leistungen nach dem SGB VIII gedeckt gewesen.

cc) Auch die weiteren Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG liegen vor. Die Klägerin hat es unterlassen, eine Anzeige nach § 6 UVG gegenüber der Unterhaltvorschussstelle zu machen.

Gemäß § 6 Abs. 4 UVG ist der Elternteil, bei dem der Berechtigte lebt, verpflichtet, der zuständigen Stelle die Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen. Diese Verpflichtung hat die Klägerin verletzt, indem sie es unterlassen hat, die Unterhaltsvorschussstelle über die erfolgte Inobhutnahme zu unterrichten. Dem kann sie nicht entgegenhalten, der Beklagte selbst habe die Inobhutnahme der Kinder veranlasst und daher Kenntnis von ihr gehabt. Die Mitteilungspflicht besteht gegenüber „der zuständigen Stelle“. Das ist die Unterhaltsvorschussstelle. Demgegenüber erfolgt die Inobhutnahme durch das Jugendamt.

Die Verletzung der Mitteilungspflicht ist der Klägerin auch vorwerfbar, denn sie handelte insoweit mindestens fahrlässig, weil sie die erforderliche Sorgfalt nicht beachtet hat. Sie wurde in den Bewilligungsbescheiden jeweils über ihre Mitteilungspflichten nach § 6 Abs. 4 UVG belehrt. In den Bewilligungsbescheiden heißt es u.a., dass ein Wohnsitzwechsel des Kindes mitzuteilen ist. Dass die Inobhutnahme zu einem solchen Wohnsitzwechsel führen kann, liegt als Annahme nicht fern. Die Klägerin hätte diese Möglichkeit daher zumindest in Erwägung ziehen müssen. Bei Zweifeln hätte es ihr bei Beachtung ihrer Sorgfaltspflichten oblegen, insoweit bei der Unterhaltsvorschussstelle nachzufragen. Hinzu kommt, dass bereits seit 2007 Unterhaltvorschussleistungen bezogen werden und die Klägerin für jedes der begünstigten Kinder jährlich mindestens einmal formularmäßige Erklärungen abgegeben hat, wonach das jeweilige Kind mit ihr in ständiger häuslicher Gemeinschaft lebe. Auch hieraus musste ihr ersichtlich werden, dass es für die Frage der Gewährung des Unterhaltsvorschusses darauf ankommen kann, wo das Kind sich aufhält. Nachdem die Kinder in Obhut genommen wurden, hätte es ihr daher oblegen, der Unterhaltsvorschussstelle unverzüglich Mitteilung von diesem Umstand zu machen.

Ihr Einwand, eine Sorgfaltsverletzung sei ihr nicht vorzuwerfen, ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar. Soweit sie einwendet, sie habe die Anspruchsvoraussetzungen nach dem UVG nicht im Einzelnen gekannt und dies könne von ihr ohne entsprechende Belehrung auch nicht erwartet werden, ist ihr entgegenzuhalten, dass sie über ihre Mitteilungspflichten ausdrücklich belehrt wurde. Soweit sie weiterhin einwendet, es sei nicht offensichtlich, dass aufgrund der ihrer Ansicht nach zu Unrecht vorgenommenen Inobhutnahme von einem Anspruchsverlust auszugehen wäre, verkennt sie den anzulegenden Maßstab. Es ist nicht Aufgabe der Klägerin, eine Entscheidung der Behörde über das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen vorwegzunehmen. Sie ist allerdings gehalten, die Mitteilungspflichten, über die sie belehrt wurde, zu beachten. Insofern ist es irrelevant, ob der Klägerin bekannt war, dass die Inobhutnahme zum Wegfall des Anspruchs auf Unterhaltsvorschuss führen könnte. Die ihr obliegenden Sorgfaltspflichten hätten nach erfolgter Inobhutnahme zumindest zu einer entsprechenden Nachfrage bei der Behörde führen müssen.

2. Soweit sich die Klägerin mit der Klage gegen die Aufhebung der Bewilligungsbescheide richtet, hat sie voraussichtlich keine Erfolgsaussichten. Die Bewilligungsbescheide waren schon deshalb rechtswidrig, weil sie nicht wie in § 1 Abs. 1 UVG vorgesehen, die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz dem jeweiligen Kind der Klägerin bewilligten, sondern der Klägerin selbst. In den Bewilligungsbescheiden heißt es jeweils: „Auf Ihren Antrag erhalten Sie [also die Klägerin] zur Sicherung des Unterhalts für Ihr o.g. Kind folgende Leistungen“. Die Bewilligungsbescheide waren daher von Anfang an rechtswidrig und unterlagen der Aufhebung nach § 45 SGB X. Selbst wenn man die Bewilligungsbescheide in dem Sinne interpretiert, dass sie die Unterhaltvorschussleistungen dem jeweiligen Kind der Klägerin bewilligten und die Aufhebungsbescheide vom Januar 2011 dementsprechend an das jeweilige, durch die Mutter vertretene Kind gerichtet ansieht, konnten sie aus den vom Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend genannten Erwägungen nach § 48 SGB X aufgehoben werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).