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Entscheidung 12 K 508/07


Metadaten

Gericht VG Potsdam 12. Kammer Entscheidungsdatum 13.05.2011
Aktenzeichen 12 K 508/07 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 2 KAG BB, § 8 KAG BB

Tenor

Der Bescheid des Beklagten vom 11. Dezember 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides wird aufgehoben.

Der Antrag, die Zuziehung des Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären, wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Die Klage wendet sich gegen die Erhebung von Straßenbaubeiträgen für den Ausbau der „... Straße “ in der früher selbstständigen amtsangehörigen Gemeinde Etzin, die seit 26. Oktober 2003 Ortsteil der Stadt Ketzin ist.

Die „... Straße “ war vor dem Ausbau mit schadhaftem Kopfsteinpflaster versehen, die Beleuchtung war unzureichend. Nunmehr ist die Straße mit Verbundpflaster befestigt, es gibt teilweise einen Gehweg, Entwässerungsmulden und zusätzliche Lampen. Die Abnahme erfolgte am 1. Februar 2002. Dafür entstand ein beitragsfähiger Aufwand von 165.667,08 €.

In der Zeit von 1995 bis 2003 erbrachte die Märkische Entsorgungsanlagen-Betriebsgesellschaft mbH (MEAB) zum Ausgleich der Beeinträchtigungen durch die von ihr betriebene Deponie Vorketzin freiwillige Ausgleichsleistungen zur Verbesserung der Infrastruktur der Anliegergemeinden. Diese wurden an das Amt Ketzin ausgereicht und anschließend auf Grund von Beschlüssen des Amtsausschusses nach einem darin bestimmten Schlüssel auf die amtsangehörigen Gemeinden verteilt. Die Gemeinde Etzin hat daraus in diesem Zeitraum nach Angaben des Beklagten insgesamt 331.738,15 € erhalten.

In der Gemeinde Etzin bestand offensichtlich der Konsens, mit diesen Zuwendungen die Straßenbaumaßnahmen im Gemeindegebiet zu finanzieren, die damit beitragsfrei bleiben sollten. In dem Text des Beschlusses der Gemeindevertretung über das Bauprogramm für die Straße „…“ vom 2. Juli 2002 findet sich die Bemerkung: "Keine Zuzahlung beim Straßenbau für die Anlieger". Eine Straßenbaubeitragssatzung existierte in Etzin nicht. Neben der „…“ und der „... Straße “ wurden bis 2003 außerdem die „…“ und die „…“ ausgebaut, ohne Beiträge zu erheben. Bei der „…“ standen die Gehwege in der Straßenbaulast der Gemeinde.

Die seit dem 26. Oktober 2003 zuständige Stadt Ketzin ging zunächst ebenfalls von einer Beitragsfreiheit der streitigen Ausbaumaßnahme aus. Die Stadtverordnetenversammlung lehnte es trotz einer aufsichtsbehördlichen Anordnung des Landkreises Havelland ab, rückwirkend die erforderliche Straßenbaubeitragssatzung zu beschließen. Die entsprechende vorhabenbezogene Einzelsatzung wurde schließlich im Wege der Ersatzvornahme durch Verfügungen des Landkreises Havelland vom 28. November 2006 rückwirkend zum 28. Januar 2002 in Kraft gesetzt. Sie enthält in § 9 einen konkreten Beitragssatz für die Maßnahme in Höhe von 2,25556 DM bzw. 1,15325 € je Quadratmeter Beitragsfläche.

Daraufhin zog der Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 11. Dezember 2006 zu einem Straßenbaubeitrag heran. Dabei berücksichtigte er die „... Straße “ als Haupterschließungsstraße mit einem Anteil der Anlieger an den beitragspflichtigen Kosten in Höhe von 30 % für die Fahrbahn und von 50 % für die sonstigen Nebenanlagen. Der dagegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos.

