Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 1. Senat | Entscheidungsdatum | 07.01.2014 | |
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Aktenzeichen | L 1 KR 485/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 8 Abs 2 SGB 5, § 119 BGB |
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Im Streit steht der Sache nach, ob der Kläger einen Antrag auf Befreiung von der Krankenversicherungspflicht widerrufen konnte.
Der Kläger war bis November 1991 als hauptberuflich Selbstständiger Freiwilliges Mitglied der Beklagten. Er schloss für die Zeit ab danach eine private Krankenversicherung ab. In der Zeit vom 8. August 2008 bis zum 6. August 2009 war er arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld.
Er übersandte der Beklagten ein von ihm am 17. September 2009 unterschriebenen Formular-Antrag auf Befreiung von der Krankenversicherungspflicht. Direkt unter der Überschrift des Formulars enthält dieses folgenden Hinweis:
„Der Gesetzgeber hat einen Widerruf der Befreiung ausgeschlossen. Sie gilt auch gegenüber anderen Krankenkassen. Bis der Grund für Ihre Befreiung entfällt, können Sie auch aufgrund anderer Sachverhalte nicht krankenversicherungspflichtig werden. Für Leistungsbezieher der Agentur für Arbeit, Landwirte und Künstler besteht eine Ausnahme: Wenn Sie zukünftig zu einem dieser Personenkreise gehören, werden Sie wieder versicherungspflichtig in der Krankenversicherung.“
Der Kläger fügte seinem Antrag eine Kopie der „Mitteilung über die Änderung der Beiträge zur Kranken-/Pflegeversicherung ab 1. Januar 2008“ der D Krankenversicherung a. G. vom 10. Oktober 2007 bei.
Mit Bescheid vom 22. September 2008 befreite die Beklagte den Kläger „wie gewünscht“ als Bezieher von Leistungen der Agentur für Arbeit ab dem 8. August 2008 von der Krankenversicherungspflicht.
Mit Schreiben vom 11. November 2008 teilte der Kläger dann aber der Beklagten mit, seinen Antrag vom 17. September 2008 zurückzuziehen. Bisher habe ihn niemand darüber informiert gehabt, was mit der Befreiung verbunden sei. Erst eine Mitarbeiterin habe ihn nach telefonischer Rückfrage über den Sachverhalt aufgeklärt. Nachdem er diesen verstanden habe, mache er von der Möglichkeit der Befreiung keinen Gebrauch. Die Bescheinigung über die Befreiung sei nur von den Mitarbeitern der Agentur für Arbeit gefordert worden, ohne zu informieren, warum diese Bescheinigung erforderlich sei.
Die Beklagte lehnte einen Widerruf der Befreiung mit Schreiben vom 14. November 2008 ab.
Der Kläger erhob unter dem 25. November 2008 ausdrücklich Widerspruch. Ihm sei von der Beklagten die mitgeteilt worden, dass mit der Antragserstellung noch keine Verpflichtungen verbunden seien. Die Beklagte werde das Antragsschreiben beantworten und zu der rechtlichen Situation Stellung nehmen. Danach habe er noch die Möglichkeit sich zu entscheiden. Er habe am 23. September 2008 mit der Mitarbeiterin der Beklagten, Frau S, telefoniert und von dieser mitgeteilt erhalten, dass er noch die Möglichkeit habe, den Antrag zurück zunehmen. Dazu müsse bis einschließlich 12. November 2008 24 Uhr ein entsprechendes Schreiben bei der Beklagten vorliegen. Diese Frist habe er eingehalten.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. November 2010 zurück. Der Vordruck „Antrag auf Befreiung von der Krankenversicherungspflicht“ sei eindeutig. Der Kläger habe keinen Beratungsbedarf signalisiert. Auch sei eine mögliche Rücknahme der Befreiung nicht zugesichert worden. Die Mitarbeiterin habe auf Nachfrage erklärt, dass sie die in Rede stehende Auskunft nicht erteilt habe.
