Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 4. Kammer | Entscheidungsdatum | 30.03.2011 | |
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Aktenzeichen | 4 SaGa 432/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 102 Abs 5 BetrVG, § 940 ZPO |
Auch im Rahmen einer einstweiligen Verfügung zur Durchsetzung eines Anspruchs nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG bedarf es eines Verfügungsgrundes.
Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) vom 24. Januar 2011 – 8 Ga 3/11 – wird auf Kosten des Verfügungsklägers zurückgewiesen.
Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über die Verpflichtung der Verfügungsbeklagten zur Weiterbeschäftigung des Verfügungsklägers als Kraftfahrer, hilfsweise als Kommissionierer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.
Der Verfügungskläger war seit dem 17. September 2001 bei der Verfügungsbeklagten als Kraftfahrer bei einem monatlichen Bruttoverdienst von ca. 2.300,00 Euro beschäftigt. Nach dem Arbeitsvertrag der Parteien vom 10. September 2001 erhält der Verfügungskläger Tariflohn nach der Stufe L 5. Nach Ziffer 12. des Arbeitsvertrages gehören zu den Aufgaben des Verfügungsklägers neben dem Transport auch das ordnungsgemäße Be- und Entladen des Fahrzeugs, die Rückführung von Transportmitteln, Leergut, Transportverpackungen und Retouren sowie alle weiteren mit der Tätigkeit als Kraftfahrer verbundenen Arbeiten. Mit Schreiben vom 22. Oktober 2010 und 26. Oktober 2010 kündigte die Verfügungsbeklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien betriebsbedingt zum 31. Januar 2011.
Mit Schreiben vom 21. Oktober 2010 widersprach der bei der Verfügungsbeklagten gebildete Betriebsrat der Kündigungsabsicht der Verfügungsbeklagten und führte hierzu folgendes aus:
„…
Begründung:
1. Herr K. kann in den Kommissionierbereichen TS/FD/OG bzw. C+C Plattform weiterbeschäftigt werden. In diesen Bereichen sind freie Arbeitsplätze (Kommissionierung) vorhanden, diese freien Arbeitsplätze werden durchgängig seit Januar 2010 bis zum heutigen Tage von 28 Leiharbeitnehmern besetzt.
…“.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Widerspruchsschreibens wird auf Bl. 10 d. A. verwiesen.
Der Anhörung des Betriebsrats zur beabsichtigten Kündigung des Verfügungsklägers gingen Interessenausgleichsverhandlungen zwischen den Betriebsparteien voraus. Unter dem 05. Juli 2010 beschlossen der Betriebsrat und die Verfügungsbeklagte in einem Interessenausgleich den Abbau von 12,5 Kommissionierer/innen/stellen und den Abbau von 26 Kraftfahrerstellen, wobei die Kündigungen der Kraftfahrer im Oktober 2010 und die Kündigungen der Kommissionierer frühestens im Januar 2011 erfolgen sollten.
Kraftfahrer sind nach dem im Betrieb der Verfügungsbeklagten geltenden Tarifvertrag in der Lohngruppe L 5 eingruppiert. Die Lagerarbeiter sind drei Tarifgruppen niedriger in der Lohngruppe 2 eingruppiert. Die Vergütungsdifferenz zwischen beiden Tarifgruppen liegt über 450,00 Euro. In § 4 des zwischen dem Betriebsrat und der Verfügungsbeklagten abgeschlossenen Sozialplans vom 5. Juli 2010, hinsichtlich dessen Einzelheiten auf Bl. 138 – 143 d. A. verwiesen wird, war vereinbart:
„Die Vergleichsgruppen, die bei der Sozialauswahl zugrunde zu legen sind, sind die Folgenden:
- Lagerarbeiter
- Kraftfahrer“
Mit Schriftsatz vom 2. November 2010, hinsichtlich dessen Einzelheiten auf Bl. 11 – 13 d. A. verwiesen wird, erhob der Verfügungskläger gegen die Kündigungen vom 22. und 26. Oktober 2010 Klage. Neben dem Kündigungsschutzantrag machte der Verfügungskläger als uneigentlichen Hilfsantrag den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch geltend. Den vorliegend streitgegenständlichen Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG hat der Verfügungskläger zu keinem Zeitpunkt in einem Hauptsachverfahren geltend gemacht.
