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Entscheidung VK 45/10


Metadaten

Gericht Vergabekammer Potsdam Entscheidungsdatum 20.09.2010
Aktenzeichen VK 45/10 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerin trägt die Kosten (Gebühren und Auslagen) des Verfahrens.

3. Die Gebühr wird auf X.XXX EUR festgesetzt und mit dem eingezahlten Kostenvorschuss verrechnet.

Gründe

I.

Der Auftraggeber schrieb im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union vom … 2010 den Neubau eines Verfügungsgebäudes für die … als Generalunternehmerleistung im Offenen Verfahren europaweit aus. Nach Ziffer IV.2.1) der Vergabebekanntmachung sollte der Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot in Bezug auf die Kriterien, die in den Verdingungs-/Ausschreibungsunterlagen, der Aufforderung zur Angebotsabgabe oder zur Verhandlung bzw. in der Beschreibung zum wettbewerblichen Dialog aufgeführt sind, erteilt werden. In den Verdingungsunterlagen, Ziff. 5.4 der Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes, benannte der Auftraggeber als alleiniges Zuschlagskriterium den Preis.

Mit der Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes übersandte der Auftraggeber u.a. eine 71-seitige Leistungsbeschreibung in Papierform, ferner eine DVD, die in die Teile A bis M gegliederte Textpassagen enthielt. Als Anlagen, die beim Bieter verbleiben, benannte der Auftraggeber u. a. die den Bietern übersandte DVD, als Anlagen, die „immer 1fach zurück zu geben sind“ die „Leistungsbeschreibung“.

Das Angebotsschreiben enthielt folgende, durch die Bieter zu unterzeichnende Erklärung: „Mein/Unser Angebot umfasst: 1.1 folgende beigefügte Unterlagen – Leistungsbeschreibung mit den Preisen und den geforderten Erklärungen,…“.

Mit Schreiben vom … 2010 reichte die Antragstellerin ihr Angebot mit einem Endbetrag in Höhe von XX.XXX.XXX,XX EUR (brutto) ein.

Dem Angebot war eine Erklärung der Bieter-/Arbeitsgemeinschaft beigefügt, in der als Mitglieder die … und die … aufgeführt waren und als bevollmächtigter Vertreter die Antragstellerin benannt wurde.

Der Submissionstermin fand am … 2010 statt. Nach dessen Ergebnis lag die Antragstellerin mit ihrem Angebot an dritter Rangstelle hinter der … sowie der … . Die Differenz zwischen dem preisgünstigsten Bieter und dem nachfolgenden Bieter betrug X %, der weitere Abstand des Zweitplatzierten zum Angebotspreis der Antragstellerin X,X %.

Mit Schreiben vom … 2010 wandte sich die Antragstellerin mit der Bitte um Aufklärung an den Auftraggeber, ob im Rahmen der Abgabe des Angebotes die Übergabe von Unterlagen auf einem Datenträger zugelassen gewesen sei. Ihr Mitarbeiter, …, habe an der Submission teilgenommen und feststellen müssen, dass die Vielzahl der Mitbewerber nur einige wenige Unterlagen übergeben habe. Vor dem Hintergrund der Auslobung und des Formblattes „Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes“ sei es erforderlich gewesen, die komplette Leistungsbeschreibung einschließlich der Aufgliederung der Einheitspreise in Papierform abzugeben.

Der Auftraggeber reagierte mit Schreiben vom … 2010. Gemäß Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes sei weder eine elektronische Angebotsabgabe noch die Übergabe der Unterlagen auf einem Datenträger zugelassen gewesen. Die eingereichten Angebote würden derzeit entsprechend § 25 VOB/A (VOB 2006) geprüft und gewertet. Angebote, die nicht § 21 Abs. 1 bis 3 VOB/A (VOB 2006) entsprechen, würden ausgeschlossen.

Über die Absicht, den Zuschlag auf das Angebot der … zu erteilen, informierte die Auftraggeberin die Bietergemeinschaft … mit Schreiben vom … 2010, bei der Antragstellerin eingegangen am … 2010. Auf ihr Angebot könne der Zuschlag nicht erteilt werden, weil ein niedrigeres Hauptangebot vorliege.

Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit Schreiben vom … 2010. Die Vergabeentscheidung an die … sei schon formal fehlerhaft, denn dieser Bieter habe mit guten Gründen kein vollständiges Angebot abgegeben. Sie habe dem Auftraggeber schon mit Schreiben vom … 2010 ihre Beobachtung anlässlich der Submission mitgeteilt, dass eine Vielzahl an Bewerbern wohl nicht ausreichende Unterlagen abgegeben habe. Gerade auch mit Blick auf die Vorgaben, Unterlagen auch für die Subunternehmer schriftlich vorlegen zu müssen, hätten ihre Wettbewerber deutlich umfangreichere Unterlagen abgeben müssen. Soweit sie die Submission erinnern könne, habe u. a. die … unzureichende Unterlagen vorgelegt. Der Ausschluss folge ebenso aus dem unangemessen niedrigen Preis der …, der deutlich günstiger als der Rest des Wettbewerbs sei und eine angemessene Leistung nicht erwarten lasse. … sei schließlich bekannt für seine Verdrängungsabsicht per Preis am Markt. Der Ausschluss aus formalen Gründen folge zudem für den laut Submission zweitgünstigsten Bieter … . Denn dieser Bieter habe ebenfalls nicht zureichende Unterlagen vorgelegt.

Mit Schreiben vom … 2010 erwiderte der Auftraggeber, er habe trotz erheblicher Zweifel an der Rügebefugnis der Antragstellerin deren Ausführungen zum Anlass genommen, die im Vergabeverfahren getroffenen Entscheidungen zu prüfen.

Mit weiterem Schreiben vom … August 2010 teilte der Auftraggeber der Antragstellerin mit, dass er die getroffene Vergabeentscheidung aufrecht erhalte.

Daraufhin hat die Antragstellerin am … 2010 einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer des Landes Brandenburg gestellt und diesen mit dem Vorbringen ihres Rügeschreibens begründet. Sie sei durch ihr Bietergemeinschaftsmitglied … bevollmächtigt, diesen Nachprüfungsantrag für die Bietergemeinschaft einzulegen.

Die Antragstellerin beantragt,

1. die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens,

2. den Stopp der geplanten Zuschlagserteilung an die …,

3. die Gewährung von Akteneinsicht.

Der Auftraggeber beantragt,

den Antrag auf Nachprüfung des Vergabeverfahrens kostenpflichtig abzulehnen.

Aufgrund der Rüge der Antragstellerin vom … 2010 sei eine Überprüfung der getroffenen Wertungsentscheidung erfolgt, in deren Ergebnis sich die Ordnungsgemäßheit der Wertungsentscheidung bestätigt habe. Soweit die Antragstellerin die Unvollständigkeit des Angebotes der Mindestbietenden rüge, sei festzustellen gewesen, dass diese ihrem Angebot lediglich die als Teil O, A, B, L und M auf der DVD bezeichneten Textpassagen nicht in Papierform beigefügt habe. In den Textpassagen sei die Abgabe bietereigener Erklärungen nicht gefordert gewesen. Insoweit mangele es schon an der Voraussetzung „Fehlen geforderter Erklärungen“ nach § 21 Nr. 1 Abs. 1 VOB/A, um einen Ausschluss des Angebotes zu rechtfertigen. Das Fehlen und auch das Beifügen der streitgegenständlichen Textpassagen stelle für die Bieter keinen Wettbewerbsvorteil dar. Gleichzeitig eröffne die fehlende Beifügung keinerlei Manipulationsmöglichkeit, denn der Angebotsinhalt selbst bleibe davon unberührt und damit auch die Vergleichbarkeit der Angebote. Gebunden bleibe der Bieter an alle in der Leistungsbeschreibung, den Teilen C - K und in den Formblättern 213 EG, 214, 141, 135 EG sowie 236 EG etc. enthaltenen Vereinbarungen/Erklärungen. Dem Angebot des Mindestbietenden sei auch nicht der Zuschlag wegen unauskömmlicher Angebotspreise zu versagen. Die erzielten Angebotspreise seien das Ergebnis einer durch einen Wettbewerb erfolgten Preisbildung. Die erstellte Kostenberechnung stelle lediglich eine Schätzgröße dar, die auf der Grundlage von Erfahrungswerten und einer Überschlagsberechnung ermittelt worden sei. Alle geforderten Preise würden allein der Höhe nach keinen Anlass bieten, sie von vornherein als augenscheinlich unangemessen niedrig i.S.d. § 25 Nr. 3 VOB/A anzusehen. Ausweislich der Dokumentation im Vergabevermerk habe die Vergabestelle die Auskömmlichkeit des Angebotes der Mindestbietenden tiefgehend geprüft. Im Ergebnis der Bewertung der von der Mindestbietenden abgegebenen Erklärungen sei das Angebot als auskömmlich und wirtschaftlich zu bewerten gewesen.