Hiergegen richtet sich die rechtzeitig erhobene Klage. Zu deren Begründung trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, dass die früher selbstständige Gemeinde Etzin rechtswirksam auf die Erhebung von Beiträgen verzichtet habe. Jedenfalls sei bei ihr ein rechtlich geschütztes Vertrauen entstanden, dass sie für die Ausbaumaßnahme keine Beiträge entrichten müsse. Daran sei auch der jetzige Beklagte gebunden.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 11. Dezember 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides aufzuheben,

sowie die Zuziehung ihres Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Kommunalabgabengesetz enthalte eine Verpflichtung zur Durchsetzung des Beitragsanspruchs. Gründe, davon abzusehen, lägen nicht vor. Deswegen könne es auch kein geschütztes Vertrauen auf eine Beitragsfreiheit der Maßnahme geben.

Der Berichterstatter hat am 7. Juli 2010 einen Ortstermin durchgeführt, zu dessen Ergebnis auf die dazu erstellte Niederschrift und die im Termin gefertigten Fotos verwiesen wird.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten (1 Ordner, 1 Hefter) Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).

1. Soweit die Klage mit einem wirksamen Verzicht auf die Erhebung eines Straßenbaubeitrags begründet wird, muss sie erfolglos bleiben, denn der Beklagte ist zur Erhebung dieses Beitrags verpflichtet.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 Kommunalabgabengesetz für das Land Brandenburg (KAG) sollen bei den dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straßen, Wegen und Plätzen Beiträge (Straßenbaubeiträge) erhoben werden, wenn solche Anlagen, u. a. wie hier, erneuert oder verbessert werden (§ 8 Abs. 2 Satz 1 KAG). In der Rechtsprechung ist grundsätzlich geklärt, dass unter diesem „Sollen“ ein „Müssen“ zu verstehen ist (OVG Frankfurt (Oder), Urteil vom 5. Oktober 2001 - 2 D 7/01.NE, n.v. -; Beschluss der Kammer vom 3. März 2004 - 12 L 394/03 -, zit. nach juris; Urteil vom 7. September 2007 – 12 K 1872/04 -, n.v.). Eine Ausnahme von dieser Beitragserhebungspflicht ist nur in atypischen Ausnahmefällen möglich, etwa dann, wenn der durch eine ausgebaute Anlage vermittelte Vorteil schwierig festzustellen oder zu bemessen ist und dem Vorteil der Beitragspflichtigen keine nennenswerte Bedeutung zukommt oder wenn eine offenkundiges Ungleichgewicht bei der Bevorteilung der beitragspflichtigen Grundstücke dadurch besteht, dass der betreffende Ausbau ganz überwiegend bestimmten kommunalen Einrichtungen zugute kommt; schließlich, wenn der umlagefähige Aufwand so gering ist, dass es finanzwirtschaftlich nicht vertretbar erscheint, diesen auf die Beitragspflichtigen umzulegen (OVG Frankfurt (Oder), a. a. O.; vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 23. Juli 1991 - 15 A 1100/90 -, zit. nach juris). Keiner dieser Ausnahmefälle ist hier gegeben.

Ein solcher atypischer Sachverhalt kann auch nicht unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens in § 8 Abs. 4 Satz 7 KAG angenommen werden. Nach dieser Norm sind Zuwendungen Dritter, sofern der Zuwendende nichts anderes bestimmt hat, zunächst zur Deckung des Gemeindeanteils am Aufwand zu verwenden. Soweit die Zuwendungen diesen Anteil übersteigen, können sie zur Deckung des übrigen Aufwandes verwendet werden, also zu Gunsten der Beitragspflichtigen Berücksichtigung finden.

Auch wenn man hier für die Zuwendungen der MEAB eine - mittelbare - Bestimmung i.S. von § 8 Abs. 4 Satz 7 KAG annehmen wollte, würde dies zu keiner Reduzierung der Anliegerbeiträge führen, denn es hat keinen „Überschuss“ gegeben, der die bei der Gemeinde verbleibenden Aufwendungen übersteigen würde.

