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Disziplinarklage; Postbeamter; Nachnahmebeträge und -entgelte; veruntreuende Unterschlagung; Strafurteil; Bindungswirkung; Zulässigkeit der Berufung; Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist; Einreichen der Begründung beim Oberverwaltungsgericht; Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens; Verletzung der Einleitungspflicht; Verwaltungsermittlungen; Verdacht eines Dienstvergehens; (keine) Beschränkung der Berufung auf das Disziplinarmaß; Zugriffsdelikt; Entfernung als Richtschnur; Bemessungsentscheidung; Milderungsgründe; verzögerte Einleitung des Disziplinarverfahrens


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 83. Senat Entscheidungsdatum 24.09.2014
Aktenzeichen OVG 83 D 2.12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 64 Abs 1 S 2 BDG, § 64 Abs 1 S 3 BDG, § 17 Abs 1 S 1 BDG, § 19 Abs 1 BDG, § 55 BDG, § 13 Abs 1 BDG, § 10 BDG, § 246 Abs 2 StGB, § 318 Abs 1 StPO

Leitsatz

Der Verstoß gegen die Einleitungspflicht des § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG begründet keinen Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens im Sinne von § 55 BDG, wenn es später noch zu einer Einleitung des Disziplinarverfahrens kommt. Die verzögerte Einleitung ist jedoch bei der Bemessungsentscheidung als mildernder Umstand zu berücksichtigen, wenn sie für weiteres Fehlverhalten des Beamten ursächlich war.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 17. April 2012 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der am 2... geborene Beklagte trat im September 1985 nach Erwerb des Realschulabschlusses als Auszubildender zur Dienstleistungsfachkraft im Postbetrieb in den Dienst der damaligen Deutschen Bundespost ein. Nachdem er am 2... die Abschlussprüfung mit „befriedigend“ bestanden hatte, wurde er mit Wirkung vom 2... unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Postoberschaffner z.A. ernannt. Am 1. November 1988 wurde er zum Postoberschaffner ernannt und mit Wirkung vom 12. Juni 1992 zum Posthauptschaffner befördert. Nach der Umwandlung der Deutschen Bundespost in die Deutsche Post AG zum 1. Januar 1995 wurde er mit Wirkung vom 27. März 1995 zum Postbetriebsassistenten befördert und gleichzeitig zum Beamten auf Lebenszeit ernannt. Bis zu seiner vorläufigen Dienstenthebung im Januar 2009 war er als Postzusteller eingesetzt, zuletzt beim Zustellstützpunkt O....

Der Beklagte ist ledig und kinderlos. Ausweislich eines Bescheides des Landes-amtes für Gesundheit und Soziales Berlin - Versorgungsamt - vom 1. Februar 2006 ist er behindert mit einem Grad der Behinderung von 40. Er ist in disziplinarrechtlicher Hinsicht – abgesehen von den Vorgängen, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind – noch nicht in Erscheinung getreten. Seine Leistungen und Führung im Dienst wurden von seiner damaligen Vorgesetzten im Januar 2009 folgendermaßen beurteilt: „Herr O..., geboren am 2..., war seit dem 01.01.2006 im ZSP O... als Zusteller beschäftigt. Wir waren mit seinen Leistungen zufrieden. Herr S... war reklamationsauffällig. Er war einsatzbereit und zeigte stets eine zufriedenstellende Arbeitsqualität. Sein Verhalten zu Vorgesetzten, Mitarbeitern und Kunden war stets befriedigend.“

Seit August 2007 stellte die Abteilung Sicherheit der Niederlassung BRIEF der Deutschen Post AG wegen Unregelmäßigkeiten bei Nachnahmesendungen während der Einsatzzeit des Beklagten betriebsinterne Ermittlungen an. Unter dem 11. Dezember 2007 erstattete die Abteilung Sicherheit Strafanzeige gegen den Beklagten wegen des Verdachts der Veruntreuung von Nachnahmebeträgen und des Diebstahls von Sendungen. Im Dezember 2008 übersandte die Staatsanwaltschaft Neuruppin der Abteilung Sicherheit der Niederlassung BRIEF eine gegenüber dem Beklagten ergangene Anklageschrift vom 22. Oktober 2008 – 14 Ds 346 Js 11083/08 –, in der diesem zu Last gelegt wurde, in O... in der Zeit zwischen dem 23. Dezember 2006 und dem 24. November 2007 durch 32 selbständige Handlungen fremde bewegliche, ihm anvertraute Sachen sich rechtswidrig zugeeignet zu haben. Mit Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 2. Dezember 2008 wurde die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen. Mit Bescheid vom 18. Dezember 2008 verbot der Leiter der Niederlassung BRIEF Berlin Nord (im Folgenden: Niederlassungsleiter) dem Beklagten unter Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 60 BBG a.F. die Führung der Dienstgeschäfte, nachdem der Beklagte unter dem 16. Dezember 2008 mitgeteilt hatte, zu den Vorwürfen keine Angaben machen zu wollen.

Mit Schreiben vom 14. Januar 2009 leitete der Niederlassungsleiter gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG ein Disziplinarverfahren gegen den Beklagten ein, weil dieser in Verdacht stehe, in der Zeit zwischen dem 23. Dezember 2006 und dem 24. November 2007 in 32 Fällen Nachnahmebeträge in Höhe von insgesamt 5.189,31 Euro für sich behalten und weiterhin Paketsendungen im Wert von insgesamt 6.909,51 Euro einbehalten zu haben. Unter dem 3. Februar 2009 unterrichtete die beauftragte Ermittlungsführerin den Beklagten über die Einleitung des Disziplinarverfahrens durch Übersendung eines Doppels der Einleitungsverfügung und belehrte ihn darüber, dass es ihm freistehe, sich mündlich oder schriftlich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und sich jederzeit eines/einer Bevollmächtigten oder eines Beistandes zu bedienen.

Mit Bescheid vom 29. Januar 2009 enthob der Niederlassungsleiter den Beklagten gemäß § 38 Abs. 1 BDG vorläufig des Dienstes und ordnete die Einbehaltung von 26 v.H. der Dienstbezüge an. Unter Berücksichtigung dieser Kürzung erhielt der Beklagte zuletzt (August 2014) Bezüge in Höhe von ca. 1.550 Euro netto, wovon 241 Euro der Pfändung unterlagen.

Am 10. März 2009 fand eine mündliche Anhörung des Beklagten durch die Ermittlungsführerin statt, wobei der Beklagte im Wesentlichen angab, sich an die ihm vorgehaltenen Sachverhalte nicht erinnern zu können.

Nachdem das Amtsgericht Oranienburg mit Beschluss vom 27. Februar 2009 eine weitere, Tathandlungen im Zeitraum vom 26. Oktober 2007 bis 17. Juni 2008 betreffende Anklage der Staatsanwaltschaft Neuruppin – 346 Js 34689/08 – zur Hauptverhandlung zugelassen und die beiden Verfahren verbunden hatte, verurteilte es den Beklagten durch Urteil vom 1. April 2009 wegen Unterschlagung in 33 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. In den schriftlichen Urteilsgründen des seit dem 9. April 2009 rechtskräftigen Urteils, in denen der Beklagte als Angeklagter bezeichnet wird, wurden folgende tatsächlichen Feststellungen getroffen:

„In dem Zeitraum vom 23.12.2006 bis 17.06.2008 lieferte der Angeklagte Pakete für die Deutsche Post AG aus, wobei er in den nachfolgend aufgeführten Fällen Nachnahmebeträge in Höhe von insgesamt etwa 7.540,89 Euro, die ihm von den Empfängern der Pakete ausgehändigt wurden, für sich behielt anstatt sie an seinen Arbeitgeber, die Deutsche Post AG, weiter zu leiten.

Im Einzelnen handelt es sich um folgende Fälle:

1. Am 26.10.2006 behielt der Angeklagte den durch die Zeugin J... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 129,59 € ein.

2. Am 23.12.2006 behielt er den durch den Zeugen L... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 313,98 € ein.

3. Am 03.03.2007 behielt er den durch die Firma "..." an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 94,96 € ein.

4. Am 07.04.2007 behielt der Angeklagte den durch den Zeugen F... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 39,60 € ein.

5. Am 19.05.2007 behielt er den durch den Zeugen C... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 69,50 € ein.

6. Am 19.05.2007 behielt er den durch den Zeugen W... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 151,88 € ein.

7. Am 26.05.2007 behielt der Angeklagte den durch den Zeugen G... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 36,77 € ein.

8. Am 26.05.2007 behielt er den durch den Zeugen R... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 40,14 € ein.

9. Am 01.06.2007 behielt er den durch den Zeugen B... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 74,19 € ein.

10. Am 08.06.2007 behielt der Angeklagte den durch den Zeugen N... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 96,05 € ein.

11. Am 09.06.2007 behielt der Angeklagte den durch den Zeugen R... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 358,99 € ein.

12. Am 11.06.2007 behielt er den durch den Zeugen S... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 191,90 € ein.

13. Am 13.06.2007 behielt er den durch den Zeugen F... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 35,70 € ein.

14. Am 14.06.2007 behielt der Angeklagte den durch die Firma "f... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 193,79 € ein.

15. Am 15.06.2007 behielt er den durch die Zeugin S... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 269,80 € ein.

16. Am 02.06.2007 behielt er den durch den Zeugen D... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 250,00 € ein.

17. Am 21.06.2007 behielt er den durch den Zeugen K... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 38,66 € ein.

18. Am 27.06.2007 behielt der Angeklagten den an ihn durch die Firma "A... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 180,38 € ein.

19. Am 28.06.2007 behielt er den an ihn durch die Firma "M... " an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 312,73 € ein.

20. Am 29.06.2007 behielt er den durch die Zeugin G... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 51,44 € ein.

21. Am 05.07.2007 behielt der Angeklagte den durch den Zeugen J... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 820,80 € ein.

22. Am 12.07.2007 behielt er den durch die Zeugin D... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 46,03 € ein.

23. Am 12.07.2007 behielt der Angeklagte den durch den Zeugen S... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 161,00 € ein.

24. 19.07.2007 behielt der Angeklagten den durch die Firma "H... " an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 98,76 € ein.

25. Am 09.08.2007 behielt er den durch den Zeugen K... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 812,72 € ein.

26. Am 22.09.2007 behielt er den durch den Zeugen C... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 61,09 € ein.

27. Am 07.02.2008 behielt der Angeklagte den durch die Zeugin I... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 902,90 € ein.

28. Am 07.03.2008 behielt er den durch den Zeugen R... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 564,00 € ein.

29. Am 18.04.2008 behielt er den durch die Firma "H... GmbH" an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 56,00 € ein.

30. Am 16.05.2008 behielt er den durch den Zeugen G... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 298,70 € ein.

31. Am 17.05.2008 behielt der Angeklagten den durch die Firma "S... GmbH" an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 415,33 € ein.

32. Am 21.05.2008 behielt er den durch den Zeugen D... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 278,00 € ein.

33. Am 17.06.2008 behielt er den durch den Zeugen D... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 90,50 € ein.“

Mit Schreiben vom 3. Juni 2009 übersandte die Ermittlungsführerin dem Beklagten eine Kopie des Urteils vom 1. April 2009 und räumte ihm Gelegenheit zur Äußerung im Hinblick auf die beabsichtigte Verwendung des Urteils im Disziplinarverfahren ein. Der Niederlassungsleiter beschränkte mit Schreiben vom 10. September 2009 das Disziplinarverfahren gemäß § 19 Abs. 2 BDG auf die im Strafurteil festgestellten Handlungen.

Die Ermittlungsführerin übersandte dem Beklagten mit Schreiben vom 17. September 2009 das wesentliche Ermittlungsergebnis und räumte ihm die Gelegenheit zur Stellungnahme ein.

Nachdem der Beklagte einen Antrag auf Mitwirkung des Betriebsrates gestellt hatte, bat der Niederlassungsleiter mit Schreiben vom 14. Dezember 2009 den Betriebsrat um Stellungnahme zur beabsichtigten Erhebung der Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Der Betriebsrat teilte daraufhin mit, dass er in seiner Sitzung am 23. Dezember 2009 beschlossen habe, nicht Stellung zu nehmen.

Die Bundesanstalt für Post- und Telekommunikation teilte mit Schreiben vom 6. Januar 2010 mit, dass nach Prüfung der vorgelegten Unterlagen die Voraussetzungen für die Erhebung der Disziplinarklage gegeben seien.

Am 19. Januar 2010 hat die Klägerin durch den Niederlassungsleiter beim Verwaltungsgericht Potsdam Disziplinarklage mit dem Ziel erhoben, den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Darin wird dem Beklagten unter Bezugnahme auf das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 1. April 2009 zur Last gelegt, in 33 Fällen bei der Auslieferung von Pakten für die Deutsche Post AG Nachnahmebeträge in Höhe von insgesamt etwa 7.540,89 Euro, die ihm von den Empfängern der Pakete ausgehändigt wurden, für sich behalten zu haben anstatt sie an die Deutsche Post AG weiterzuleiten. Dadurch habe der Beklagte schuldhaft seine Pflicht zur gewissenhaften und uneigennützigen Verwaltung seines Amtes verletzt und innerhalb des Dienstes ein Verhalten gezeigt, das nicht der Achtung und dem Vertrauen gerecht werde, die sein Beruf erfordere, sowie dienstliche Anordnungen nicht befolgt.

Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten mit Urteil vom 17. April 2012 aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte habe ein Dienstvergehen begangen, da er seine Pflicht zur uneigennützigen Amtsführung, zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten und zur Befolgung von Weisungen durch das Einbehalten von Nachnahmebeträgen in Höhe von insgesamt 7.540,89 Euro verletzt habe. Die widerrechtliche Zueignung von Nachnahmebeträgen für postalische Sendungen, um sie für sich zu verwenden, stelle ein Zugriffsdelikt dar, das regelmäßig die Entfernung aus dem Dienst rechtfertige. Die in der Rechtsprechung anerkannte Bagatellgrenze von etwa 50 Euro sei vorliegend deutlich überschritten. Milderungsgründe habe die Disziplinarkammer nicht feststellen können. Auch die langjährige Dienstzeit des Beklagten, seine unbeanstandeten, überwiegend als durchschnittlich beurteilten dienstlichen Leistungen und die disziplinarrechtliche Unbescholtenheit fielen angesichts der Schwere der Verfehlung nicht ausschlaggebend ins Gewicht.

Eine Ausfertigung des Urteils, bei welcher in der Rechtsmittelbelehrung der Hinweis auf die Frist für die Begründung der Berufung entgegen der von den Richtern unterschriebenen Urteilsfassung fehlte, wurde den Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 30. April 2012 zugestellt. Am 13. Juni 2012 wurde ihnen ein berichtigtes Urteil mit vollständiger Rechtsmittelbelehrung zugestellt.

Gegen das Urteil hat der Beklagte mit am 30. Mai 2012 und am 5. Juli 2012 beim Verwaltungsgericht Potsdam eingegangenen Schriftsätzen Berufung eingelegt und diese nach antragsgemäßer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist durch den Senatsvorsitzenden bis zum 13. August 2012 mit beim Oberverwaltungsgericht am 9. August 2012 eingegangenem Schriftsatz begründet. Er trägt vor, dass er mit der Berufung das Ziel einer milderen Maßnahme des von ihm begangenen disziplinarrechtlichen Vergehens verfolge. Die verhängte Maßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis sei unverhältnismäßig. Er bereue seine Tat und habe dies mit seinem Geständnis vor dem Amtsgericht Oranienburg bekundet. Dieser Milderungsgrund sei vom Verwaltungsgericht nicht ausreichend gewürdigt worden. Außerdem müsse sich die vorangegangene strafgerichtliche Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung als Milderungsgrund auf die verhängte Disziplinarmaßnahme auswirken. Es sei mit dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbar, dass wegen derselben Tat eine disziplinare Höchstmaßnahme mit existenziellen Folgen verhängt werde, ohne dass dabei eine bereits verhängte Strafe berücksichtigt werde. Das angefochtene Urteil überzeuge auch insoweit nicht, als es ihm versage, sich auf seine langjährige, 23 Jahre währende Dienstzeit als Milderungsgrund zu berufen. Auch aufgrund seiner gesundheitlichen Behinderung würde sich die verhängte Höchstmaßnahme in besonderer Weise existenziell für ihn auswirken, denn es werde ihm kaum mehr möglich sein, auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen. Wegen der weiteren Einlassungen des Beklagten wird auf das Protokoll der Verhandlung vom 24. September 2014 Bezug genommen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 17. April 2012 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für überzeugend und zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte dieses Verfahrens, die Verwaltungsakten der Klägerin (Personalakten, Disziplinarakten) und die Strafakte - Az.: 14 Ds 346 Js 11083/08 (625/08) - Bezug genommen, die sämtlich vorgelegen haben und deren Inhalt – soweit wesentlich – Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Sie ist innerhalb der Monatsfrist des § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG eingelegt und innerhalb der vom Vorsitzenden des Disziplinarsenats eingeräumten Fristverlängerung bis zum 13. August 2012 begründet worden.

Dahinstehen kann, ob die Frist für die Einlegung und Begründung der Berufung erst mit Zustellung des berichtigten Urteils am 13. Juni 2012 oder bereits mit Zustellung der ersten, in der Rechtsmittelbelehrung keinen Hinweis auf die Begründungsfrist enthaltenden Urteilsausfertigung am 30. April 2012 zu laufen begann. Denn auch wenn die erste Zustellung bereits Rechtsmittelfristen in Gang gesetzt hätte, wäre die Berufung mit dem am 30. Mai 2012 eingegangenen Schriftsatz rechtzeitig eingelegt und – wegen unzutreffender Belehrung in der am 30. April 2012 zugestellten Urteilsausfertigung – innerhalb der nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO geltenden Jahresfrist mit dem am 9. August 2012 eingegangenen Schriftsatz rechtzeitig begründet worden.

Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung folgen auch nicht aus dem Umstand, dass die Begründungsschrift nicht beim Verwaltungsgericht, sondern beim Oberverwaltungsgericht eingereicht worden ist. Zwar lässt der Wortlaut von § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG, wonach die Berufung bei dem Verwaltungsgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und zu begründen ist, die Annahme zu, dass die Begründung der Berufung ebenso wie das Rechtsmittel selbst bei dem Verwaltungsgericht einzureichen ist. Jedoch kann jedenfalls dann, wenn – wie hier – ein Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nach Satz 3 der Vorschrift vor Fristablauf gestellt worden ist und der Vorsitzende des Disziplinarsenats darüber entschieden hat, die Begründung auch beim Oberverwaltungsgericht eingereicht werden (vgl. m.w.N. Urteil des Senats vom 21. Mai 2014 – OVG 83 D 1.11 – UA S. 9 f.).

II.

Die Berufung bleibt ohne Erfolg. Die Disziplinarklage ist zulässig und begründet. Dem behördlichen Disziplinarverfahren haftet kein wesentlicher Mangel an (hierzu unter 1.). Die an eine Disziplinarklage zu stellenden Voraussetzungen sind erfüllt (hierzu unter 2.). Der Beklagte hat außerdem ein Dienstvergehen begangen (hierzu unter 3.), das seine Entfernung aus dem Dienst erfordert (hierzu unter 4.).

1. Dem behördlichen Disziplinarverfahren, das durch die Erhebung der Disziplinarklage abgeschlossen worden ist (§ 34 BDG), haftet kein wesentlicher Mangel im Sinne von § 55 i.V.m. § 65 Abs. 1 BDG an.

a) Ein Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens im Sinne von § 55 BDG wird nicht bereits durch die verspätete Einleitung des Disziplinarverfahrens begründet. Zwar hat die Klägerin gegen die Pflicht zur unverzüglichen Einleitung des Disziplinarverfahrens verstoßen. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG hat der Dienstvorgesetzte die Dienstpflicht, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Dies ist der Fall, wenn der Dienstvorgesetzte Kenntnis von Tatsachen erhält, aufgrund derer die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass ein bestimmter Beamter schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. November 2008 – 2 B 63.08 – juris Rn. 10). Zweck der Vorschrift ist der Schutz des Beamten. Die disziplinarischen Ermittlungen sollen so früh wie möglich im Rahmen des gesetzlich geordneten Verfahrens mit seinen rechtsstaatlichen Sicherungen zu Gunsten des Beamten geführt werden, wozu insbesondere die Pflicht zur unverzüglichen Unterrichtung des Beamten nach Einleitung des Disziplinarverfahrens (§ 20 Abs. 1 Satz 1 BDB) und das Recht des Beamten auf Beweisteilhabe (§ 24 Abs. 4 BDG) zählen. Vor der Einleitung des Disziplinarverfahrens sind allerdings so genannte Verwaltungsermittlungen zulässig, die dazu dienen festzustellen, ob überhaupt verdachtsbegründende Tatsachen gegeben sind (vgl. Urban/Wittkowski, BDG, 1. Aufl. 2011, § 17 Rn. 5). Verwaltungsermittlungen müssen aber wegen der Schutzwirkung der Verfahrensvorschriften in disziplinarrechtlich geführte Ermittlungen umschlagen, wenn der Dienstvorgesetzte Kenntnis von Tatsachen erlangt, aufgrund derer die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beamte schuldhaft seine Dienstpflichten in disziplinarrechtlich relevanter Weise verletzt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. März 2012 – 2 A 11.10 – juris Rn. 21). Diese Voraussetzungen lagen hier jedenfalls zu dem Zeitpunkt vor, als die – hier für den Dienstvorgesetzten tätige – Abteilung „Sicherheit“ der Niederlassung BRIEF am 11. Dezember 2007 nach Durchführung von internen Ermittlungen (Kundenbefragungen, Ermittlung der Einsatzzeiten des Beklagten) eine Strafanzeige gegen den Beklagten wegen des Verdachts der Veruntreuung von Nachnahmebeträgen in 25 Fällen stellte. Die förmliche Einleitung des Disziplinarverfahrens am 14. Januar 2009 erfolgte somit zu spät.

Der Verstoß gegen die Einleitungspflicht des § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG begründet jedoch keinen Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens im Sinne von § 55 BDG. Denn die Rechtsverletzung, die darin besteht, dass der Dienstvorgesetzte gegen die Einleitungspflicht verstößt, indem er auch bei Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für ein Dienstvergehen die Aufklärung des Sachverhalts lediglich im Rahmen von Verwaltungsermittlungen betreibt, ist dem Disziplinarverfahren zeitlich vorgelagert und haftet ihm deshalb nicht selbst als unmittelbarer Mangel an, wenn es später noch zu einer Einleitung des Disziplinarverfahrens kommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. November 2008, a.a.O., juris Rn. 15, Urteil vom 29. Juli 2010 – 2 A 4.09 – juris Rn. 102; Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand: April 2014, § 17 Rn. 7 und § 55 Rn. 5a; Urban/Wittkowski, a.a.O., § 55 Rn. 5). Verstöße gegen die Einleitungspflicht führen somit nur dann zur Unzulässigkeit des Disziplinarverfahrens gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 4 BDG, wenn die Voraussetzungen eines Maßnahmeverbots wegen Zeitablaufs gemäß § 15 BDG gegeben sind. Ferner können sie sich mittelbar auf das Disziplinarverfahren auswirken, etwa wenn eine Anhörung des Beamten im Rahmen von Verwaltungsermittlungen ohne die nach § 20 Abs. 1 Satz 3 BDG gebotene Belehrung ein Verwertungsverbot nach sich zieht (vgl. Urteil des Senats vom 21. Mai 2014 – OVG 83 D 1.11 - UA S. 13 f.).

Im Ergebnis nichts anderes ergäbe sich, wenn man der in einer jüngeren Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vertretenen Auffassung folgte, dass ein Verstoß gegen die aus § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG folgende Pflicht zur rechtzeitigen Einleitung des behördlichen Disziplinarverfahrens einen Mangel im Sinne von § 55 BDG darstellt (vgl. ohne ausdrückliche Aufgabe der oben genannten Rechtsprechung: Urteil vom 29. März 2012 – 2 A 11.10 – juris Rn. 22). Denn auch bei Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung wäre ein eventueller Mangel jedenfalls nicht wesentlich im Sinne des § 55 BDG, weil sich mit hinreichender Sicherheit ausschließen lässt, dass die verspätete Einleitung sich auf das Ergebnis des gerichtlichen Disziplinarverfahrens ausgewirkt haben kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2010 – 2 C 15.09 – juris Rn. 19). Selbst wenn die Klägerin das Disziplinarverfahren bereits im Dezember 2007 eingeleitet und den Beklagten hiervon unterrichtet hätte und zu Gunsten des Beklagten unterstellt wird, dass es dann zu den im Jahr 2008 begangenen sieben Zugriffshandlungen nicht mehr gekommen wäre, würde dies zu keiner anderen disziplinarrechtlichen Würdigung führen. Auch dann hätte er mit den im Zeitraum bis September 2007 begangenen 26 Tathandlungen (Einbehalten von Nachnahmebeträgen in Höhe von insgesamt 4.860,39 Euro) ein die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis grundsätzlich rechtfertigendes Zugriffsdelikt begangen.

b) Ein Mangel im Sinne von § 55 BDG folgt auch nicht daraus, dass die Disziplinarklage eine unzulässige Ausdehnung auf Vorwürfe beinhaltet, die in der Einleitungsverfügung vom 14. Januar 2009 nicht erwähnt worden sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juli 2010 – 2 A 4.09 – juris Rn. 139). Nach § 19 Abs. 1 BDG kann das Disziplinarverfahren bis zum Erlass einer Abschlussentscheidung nach den §§ 32 bis 34 BDG auf neue Handlungen ausgedehnt werden, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Dies ist hier durch das Schreiben der Ermittlungsführerin vom 3. Juni 2009 geschehen, in dem diese dem Beklagten das Urteil des Strafgerichts vom 1. April 2009 übersandt und mitgeteilt hat, dass beabsichtigt sei, dieses im Disziplinarverfahren zu verwenden. Damit wurde der Gegenstand des behördlichen Disziplinarverfahrens, das sich nach der Einleitungsverfügung – neben dem später mit Schreiben des Dienstvorgesetzten vom 10. September 2009 nach § 19 Abs. 2 BDG ausgeschiedenen Vorwurf des Einbehaltens von Paketsendungen – zunächst nur auf 32 Tathandlungen im Zeitraum vom 23. Dezember 2006 bis zum 24. November 2007 bezog, auf die Tathandlung vom 26. Oktober 2006 ausgedehnt. Dem steht nicht entgegen, dass das in Bezug genommene Strafurteil vom 1. April 2009 im Einleitungssatz mit der Formulierung, der Beklagte habe „in dem Zeitraum vom 23.12.2006 bis 17.06.2008“ in mindestens 33 Fällen vereinnahmte Nachnahmebeträge einbehalten, in Bezug auf das Anfangsdatum unzutreffend ist. Es ist offensichtlich, dass es sich insoweit um einen Schreibfehler handelt. Denn aus den im Strafurteil im Folgenden aufgeführten einzelnen Fällen („1. Am 26.10.2006 behielt der Angeklagte den durch die Zeugin J... S... an ihn gezahlten Nachnahmebetrag in Höhe von 129,59 Euro ein“) und der genannten Anzahl von Fällen (33) ist eindeutig erkennbar, dass auch die Tathandlung am 26. Oktober 2006 Gegenstand der strafrechtlichen Verurteilung ist. Dementsprechend wurde sie auch zum Gegenstand des behördlichen Disziplinarverfahrens gemacht. Die Ermittlungsführerin durfte die Ausdehnung nach § 19 Abs. 1 BDG auch vornehmen, wenngleich grundsätzlich der unmittelbare Dienstvorgesetzte neben der Einleitung auch über die Ausdehnung entscheidet (vgl. Weiß, GKÖD, Band II, Stand: September 2014, § 19 Rn. 12). Denn die Ermittlungsführerin war hier im Wege der Subdelegation durch Schreiben des vom Dienstvorgesetzten beauftragten Ermittlungsführers vom 15. Januar 2009 umfassend zur Durchführung der Ermittlungen und der „in diesem Zusammenhang erforderlichen Verfahrenshandlungen“ beauftragt worden; damit wurde sie auch zur Ausdehnung des Ermittlungsverfahrens nach § 19 Abs. 1 BDG ermächtigt (vgl. Weiß, a.a.O., § 20 Rn. 21).

b) Die gemäß § 29 Abs. 5 Satz 1 PostPersRG i.V.m. § 78 Abs. 1 Nr. 3 BPersVG notwendige Mitwirkung des Betriebsrats weist keinen rechtserheblichen Mangel auf. Zwar kann auch die Verletzung von Mitwirkungsrechten des Betriebsrats einen Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens begründen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 2005 – 2 C 12.04 – juris Rn. 13). Solche Rechte wurden vorliegend jedoch nicht verletzt. Der Betriebsrat erhielt im Dezember 2009 Gelegenheit zur Stellungnahme und teilte mit, zum Disziplinarverfahren nicht Stellung nehmen zu wollen (vgl. § 72 Abs. 2 Satz 1 BPersVG).

c) Das vor Einreichung der Disziplinarklageschrift bei Gericht durchzuführende Prüfverfahren der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost wurde ebenfalls ordnungsgemäß durchgeführt (§ 1 Abs. 5 PostPersRG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 und § 15 BAPostG).

d) Die Zuständigkeit des Niederlassungsleiters zur Erhebung der Disziplinarklage folgt aus § 34 Abs. 2 Satz 2 BDG in Verbindung mit Ziffer II. der Anordnung zur Übertragung disziplinarrechtlicher Befugnisse im Bereich der Deutschen Post AG vom 13. November 2001 (BGBl I S. 3355) in der Fassung vom 10. Oktober 2007 (BGBl 2008 I S. 1769).

2. Auch der Klageschrift haftet kein wesentlicher Mangel im Sinne von § 55 i.V.m. § 65 Abs. 1 BDG an. Sie genügt insbesondere den Vorgaben von § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG. Danach muss die Klageschrift den persönlichen und beruflichen Werdegang des Beamten, den bisherigen Gang des Disziplinarverfahrens, die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, und die anderen Tatsachen und Beweismittel, die für die Entscheidung bedeutsam sind, geordnet darstellen. Die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, müssen aus sich heraus verständlich geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden. Hierdurch soll gewährleistet werden, dass sich der Beamte gegen die gegen ihn erhobenen disziplinarischen Vorwürfe sachgerecht verteidigen kann. Zugleich werden durch eine den Anforderungen des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG genügende Klageschrift Umfang und Grenzen der gerichtlichen Disziplinarbefugnis festgelegt. Denn nach § 60 Abs. 2 Satz 1 BDG dürfen nur Handlungen zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden, die dem Beamten in der Klage oder einer Nachtragsdisziplinarklage als Dienstvergehen zur Last gelegt worden sind. Zwar ist es nicht erforderlich, dass die Klageschrift die angeschuldigten Sachverhalte disziplinarrechtlich zutreffend würdigt. Aufgrund des doppelten Zwecks der Disziplinarklageschrift muss der Dienstherr aber erkennen lassen, gegen welche Dienstpflichten das angeschuldigte Verhalten des Beamten verstoßen soll und ob dem Beamten Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last gelegt wird (vgl. zu allem m.w.N. BVerwG, Urteil vom 29. März 2012, - 2 A 11.10 - Rn. 28).

Die Klageschrift vom 18. Januar 2010 stellt den persönlichen und beruflichen Werdegang des Beklagten und auch den bisherigen Gang des Verfahrens zwar knapp, aber noch ausreichend dar. Die Voraussetzungen des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG sind auch hinsichtlich der notwendigen Bestimmung des Dienstvergehens erfüllt. Die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, werden durch Bezugnahme auf das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 1. April 2009 und wörtliche Wiedergabe der dort unter II. der Urteilsgründe getroffenen tatsächlichen Feststellungen verständlich geschildert. Zwar wird auch in der Klageschrift der hinsichtlich des ersten Datums („23.12.2006“) unzutreffende Einleitungssatz des Strafurteils übernommen. Aus den sowohl im Strafurteil als auch in der Klageschrift sodann aufgeführten, die Tathandlung vom 26. Oktober 2006 umfassenden einzelnen Zueignungshandlungen und der genannten Anzahl von Fällen (33) ergibt sich jedoch hinreichend deutlich, dass die Disziplinarklage auch auf diesen Sachverhalt gestützt wird.

3. Der dem Beklagten vorgeworfene Sachverhalt ist erwiesen. Dies folgt zwar nicht bereits daraus, dass die Berufung, mit welcher der Beklagte ausdrücklich nur „das Ziel einer milderen Maßnahme des von ihm begangenen Vergehens“ verfolgt, dahingehend beschränkt wurde, dass sie sich nur auf das Disziplinarmaß bezieht mit der Folge, dass der Senat an die Tat- und Schuldfeststellungen des erstinstanzlichen Gerichts sowie an dessen disziplinarrechtliche Würdigung der angeschuldigten Handlungen als Dienstvergehen gebunden wäre. Denn wegen der fehlenden Anwendbarkeit von § 318 Abs. 1 StPO ist nach dem In-Kraft-Treten des Bundesdisziplinargesetzes eine Beschränkung der Berufung auf das Disziplinarmaß – anders als unter der Geltung von §§ 82, 25 BDO i.V.m. § 318 StPO – nicht mehr möglich (vgl. zu einer dem § 3 BDG entsprechenden Regelung im nordrhein-westfälischen Disziplinargesetz: BVerwG, Urteil vom 28. Juli 2011 – 2 C 16.10 – juris Rn. 16).

Der Senat ist jedoch gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG an die Feststellungen des Strafgerichts in seinem Urteil vom 1. April 2009 gebunden, die der Entscheidung über die Disziplinarklage ungeprüft zugrunde zu legen sind. Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG sind im Disziplinarverfahren die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, für das Gericht bindend. Das Gericht hat jedoch die erneute Prüfung solcher Feststellungen zu beschließen, die offenkundig unrichtig sind (Satz 2). Die gesetzliche Bindungswirkung erfasst bei rechtskräftigen Strafurteilen diejenigen Feststellungen, die zu den Tatbestandsmerkmalen der jeweiligen Strafnorm gehören, die Grundlage der Verurteilung ist, nicht aber auch diejenigen Feststellungen, die für die Frage der verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB oder sonst für den Strafausspruch oder das Strafmaß Bedeutung haben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. März 2012 - 2 B 120.11 - juris Rn. 13). Sie dient der Rechtssicherheit und soll verhindern, dass zu ein und demselben Geschehensablauf unterschiedliche Tatsachenfeststellungen getroffen werden. Der Gesetzgeber hat die Aufklärung eines sowohl strafrechtlich als auch disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalts sowie die Sachverhalts- und Beweiswürdigung den Strafgerichten übertragen. Daher sind die Verwaltungsgerichte nur dann berechtigt und verpflichtet, sich von den Tatsachenfeststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils zu lösen und den disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalt eigenverantwortlich zu ermitteln, wenn sie ansonsten „sehenden Auges“ auf der Grundlage eines unrichtigen oder aus rechtsstaatlichen Gründen unverwertbaren Sachverhalts entscheiden müssten. Dies ist etwa der Fall, wenn die Feststellungen des Strafurteils in Widerspruch zu Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen stehen oder aus sonstigen Gründen offenbar unrichtig sind. Darüber hinaus kommt eine Lösung in Betracht, wenn neue Beweismittel vorgelegt werden, die dem Strafgericht nicht zur Verfügung standen und nach denen seine Tatsachenfeststellungen jedenfalls auf erhebliche Zweifel stoßen. Die Bindungswirkung entfällt auch bei Strafurteilen, die in einem ausschlaggebenden Punkt unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 11. Februar 2014 – 2 B 37.12 – juris Rn. 38 und vom 1. März 2013 - 2 B 78.12 - juris Rn. 6 f., jeweils m.w.N.).

Gemessen an diesen Maßstäben fehlt es an den Voraussetzungen dafür, dass die Bindungswirkung des Strafurteils entfallen könnte. Der Beklagte räumt die ihm vorgeworfenen Handlungen auch im Berufungsverfahren ausdrücklich ein und wendet sich allein gegen die Maßnahmebemessung. Der Umstand, dass das strafgerichtliche Urteil gemäß § 267 Abs. 4 StPO in abgekürzter Form begründet ist, ändert an seiner bindenden Wirkung nichts; auch abgekürzt abgefasste Urteile nehmen an der Bindungswirkung aus § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG teil (vgl. Urban/Wittkowski, BDG, 1. Aufl. 2011, § 57 Rn. 3; zu § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO: BVerwG, Urteil vom 27. März 2012 – 2 WD 16.11 – juris Rn. 20).

Nach dem festgestellten Sachverhalt hat sich der Beklagte eines – einheitlichen – innerdienstlichen Dienstvergehens nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG a.F. schuldig gemacht. Durch die von ihm in 33 Fällen mit dem Zugriff auf ihm dienstlich anvertrautes Bargeld verübte veruntreuende Unterschlagung (§ 246 Abs. 2 StGB) hat er seine Pflichten zu uneigennütziger Amtsführung und zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten im Dienst (§ 54 Satz 2 und 3 BBG a.F.) verletzt. Außerdem hat der Beklagte gegen die Befolgungspflicht (§ 55 Satz 2 BBG a.F.) verstoßen, denn er war aufgrund dienstlicher Anordnungen verpflichtet, eingenommene Nachnahmebeträge einschließlich des Nachnahmeentgelts noch am Tag der Zustellung an die Deutsche Post AG abzuführen und mit der Postkasse über sein Zustellblatt abzurechnen.

Durch die Neufassung des Rechts der Bundesbeamten im Jahr 2009 hat sich an der disziplinarrechtlichen Beurteilung der Sach- und Rechtslage nichts geändert. Für die Frage, ob ein Beamter seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat, ist die Sach- und Rechtslage zur Tatzeit maßgebend, soweit nicht im Hinblick auf den Rechtsgedanken des § 2 Abs. 3 StGB für den Beamten materiell-rechtlich günstigeres neues Recht gilt. Letzteres ist hier nicht der Fall. Mit Ausnahme der redaktionellen Anpassung an die geschlechtergerechte Sprache stimmen § 61 Abs. 1 Satz 2 und 3, § 62 Abs. 1 Satz 2 und § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG in der jetzt geltenden Fassung mit den genannten Vorgängerregelungen im Wesentlichen überein. Umfang und Inhalt der Dienstpflichten des Beamten und damit auch die Frage ihrer Verletzung zur Tatzeit bestimmen sich daher allein nach § 54 Satz 2 und 3, § 55 Satz 2 BBG a.F. i.V.m. § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG a.F. (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. August 2009 – 1 D 1.08 – juris Rn. 33).

Der Beklagte handelte auch schuldhaft, und zwar vorsätzlich. Auch insoweit sind die Feststellungen des Strafgerichts bindend. Aus der Tatsache, dass das Strafgericht den Beklagten wegen Unterschlagung verurteilt hat, ist zwingend auf die Feststellung strafrechtlicher Verantwortung des Beamten und dessen Vorsatz zu schließen, weil anderenfalls eine Verurteilung zu einer Strafe nicht zulässig gewesen wäre (vgl. §§ 15, 20 StGB). Auch gegen die Befolgungspflicht (§ 55 Satz 2 BBG a.F.) hat der Beklagte vorsätzlich verstoßen, denn als erfahrener Postzusteller waren ihm die dienstlichen Anordnungen seines Dienstherrn zum Umgang mit eingenommenen Nachnahmebeträgen bekannt.

4. Das Dienstvergehen erfordert unter Berücksichtigung aller belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 BDG).

Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall angemessen ist, richtet sich nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit (§ 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG). Als maßgebendes Bemessungskriterium ist die Schwere des Dienstvergehens richtungsweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies bedeutet, dass das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des § 5 BDG aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zuzuordnen ist. Dabei können die von der Rechtsprechung für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 – 2 C 62.11 – juris Rn. 39).

Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte, insbesondere nach der Höhe des entstandenen Schadens. Das Bemessungskriterium „Persönlichkeitsbild des Beamten“ gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 BDG erfasst dessen persönliche Verhältnisse und sein sonstiges dienstliches Verhalten vor, bei und nach der Tatbegehung. Es erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte Dienstvergehen mit dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten übereinstimmt oder etwa als persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder einer psychischen Ausnahmesituation davon abweicht. Das weitere Bemessungskriterium „Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit“ gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 BDG erfordert eine Würdigung des Fehlverhaltens des Beamten im Hinblick auf seinen allgemeinen Status, seinen Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und seine konkret ausgeübte Funktion. Aus § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG folgt die Verpflichtung der Verwaltungsgerichte, über die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums zu gewährleisten (vgl. im Einzelnen BVerwG, Urteil vom 25. März 2010 - 2 C 83.08 - juris Rn. 10 ff., Urteil vom 20. Oktober 2005 – 2 C 12.04 – juris Rn. 21 f.).

Die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis setzt voraus, dass der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat (§ 13 Abs. 2 Satz 1 BDG). Ein endgültiger Verlust des Vertrauens ist anzunehmen, wenn aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. März 2012 - 2 A 11.10 - juris Rn. 74).

Bei einer Gesamtwürdigung in Anwendung dieser Grundsätze ist der Beklagte aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Bei Zugriffsdelikten, d.h. der Veruntreuung dienstlich anvertrauter Gelder oder Güter, ist aufgrund der Schwere dieser Dienstvergehen die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis grundsätzlich Richtschnur für die Maßnahmebemessung, wenn die veruntreuten Beträge oder Werte insgesamt – wie hier – die Schwelle der Geringfügigkeit deutlich übersteigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. August 2014 – 2 B 101.13 – juris Rn. 15). Ein Beamter, der ihm dienstlich anvertrautes oder zugängliches Geld seinem Dienstherrn auch nur vorübergehend vorenthält, um es für eigene Zwecke zu verwenden, zerstört das Vertrauensverhältnis zu seinem Dienstherrn und das für ein ordnungsgemäßes Funktionieren des öffentlichen Dienstes unabdingbare Vertrauen der Allgemeinheit in seine Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit so nachhaltig, dass er grundsätzlich nicht im Dienst bleiben kann. Der Dienstherr ist auf die Redlichkeit und Uneigennützigkeit seiner Beamten beim Umgang mit dienstlichen Geldern in hohem Maße angewiesen, weil eine lückenlose Kontrolle eines jeden Beamten nicht möglich ist. Vor diesem Hintergrund wiegt der Zugriff des Beamten auf mehr als geringwertige Gelder oder Güter grundsätzlich so schwer, dass die Verwirklichung des Zugriffsdelikts die Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis indiziert (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Mai 2007 - 2 C 9.06 – juris Rn. 21).

