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(Künstlersozialversicherung - Versicherungspflicht - Modedesignerin - Erstellung und Vermarktung von Entwürfen von Bekleidungsstücken und Accessoires - Anerkennung als Künstlerin in einschlägigen Fachkreisen)


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 9. Senat Entscheidungsdatum 30.06.2010
Aktenzeichen L 9 KR 578/07 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 1 KSVG, § 2 S 1 KSVG

Leitsatz

1. Die eigenständige Vermarktung eigener Entwürfe durch eine Modedesignerin hindert nicht ihre Anerkennung als Künstlerin im Sinne des Künstlersozialversicherungsgesetzes

2. Die zu fordernde "Anerkennung in einschlägigen fachkundigen Kreisen" erfordert nicht eine Anerkennung durch Angehörige der sämtlichen verschiedenen Sparten der bildenden Kunst; erforderlich ist nur eine Anerkennung im Rahmen der eigenen Berufsgruppe, hier der Modedesigner.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. August 2007 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht der Klägerin als selbständige Modedesignerin in der Künstlersozialkasse (KSK).

Die im Jahre 1974 geborene Klägerin studierte von 1998 bis 2002 an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft B Bekleidungsgestaltung und ist seit November 2002 Diplom-Designerin. Im Jahr 2003 gründete sie mit drei weiteren Designerinnen eine Gesellschaft, die P GbR, deren Gesellschaftszweck laut § 1 des Gesellschaftsvertrags der Betrieb eines Modeateliers war, wobei die vier Gesellschafterinnen gleichberechtigt waren. Die Gesellschaft fertigte zwei Damen- und Herren-Modekollektionen pro Jahr; die Klägerin entwarf u.a. die gemusterten Textilien, Kollektionsteile und Strickteile, konzipierte die Kollektionen und war im Rahmen von Präsentation und Werbung tätig. Die Gesellschaft betrieb ein kleines Ladengeschäft, in dem die aktuelle Kollektion zu besichtigen war; außerdem wurden die Kollektionen auf Modemessen und Modenschauen präsentiert. Der Verkauf einzelner Kleidungsstücke erfolgte ausschließlich in Boutiquen. Für die handwerkliche Herstellung der Kollektionen beauftragte die Gesellschaft Fachbetriebe. Vereinzelt wurden auch Entwürfe für Bekleidung und für Kostümarbeiten für Filme verkauft. Zum 31. Dezember 2009 stellten die vier Gesellschafterinnen das Modelabel ein.

Die P GbR gewann u.a. im Juni 2003 den B& BB Foundationpreis und im Juni 2004 den B Fashion Experience. Außerdem fand das Modelabel Erwähnung in verschiedenen Publikationen (z.B. „Berlin Fashion“, Dumont-Verlag; „Young European Fashion Designers“, 2007; Veröffentlichung des Goethe-Instituts 2005, „Die Mode-Wundertüte“; Broschüre „Designmai Kongress 2009“, Vortrag der Klägerin zum Thema „Über Kleider“).

Am 1. Dezember 2004 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Feststellung ihrer Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) für die Zeit ab Oktober 2004. Sie fügte dem Antrag im Laufe des Verwaltungsverfahrens mehrere Bestellbelege, Presseveröffentlichungen und Kopien von Einladungen zu Ausstellungen und Modenschauen bei.

Mit Bescheid vom 16. Februar 2005 lehnte die Beklagte die Feststellung von Versicherungspflicht in der KSK mit der Begründung ab, dass die Tätigkeit der Klägerin in erster Linie von handwerklichen Aspekten geprägt sei. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung begründeten solche Tätigkeiten keine Versicherungspflicht in der KSK.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und machte geltend, dass Modedesign ein so genannter Katalogberuf sei und ihre Arbeit durch die Anfertigung von Entwürfen geprägt sei, nicht von der handwerklichen Näharbeit.

Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 2. August 2005 zurück. Es handele sich nicht um eine reine künstlerische Designertätigkeit. Eine Abgrenzung zwischen Kunst und Kunsthandwerk sei danach vorzunehmen, ob der Betroffene in einschlägigen, fachkundigen Kreisen als Künstler anerkannt und behandelt werde. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall. Zudem sei entscheidend, dass die Wertschätzung nicht allein aus der gestalterischen Idee, sondern aus dem handwerklichen Produkt erzielt werde.

Mit ihrer beim Sozialgericht erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass eine Abgrenzung von Kunst und Handwerk unerheblich sei, da sich ihre Tätigkeit auf eine reine Entwurfstätigkeit beschränke. Nur bei der Einzelanfertigung müsse eine Abgrenzung anhand der Anerkennung in Künstlerkreisen erfolgen. Des Weiteren beziehe sie ihre Wertschätzung durch die Gestaltung der Kollektion und durch die handwerkliche Umsetzung. Letztere erfolge in beauftragten Unternehmen. Das Design der Firma P stehe im Vordergrund: Die Stücke würden gekauft, weil sie gut aussähen, nicht nur weil sie handwerklich gut gefertigt seien. Zu Ausstellungen im Ausland (Japan, Frankreich) sei die Firma P bereits ohne Bewerbung eingeladen worden; bei diesen Modedesign-Ausstellungen habe es sich nicht um Verkaufsmessen gehandelt.

Das Soziagericht hat der Klage durch Urteil vom 31. August 2007 stattgegeben, die Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin auf Grund ihrer Tätigkeit als Modedesignerin der Versicherungspflicht in der KSK ab dem 1. Dezember 2004 unterliege. Die schöpferische Leistung der Klägerin gehe über den Bereich des Handwerklichen hinaus. Sie sei als Mitgesellschafterin der P GbR als Künstlerin in einschlägigen und fachkundigen Kreisen anerkannt und werde als solche behandelt. Das gehe insbesondere aus den Preisgewinnen und Veröffentlichungen sowie Einladungen zu Ausstellungen, die sich nur auf die reine Modebranche bezögen, hervor.

Gegen dieses ihr am 20. September 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10. Oktober 2007 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, dass das Sozialgericht die Anerkennung in den Fachkreisen zu Unrecht bejaht habe. Das Gericht habe verkannt, dass sich die Anerkennung des Betroffenen in den einschlägigen künstlerischen Kreisen bewegen müsse. Diese einschlägigen künstlerischen Kreise seien die Kreise der „bildenden Künstler“. Eine Anerkennung als Kunsthandwerker und entsprechende Preisverleihungen habe das Bundessozialgericht explizit nicht für ausreichend erklärt. Eine Anerkennung als bildende Künstlerin habe die Klägerin durch die bisher vorgelegten Nachweise nicht erbracht.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. August 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und weist darauf hin, dass Modedesign kein Handwerk darstelle. Vielmehr sei Modedesign eine Sparte des Design und damit der bildenden Kunst zuzuordnen, ebenso wie das Industrie- und das Grafikdesign. Jede Sparte der bildenden Kunst erfordere notwendig auch eine manuelle, also handwerkliche Umsetzung. Ihre Tätigkeit liege nicht auf dem Gebiet des Schneiderns. Dass sie sich für die spätere Umsetzung der Hilfe Dritter bediene, könne der Einordnung als Kunst i.S.d. KSVG nicht entgegenstehen, denn auch viele bildenden Künstler fertigten einen Entwurf und bedienten sich für die Herstellung des Werkes dann der Hilfe erfahrener Handwerker. Das Modedesign sei auch nicht in den Anlagen der Handwerksordnung aufgeführt. Ebenso wenig gehöre es zu den „handwerklichen Tätigkeiten im weiteren Sinne“. Selbst wenn von einer handwerklichen Tätigkeit ausgegangen werde, so sei die Anerkennung in künstlerischen Fachkreisen gegeben. Vom Bundessozialgericht sei als Nachweis einer Anerkennung auch die Aufführung in Künstlerlexika erwähnt worden. Als vergleichbare Benennung müsse auch die Erwähnung in speziellen Veröffentlichungen für das Modedesign gelten, welche eine Auswahl der etwa für eine Stadt oder ein Land wichtigen Modedesigner treffe.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 30. Juni 2010 hat die Klägerin die oben erwähnten Veröffentlichungen sowie eine Pressemappe zur Einsicht vorgelegt. Außerdem hat sie erklärt, im Jahre 2008 einen Gewinn von unter 3.900 Euro, im Jahre 2009 einen solchen von etwa 5.700 Euro erzielt zu haben. Für das Jahr 2008 hat die Klägerin sodann die Klage zurückgenommen.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klägerin zu Recht als nach dem KSVG versicherungspflichtige Modedesignerin angesehen. Nach den Erklärungen der Klägerin vor dem Senat erstreckt sich ihre Versicherungspflicht auf die Zeiträume 1. Dezember 2004 bis 31. Dezember 2007 und 1. Januar 2009 bis 31. Dezember 2009.