Mit Schriftsatz vom … 2010 hat die Antragstellerin ihren Nachprüfungsantrag um mittlerweile weitere rügenswerte Umstände ergänzt. Am … 2010 sei der von ihr vertretenen Bietergemeinschaft ein Brief ohne Absender in den Geschäftsbriefkasten in … hinterlegt worden. Der Brief beinhalte offensichtlich eine Version des Vergabevermerkes des Auftraggebers. Aus diesem Vermerk ergebe sich, dass die Berater des Auftraggebers den Zuschlag auf das Angebot der Antragstellerin und den Ausschluss der anderen Bieter wegen unangemessen niedriger Angebote und fehlender Eignung empfehlen. Demgemäß habe die Antragstellerin zu Recht den Nachprüfungsantrag eingelegt und den Zuschlag auf ihr Angebot gefordert. In diesem Vermerk gingen die Verfasser weiter nicht nachvollziehbar von der Eignung der Bieter … und … aus, obwohl beide Bieter angeblich keine Nachunternehmer angegeben hätten. Wie diese beiden rein auf Rohbau ausgerichteten Unternehmen zum Beispiel die Haustechnikleistungen erbringen könnten bzw. hierfür Referenzen hätten vorlegen können, sei nicht ersichtlich. Tatsächlich habe auch der Ausschluss der beiden Bieter wegen fehlender Eignung erklärt werden müssen.

Hierauf antwortete der Auftraggeber mit Schriftsatz vom … 2010, dass sich die in der Vergabeempfehlung getroffenen Wertungsergebnisse nur auf die Teile D bis H beziehen würden. Abgesehen von den inhaltlichen Unzulänglichkeiten habe die Vergabeempfehlung schon deshalb nicht übernommen werden können, da die getroffenen Aussagen sich nur auf ca. XX % des Pauschalpreisangebotes beziehen würden. Die Teilbewertung sei nicht zu den Vergabeakten zu nehmen gewesen, da ihr inhaltlich wegen der Fehlerhaftigkeit seitens des Auftraggebers nicht gefolgt werden konnte und somit die Wertungsrelevanz fehle.

Mit Schriftsatz vom … 2010 hat die Antragstellerin ihren Vortrag weiter vertieft.

Mit Verfügung des Vorsitzenden vom … 2010 wurde die Entscheidungsfrist bis zum … 2010 verlängert.

Auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegen haben, sowie die eingereichten Schriftsätze der Beteiligten wird ergänzend Bezug genommen.

II.

Der Nachprüfungsantrag ist teilweise zulässig.

Die angerufene Vergabekammer ist für die Entscheidung über den Nachprü-fungsantrag zuständig. Die streitige Auftragserteilung ist dem Land Brandenburg zuzurechnen, § 104 Abs. 1 GWB. Der Auftraggeber ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB.

Der ausgeschriebene Auftrag wird als öffentlicher Bauauftrag i. S. d. § 99 Abs. 1 und 3 GWB mit einem geschätzten Gesamtauftragswert von über 4,845 Mio. EUR vergeben (§§ 100 Abs. 1, 127 Nr. 1 GWB i. V. m. § 2 Nr. 4 VgV, zuletzt geändert durch Art. 2 der VO (EG) Nr. 1177/2009 vom 30. November 2009).

Die Antragstellerin ist befugt, als Mitglied einer Bietergemeinschaft einen Nachprüfungsantrag zu stellen. Stehen mehrere Unternehmen in einer Bietergemeinschaft, so kann der Nachprüfungsantrag auch von einem Mitglied der Bietergemeinschaft in Verfahrensstandschaft für die Gemeinschaft gestellt werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. März 2005 – Verg 101/04). Die Voraussetzungen für eine solche Verfahrensstandschaft liegen vor. Analog der im Zivilprozessrecht anerkannten Prozessstandschaft bedarf es dafür einer Ermächtigung durch die am Verfahren nicht teilnehmenden Mitglieder der Bietergemeinschaft sowie eines schutzwürdigen Eigeninteresses der Antragstellerin. Eine Ermächtigung hat die … mit im Nachprüfungsverfahren vorgelegtem Schreiben vom … 2010 erteilt. Die Antragstellerin hat auch ein eigenes Interesse an der Durchführung des Nachprüfungsverfahrens, weil ihr ein Erfolg der Nachprüfung in gleicher Weise zugute kommt wie der … .

