Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat | Entscheidungsdatum | 18.12.2014 | |
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Aktenzeichen | OVG 10 N 47.14 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 34 Abs 1 S 1 BauGB, § 23 Abs 3 BauNVO, § 23 Abs 5 BauNVO, Art 14 Abs 1 S 2 GG |
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 28. August 2014 wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt die Klägerin.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
I.
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung einer großflächigen freistehenden Werbeanlage mit einer Gesamthöhe von 4,20 m zum Zwecke der Fremdwerbung auf dem Grundstück Gemarkung Strausberg, Flur 1..., Flurstück 1... (B...straße ...). Auf dem Grundstück befindet sich von der Straßengrenze aus gesehen ein zumindest 5 m rückversetztes Gebäude mit einer davorliegenden unbebauten Grundstücksfläche. Der Standort der Werbeanlage ist ausweislich der Bauvorlagen auf der vorgenannten Grundstücksfläche zwischen der Straße und dem Gebäude im Abstand von 0,5 m zu dem Fußweg der Straße und 2,4 m vor der Außenwand des Gebäudes geplant. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.
II.
Der Zulassungsantrag der Klägerin hat keinen Erfolg. Maßgebend für die Prüfung des Oberverwaltungsgerichts sind allein die innerhalb der Begründungsfrist dargelegten Gründe (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Diese rechtfertigen die Zulassung der Berufung nicht.
1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt auf Grundlage der Darlegungen der Klägerin nicht vor. Derartige Zweifel bestehen dann, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden und auch die Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung derartigen Zweifeln unterliegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 2009 - 1 BvR 812/09 -, NJW 2010, 1062, juris Rn 16; OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 11. Dezember 2013 - OVG 10 N 90.10 -, LKV 2014, 36, juris Rn. 5).
Nach diesem Maßstab ist das Vorbringen der Klägerin, wonach die Beurteilung des erstinstanzlichen Gerichts zum fehlenden planungsrechtlichen Einfügen der Werbeanlage hinsichtlich der Grundstücksfläche, die mit ihr überbaut werden soll, in die Eigenart der tatsächlichen Umgebungsbebauung nach § 34 Abs. 1 BauGB nicht „verfange“, ungeeignet, das angefochtene Urteil ernstlich in Zweifel zu ziehen.
Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zulässig, wenn es sich insbesondere nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Mit dem Begriff der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, ist die konkrete Größe der Grundfläche der baulichen Anlage und ihre räumliche Lage innerhalb der vorhandenen Bebauung gemeint; es geht um den Standort des Vorhabens im Sinne von § 23 BauNVO (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Mai 2014 - BVerwG 4 B 38/13 -, NVwZ 2014, 1246, juris Rn. 8). Nach der Rechtsprechung des Senats können anhand der tatsächlich vorhandenen Bebauung aus der jeweils überbauten Grundstücksfläche und der räumlichen Lage der baulichen Anlagen Merkmale abgelesen werden, aus denen eine faktische Baugrenze (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 1 BauNVO) feststellbar ist, die Gebäude und Gebäudeteile oder andere Hauptnutzungen (Hauptanlagen) nicht überschreiten dürfen (vgl. näher OVG Bln-Bbg, Urteil vom 13. März 2013 - OVG 10 B 4.12 -, juris Rn. 34, 51 m.w.N). Eine Werbeanlage der Außenwerbung, welche eine bauliche Anlage im Sinne des § 29 Satz 1 BauGB ist und Fremdwerbung zum Gegenstand hat, stellt bauplanerisch eine eigenständige Hauptnutzung dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1992 - BVerwG 4 C 27/91 -, BVerwGE 91, 234, juris Rn. 2).
Das erstinstanzliche Gericht ist unter Beachtung der vorgenannten Grundsätze auf Grundlage einer Ortsbesichtigung und einer Augenscheinnahme der näheren Umgebung des Vorhabens, insbesondere entlang der Bahnhofstraße, zu der eingehend begründeten Würdigung und Bewertung gelangt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung zu Errichtung der Werbeanlage habe, da diese sich hinsichtlich der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge. Es sei festzustellen, dass die Bebauung hinsichtlich der Hauptnutzungen in der für das Vorhaben maßgeblichen näheren Umgebung ausnahmslos einen Abstand vom mindestens 5 m, teilweise auch deutlich mehr, zum straßenseitigen Gehweg der Bahnhofstraße aufweise und daher eine faktische vordere Baugrenze bestehe, welche vom Standort des Werbeanlagenvorhabens - von der Straßengrenze aus gesehen 50 cm vom Fußweg entfernt - nicht eingehalten werde (vgl. näher UA S. 8 ff.).
Das Zulassungsvorbringen der Klägerin stellt die Richtigkeit dieser Tatsachenfeststellung und Bewertung nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage.