Nach den Ermittlungen des Beklagten sind der Gemeinde Etzin im Zeitraum 1995 bis 2003 insgesamt 331.738,15 € zugewandt worden. Dem sind zunächst die Ausbaumaßnahmen „... Straße “ und „…“ gegenüberzustellen, bei denen der satzungsgemäße Eigenanteil der Gemeinde insgesamt ca. 146.000 beträgt. In der Gemeinde wurden zuvor aber auch die „…“ und die in ihrer Straßenbaulast stehenden Nebenanlagen der „…“ ausgebaut, wofür Kosten in Höhe von insgesamt ca. 194.000 € entstanden sind, die nicht durch Beiträge refinanziert wurden. Die auf die Gemeinde Etzin entfallenden Aufwendungen für den Straßenbau übersteigen damit die gesamten von der MEAB zugewandten Mittel um ca. 8.000,00 €.

Die Pflicht zur Erhebung eines Beitrags beinhaltet auch grundsätzlich die Pflicht einer Gemeinde, die erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, d. h. eine gegebenenfalls rückwirkend in Kraft zu setzende Straßenbaubeitragssatzung zu beschließen. Wenn zuvor - wie hier - eine solche Satzung nicht bestand, kommt dieser eine „echte“ Rückwirkung zu, die dann unzulässig wäre, wenn sie in ein geschütztes Vertrauen eingriffe. Ein solcher Vertrauensschutz steht einer Rückwirkung aber dann nicht entgegen, wenn der Betroffene mit dieser Belastung rechnen konnte. Nach der Rechtsprechung des VG Potsdam besteht angesichts der gesetzlichen Regelung in § 8 Abs. 1 Satz 2 KAG ein solcher Vertrauensschutz regelmäßig nicht (Beschluss vom 3. März 2004 - 12 L 394/03 -, zit. nach juris; Beschluss vom 24. Februar 1998 - 2 L 1429/97 -, n.v.). Im Beitragsrecht können wegen der Funktion von Beiträgen als Ausgleich für gewährte Sondervorteile durch die Maßnahme bevorteilte Anlieger nur unter engen Voraussetzungen schutzwürdig erwarten, dass eine nach ihrem Wesen beitragspflichtige Leistung gleichwohl beitragsfrei gewährt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. April 1983 - 8 C 170/81 -, zit. nach juris). Solche Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Ein geschütztes Vertrauen kann sich insbesondere nicht aus einem Beschluss der Gemeindevertretung ergeben, in Abweichung von der Beitragserhebungspflicht nach § 8 Abs. 1 Satz 2 KAG im Einzelfall von einer Beitragserhebung abzusehen, wenn ein atypischer Sachverhalt, der einen solchen Verzicht rechtfertigen würde, wie oben dargestellt, nicht vorliegt (vgl. Urteil der Kammer vom 7. September 2007 - 12 K 1872/04 -, n.v.).

2. Der angefochtene Bescheid erweist sich aber als rechtswidrig, weil er auf keiner wirksamen Rechtsgrundlage beruht. Die dafür maßgebliche, im Wege der Ersatzvornahme durch Verfügung des Landkreises Havelland vom 28. November 2006 rückwirkend zum 28. Januar 2002 in Kraft gesetzte, vorhabenbezogene Einzelsatzung ist unwirksam, denn der in § 9 enthaltene konkrete Beitragssatz für die Maßnahme in Höhe von 2,25556 DM bzw. 1,15325 € je Quadratmeter Beitragsfläche erweist sich als überhöht. Eine andere die Maßnahme erfassende Satzung gibt es nicht. Gemäß § 2 Abs. 1 KAG bedarf es für die Erhebung eines Straßenbaubeitrags aber einer wirksamen Satzung.