Der Antragstellerin fehlt die gemäß § 107 Abs. 2 GWB erforderliche Antragsbefugnis, soweit sie geltend macht, dass das Angebot des für den Zuschlag vorgesehenen Unternehmens aufgrund Unauskömmlichkeit auszuschließen sei. Sie hat zwar ihr Interesse am Auftrag deutlich gemacht, indem sie sich an der verfahrensgegenständlichen Ausschreibung mit einem Angebot beteiligt hat.

Die Antragstellerin beruft sich in ihrem Nachprüfungsantrag darauf, dass das Angebot der … unangemessen niedrig und daher gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 3 VOB/A auszuschließen sei. Insofern macht sie jedoch keine Verletzung von bieterschützenden Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB geltend. Zur Frage des drittschützenden Charakters von § 25 Nr. 2 Abs. 3 VOB/A werden in der Rechtsprechung unterschiedliche Standpunkte vertreten, bei einem wettbewerbsbeschränkenden oder unlauteren Bieterverhalten wird ein Drittschutz aber wohl zu bejahen sein (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Oktober 2005 – Verg 37/05).

Von einem unangemessenen niedrigen Preis ist dann auszugehen, wenn der angebotene Gesamtpreis derart eklatant von dem an sich angemessenen Preis abweicht, dass die Unangemessenheit ohne detaillierte Überprüfung sofort ins Auge fällt. Allein ein beträchtlicher Preisabstand zwischen dem niedrigsten und dem nachfolgenden Angebot ist noch kein hinreichendes Merkmal für einen ungewöhnlich niedrigen Preis. Hinzu kommen müssen vielmehr Anhaltspunkte dafür, dass der Niedrigpreis wettbewerblich nicht begründet ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Bieter mangels verbindlicher Kalkulationsregeln grundsätzlich in seiner Preisgestaltung frei bleibt (Weyand, ibr-online-Kommentar Vergaberecht, § 25 VOB/A, Rz. 5628). Unterkostenangebote sind im Übrigen nicht per se unzulässig. Der Auftraggeber darf einen Zuschlag auch auf ein Angebot erteilen, das für den Bieter keinen Gewinn erwarten lässt, solange die Prognose gerechtfertigt ist, dass der Anbieter auch zu diesem Preis zuverlässig und vertragsgerecht wird leisten können (Weyand, a.a.O., § 25 VOB/A, Rz. 5660). Demgegenüber darf der Zuschlag nicht auf ein Angebot erteilt werden, das nicht erwarten lässt, dass der Bieter den Auftrag wird durchführen können, oder dem ein gezielter Verdrängungswettbewerb zugrunde liegt.

Die Darlegungs- und Beweislast für eine Wettbewerbswidrigkeit bzw. Marktverdrängungsabsicht liegt bei dem Auftraggeber bzw. dem konkurrierenden Bieter (Weyand, a. a. O., § 25 VOB/A, Rz. 5664).

Vorliegend fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten für ein wettbewerbsbeschränkendes oder unlauteres Unterangebot der … . Der Abstand zwischen dem Angebot der … und dem nächsten Bieter (nicht die Antragstellerin) bewegt sich im Rahmen üblicher Preisabstände bei Ausschreibungen und erreicht nicht einmal eine Größenordnung von 10 %.

Die Antragstellerin ist darüber hinaus ihrer Rügeverpflichtung nach § 107 Abs. 3 S. 1 GWB nicht ordnungsgemäß nachgekommen.

In Bezug auf die Rüge der Antragstellerin, die … sowie die … hätten keine vollständigen Angebote eingereicht, ist die Rüge nicht substantiiert erhoben worden.