Der Einwand, dass für den „streitgegenständlichen Nahbereich“ keine Bebauungsplanfestsetzung vorliege und eine Baugrenze nicht festgelegt sei, berücksichtigt nicht, dass das erstinstanzliche Gericht nicht von einer Festsetzung einer Baugrenze im Bebauungsplan ausgegangen ist, sondern eine faktische Baugrenze im unbeplanten Innenbereich im Rahmen des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB anhand der tatsächlich vorhandenen Bebauung festgestellt hat, was rechtlich möglich ist (vgl. dazu näher OVG Bln-Bbg, Urteil vom 13. März 2013 - OVG 10 B 4.12 -, juris Ls. 3 und Rn. 34 m.w.N.).
Der Zulassungsantrag macht ferner ohne Erfolg geltend, dass hier der Feststellung einer faktischen Baugrenze der Umstand entgegenstehe, dass die Bebauung westlich des Vorhabengrundstücks (gemeint sind die Flurstücke Flur 1..., Flurstücke 1... und 1...) bis an die Flurstücksgrenze heran reiche. Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass die Wohngebäude auf diesen Grundstücken tatsächlich direkt hinter der Flurstücksgrenze stehen, was aber für die Feststellung einer faktischen Baugrenze irrelevant sei. Mit ihrem Vorbringen, sie sehe das anders, weil auch der Zuschnitt und die Ausnutzung des Eigentums für die Frage der Bebaubarkeit eine gewichtige Rolle spielten, kann die Klägerin die Bewertung des Verwaltungsgerichts nicht ernstlich in Zweifel ziehen. Zu Recht führt das Verwaltungsgericht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an, wonach für die Frage, ob sich ein Vorhaben nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz BauGB einfügt, es nicht auf die (Flurstücks-)Grenzen des Baugrundstücks ankommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. September 1988 - BVerwG 4 B 175/88 -, NVwZ 1989, 354, juris Ls. und Rn. 4). Maßgeblich ist hier vielmehr, dass vor den Flurstücken 1... und 1... in südlicher Richtung sich eine nicht überbaute Grundstücksfläche befindet, weshalb auch die Bebauung auf den Flurstücken 1... und 1... gleichwohl tatsächlich einen Abstand von mindestens 5 m zur Straßengrenze der B...straße einhält, die vom Verwaltungsgericht angenommene faktische Baugrenze also auch insoweit feststellbar ist.
Gegen die Annahme einer faktischen vorderen Baugrenze spricht auch nicht die Argumentation der Klägerin, dass sie durch diese gehindert werde, ihr Grundstück vollständig zu bebauen, was zu einem Verstoß gegen Art. 14 GG und Art. 3 GG im Hinblick auf ihre Schlechterstellung gegenüber den benachbarten Grundstückseigentümern führe. Die Feststellung einer faktischen (vorderen) Baugrenze führt in der Tat dazu, dass die davorliegende Grundstücksfläche mit Hauptnutzungen nicht überbaubar ist, was eine Inhalts- und Nebenbestimmung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) ist (vgl. OVG Bln-Bbg, Urteil vom 13. März 2003 - OVG 10 B 4.12 -, juris Rn. 45). Die Klägerin hat nicht substantiiert dargetan, dass diese Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums sie in Art. 14 Abs. 1 GG verletzt. Wieweit der Schutz des Eigentums reicht, ergibt sich vielmehr aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Sache des Gesetzgebers ist. Die Grundstücksfläche, auf der ein Grundstück überbaut werden kann, wird je nach Eigenart der näheren Umgebung durch die gesetzliche Grundlage des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB eingeschränkt. Im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ist der Gesetzgeber nämlich ermächtigt, die Nutzung des Grundeigentümers näher auszugestalten und auch einzuschränken. Dass die Verwirklichung einer städtebaulichen Ordnung und Entwicklung ein verfassungslegitimes Ziel darstellt, ist nicht zweifelhaft (BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1992 - BVerwG 4 C 27/91 -, BVerwGE 91, 234, juris Rn. 28). Dass der Ausschluss der Nutzung des Vorhabengrundstücks im Bereich vor den Gebäuden für Zwecke der Fremdwerbung im konkreten Einzelfall eine unverhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums ist, hat die Klägerin nicht dargetan und ist angesichts der Bebaubarkeit des Grundstücks hinter der Baugrenze und der erfolgten erheblichen Bebauung mit einem größeren Gebäude auch nicht ersichtlich. Auch eine Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte ohne sachlichen Grund ist hier in Bezug auf das Vorhabengrundstück im Verhältnis zu den Eigentümern der Flurstücke 1... und 1... nicht substantiiert dargetan.