Hiergegen hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe aus § 14 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch so gestellt zu werden, als ob bei zutreffende Beratung ein Antrag auf Befreiung nicht eingereicht worden sei. Er hat behauptet, am 22. September 2008 um 10:10 Uhr morgens ein Telefonat mit der Sachbearbeiterin K der Beklagten geführt zu haben. Diese habe zugesichert, dass er aufgrund vorheriger fehlerhafter Beratung -im Beratungsgespräch am Montag, den 15. September 2008 in der Filiale in der Wilmersdorfer Straße- den Antrag zurückziehen könne. Auf der Beratungsstelle sei viel los gewesen. Statt einer Beratung habe er das Antragsformular erhalten, das aber noch nicht verbindlich sein. Er habe nicht davon ausgehen müssen, dass bereits mit Eingang des schriftlichen Antrages ein Widerruf ausgeschlossen sei. Die Sachbearbeiterin hätte unmissverständlich darauf hinweisen müssen, dass die Erklärung unwiderruflich sei. Diesen wichtigen Hinweis enthalte auch das Antragsformular nicht. Der Kläger habe sich in dem Irrtum befunden, dass die bloße Absendung des Antrages nicht verbindlich gewesen sei, sondern dass ihm aufgrund schriftlicher Bescheiderteilung eine weitere Entscheidungsfrist eingeräumt werde. Bei den Telefonaten – zum einen mit Frau K am 22. September 2008 – und am nächsten Tag mit Frau S, sei es nur um die Möglichkeit gegangen, den Antrag zurückzunehmen.
Das SG hat in der mündlichen Verhandlung am 25. Oktober 2012 die Sachbearbeiterin der Beklagten K vernommen.
Es hat die Klage mit Urteil vom selben Tag abgewiesen. Die Klage sei als Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig, habe jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Der Kläger habe den Antrag nicht wirksam widerrufen.
§ 8 Abs. 2 Satz 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V in der im Jahr 2008 geltenden Fassung; heute: § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB V) schließe einen Widerruf ausdrücklich aus.
Der Kläger sei auch nicht in Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches so zu stellen, als ob er keinen Befreiungsantrag gestellt habe. Von einer Beratungspflichtverletzung durch die Beklagte sei die Kammer nicht überzeugt. Soweit der Kläger ausgesagt habe, er habe die Filiale der Beklagten mit dem Ziel aufgesucht, Mitglied mit der Beklagten zu werden, stehe dies im Widerspruch zu dem tatsächlich unterzeichneten Befreiungsantrages. Es sei auch nicht nachvollziehbar, weshalb er einen solchen bei der Beklagten eingereicht habe, wenn dies ersichtlich nicht in seinem Interesse gewesen sei. Die Beklagte weise auch zu Recht darauf hin, dass der Antrag eindeutig formuliert sei. Im Formular sei ausdrücklich und nicht übersehbar darauf hingewiesen worden, dass die Befreiung nicht widerrufen werden könne. Unklar bleibe auch, weshalb der Berater der Arbeitsvermittlung dem Kläger erklärt haben solle, er benötige eine Mitteilung über die Befreiung über die Kranken- und Pflegeversicherung, wenn sich der Kläger tatsächlich gar nicht habe befreien lassen wollen. Zuletzt sei zu berücksichtigen, dass der Kläger den Antrag auch nicht unmittelbar nach Aushändigung ausgefüllt und unterzeichnet habe, sondern erst zwei Tage später. Er habe also den Antrag in aller Ruhe durchlesen und überdenken können. Der Kläger habe ferner seine Beitrittserklärung auch nicht nach § 119ff, 123 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) anfechten können.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers: Er habe den Antrag auf Befreiung unter der Annahme gestellt, dass der Antrag bis zur rechtskräftigen Bescheiderteilung noch nicht rechtsverbindlich sei. Dies sei ihm so von der Mitarbeiterin des Beratungszentrums mitgeteilt worden. Er habe seine Beitrittserklärung durch das Telefonat am 22. September 2009 nach § 119, 121 BGB unverzüglich angefochten. Die Irrtumsanfechtung habe auch nicht schriftlich erfolgen müssen, weil der Kläger durch seinen Anruf bereits hinreichend deutlich gemacht habe, an seinem Antrag nicht festhalten zu wollen, weil er sich über die Verbindlichkeit geirrt habe. Es liege auch ein Irrtum über die Eigenschaft einer Sache – des Antragsformulars – vor, die im Verkehr als wesentlich anzusehen sei. Der Hinweis im Antragsformular gleiche diesen Mangel an Klarheit aus der Sicht eines verständigen Versicherten nicht aus. Die Beklagte hätte vielmehr darauf hinweisen müssen, dass die Erklärung bereits bei Zugang rechtsverbindlich und unwiderrufbar sei. Der weitere unklare Hinweis, der Leistungsbeziehern der Agentur für Arbeit auch noch eine Ausnahme von der Befreiung in Aussicht stelle, sei besonders irreführend. Auch sei hier kein wirksamer Befreiungsbescheid erteilt worden, der Kläger habe seinen Antrag auf Befreiung im Widerspruchsverfahren noch zurücknehmen können. Ein Widerruf könne nämlich erst dann vorliegen, wenn ein bestandskräftiger Befreiungsbescheid erteilt worden sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Oktober 2012 und die Bescheide vom 22. September 2008 und vom 14. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 2010 aufzuheben und
festzustellen, dass der Kläger vom 8. August 2008 bis 6. August 2009 als Bezieher von Arbeitslosengeld pflichtversichert in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung war.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Es könnte im schriftlichen Verfahren und durch den Berichterstatter allein anstelle des Senates entschieden werden, §§ 155 Abs. 3, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt.
Der Berufung bleibt Erfolg versagt. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Aufgrund seines Befreiungsantrages vom 17. September 2008 wurde der Kläger von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung befreit.
Nach § 8 Abs. 1 Nr. 1a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) wird auf Antrag u.a. derjenige von der Versicherungspflicht befreit, der Versicherungspflichtig durch den Bezug von Arbeitslosengeld wird und in den letzten fünf Jahren vor dem Leistungsbezug nicht gesetzlich krankenversichert war, soweit er bei einen Krankenversicherungsunternehmen versichert ist und Vertragsleistungen erhält, die der Art und dem Umfang nach den Leistungen des SGB V entsprechen.
Diese Voraussetzungen lagen beim Kläger vor, wie zwischen dem Beteiligten außer Streit steht: Der Kläger war seit 1991 privat krankenversichert. Die entsprechende Bescheinigung der D weist einen Krankenversicherungsvollschutz aus.
Der Befreiungsantrag war jedenfalls nach seiner Bescheidung unwiderruflich, wie bereits das SG zutreffend ausgeführt hat, auf dessen Begründung zur Vermeidung bloßer Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen wird. Auf die Bestandskraft der Befreiung kann es nicht ankommen. Der Widerruf ist allgemein nach § 8 Abs. 2 SGB V ausgeschlossen.
Der Kläger hat seinen Befreiungsantrag auch nicht wirksam angefochten.
Ganz allgemein ist die Annahme, Willenserklärungen im Rechtsverkehr seien (erst einmal) unverbindlich, fernliegend. Im Gegenteil: Aus dem Hinweis über die Unwiderruflichkeit der Befreiung kann ohne weiteres auf die Verbindlichkeit des Antrages geschlossen werden.
Das SG hat bereits dargestellt, dass mangels Falschberatung nicht von einem Irrtum ausgegangen werden kann. Auch ein sozialrechtlichen Herstellungsanspruch hat es aus diesem Grund zu Recht ausgeschieden.
Ausgeschlossen ist auch ein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des benutzten Antragsformulars als Sache (§ 119 Abs. 2 BGB). Es könnte (allenfalls) ein beachtlicher Irrtum über den Erklärungsinhalt nach § 119 Abs. 1, Alternative 1 BGB vorgelegen haben, konkret als Irrtum über die Rechtsfolgen. Ein solcher ist gegeben, wenn die Rechtserklärung in Folge der Verkennung ihrer rechtlichen Bedeutung von der gewollten wesentlich verschiedene Rechtswirkungen erzeugt. Ein beachtlicher Inhaltsirrtum liegt aber nicht vor, wenn ein irrtumsfrei erklärtes und gewolltes Rechtsgeschäft außer der erstrebten Wirkung noch andere, nicht erkannte und nicht gewollte Nebenfolgen hervorbringt (Bundessozialgericht, Urteil vom 23. Oktober 2003 -B 4 RA 27/03 R- juris-Rdnr. 22 unter Bezugnahme auf Reichsgericht RGZ 134, 195).
Hier läge selbst bei einem unterstellten tatsächlichen Irrtum über die Verbindlichkeit des Antrages nur ein unbeachtlicher Irrtum in diesem Sinne vor:
Der Kläger wollte auch nach seinem Vortrag zunächst den Antrag mit der gewollten Rechtsfolge der Befreiung stellen und nicht etwa erst (erneut (?)) nach Prüfung und Bescheidung durch die Beklagte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.