Die Kammerverhandlung im Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht fand am 23. Februar 2011 statt. Die Kündigungsschutzklage wurde mit am 23. März 2011 verkündeten Urteil abgewiesen.
Nachdem der Verfügungskläger mit Schreiben vom 10. November 2010 (vgl. Blatt 14 der Akte) erfolglos von der Verfügungsbeklagten seine Weiterbeschäftigung verlangt hatte, hat er mit Antragsschrift vom 05. Januar 2011 – beim Arbeitsgericht eingegangen am 10. Januar 2011 – im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens einen Beschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG geltend gemacht.
Der Verfügungskläger hat die Auffassung vertreten, der Betriebsrat habe der beabsichtigten Kündigung ordnungsgemäß widersprochen. Der Glaubhaftmachung eines Verfügungsgrundes bedürfte es im Rahmen des Anspruchs nach § 102 Abs. 5 BetrVG nicht.
Der Verfügungskläger hat beantragt
der Verfügungsbeklagten aufzugeben, den Verfügungskläger als Kraftfahrer, hilfsweise als Kommissionierer, bis zum rechtskräftigen Abschluss des beim hiesigen Gericht zum Aktenzeichen: 2 Ca 1448/10 eingeleiteten Kündigungsschutzverfahrens weiterzubeschäftigen.
Die Verfügungsbeklagte hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen
sowie hilfsweise
die Verfügungsbeklagte von der Weiterbeschäftigungspflicht des Verfügungsklägers zu entbinden.
Der Verfügungskläger hat beantragt,
den hilfsweise gestellten Entbindungsantrag zurückzuweisen.
Die Verfügungsbeklagte hat die Auffassung vertreten, dass weder Verfügungsanspruch noch Verfügungsgrund gegeben seien. Ein Verfügungsanspruch sei nicht gegeben, weil es an einem zu beachtenden frist- und formgerecht Widerspruch des Betriebsrats fehle. Einen freien Arbeitsplatz iSd. § 102 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG, auf dem der Kläger ohne Änderung der arbeitsvertraglichen Bedingungen beschäftigt werden könne, habe der Betriebsrat bereits nicht aufgezeigt. Der Widerspruch des Betriebsrats sei auch dem Widerspruchsgrund nach § 102 Abs. 3 Nr. 5 BetrVG nicht zuordenbar, da dem Widerspruch bereits nicht zu entnehmen war, dass der Verfügungskläger sein Einverständnis mit der Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen erklärt habe. Des Weiteren fehle es auch an einem Verfügungsgrund. Eine einstweilige Verfügung zur Durchsetzung des Weiterbeschäftigungsanspruchs nach § 102 Abs. 5 BetrVG stelle eine Befriedungsverfügung dar, der nach allgemeinen Grundsätzen nur entsprochen werden dürfe, wenn wesentliche Nachteile iSd. § 940 ZPO drohten.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag mit Urteil vom 24. Januar 2011 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es – kurz gefasst – ausgeführt, es fehle bereits an einem ordnungsgemäßen Widerspruch des Betriebsrats. Der Betriebsrat habe iSd. § 102 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG bereits keinen freien Arbeitsplatz, dem die Verfügungsbeklagten dem Verfügungskläger ohne Änderung der arbeitsvertraglichen Bedingungen zuweisen könne, aufgezeigt; eine Zuweisung der Tätigkeit als Kommissionierer sei ohne Änderung des Arbeitsvertrags nicht möglich. Ein etwaiger Widerspruch nach § 102 Abs. 3 Nr. 5 BetrVG scheitere schon daran, dass eine etwaige Zustimmung des Verfügungsklägers zu einer Vertragsänderung zumindest zum Zeitpunkt des Widerspruchs noch nicht erklärt war.
Gegen das ihm am 2. Februar 2011 zugestellte Urteil hat der Verfügungskläger mit beim Landesarbeitsgericht am 24. Februar 2011 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese begründet.
Der Verfügungskläger ist der Auffassung, der Widerspruch des Betriebsrats sei angesichts des weit gefassten Prüfungsmaßstabs ordnungsgemäß gewesen. Es sei auch durchaus plausibel, dass der Verfügungskläger als Kraftfahrer/Lagerarbeiter weiterbeschäftigt werden könne. Eine Beschäftigung als Lagerarbeiter sei zumindest tatsächlich möglich, auch wenn die Verfügungsbeklagten rechtliche gehindert sei, den Verfügungskläger entsprechend zu beschäftigen. Der Widerspruch des Betriebsrats sei auch im Hinblick auf den Widerspruchsgrund des § 102 Abs. 3 Nr. 5 ordnungsgemäß erfolgt; das Einverständnis des Arbeitnehmers brauche noch nicht zum Zeitpunkt des Widerspruchs des Betriebsrats vorzuliegen. Auch ein Verfügungsgrund sei gegeben. Zwar könne der Verfügungskläger kein besonderes Beschäftigungsinteresse darlegen. Dies sei aber auch nicht erforderlich, weil die Vorschrift des § 102 Abs. 5 BetrVG einen Verfügungsgrund indiziere; die Vorschrift des § 102 Abs. 5 BetrVG stelle eine Regelung des einstweiligen Rechtsschutzes dar, verbunden mit der Statuierung eines unabhängig vom allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch individualrechtlichen besonderen Weiterbeschäftigungsanspruchs.
Der Verfügungskläger und Berufungskläger beantragt,
unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung nach den klägerischen Schlussanträgen erster Instanz zu entscheiden.
Die Verfügungsbeklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
sowie hilfsweise
die Verfügungsbeklagte von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung des Verfügungsklägers zu entbinden.
Der Verfügungskläger und Berufungskläger beantragt,
den hilfsweise gestellten Entbindungsantrag zurückzuweisen.
Die Verfügungsbeklagte vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie verweist weiter darauf, dass der Verfügungskläger zu keinem Zeitpunkt seinen behaupteten Anspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG im Hauptsacheverfahren geltend gemacht hat und dass der Verfügungskläger nahezu vier Wochen bis zur Einlegung der Berufung habe verstreichen lassen. Unter diesen Umständen sei eine etwaige Eilbedürftigkeit durch den Verfügungskläger selbst verschuldet.
Wegen der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle verwiesen.
Die Berufung hat keinen Erfolg.
A. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und Abs. 2 Ziff. b. statthafte Berufung des Verfügungsklägers ist von ihm fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO, § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG). Sie ist damit zulässig.
B. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat den Antrag zutreffend zurückgewiesen.
Es fehlt zumindest an einem Verfügungsgrund.
I. Nach überwiegender und zutreffender Auffassung genügt weder das unzweifelhafte Bestehen eines Beschäftigungsanspruchs noch der aufgrund Zeitablaufs drohende Rechtsverlust dieses Beschäftigungsanspruchs für das Vorliegen eines Verfügungsgrundes (LAG Berlin-Brandenburg 12. Januar 2011 – 3 Ta 7/11 – nv. für den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch; LAG Berlin 4. Januar 2005 – 17 Sa 2664/04 - zitiert nach juris; LAG Düsseldorf 17. November 2010 - 12 SaGa 19/10 – nv, zitiert nach juris; LAG Düsseldorf 1. Juni 2005 - 12 Sa 352/05 - MDR 2005, 1419 mwN, LAG Köln 21. Juli .2010 - 3 SaGa 8/10 – zitiert nach juris., LAG Nürnberg 18. September 2007 - 4 Sa 586/07 - ZTR 2008, 108, LAG Nürnberg 17. August 2004 – 6 Sa 439/04 – LAGE Nr. 2 zu § 102 BetrVG 2001 Beschäftigungspflicht; LAG München 14. September 2005 – 9 Sa 891/05 – zitiert nach juris; LAG Nürnberg 24. Juni 2003 – 6 Sa 181/03 – zitiert nach juris; GK-ArbGG/Vossen Stand September 2008 § 62 Rn. 64 und 70, GMP-GM/Germelmann ArbGG 7. Aufl. § 62 Rn. 105, BCF/Creutzfeld ArbGG 5. Aufl. § 62 Rn. 102, Reinhard/Kliemt NZA 2005, 547).
Hierzu hat bereits die 3. Kammer des LAG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 12. Januar 2011 – 3 Ta 7/11- nv.) im Hinblick auf den allgemeinen Weiterbeschäftigungsantrag ausgeführt:
„Wird eine auf Beschäftigung gerichtete einstweilige Verfügung erlassen, wird für jeden Tag der Beschäftigung der Anspruch bereits erfüllt. Die begehrte einstweilige Verfügung, die nach § 940 ZPO der vorläufigen Sicherung zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis dienen soll, nimmt für die Zeit dieser einstweiligen Regelung die Hauptsache vorweg. An den Erlass einer Leistungsverfügung sind strenge Anforderungen zu stellen. Der Antragsteller muss auf die Erfüllung seines Anspruchs dringend angewiesen sein, die geschuldete Handlung ist so kurzfristig zu erbringen, dass die Erwirkung eines Titels im ordentlichen Verfahren nicht möglich ist und der dem Antragsteller aus der Nichterfüllung drohende Schaden muss außer Verhältnis zu dem Schaden stehen, der dem Antragsgegner aus der sofortigen vorläufigen Erfüllung droht (vgl. LAG Berlin 4. Oktober 2005 – 12 Sa 1267/05 -; LAG Berlin vom 4. Januar 2005 – 17 Sa 2664/04 -; LAG Düsseldorf vom 1. Juni 2005 – 12 Sa 352/05 - jeweils mwN; Musielak/Huber ZPO § 940 Rz. 14). Daraus ergibt sich, dass der sukzessive Untergang des Beschäftigungsanspruchs durch Zeitablauf für den Verfügungsgrund nicht ausreicht (vgl. LAG Berlin 4. Oktober 2005 – 12 Sa 1267/05 - ; LAG Düsseldorf vom 1. Juni 2005 - 12 Sa 352/05 -; GMP/Germelmann 7. Aufl. § 62 Rn. 105). Hinzukommen müssen weitere Umstände, die zu der Erkenntnis führen, dass der Antragsteller auf den Erlass einer auf Beschäftigung gerichteten einstweiligen Verfügung angewiesen ist. Aufgrund des Gebots der Ausgewogenheit des einstweiligen Rechtsschutzes ist daher zu prüfen, ob das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers der Sicherung durch eine einstweilige Verfügung bedarf. Dies setzt ein gesteigertes Beschäftigungsinteresse voraus.“
Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich die erkennende Kammer an.
II. Diese allgemeinen Grundsätze gelten uneingeschränkt auch für die Zulässigkeit einer Befriedigungsverfügung zur Durchsetzung eines auf § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG gestützten Weiterbeschäftigungsanspruchs (LAG Köln 10. März 2010 - 3 SaGa 26/09 – zitiert nach juris; LAG Nürnberg 18. September 2007 - 4 Sa 586/07 - ZTR 2008, 108; LAG Nürnberg 17. August 2004 – 6 Sa 439/04 – LAGE Nr. 2 zu § 102 BetrVG 2001 Beschäftigungspflicht; LAG München 14. September 2005 – 9 Sa 891/05 – zitiert nach juris; LAG München 17. Dezember 2003 - 5 Sa 1118/03 - NZA-RR 2005, 312; LAG Nürnberg 24. Juni 2003 – 6 Sa 181/03 – zitiert nach juris, LAG Baden-Württemberg 30. August 1993 - 15 Sa 35/93 - LAGE § 102 BetrVG 1972 Beschäftigungspflicht Nr. 20; LAG Köln 18. Januar 1984 NZA 1984, 57; GMPM-G/Germelmann 7. Aufl. § 62 Rn. 105 und 109).
Allerdings wird vertreten, dass es im Rahmen des § 102 Abs. 5 BetrVG keiner gesonderten Darlegung des Verfügungsgrundes mehr bedarf (LAG Hamburg 14.09.1992 - 2 Sa 50/92 - LAGE § 102 BetrVG 1972 Beschäftigungspflicht Nr. 10; GK-BetrVG/Raab 9. Aufl. § 102 Rn. 187; ErfK/Kania 11. Aufl. BetrVG § 102 Rn. 35).
Hierfür finden sich im Gesetz indes keine Anhaltspunkte.
1. Der Wortlaut des § 102 Abs. 5 BetrVG spricht nicht dafür, die Darlegung eines Verfügungsanspruchs für entbehrlich zu halten. Soweit der Verfügungskläger die Auffassung vertritt, die Entbehrlichkeit der Darlegung eines Verfügungsgrunds folge daraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer weiterbeschäftigen „muss“, folgt dem die Kammer nicht. Aus der Verwendung des Wortes „muss“ folgt lediglich, dass der Arbeitnehmer – bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen der § 102 Abs. 5 BetrVG – einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung hat. Insoweit kann hieraus ein zwingender Anspruch und damit ein Verfügungsanspruch hergeleitet werden, nicht jedoch – automatisch – ein Verfügungsgrund.
2. Soweit der Verfügungskläger die Auffassung vertritt, die Durchsetzung des Anspruchs im Eilverfahren ohne besondere weitere Erfordernisse komme gerade darin zum Ausdruck, dass der Arbeitgeber sofort, dh. im Eilverfahren verlangen könne, ihn von der Weiterbeschäftigungspflicht zu entbinden, überzeugt dies nicht. Wenn der Gesetzgeber für die Entbindung des Arbeitgebers von der Weiterbeschäftigungsverpflichtung das einstweilige Verfügungsverfahren ausdrücklich als allein zulässiges Verfahren vorgesehen hat, kann nicht angenommen werden, dass ohne eine entsprechende gesetzliche Regelung der in § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG geregelte Weiterbeschäftigungsanspruch unter erleichterten Voraussetzungen mittels einer einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden können soll (LAG Baden-Württemberg 30.08.1993 - 15 Sa 35/93 - LAGE § 102 BetrVG 1972 Beschäftigungspflicht Nr. 20). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass in der geltenden Rechtsordnung mehrere spezielle Regelungen zur Durchsetzung eines Anspruchs normiert sind (vgl. zB § 855 Abs. 1 Satz 2 BGB und § 899 Abs. 2 Satz 2 BGB). Der Gesetzgeber hat dort jeweils ausdrücklich bestimmt, für den Erlass einer einstweiligen Verfügung sei nicht erforderlich, dass eine Gefährdung des zu sichernden Anspruches glaubhaft gemacht werde. Regelt der Gesetzgeber in einzelnen Vorschriften indes ausdrücklich, dass die Gefährdung des zu sichernden Anspruches und damit der Verfügungsgrund nicht glaubhaft gemacht werden muss, spricht dies dafür, die Darlegung eines Verfügungsgrundes immer dann zu fordern, wenn eine entsprechende Regelung bei einer Norm nicht getroffen wurde.
3. Soweit der Verfügungskläger darauf verweist, dass Sinn und Zweck des § 102 Abs. 5 Satz darin besteht, einen Anspruch auf Weitebeschäftigung nach Ablauf der Kündigungsfrist zu statuieren, um ein ggf. schwierige Wiedereingliederung zu verhindern, trifft dies zu; dies rechtfertigt aber keine andere Betrachtung. Auch im Rahmen des allgemeinen Weiterbeschäftigungsantrags, insbesondere im ungekündigten Arbeitsverhältnis, soll – dort im Hinblick auf grundrechtliche Gewährleistungen – eine Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers verhindert werden. Es ist auch nicht erklärbar, dass der Arbeitnehmer in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis weniger Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung haben soll, als der Arbeitnehmer in einem – wirksam - gekündigten Arbeitsverhältnis. Der Kammer ist auch bewusst, dass es sich bei dem Weiterbeschäftigungsanspruch um einen zeitgebundenen Anspruch handelt, der allein durch Zeitablauf hinfällig werden kann und damit unerfüllbar wird. Daraus folgt jedoch nicht, dass in verfahrensrechtlicher Hinsicht erleichterte Voraussetzungen gelten müssten (LAG Baden-Württemberg 30.08.1993 - 15 Sa 35/93 - LAGE § 102 BetrVG 1972 Beschäftigungspflicht Nr. 20). Liegt kein Verfügungsgrund vor, so kann der gekündigte Arbeitnehmer den Weiterbeschäftigungsanspruch mit einer Klage geltend machen. Er wird den Anspruch schon im Hinblick darauf, dass die Kündigungsschutzklage fristgebunden zu erheben ist und die Ablehnung der begehrten Weiterbeschäftigung ihm gegenüber in den seltensten Fällen schon zum Zeitpunkt der Einreichung der Klage kundgetan sein dürfte, eine separate Klage erheben. Über diese wird regelmäßig weit vor der Entscheidung über die Kündigungsschutzklage befunden werden können, weil der Arbeitgeber nur begrenzt Einwendungen erheben kann (LAG Baden-Württemberg 30.08.1993 - 15 Sa 35/93 - LAGE § 102 BetrVG 1972 Beschäftigungspflicht Nr. 20). Die Tatsache, dass bislang keine Entscheidung über einen Weiterbeschäftigungsanspruch im Klageverfahren vorliegt, dürfte hier allein daran liegen, dass der Verfügungskläger auch fünf Monate nach Erhalt der Kündigung zum 31. Januar 2011 den Weiterbeschäftigungsanspruch nicht mit einer Klage im Hauptsacheverfahren überhaupt geltend gemacht. Insoweit verweist die Verfügungsbeklagte zutreffend darauf, dass eine Eilbedürftigkeit von dem Verfügungskläger selbst verschuldet wäre. Ob darüber hinaus eine Eilbedürftigkeit auch deswegen verschuldet war, weil der Verfügungskläger die einstweilige Verfügung erst deutlich über zwei Monate nach Erhalt der Kündigung eingereicht hat und über drei Wochen abgewartet hat, bevor er gegen die innerhalb von einer Woche abgesetzte Entscheidung des Arbeitsgerichts Berufung eingelegt hatte, bedurfte keiner Entscheidung.
4. Allerdings dürften an das Vorliegen eines Verfügungsgrunds geringere Anforderungen zu stellen sein, wenn der Verfügungsanspruch unzweifelhaft besteht. Generell ist auch für die Zulässigkeit einer Weiterbeschäftigungsverfügung gemäß § 940 ZPO entscheidend, ob - nach dem Ergebnis einer am rechtsstaatlichen "Gebot der Ausgewogenheit des einstweiligen Rechtsschutzes" für beide Parteien ausgerichteten prozessrechtlichen Interessenabwägung - die beantragte Weiterbeschäftigungsverfügung mit Rücksicht auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist (LAG München 17. Dezember 2003 - 5 Sa 1118/03 - NZA-RR 2005, 312). Demnach wirkt sich das Gebot des effektiven Rechtsschutzes in doppelter Hinsicht aus: Weder soll ein unzweifelhaft gegebener Anspruch durch Zeitablauf untergraben werden, noch soll die Gegenseite verpflichtet werden einen nicht gegeben Anspruch zu erfüllen.
Vorliegend bestehen erhebliche Zweifel, ob ein Verfügungsanspruch besteht. Das Arbeitsgericht hat einen solchen mit guter und nachvollziehbarer Begründung abgelehnt (S. 5 – 8 des Urteils = Bl. 161 – 164 d. A.). Insoweit gebietet ein effektiver Rechtsschutz nicht dem Antrag im einstweiligen Verfügungsverfahren stattzugeben. Vielmehr würde die Stattgabe dazu führen, dass das Gericht der Verfügungsbeklagten die Erfüllung eines wahrscheinlich nicht gegebenen Anspruchs oktroyieren würde. Dies wiegt umso schwerer, als der Verfügungskläger ein Hauptsachverfahren mindestens fünf Monate nach Erhalt der Kündigung nicht eingeleitet hat und möglicherweise weiterhin seinen behaupteten Anspruch im Hauptsacheverfahren gar nicht verfolgt.
III. Nach alledem bedurfte es für das Vorliegen eines Verfügungsgrundes eines gesteigerten Beschäftigungsinteresses des Verfügungsklägers. Ein derartiges gesteigertes Beschäftigungsinteresse hatte der Verfügungskläger auch nach eigenem Bekunden nicht.
C. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Danach hat der Verfügungskläger die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
D. Eine Entscheidung über die Zulassung der Revision hatte zu unterbleiben, weil gemäß § 72 Abs. 4 ArbGG die Revision bereits von Gesetzes wegen unzulässig ist.