Damit der öffentliche Auftraggeber in die Lage versetzt wird, die gerügten Mängel abzustellen, muss der Rüge eine konkrete vergaberechtliche Beanstandung zu entnehmen sein. Die Vergabestelle muss erkennen können, um welchen Verstoß es sich handelt. Nur so kann sie Abhilfe schaffen. Deshalb sind Rügen unzulässig, die pauschal die Fehlerhaftigkeit des Vergabeverfahrens angreifen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. April 2003 – Verg 66/02) oder die ohne Substanz auf bloßen Verdacht hin ins Blaue erhoben werden (OLG Jena, Beschluss vom 6. Februar 2006 – 9 Verg 8/06). Auf der anderen Seite sind an die Formulierung von Rügen nicht zu hohe Anforderungen zu stellen, damit auch ein Laie ohne anwaltliche Hilfe in der Lage ist, eine Rüge zu erheben.

Nach diesen Grundsätzen ist die Rüge der Antragstellerin als nicht ausreichend substantiiert einzustufen. Die Antragstellerin stützt ihren vermeintlichen Vergaberechtsverstoß auf die Beobachtung ihres Mitarbeiters … im Submissionstermin am … 2010, dass die Vielzahl der Mitbewerber nur einige wenige Unterlagen übergeben habe. Im Hinblick auf die Vorgaben, Unterlagen auch für die Subunternehmer schriftlich vorlegen zu müssen, meint die Antragstellerin, hätten die Wettbewerber deutlich umfangreichere Unterlagen abgeben müssen.

Aus dem gegenständlichen Umfang der Angebote im Submissionstermin kann der einzelne Bieter nicht erkennen, ob die Angebote der Mitbieter Unterlagen für die Beauftragung von Subunternehmern beinhalten. Solche Angaben werden im Eröffnungstermin auch nicht mitgeteilt. Ist der Bieter demnach nicht in der Lage, den eigentlich bedenklichen Punkt – Unvollständigkeit der Angebote – zu entdecken, reichen Wahrnehmungen, wie die, dass eine Vielzahl von Bewerbern wohl nicht ausreichende Unterlagen abgegeben habe, nicht aus, um die Rügeobliegenheit auszufüllen.

Soweit die Antragstellerin in ihrem Rügeschreiben vom … 2010 behauptet, bezüglich der Submission sich erinnern zu können, dass gerade die Bieter … und … unzureichende Unterlagen vorgelegt hätten, bleibt völlig im Unklaren, auf welche Weise die Unterzeichner des Rügeschreibens, die nicht an dem Submissionstermin teilgenommen hatten, davon Kenntnis erlangt haben wollen. Denn ihre Behauptung wird durch die Feststellungen des Mitarbeiters … ausweislich des Schreibens der Antragstellerin vom … 2010 an den Auftraggeber nicht gedeckt, da in diesem Schreiben die Namen der beiden Bieter nicht genannt werden. Auch werden keine Anhaltspunkte genannt, nach denen die Zuordnung „unvollständiger Angebote“ bezüglich der beiden Bieter erfolgte.

Der Rügepräklusion nach § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB steht entgegen der Auffassung des Antragstellers auch nicht die Rechtsprechung des EuGH (EuGH, IBR 2010, 159) entgegen. Anders als die britische Präklusionsvorschrift, die der EuGH für nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar erklärt hat, regelt § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB nicht die Ausschlussfrist für das Nachprüfungsverfahren, sondern nur die Anforderungen an die Rügeobliegenheit als Zulässigkeitsvoraussetzung für den Nachprüfungsantrag. Im Übrigen ist der Begriff der Unverzüglichkeit im deutschen Recht durch die Definition in § 121 Abs. 1 S. 1 BGB („ohne schuldhaftes Zögern“) und aufgrund einer ausgeprägten Rechtsprechung weitgehend konkretisiert worden (vgl. VK Bund, Beschluss vom 5. März 2010 – VK 1-16/10; OLG Dresden, Beschluss vom 7. Mai 2010 – W Verg 6/10).

Soweit die Antragstellerin mit Schriftsatz vom … 2010 als weiteren Vergabeverstoß die mangelnde Eignung der Bieter … und … in das Nachprüfungsverfahren eingeführt hat, kann sie den nicht erfolgten Ausschluss der beiden Bieter auch noch im vorliegenden Nachprüfungsverfahren beanstanden.

Es ist anerkannt, dass der Antragsteller erst im Nachprüfungsverfahren erkannte Vergaberechtsverstöße zum Gegenstand des Verfahrens machen kann, auch wenn sich der ursprüngliche Nachprüfungsantrag darauf zunächst nicht bezieht. Dies gilt auch dann, wenn der ursprüngliche Nachprüfungsantrag unzulässig war (OLG Brandenburg, Beschluss vom 6. Oktober 2006 – Verg W 6/06).

Der Antrag der Antragstellerin wird durch die nachgeschobene Rüge vom … 2010 teilweise zulässig.

Der Nachprüfungsantrag, soweit er zulässig geworden ist, ist jedoch offensichtlich unbegründet.

Die Zurückweisung eines Nachprüfungsantrages gemäß § 112 Abs. 1 S. 3 GWB ohne mündliche Verhandlung als „offensichtlich“ unbegründet sollte die Ausnahme bleiben, die nur dann aus prozessökonomischen Gründen statthaft ist, wenn eine Verhandlung von vornherein unnötig und für das Ergebnis irrelevant erscheint (Maier, NZBau 04, 667/669), etwa wenn dem Angebot des Antragstellers ein zwingender Ausschlussgrund anhaftet und es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Auftragserteilung an einen Konkurrenten vergaberechtswidrig wäre (juris PK-VergR, § 112 GWB, Rn. 13).

Das Angebot der Antragstellerin ist gemäß §§ 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. c), 2 Nr. 1 Satz 3 VOB/A zwingend vom Vergabeverfahren auszuschließen. Aus der aus § 2 Nr. 1 Abs. 2 Satz 3 VOB/A ersichtlichen Vorgabe, dass wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen zu bekämpfen sind, ergibt sich, dass der in § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. c) VOB/A angeordnete Ausschluss von Angeboten nicht nur die Verwirklichung gesetzlicher Verbotstatbestände unterbinden, sondern schlechthin ein Verhalten verurteilt werden soll, das den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Vergabe zuwiderläuft (vgl. Heiermann/Riedl/Rusam, Handkommentar zur VOB, 10. A., § 2, Rn. 23) und das mit dem vergaberechtlichen Wettbewerbsgebot unvereinbar ist (Ingenstau/Korbion, VOB-Kommentar, 14. Aufl., A, § 25 Nr. 1, Rn. 35; OLG Düsseldorf, VergabeR 2003, 690). Dazu gehört auch der Grundsatz des Geheimwettbewerbs.

Die Kenntnisnahme vom Vorab-Vergabevorschlag der Planungsgruppe … und dessen Verwertung durch Einführung in das Nachprüfungsverfahren stellt – unabhängig davon, welche Relevanz dieser Vorschlag aufgrund seines beschränkten Wertungsumfanges für das Vergabeverfahren hatte - ein Handeln der Antragstellerin zum Zwecke des Wettbewerbs dar. Mit dieser Vorgehensweise beabsichtigt sie, den Wettbewerb zugunsten der Bietergemeinschaft zu beeinflussen, indem sie den Ausschluss der vor ihr rangierenden Bieter herbeiführen will.

Dieses Verhalten der Antragstellerin widerspricht den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Vergabe und ist auch nicht mit dem vergaberechtlichen Wettbewerbsgebot vereinbar.

Mit der Einführung des ihr zugespielten Vorab-Vergabevorschlages im Wettbewerb nutzt die Antragstellerin bewusst fremdes – möglicherweise sogar strafrechtlich relevantes – Fehlverhalten. Sie verwendet Unterlagen, die für den Auftraggeber bestimmt waren und die Angaben zu den Angebotsinhalten der … und der … enthalten, so deren Angebotsendpreise für die Einzelleistungen der Teile D bis H, Feststellungen zur Nichtangabe von Nachunternehmern sowie zu prozentualen Abweichungen der Angebotspreise der … in den Teilen D bis H sowie Ausführungen betreffend die Eignung der … .

Die Auswertung des Vorab-Vergabevorschlages verschafft der Antragstellerin gegenüber den ihr im Rang vorgehenden Bietern weitergehende Möglichkeiten zur möglicherweise erfolgreichen Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens – und damit einen ungerechtfertigten Vorteil im Wettbewerb. Die Antragstellerin konnte sich die Bewertung ihrer Konkurrenten durch die Planungsgruppe … zu eigen machen und weitere zum Ausschluss führende Gründe im Nachprüfungsverfahren geltend machen.

Das Gebot effektiven Rechtsschutzes wird durch ein Verwertungsverbot nicht verletzt. Rechtsschutz wird nur nach Maßgabe und innerhalb des bestehenden Rechtsschutzsystems unter Beachtung auch anderer Rechtsgrundsätze wie des Gleichbehandlungsgrundsatzes und der Chancengleichheit gewährt.

