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(Krankenversicherung - ärztliche Behandlung - keine Leistungspflicht für Injektionen mit Medizinprodukt Sculptra)


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 9. Senat Entscheidungsdatum 18.02.2010
Aktenzeichen L 9 KR 10/08 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 2 Abs 1 SGB 5, § 12 Abs 1 SGB 5, § 13 Abs 3 SGB 5, § 27 Abs 1 S 1 SGB 5, § 27 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 5, § 28 Abs 1 SGB 5, § 92 Abs 1 S 2 Nr 5 SGB 5, § 135 Abs 1 S 1 SGB 5, MVVRL, Art 2 Abs 2 S 1 GG

Leitsatz

Injektionen mit dem Medizinprodukt Sculptra stellen eine einheitliche ärztliche Behandlung im Sinne des § 28 Abs. 1 SGB V dar und sind auch dann keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sie der Behandlung einer Krankheit (hier: Lipatrophie bei AIDS-Erkrankung) dienen.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 21. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Übernahme der Kosten für Injektionen mit Poly-L-Milchsäure, die unter dem Handelsnamen Sculptra (früher: New-Fill) vertrieben wird.

Der 1959 geborene Kläger leidet unter einem fortgeschrittenen Immundefekt bei HIV-Infektion (AIDS) im Stadium CDC C3, der seit Jahren mit antiretroviralen Medikamenten behandelt wird. Hierdurch hat sich ein schweres und progredientes Wasting- und Lipodystrophie-Syndrom entwickelt, das zu einer ausgeprägten Lipatrophie mit einem massiven Abbau des peripheren Fettgewebes an den Armen, den Beinen und vor allem im Gesicht geführt hat. Nach einem Attest des behandelnden Arztes für Innere Medizin Sch vom 31. März 2005 habe der Verlust des facialen Fettgewebes bei ihm außerordentliche Ausmaße angenommen. Dies habe neben der abstoßend wirkenden Entstellung zu rezidivierenden Konjunktivitiden und Parodontiden sowie Dermatosen geführt. Er leide unter erheblichen Schmerzen beim Kauen und Schlucken, es bestehe ein ständiges Spannungsgefühl im Gesichtsbereich.

Sculptra ist am 11. Februar 2002 von der Europäischen Zulassungsbehörde für Medizinprodukte mit der CE-Nr. 0459 zugelassen worden. Sein Anwendungsgebiet erstreckt sich auf die Erhöhung des Volumens von eingesunkenen Hautzonen zur Korrektur von Falten, Furchen und Narben. Es wird unter die betreffenden Hautpartien injiziert. Das Anwendungsgebiet der HIV-Lipatrophie wird nicht explizit genannt, ist jedoch durch die Formulierung der „Zulassung“ mit eingeschlossen (vgl. Gutachten zur „Injektionstherapie mit Poly-L-Milchsäure - Sculptra™, früher New-Fill™ - zur Behandlung der fazialen Lipatrophie bei HIV-Patienten“ der „Sozialmedizinischen Expertengruppe 6 „Arzneimittelversorgung“ der MDK-Gemeinschaft“ vom August 2006, Punkt 5, unter Bezugnahme auf eine Auskunft der Aventis Deutschland vom 25.10.2005 und eine Internetabfrage vom 27. Februar 2006).

Einen ersten Antrag auf Übernahme der Kosten lehnte die Beklagte ab. Im anschließenden Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Berlin (S 87 KR 1350/03) verglichen sich die Beteiligten dahingehend, dass die Beklagte anerkannte, dass es sich bei der Lipodystrohiesymptomatik um eine behandlungsbedürftige Erkrankung handele. Ein Anspruch auf Behandlung mit New Fill bestehe nicht, es solle jedoch unter Einschaltung des behandelnden Arztes Dr. R geprüft und entschieden werden, ob eine alternative Behandlungsmethode im System erfolgversprechend sei.

Der Kläger reichte sodann ein Attest des Hautarztes Dr. R vom 22. April 2004 ein, nach dem eine Behandlungsalternative nicht bestehe. Eine autologe Fetttransplantation komme nicht in Betracht, da dies wegen der ausgeprägten Lipatrophie des gesamten Körperfettes nicht möglich sei und diese Alternativbehandlung auch keine dauerhaften Resultate biete. Andere „Fillings“, wie z. B. Aquamid, seien wegen der schlechten, nicht dauerhaften Resultate nicht anzuraten. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e.V. (MDK, Dr. F) nahm unter dem 5. Mai 2004 und 10. Juni 2004 dahingehend Stellung, dass alternative Behandlungsmethoden tatsächlich nicht bestünden. Alternative „Fillings“ seien darüber hinaus, ebenso wie New Fill, keine Kassenleitung, da sie Medizinprodukte seien.

Nach Schriftwechsel zwischen den Beteiligten beantragte der Kläger unter Vorlage von Attesten des Dr. R vom 2. März 2005 und des Dr. Sch vom 31. März 2005 erneut die Übernahme der Kosten für eine Behandlung mit Sculptra. Es habe sich eine neue Sachlage ergeben, auch habe sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. Nach Einholung einer weiteren Stellungnahme des MDK vom 27. April 2005 (Dr. H) teilte die Beklagte ihm mit Schreiben vom 23. Mai 2005 mit, es ergäben sich keine neuen Erkenntnisse. Zwar heiße New Fill jetzt Sculptra. Es handele sich jedoch um dieselbe Substanz. Sie verweise auf den vor dem Sozialgericht geschlossenen Vergleich, in dem festgelegt worden sei, dass ein Anspruch auf Übernahme der Kosten nicht bestehe.

Der Kläger hat am 1. Juni 2005 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der er - ohne Bezugnahme auf das Schreiben vom 23. Mai 2005 - die Verurteilung der Beklagten zur Übernahme der Kosten für diese Therapie begehrte. Die Beklagte wertete die Klage als Widerspruch gegen die Entscheidung vom 23. Mai 2005; der Widerspruchsausschuss wies ihn mit Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 2005 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, bei der Behandlung mit Sculptra handele es sich um eine neue Behandlungsmethode. Da der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) bisher keine Empfehlung über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben habe, sei eine Übernahme der Kosten durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) nicht möglich.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21. Dezember 2005 als unzulässig abgewiesen. Es handele sich um eine Leistungsklage, die nur zulässig sei, wenn der Kläger behaupte, durch Verwaltungsakt und Widerspruchsbescheid in seinen Rechten verletzt zu sein; dies habe er aber gerade nicht behauptet. Der nach Klageerhebung erlassene Widerspruchsbescheid sei nicht Gegenstand des Verfahrens geworden, da er keinen Verwaltungsakt abändere oder ersetze.

Gegen den am 14. Februar 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 22. Februar 2006 Berufung eingelegt. Er trägt im Wesentlichen vor: Er habe sehr wohl gegen den Verwaltungsakt Widerspruch eingelegt. Es sei von der Beklagten anerkannt worden, dass es sich bei der Lipatrophie um eine behandlungsbedürftige Erkrankung handele. Er habe daher einen Anspruch auf Behandlung dieser Erkrankung. Eine andere geeignete Therapie sei nicht vorhanden. Auch wenn die Behandlungsmethode neu sei, sei sie medizinisch anerkannt und wirksam. Seine behandelnden Ärzte hätten sie ihm im Rahmen der ihnen zustehenden Therapiefreiheit verordnet. Wenn der GBA diese Behandlungsmethode noch nicht empfohlen habe, so läge hierin ein Systemversagen. Die Beklage sei daher zur Leistung verpflichtet.

Zwischenzeitlich sind am 31. Juli, 2. September und 2. Oktober 2006 drei Behandlungen erfolgt. Zunächst hat die behandelnde Ärztin hierfür zwei Rechnungen über „individuelle Gesundheitsleistungen“ in Höhe von jeweils 570,- € ausgestellt. Auf Nachfrage des Gericht hat sie unter dem 6. Februar 2007 drei Rechnungen ausgestellt, mit denen sie für die Behandlung am 31. Juli 2006 und 2. September 2006 jeweils 573,88 € (157,38 € für die Weichteilunterfütterung, Implantation alloplastischen Materials – GOÄ Nr. 2442 – sowie 416,50 € für zwei Ampullen Sculptra) und für die Behandlung am 2. Oktober 2006 286,94 € (78,69 € für die Weichteilunterfütterung, Implantation alloplastischen Materials – GOÄ Nr. 2442 – sowie 208,25 € für eine Ampulle Sculptra) in Rechnung stellte.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 21. Dezember 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine Behandlung mit Sculptra in Höhe von 1.434,70 € zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der geltend gemachte Anspruch bestehe nicht. Bei Sculptra handele sich zwar um ein Medizinprodukt. Dieses sei jedoch weder verschreibungs- noch apothekenpflichtig, so dass es nicht in die Leistungspflicht der GKV falle. Es könne auch nicht im Rahmen der ärztlichen Behandlung gesondert übernommen werden. Die Feststellung eines Systemversagens obliege nicht ihr, sondern den Sozialgerichten. Sie verweist auf Stellungnahmen des MDK (Frau Dr. Sch) vom 11. August 2005 und das Gutachten zur „Injektionstherapie mit Poly-L-Milchsäure (Sculptra™, früher New-Fill™) zur Behandlung der fazialen Lipatrophie bei HIV-Patienten“ der „Sozialmedizinischen Expertengruppe 6 Arzneimittelversorgung der MDK-Gemeinschaft“ vom August 2006.

Der Senat hat Auskünfte der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 9. März 2007 und der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin vom 18. April 2007 eingeholt, auf deren Inhalt verwiesen wird. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zwar ist sie zulässig, jedoch hat der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die durch die Behandlung mit Sculptra entstanden sind.

I. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Zwar war zum Zeitpunkt der Klageerhebung das gemäß § 78 Abs. 1 S. 1 SGG erforderliche Widerspruchsverfahren nicht durchgeführt. Jedoch hatte die Beklagte den klageerhebenden Schriftsatz als Widerspruch gewertet, so dass nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2005 die Klage zulässig wurde. Weiterhin hat sie sich gegen einen von der Beklagten erlassenen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 des Sozialgesetzbuchs/Zehntes Buch (SGB X) gerichtet. Auch wenn der Kläger in dem klageerhebenden Schriftsatz den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2005 nicht erwähnt hat, so ergibt sich aus den Verwaltungsakten der Beklagten und dem weiteren Schriftwechsel, dass er sich gegen den Inhalt dieses Schreibens, die Mitteilung, dass weiterhin keine Kosten übernommen werden können, wandte. § 92 Abs. 1 SGG bestimmt dagegen nicht, dass der Verwaltungsakt, der mit der Anfechtungsklage angegriffen wird, bezeichnet werden muss. Das Schreiben der Beklagten vom 23. Mai 2005 stellt auch einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X dar, da hierin eine Regelung mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen getroffen wird. Die Beklagte wollte über den erneut gestellten Antrag auf Übernahme der Kosten der Behandlung entscheiden. Sie hatte das Anliegen des Klägers, u. a. durch Einholung einer Stellungnahme des MDK, inhaltlich geprüft und wollte auf Grund der Sachprüfung erneut verbindlich feststellen, dass eine Kostenübernahme nicht erfolgen kann. Sie hat damit nicht nur auf die vorher getroffene Entscheidung verwiesen.

Eine Zurückverweisung des Rechtsstreit an das Sozialgericht gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG, weil es in der Sache selbst nicht entschieden hat, war nicht sachgerecht, da der Senat ohne weiteres auch in der Sache entscheiden konnte.

II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Behandlung durch Injektionen mit Sculptra (bzw. New Fill), da eine solche Behandlung nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gehört (so auch Bayerisches LSG, Urteil vom 23. Oktober 2007. L 5 KR 54/07 und LSG Berlin-Brandenburg, 24. Senat, Urteil vom 17. Juli 2008, L 24 KR 149/07, beide zitiert nach juris). Der Ablehnungsbescheid vom 23. Mai 2005 in der Fassung, die er durch den Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 2005 erhalten hat, ist daher rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten.

1. Dem geltend gemachten Anspruch steht nicht entgegen, dass die Beteiligten sich bereits in dem Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin zum Aktenzeichen S 87 KR 1350/03 am 29. März 2004 dahingehend verglichen hatten, dass ein Anspruch auf Behandlung mit New Fill nicht bestehe. Denn ein Prozessvergleich bezieht sich in der Regel allein auf den zu Grunde liegenden Streitgegenstand. Dieser umfasst aber zulässigerweise nur die zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses bestehende Sach- und Rechtslage und die sich daraus ergebenden möglichen Ansprüche, die auch Gegenstand des Antrages und damit des Verwaltungsverfahrens waren. Von dem Prozessvergleich umfasst sind damit nicht solche Ansprüche, die unter Berufung auf eine geänderte Sach- und Rechtslage und auf Grund einer erneuten Antragstellung vom Versicherten geltend gemacht werden. Einen solchen neuen Antrag hat der Kläger hier aber gestellt. Er hat geltend gemacht, es handele sich zum einen bei Sculptra um ein neues Präparat, zum anderen habe sich sein Gesundheitszustand, insbesondere im Hinblick auf die bestehende Lipodystrophie, verschlechtert. Dieser geltend gemachte neue Sachverhalt war nicht Gegenstand des vorherigen Prozesses.

2. Gemäß § 13 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs/Fünftes Buch (SGB V) darf die Krankenkasse anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kosten nur erstatten, soweit es das SGB V vorsieht (grundlegend hierzu BSGE 73, 271, 273 f). In Betracht kommt allein ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V. Dieser setzt voraus, dass eine Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht (1. Alternative) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (2. Alternative) und dem Versicherten dadurch notwendige Kosten entstanden sind. Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V kann aber nicht weiter reichen als ein entsprechender Sachleistungsanspruch (BSG, Urteil vom 4. April 2006, B 1 KR 12 /05 R, zitiert nach juris). Er setzt deshalb voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die GKV allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben. Dies ist bei der Behandlung mit Sculptra nicht der Fall.

a) Zwar hat der Kläger einen Anspruch auf ärztliche Behandlung gemäß den §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 28 Abs. 1 des SGB V.

Versicherte haben gemäß §§ 27 Abs. 1 S. 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung ist ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der die Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung oder zugleich oder allein Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Regelwidrig ist ein Zustand, der vom Leitbild des gesunden Menschen abweicht. Eine Krankenbehandlung ist hierbei notwendig, wenn durch sie der regelwidrige Körper- oder Geisteszustand behoben, gebessert, vor einer Verschlimmerung bewahrt oder Schmerzen und Beschwerden gelindert werden können (st. Rspr., z.B. BSGE 35, 10). Bei körperlichen Auffälligkeiten im Sinne anatomischer Abweichungen liegt nur dann eine Krankheit im Sinne der GKV vor, wenn sie entstellend wirkt (vgl. BSG, Urteile vom 19.Oktober 2004, B 1 KR 28/02 R und B 1 KR 3/03 R, beide zitiert nach juris). Es kann dahingestellt bleiben, ob der Verlust des facialen Fettgewebes bereits für sich genommen behandlungsbedürftig ist, weil er solche Ausmaße angenommen hat, dass die Grenze der Entstellung erreicht ist. Denn die Erkrankung beeinträchtigt jedenfalls Körperfunktionen des Klägers und ist aus diesem Grunde behandlungsbedürftig. So hat der behandelnde Arzt Sch in seinem Attest vom 31. März 2005 ausgeführt, dass neben der abstoßend wirkenden Entstellung der Verlust des Fettgewebes zu rezidivierenden Konjunktivitiden und Parodontiden sowie Dermatosen geführt habe. Der Kläger leide unter erheblichen Schmerzen beim Kauen und Schlucken, es bestehe ein ständiges Spannungsgefühl im Gesichtsbereich.

b) Die von dem Kläger (zum Teil) durchgeführte Behandlung, für die er die Erstattung der Kosten begehrt, stellt eine ärztliche Behandlung im Sinne des § 28 Abs. 1 SGB V dar und erschöpft sich nicht allein in der Zurverfügungstellung von Sculptra, einem Medizinprodukt im Sinne des § 1 des Medizinproduktegesetzes (MPG). Die Beibringung von Sculptra stellt einen komplexen ärztlich durchgeführten Vorgang dar, der zunächst die Zubereitung der Substanz umfasst; das pulverförmige Lyophilisat wird mit Wasser in eine gelartige Form gebracht und anschließend langsam in die untere Dermis an der Grenze zur Subkutis gespritzt. (vgl. Gutachten der MDK-Gemeinschaft vom August 2006, Pkt. 4). Es handelt sich mithin um eine in den Körper eingreifende ärztliche Therapie, welche eine Kombination aus Untersuchung, Einbringen des Materials in den Körper mittels Injektionen unter Beachtung hygienischer Medizinstandards und Nachsorge umfasst (so Bayerisches LSG, a.a.O.). Damit tritt die Bedeutung des ärztlichen Tätigwerdens gegenüber dem Medizinprodukt nicht derart in den Hintergrund, dass die Versorgung mit ihm nicht mehr als einheitliche Leistung im Rahmen der ärztlichen Behandlung anzusehen wäre. Die Versorgung mit dem Medizinprodukt stellt sich daher als Bestandteil der ärztlichen Behandlung dar (vgl. Nolte in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, SGB V, § 31 Rn. 27; vgl. auch BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004, B 1 KR 27/02 R, zitiert nach juris Rn. 22 ff). Die Erfüllung der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 S. 3 ff SGB V für die Versorgung mit Medizinprodukten müssen somit nicht erfüllt sein (so auch Bayerisches LSG, a.a.O.; a.A.: 24. Senat des LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.).

c) Jedoch gehört die ärztliche Behandlung mit Sculptra nicht zur Leistungspflicht der GKV.

Der Anspruch des Versicherten auf ärztliche Behandlung unterliegt den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Hieran fehlt es im Falle des Klägers, denn Krankenkassen sind nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie im konkreten Fall nach Einschätzung des Versicherten und seiner behandelnden Ärzte einen positiven Verlauf haben wird. Vielmehr sind neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur dann von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V bereits eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr legen diese Richtlinien auch den Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich fest (st. Rspr., z.B. BSG, Urteil vom 04. April 2006, Az.: B 1 KR 12/05 R). Hieran fehlt es: Das begehrte Therapieverfahren ist eine neue Behandlungsmethode, weil es nach der Auskunft der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 18. April 2007 bisher nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM-Ä) enthalten ist. Eine Empfehlung hat der GBA zu der Behandlung durch Injektionen mit dem Präparat Sculptra bisher nicht abgegeben; in den Richtlinien des GBA zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragärztlichen Versorgung in der seit dem 29. August 2009 geltenden Fassung (BAnz 2009, S. 3005) ist sie nicht enthalten.

d) Ein Anspruch auf Gewährung der Behandlung kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Systemversagens in Betracht.

Ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V statuierten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt kann eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode allein darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde ("Systemversagen"). Ein Leistungsanspruch auf Grund eines Systemversagens setzt aber weiterhin voraus, dass die Wirksamkeit der Methode festgestellt ist; lässt sich die Wirksamkeit aus medizinischen Gründen nur begrenzt objektivieren, hängt die Einstandspflicht der Krankenkasse davon ab, dass sich die fragliche Methode in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion durchgesetzt hat (BSG, SozR 3-2500 § 135 Nr. 4). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, da nur eine unzureichende Studienlage besteht, die Methode wegen unerwünschter Nebenwirkungen kaum noch angewandt wird und das Hauptanwendungsgebiet im kosmetischen Bereich liegt.

Die MDK-Gemeinschaft hat in ihrer Stellungnahme vom August 2006 dargelegt, dass eine nur unzureichende Studienlage bezüglich der Behandlung mit Sculptra vorliegt. Sie hat ausgeführt, die kosmetische Korrektur einer Lipatrophie im Gesichtsbereich bei HIV-Patienten unter retroviraler Therapie mit Sculptra zeige vorübergehende, geringfügige, positive ästhetische Effekte. Die aktuell publizierten Studien hätten methodische Schwächen und erfolgten mit maximal 2,5-jähriger Beobachtungsdauer ohne Vergleichsgruppe. Sie hätten insbesondere für wichtige funktionelle Endpunkte wie Lebensqualität, Depressivität, Alltagskompetenz oder Therapietreue keine klaren Vorteile durch die kosmetische Behandlung nachweisen können. Ungeklärt seien bis heute das optimale Injektionsvolumen sowie die optimalen zeitlichen Injektionsabstände und die Injektionszahl pro Zeiteinheit. Eine Empfehlung für den Einsatz von Sculptra als Standardtherapie zur Abmilderung der HIV-induzierten bzw. der antiretroviral bedingten Lipatrophie sei aufgrund der Studienlage nicht möglich. Eine Überlegenheit der Behandlung mit Sculptra gegenüber anderen dermalen Augmentationsmaßnahmen wie die der autologen Fettzelleninjektion, der Injektion von Polyacrylamid, Hyaluronsäure oder Kollagen sei im direkten Vergleich nicht nachgewiesen. Nach Auskunft der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 9. März 2007 werde die Behandlungsmethode regelmäßig aus kosmetischen Gründen angewendet und der sozialmedizinisch indizierte Einsatzbereich sei gering. Nach der Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin vom 18. April 2007 werde Sculptra wegen nicht erwünschter häufiger Nebenwirkungen, nämlich Granulombildungen, kaum noch eingesetzt.

e) Letztendlich ergibt sich ein Leistungsanspruch des Klägers auch nicht aus einer grundrechtskonformen Auslegung des SGB V. Die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 des Grundgesetzes (GG) können in besonders gelagerten Fällen die Gerichte zu einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts verpflichten. Dies gilt insbesondere in der Behandlung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung, denn das Leben stellt einen Höchstwert innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung dar (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 6. Dezember 2005, 1 BvR 347/998, BVerfGE 115, 25). Die Voraussetzungen für eine grundrechtskonforme Auslegung in diesem Sinne liegen hier indes nicht vor. Zwar leidet der Kläger an einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Jedoch ist nicht die Behandlung dieser Erkrankung, sondern die Behandlung der Lipatrophie im Bereich des Gesichts Streitgegenstand. Mit Sculptra wird nicht die lebensbedrohliche Erkrankung als solche, sondern nur eine Nebenfolge behandelt. Die Lipatrophie sowie die durch sie verursachten Folgeerscheinungen, die der Arzt für Innere Medizin Sch in seinem Attest vom 31. März 2005 benennt, sind dagegen keine lebensbedrohliche Erkrankung.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites.

IV. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.