Nach § 1 KSVG werden selbstständige Künstler und Publizisten in der allgemeinen Rentenversicherung, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn sie

1. die künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben und

2. im Zusammenhang mit der künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit nicht mehr als einen Arbeitnehmer beschäftigen, es sei denn, die Beschäftigung erfolgt zur Berufsausbildung oder ist geringfügig im Sinne des § 8 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch.

Künstler im Sinne des Gesetzes ist, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt (§ 2 Satz 1 KSVG). Das Bundessozialgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das KSVG eine an der Typologie der Ausübungsformen orientierte Einteilung in Kunstgattungen vornimmt, die zur Differenzierung bei der Abgabenerhebung dient, den Kunstbegriff aber materiell nicht definiert. Er ist vielmehr aus dem Regelungszweck des KSVG unter Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsauffassung zu erschließen. Der dem KSVG zugrunde liegende Kunstbegriff verlangt eine eigenschöpferische Leistung, die allerdings kein besonderes hohes Niveau haben muss. Im Gesamtbild der Tätigkeit ist entscheidend, ob dem Schaffen eine schöpferische Leistung in einem Umfang zugrunde liegt, der über das Handwerkliche deutlich hinausgeht (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Juni 1998, B 3 KR 11/97 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 15, m.w.N.).

Zur Überzeugung des Senats ist die Tätigkeit der Klägerin als Modedesignerin im streitigen Zeitraum eindeutig dem Bereich der bildenden Kunst zuzuordnen und damit sozialversicherungspflichtig im Sinne des KSVG. Die Beklagte unterliegt in Bezug auf die Einordnung der Tätigkeit der Klägerin einer gravierenden Fehlwertung, denn die Klägerin erfüllt als Modedesignerin geradezu beispielhaft die Voraussetzungen für eine Versicherungspflicht.

Schon nach § 2 Abs. 2 Nr. 9 der im Jahre 2001 außer Kraft getretenen Verordnung zur Durchführung des Künstlersozialversicherungsgesetzes vom 23. Mai 1984 (BGBl. I, S. 709) gehörten zur „bildenden Kunst“ unter anderem die selbständigen Tätigkeiten als Grafik-, Mode-, Textil-, Industrie-Designer und Layouter. In diesem Sinn hat auch das Landessozialgericht Baden-Württemberg entschieden, dass die Tätigkeit eines Designers, sei es Graphik-, Mode-, Textil- oder Industrie-Designer, als künstlerische Tätigkeit zu werten und dem Bereich Bildende Kunst zuzuordnen ist (Urteil vom 15. August 1997, L 4 KR 1911/95, zitiert nach juris, dort Rdnr. 21). Dem schließt der Senat sich nach eigener Prüfung an. Dieser Aspekt dürfte zwischen den Beteiligten auch gar nicht streitig sein, zumal die Beklagte in dem von ihr vorgehaltenen Formular die Sparte des Modedesigns als „ankreuzbare“ künstlerische Tätigkeit vorsieht. Streit dürfte nur darüber bestehen, ob die Klägerin ausschließlich künstlerisch tätig war oder ob bei ihr handwerkliche (etwa schneiderische) Aspekte dominierten. Letzteres ist nach Lage der Akten aber mit Sicherheit zu verneinen.

Die Betätigung der Klägerin bestand ausschließlich in der Herstellung (und Vermarktung) von Entwürfen von Bekleidungsstücken und Accessoirs. An der Herstellung der Waren wirkte sie nicht mit. Nach den Entwürfen der Klägerin bzw. der PGbR fertigten externe Firmen die Kleidungsstücke. Es kommt danach nicht ansatzweise in Betracht, die Tätigkeit der Klägerin der handwerklichen Sparte zuzuordnen. Vielmehr dominierte die eigenschöpferische Herstellung von Entwürfen für mehrere Kollektionen pro Jahr. Hierin liegt klassische modedesignerische und damit künstlerische Tätigkeit, was nicht zuletzt auch der Ausbildung der Klägerin entspricht (vgl. hierzu Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Juni 1998, B 3 KR 13/97 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 18). Der Senat kann nicht nachvollziehen, warum die Beklagte das Gepräge der klägerischen Tätigkeit eher im schneiderischen als im künstlerischen Bereich sieht.

Dieser Einschätzung steht auch nicht entgegen, dass die P GbR ihre Entwürfe selbst vermarktete, denn dieser Teil ihrer Tätigkeit überwog den künstlerischen Anteil der Arbeit nicht. Die P GbR betrieb zwar ein eigenes Geschäft, doch diente dies nicht dem Verkauf an den Endverbraucher, sondern als Werbefläche für sonstige Aufkäufer. Es liegt auf der Hand, dass das Fertigen von Entwürfen wirtschaftlich sinnlos wäre, wenn es nicht zugleich mit dem Bemühen um Vermarktung einherginge.

Zudem wurde die Klägerin ebenso wie die P GbR in einschlägigen fachkundigen Kreisen unzweifelhaft als Modedesignerin und damit als „Künstlerin“ anerkannt und behandelt. Hier ist – im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten, die keine Stütze im Gesetz findet – nicht vorausgesetzt, dass der Betroffene von sämtlichen verschiedenen Sparten der bildenden Kunst als Künstler anerkannt und behandelt wird. Dies wäre eine sachfremde Anforderung, denn es ist überhaupt nicht ersichtlich, warum Künstler anderer Sparten etwa bestimmten Modedesignern besondere Anerkennung oder auch nur Aufmerksamkeit entgegen bringen sollten. Modedesigner, die lediglich Entwürfe und keine Endprodukte fertigen, sind, wie bereits dargestellt, als Künstler anerkannt und bilden für sich einen „einschlägigen“ (zu diesem Erfordernis Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Juni 1998, B 3 KR 13/97 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 19) fachkundigen Kreis von Künstlern. Die P GbR gewann mehrere Modedesign-Preise und wurde in namhaften Veröffentlichungen als aufstrebendes Modelabel aus Berlin vorgestellt, zudem zu Ausstellungen ins Ausland eingeladen, ohne sich hierfür beworben zu haben. Der über die Jahre entstandene Grad an Aufmerksamkeit war danach durchaus erheblich und ist auf den Erfolg des Modelabels zurückzuführen. Die von der Klägerin vorgelegten Publikationen lassen zudem darauf schließen, dass die PGbR nicht nur über spartenbezogene Anerkennung im engeren Sinne verfügte, sondern darüber hinaus auch in allgemeineren Publikationen als Aushängeschild der Mode- und Designstadt B gewürdigt wurde.

Die Eigenschaft der Klägerin als Künstlerin im Sinne des KSVG steht für den Senat danach außer Frage.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache und im Hinblick auf die bei dem Bundessozialgericht anhängige Revision B 3 KS 4/10 R zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).