Dass nicht jede in das Nachprüfungsverfahren eingeführte Information von den Nachprüfungsinstanzen uneingeschränkt und unabhängig vom eigenen Verhalten des Antragstellers und der Art und Weise ihrer Gewinnung berücksichtigt werden darf, steht auch nicht in Widerspruch zur Natur des Vergabenachprüfungsverfahrens. Denn dieses ist generell nicht darauf angelegt, alle Vergaberechtsverstöße aufzuspüren und jedes Vergabeverfahren vergaberechtsfehlerfrei ablaufen zu lassen, es muss vielmehr auch den durch die Vorschriften über Geheimschutz und Akteneinsicht geschützten Belangen der Bieter, des Auftraggebers und des Wettbewerbes allgemein Rechnung tragen (OLG Brandenburg, Beschluss vom 6. Oktober 2005 – Verg W 7/05).

Die Verwendung rechtswidrig zugespielter Informationen durch die Antragstellerin lässt unter den Gesichtspunkten der Relevanz des Wissenszuwachses und des Wettbewerbsvorteiles sowie der Verletzung des Geheimwettbewerbes deren Ausschluss vom Vergabeverfahren gerechtfertigt erscheinen (VK Bund, Beschluss vom 29. Dezember 2006 – VK 2-128/06).

Da das Angebot der Antragstellerin zwingend auszuschließen ist, ist ihre Rüge, das Angebot der … sei mangels Einreichen der Teile O, A, B, L und M der zur Verfügung gestellten DVD in Textform unvollständig, unerheblich, da die Antragstellerin auf keinen Fall den Zuschlag erhalten kann.

Gemäß § 112 Abs. 1 S. 3 GWB konnte die Vergabekammer aufgrund der Unzu-lässigkeit bzw. offensichtlichen Unbegründetheit des Nachprüfungsantrages ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

III.

Der Antrag auf Akteneinsicht durch die Antragstellerin gemäß § 111 Abs. 1 GWB ist abzulehnen. Das Akteneinsichtsrecht ist nur in dem Umfang gegeben, in dem es zur Durchsetzung der Rechte der Antragstellerin aus § 97 Abs. 7 GWB erforderlich ist. Das ist bei einem unzulässigen und offensichtlich unbegründeten Nachprüfungsantrag nicht der Fall (VK Brandenburg, Beschluss vom 19. März 2003 – VK 5/03; Beschluss vom 25. Februar 2005 – VK 4/05).


IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter die Kosten zu tragen, soweit er im Verfahren unterliegt.

Die Vergabekammer hält die Festsetzung der Mindestgebühr von X.XXX EUR gemäß § 128 Abs. 2 Satz 1 GWB bei Abwägung des Aufwandes einerseits und der wirtschaftlichen Bedeutung des dem Vergabeverfahren zugrunde liegenden Auftrages für die Antragstellerin andererseits für angemessen, zumal keine Beiladung erfolgt ist und eine mündliche Verhandlung nicht stattgefunden hat.

V.

Gegen die Entscheidung der Vergabekammer ist die sofortige Beschwerde zulässig. Sie ist schriftlich innerhalb einer Frist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der Entscheidung beginnt, beim Brandenburgischen Oberlandesgericht, Gertrud-Piter-Platz 11, 14770 Brandenburg, einzulegen.

Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird, und die Tatsachen und Beweismittel angeben, auf die sich die Beschwerde stützt.

Die Beschwerdeschrift muss durch einen Rechtsanwalt unterschrieben sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts (§ 117 Abs. 3 GWB).

Mit der Einlegung der Beschwerde sind die anderen Beteiligten des Verfahrens vor der Vergabekammer vom Beschwerdeführer durch Übermittlung einer Ausfertigung der Beschwerdeschrift zu unterrichten (§ 117 Abs. 4 GWB).

Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer. Die aufschiebende Wirkung entfällt zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist. Hat die Vergabekammer den Antrag auf Nachprüfung abgelehnt, so kann das Beschwerdegericht auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung über die Beschwerde verlängern (§ 118 Abs. 1 GWB).

Gemäß § 6 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Vergabekammern des Landes Brandenburg vom 26. Mai 2009, Amtsblatt für Brandenburg S. 1225, ist die Unter-zeichnung des Beschlusses durch den ehrenamtlichen Beisitzer nicht erforderlich.