Ohne Erfolg bleibt auch das Vorbringen der Klägerin, dass sich östlich des Vorhabengrundstücks im Verlauf der Bahnhofstraße eine Fremdwerbeanlage für einen 3 km entfernten Drogeriemarkt („dm“) befinde und der vordere Grundstücksbereich der dortigen Grundstücke versiegelt sei. Dies steht der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass sich entlang der Straße eine faktische Baugrenze mit davorliegender nicht überbaubarer Grundstücksfläche bestehe, nicht entgegen. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgericht handelt es sich bei der vorgenannten Fremdwerbung um ein ca. 0,5 m² großes Schild an einer Laterne im Bereich des Fußweges außerhalb der privat genutzten Grundstücke im Straßenraum. Das Schild ist optisch untergeordnet und befindet sich auch nicht in dem Grundstücksbereich, der nach Ansicht des Verwaltungsgerichts als nicht überbaubare Grundstücksfläche zu qualifizieren ist. Im Übrigen hat die Feststellung einer faktischen Baugrenze mit davorliegender nicht überbaubarer Grundstücksfläche nicht zur Folge, dass letztere eine Frei- oder gar Grünfläche sein muss. Sie darf lediglich nicht mit Gebäuden oder Gebäudeteilen und anderen Hauptnutzungen bebaut sein (vgl. OVG Bln-Bbg, Urteil vom 13. März 2013 - OVG 10 B 4.12 -, juris Rn. 45, 51).
Nicht durchzugreifen vermag auch der Hinweis, vor dem Gebäude Bahnhofstraße 19 befinde sich eine Bewirtungsterrasse eines Cafés. Nach der Rechtsprechung des Senats (OVG Bln-Bbg, Urteil vom 13. März 2013 - OVG 10 B 4.12 -, juris Rn. 51 m.w.N.) kommt es für die Feststellung einer faktischen hinteren Baugrenze und einer nicht überbaubaren Grundstücksfläche auf die vorhandenen Hauptnutzungen (Hauptanlagen), nicht dagegen auf Nebenanlagen an, denen insoweit die maßstabsbildende Kraft fehlt. Nebenanlagen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie der Hauptnutzung funktionell zugeordnet und ihr räumlich-gegenständlich („optisch") untergeordnet sind. Für die räumliche Lage von Nebenanlagen sieht das Bauplanungsrecht gewisse Erleichterungen vor. So regelt § 23 Abs. 5 Satz 1 BauNVO, dass - wenn im Bebauungsplan nichts anderes festgesetzt ist - auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen Nebenanlagen im Sinne des § 14 BauNVO zugelassen werden können. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin ist die mit Stühlen und Sonnenschirmen versehene Terrasse des Cafés keine eigenständige Hauptnutzung. Sie ist vielmehr funktional dem als Café genutzten Gebäude zugeordnet und ist zudem ausweislich der von der Klägerin vorgelegten Lichtbilder auch räumlich gegenständig optisch untergeordnet. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der dem Zulassungsantrag beigefügten Entscheidung des Verwaltungsgerichts Minden (Urteil vom 21. November 2013 - 9 K 2117/13 -).
Schließlich kann das Vorbringen der Klägerin auch nicht die Bewertung des Verwaltungsgerichts schlüssig in Frage stellen, wonach das Werbeanlagenvorhaben zum Zwecke der Fremdwerbung nicht ausnahmsweise zulässig sei, weil es wegen der von ihm ausgehenden Vorbildwirkung geeignet sei, bodenrechtliche Spannungen zu begründen. Ein Vorhaben fügt sich nicht im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wenn es, bezogen auf die in dieser Vorschrift genannten Kriterien, den aus der Umgebung ableitbaren Rahmen überschreitet und geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche bewältigungsbedürftige Spannungen zu begründen oder zu erhöhen. Ein solcher Fall ist gegeben, wenn das Vorhaben selbst oder sei es infolge seiner Vorbildwirkung die vorhandene Situation in bauplanungsrechtlich relevanter Weise verschlechtert, stört oder belastet (vgl. OVG Bln-Bbg, Urteil vom 13. März 2013 - OVG 10 B 4.12 -, juris Rn. 57 m.w.N.). Durch den erneuten Hinweis der Klägerin auf die Bewirtungsterrasse vor dem Café stellt sie die Würdigung des Verwaltungsgerichts, dass die Zulassung der begehrten Werbeanlage als Hauptnutzung bauplanerisch eine Vorbildwirkung für ähnliche Nutzungen auf den Nachbargrundstücken entlang der Bahnhofstraße hätte, nicht substantiiert in Frage.
2. Das Zulassungsvorbringen rechtfertigt auch nicht die Zulassung der Berufung wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die Klägerin macht zwar diesen Zulassungsgrund geltend, hat aber nicht gemäß § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO Gründe dargelegt, aus denen sich ergibt, dass der konkret zu entscheidende Rechtsstreit entscheidungserhebliche Fragen aufwirft, deren Lösung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht überdurchschnittliche Schwierigkeiten verursacht. Soweit die Klägerin dazu die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Würzburg (Urteil vom 4. September 2012 - W 4 K 12.456 -, juris) und das oben erwähnte Urteil des Verwaltungsgerichts Minden überreicht, legt sie hierdurch nicht dar, dass der konkret zu entscheidende Rechtsstreit an dem Standort der Werbeanlage in der Bahnhofstraße der beigeladenen Stadt entscheidungserhebliche Fragen aufwirft, deren Lösung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht überdurchschnittliche Schwierigkeiten verursachen soll.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 9.1.2.3.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 18. Juli 2013 (http://www.bverwg.de/informationen/streitwertkatalog.php).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).