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG muss eine Straßenbaubeitragssatzung den Satz der Abgabe enthalten. Dieses Erfordernis ist nicht durch § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG in der Fassung vom 17. Dezember 2003 entfallen. Da sich die Beitragssatzung Rückwirkung zum 20. März 2003 beimisst, weil die sachliche Beitragspflicht bereits zu diesem Zeitpunkt entstanden war, findet das KAG in der vor dem 1. Februar 2004 geltenden Fassung Anwendung (vgl. dazu im Einzelnen OVG Frankfurt (Oder), Urteil vom 23. November 2004 - 2 A 269/04 -, zit. nach juris). Da zum Zeitpunkt der Beschlussfassung bzw. der an deren Stelle getretenen Verfügung der Kommunalaufsichtsbehörde, der Aufwand für die Maßnahme bereits feststand, greift die in dieser Fassung enthaltene Ausnahmeregelung des § 8 Abs. 4 Satz 9 KAG, wonach ein Beitragssatz entbehrlich ist, wenn zum Zeitpunkt des Erlasses der Satzung der Aufwand noch nicht feststeht, nicht (vgl. OVG Frankfurt (Oder). Urteil vom 23. März 2000 - 2 A 226/98 -, Mitt.StGB Bbg 2000, 2213). Dieser Beitragssatz muss inhaltlich richtig sein. Fehler bei der Ermittlung des Aufwandes oder der Verteilung, die sich zu Lasten der Beitragspflichtigen auswirken, führen dazu, dass der Beitragssatz unrichtig und die entsprechende Satzung für die Abrechnung der Maßnahme unwirksam ist (vgl. Urteile der Kammer vom 17. Dezember 2004 - 12 K 3144/99 -, Mitt.StGB Bbg, 2005, 289 und vom 7. September 2007 - 12 K 1156/07 -, n.v.).

Der in der Satzung enthaltene Beitragssatz ist fehlerhaft ermittelt worden. Der durch den Berichterstatter durchgeführte Ortstermin hat ergeben, dass in die Veranlagung außer den bislang berücksichtigten Grundstücken jedenfalls auch das Flurstück … einbezogen werden muss. Dies ist als Hinterliegergrundstück über die vorgelagerten Flurstücke .. und .. durch die „... Straße “ erschlossen. Alle drei Flurstücke stehen im selben Eigentum. Über die Flurstücke .. und .. führt die Zuwegung zu dem mit zwei landwirtschaftlichen Hallen bebauten Flurstück …, die tatsächlich genutzt wird. Außerdem dürften die Flurstücke … und … der Beitragspflicht für die „... Straße “ unterliegen. Diese sind als Hinterliegergrundstücke über die davor liegenden Flurstücke … bzw. … erschlossen. Auch wenn diese Erschließung nicht durch eine Grunddienstbarkeit gesichert sein sollte, wäre die Erschließung durch ein Notwegerecht gemäß § 917 BGB hinreichend gesichert (vgl. dazu Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge 8. Aufl. § 35 Rn. 23). Eine anderweitige Zuwegung besteht nach dem Ergebnis des Ortstermins für diese Grundstücke nicht. Die erforderliche Einbeziehung dieser Grundstücke hat zur Folge, dass der Beitragssatz für die Maßnahme geringer ist, als in § 9 der Satzung festgesetzt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Antrag der Klägerin, die Zuziehung ihres Prozessbevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 162 Abs. 2 S. 2 VwGO), war abzulehnen, da ein rechtlich geschütztes Interesse für die begehrte Erklärung des Gerichts nicht ersichtlich ist. Ausweislich der Verwaltungsvorgänge war der Prozessbevollmächtigte im Vorverfahren nicht tätig, der Widerspruch wurde vielmehr von der Klägerin selbst eingelegt und begründet, ihr ist auch der Widerspruchsbescheid zugestellt worden.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 1.167,67 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG).