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Emissionshandel; Zuteilungsperiode 2008 bis 2012; drohender Anspruchsverlust im Klageverfahren; Kürzung des Zuteilungsanspruchs; Versteigerungskürzung; Industriekraftwerke als Energieanlagen; vorläufiger Rechtsschutz; (kein) Anordnungsanspruch; vollständige Prüfung der Sach- und Rechtslage; (keine) Folgenabwägung


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 12. Senat Entscheidungsdatum 19.03.2013
Aktenzeichen OVG 12 S 22.13 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen Art 19 Abs 4 GG, § 123 VwGO, § 920 Abs 2 ZPO, § 2 Abs 1 S 2 TEHG 2004, § 3 Abs 3 S 2 TEHG 2004, § 20 ZuG 2012

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. Februar 2013 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 654 882,75 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde, mit der die Antragstellerin ihre erstinstanzlich gestellten Anträge weiterverfolgt, hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt, rechtfertigt keine Änderung oder Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses.

Das Verwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Beschluss die Auffassung vertreten, dass der auf § 123 Abs. 1 VwGO gestützte Eilantrag weder mit dem Hauptantrag noch mit einem der Hilfsanträge begründet sei. Der Antragstellerin stehe ein sicherungsfähiger Anordnungsanspruch nicht zu. Eine Zuteilung von Berechtigungen ohne Anwendung der Kürzung gemäß § 20 ZuG 2012 könne sie nicht beanspruchen. Die in den angefochtenen Bescheiden der Antragsgegnerin in Ansatz gebrachte Veräußerungskürzung begegne weder dem Grunde noch der Höhe nach rechtlichen Bedenken. Nach der Rechtsprechung der Kammer, die vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteilen vom 10. Oktober 2012 bestätigt worden sei, sei die Veräußerungskürzung insbesondere mit dem Grundgesetz vereinbar. Die nach Erschöpfung des Rechtswegs angekündigte Einlegung von Verfassungsbeschwerden biete keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung der Verfassungskonformität.

Die dagegen erhobenen Einwände greifen nicht durch. Ohne Erfolg macht die Antragstellerin geltend, dass ihr wegen des offenen Ausgangs der - mittlerweile tatsächlich - eingelegten Verfassungsbeschwerden gegen die Veräußerungskürzung ein Anordnungsanspruch auf Mehrzuteilung zustehe. Für eine insoweit zur Verhinderung einer Entwertung ihrer Rechtsposition reklamierte Gewährung von Eilrechtsschutz auf der Grundlage einer reinen Folgenabwägung ist kein Raum.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine hier allein in Betracht kommende Regelungsanordnung treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei sind der Anordnungsordnungsanspruch und der Anordnungsgrund vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Diese einfachgesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sind verfassungsrechtlich im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG unbedenklich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. April 2010 – 1 BvR 216/07 – BVerfGE 126, 1, 28; Beschluss vom 28. September 2009 – 1 BvR 1702/09 – NVwZ-RR 2009, 945, 946 f.; Beschluss vom 25. Oktober 1988 – 2 BvR 745/88 – BVerfGE 79, 69, 74 f.). Insbesondere ist es verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig, die Gewährung von Eilrechtsschutz von einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache abhängig zu machen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 6. Februar 2013 - 1 BvR 2366/12 - juris Rn. 2; Beschluss vom 28. September 2009, a.a.O.). Eine weitergehende tatsächliche und rechtliche Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs ist von Verfassungs wegen dann erforderlich, wenn dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten droht, die durch eine nachträgliche Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (BVerfG, Beschluss vom 13. April 2010, a.a.O., S. 27). Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen. Erst wenn dem Gericht eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 6. Februar 2013, a.a.O., Rn. 3; Kammerbeschluss vom 25. Februar 2009 – 1 BvR 120/09 – NVwZ 2009, 715 f; Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 – BVerfGK 5, 237, 242; Saurenhaus, in: Wysk, VwGO, § 123 Rn. 18 m. w. N.; Dombert, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Aufl. 2011, Rn. 116).

Gemessen hieran hat die Antragstellerin auch mit ihrer Beschwerde einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Der Senat hat sich nach eingehender Prüfung der verfassungsrechtlichen Einwände gegen die Veräußerungskürzung bereits mit Urteil vom 28. Februar 2013 (OVG 12 B 25.11) der vom Verwaltungsgericht angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts angeschlossen und sowohl eine Vereinbarkeit des § 20 ZuG 2012 mit den Vorgaben der bundesstaatlichen Finanzverfassung als auch mit den Grundrechten der Anlagenbetreiber aus Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG angenommen (UA S. 13).

Ohne Erfolg rügt die Antragstellerin, sämtlichen vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen „Musterverfahren“ hätten Fälle zugrunde gelegen, in denen Energieversorgungsunternehmen Strom für Dritte erzeugten, während die hier streitgegenständliche Dampfkesselanlage eigens für die Energieversorgung ihrer Produktionsanlagen errichtet worden sei. Das Bundesverwaltungsgericht habe „in keiner Weise“ geprüft, ob der Gesetzgeber hinsichtlich der zuteilungsrechtlichen Behandlung sog. ‚Industriekraftwerke‘ als Energieanlagen nicht seine Typisierungsbefugnis überschritten habe und eine differenzierende Regelungsalternative geboten gewesen wäre.

Letzteres trifft nicht zu: Das Bundesverwaltungsgericht hat sich im (den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin bekannten) Urteil vom 10. Oktober 2012 zum Verfahren BVerwG 7 C 8.10 eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, ob es verfassungsrechtlich zu beanstanden ist, dass immissionsschutzrechtlich selbständig genehmigte ‚Industriekraftwerke‘ ebenso wie sonstige selbständig genehmigte Energieerzeugungsanlagen der Kürzung nach § 20 ZuG 2012 unterworfen sind. Es hat diese Frage verneint und die Auffassung vertreten, dass der Gesetzgeber mit der Entscheidung, selbständig genehmigte Industriekraftwerke bzw. Industriekraftwerke, die als Bestandteil von nicht emissionshandelspflichtigen Industrieanlagen genehmigt worden sind, generell der Veräußerungskürzung zu unterwerfen, nicht die ihm zustehende Typisierungsbefugnis überschritten habe (juris Rn. 55 ff.). Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an. Das Beschwerdevorbringen bietet keinen Anlass für eine abweichende rechtliche Bewertung.

Damit ist der aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Obliegenheit genügt, bei einer drohenden Grundrechtsverletzung infolge Anspruchsverlustes während eines noch nicht abgeschlossenen Klageverfahrens erforderlichenfalls eine vollständige Prüfung der Sach- und Rechtslage vorzunehmen. Ein sicherungsfähiger Anordnungsanspruch ist danach nicht gegeben und kann auch nicht durch eine bloße Folgenabwägung ersetzt werden.

Daran ändert nichts, dass gegen die genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Verfassungsbeschwerden erhoben worden sind, über die bislang noch nicht entschieden ist. Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verlangt ausweislich der zitierten gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht, dass über die eingehende fachgerichtliche Prüfung der Sach- und Rechtslage hinaus die Verfassungsmäßigkeit der jeweils einschlägigen Regelungen bereits positiv vom Bundesverfassungsgericht festgestellt worden ist. Vom Erfordernis der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches kann daher nicht entgegen § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG. Wie der Antragstellerin aufgrund des Beschlusses gleichen Rubrums vom 15. Februar 2013 im Verfahren OVG 12 S 16.13 bereits bekannt ist, legt der Senat unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung nunmehr in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. die Streitwertbeschlüsse in den Revisionsverfahren 7 C 8.10, 7 C 9.10 u.a.) und der geänderten Streitwertpraxis des Verwaltungsgerichts in Verfahren, in denen ein Anspruch auf Mehrzuteilung von Berechtigungen geltend gemacht wird, der Bemessung des Streitwertes den börsennotierten Preis eines Zertifikats zum Zeitpunkt der Einleitung des Rechtszuges vor dem Oberverwaltungsgericht (§ 40 GKG) zu Grunde. Die Antragstellerin begehrt im vorliegenden Eilverfahren die Mehrzuteilung von 285 975 Berechtigungen; zum Zeitpunkt des Eingangs der Beschwerde lag der börsennotierte Preis eines Zertifikats der Handelsperiode 2008 bis 2012 bei 4,58 Euro (EEX vom 19. Februar 2013). Danach ergibt sich ein Streitwert von (285 975 x 4,58 =) 1 309 765,50 Euro, der für das vorliegende Eilverfahren nur zur Hälfte (654 882,75 Euro) anzusetzen ist.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).