Diese Indizwirkung entfällt jedoch, wenn sich im Einzelfall aufgrund des Persönlichkeitsbildes des Beamten Entlastungsgründe von solchem Gewicht ergeben, dass die prognostische Gesamtwürdigung den Schluss rechtfertigt, der Beamte habe das Vertrauensverhältnis noch nicht vollends zerstört. Als durchgreifende Entlastungsgründe kommen vor allem die Milderungsgründe in Betracht, die in der Rechtsprechung des Disziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts zu den Zugriffsdelikten entwickelt worden sind. Diese Milderungsgründe erfassen typisierend Beweggründe oder Verhaltensweisen des Beamten, die regelmäßig Anlass für eine noch positive Persönlichkeitsprognose geben (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013 – 2 C 63.11 – juris Rn. 24). Unter Geltung der Bemessungsvorgaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG ist es jedoch nicht mehr möglich, diese Milderungsgründe als abschließenden Kanon der bei Zugriffsdelikten allein beachtlichen Entlastungsgründe anzusehen (vgl. Urteil vom 20. Oktober 2005 a.a.O., Rn. 29). Vielmehr gelten auch hier die dargestellten Anforderungen an die prognostische Gesamtwürdigung. Demnach dürfen entlastende Gesichtspunkte nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil sie für das Vorliegen eines solchen Milderungsgrundes ohne Bedeutung sind oder nicht ausreichen, um dessen Voraussetzungen - im Zusammenwirken mit anderen Umständen - zu erfüllen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013, a.a.O., juris Rn. 25).

Hiervon ausgehend führen vorliegend weder die bei Zugriffsdelikten vorrangig in den Blick zu nehmenden sog. „anerkannten“ Milderungsgründe noch sonstige mildernde Umstände zu einer anderen Bewertung der durch den Beklagten verübten Dienstpflichtverletzung.

Für das Vorliegen einer einmaligen, persönlichkeitsfremden Gelegenheitstat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2013 – 2 B 35.13 – juris Rn. 6) oder einer so genannten negativen Lebensphase während des Tatzeitraums (BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 – 2 C 3.12 – juris Rn. 40 f.) bestehen ebenso wenig Anhaltspunkte wie für das Vorliegen einer erheblichen Minderung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Beklagten im Tatzeitraum gemäß §§ 20, 21 StGB.

Der Beklagte befand sich im Zeitraum von Oktober 2006 bis Juni 2008 auch nicht in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage. Dieser Milderungsgrund setzt hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür voraus, dass der Beamte in einer unverschuldeten ausweglosen finanziellen Notlage zur Abwendung der für ihn existentiell spürbaren Folgen zeitlich sowie zahlenmäßig begrenzt ein Zugriffsdelikt begangen hat, weil er keinen anderen Ausweg als den Zugriff auf ihm dienstlich anvertraute Gelder zur Milderung oder Abwendung einer existenzbedrohenden Notlage gesehen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juni 2007 – 1 D 2.06 – juris Rn. 28). Dies war hier nicht der Fall. Zum einen liegt nichts dafür vor, dass der Beklagte sich im Tatzeitraum in einer existenzbedrohenden finanziellen Notlage befand. Nach den Einlassungen des Beklagten in der mündlichen Verhandlung ist er bei Rückzahlung der ihm ausgezahlten Kreditsumme in Höhe von 50.000 Euro, die er nicht für die ursprünglich geplante Verbesserung seiner Eigentumswohnung verwenden konnte, letztlich ohne Not in Schwierigkeiten geraten. Außerdem liegt auch mit den 33 Zugriffshandlungen über einen Zeitraum von 20 Monaten kein zeitlich und zahlenmäßig begrenztes Zugriffsdelikt vor. Die im Tatzeitraum vorhandenen finanziellen Probleme des Beklagten begründen auch keinen sonstigen mildernd zu Gunsten des Beklagten zu berücksichtigenden Umstand. Die Ausführungen des Beklagten in der mündlichen Verhandlung zu den Gründen für die von ihm begangenen Zugriffsdelikte enthalten nichts, was sein Persönlichkeitsbild in einem günstigeren Licht erscheinen ließe. Soweit der Beklagte ausführte, dass er über „die Post“ verärgert gewesen sei, weil sie damals die sozialen Dienste gestrichen und nicht mehr wie zuvor Kredite an Beschäftigte zu günstigen Zinssätzen vergeben habe, ist dieses Vorbringen nicht geeignet, um sein Verhalten auch nur ansatzweise zu rechtfertigen. Die Gründe dafür, dass der Beklagte Schwierigkeiten bekam, die monatlichen Raten in Höhe von 467 Euro zu bedienen, liegen in seinem Verantwortungsbereich: Er hatte sich dafür entschieden, für die Aufwertung seiner Eigentumswohnung einen gemessen an seinem Einkommen sehr hohen Kredit zu ungünstigen Konditionen aufzunehmen, sein Kreditinstitut räumte ihm keine Möglichkeit der „Rückgabe“ des Kredits trotz Scheiterns des Bauvorhabens ein, und außerdem entschied er sich dafür, einen Teil der erhaltenen Kreditsumme für andere Dinge auszugeben, anstatt sie für die Rückzahlung des Kredits zu verwenden. Abgesehen davon, dass die Schilderungen des Beklagten in der mündlichen Verhandlung keine Erklärung dafür enthalten, warum es ihm nicht möglich gewesen sein sollte, mit dem nicht für andere Dinge ausgegebenen Teil der Kreditsumme in Höhe von 25.000 Euro die monatlichen Raten wenigstens für einen gewissen Zeitraum zu begleichen, ist auch eine Mitverantwortung der Post an den finanziellen Schwierigkeiten des Beklagten, die seine Verärgerung nachvollziehbar erscheinen ließe, nicht erkennbar.

Die Voraussetzungen des Milderungsgrundes der tätigen Reue, wie sie durch die Offenbarung des Fehlverhaltens oder die freiwillige Wiedergutmachung des Schadens jeweils noch vor der drohenden Entdeckung zum Ausdruck kommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013 – 2 C 63.11 – juris Rn. 26), liegen ebenfalls nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann dieser Milderungsgrund einem bisher unbescholtenen Beamten zugutekommen, der nach dem Zugriff auf amtlich anvertrautes Geld vor Entdeckung der Tat sein Fehlverhalten freiwillig offenbart bzw. den angerichteten Schaden aufgrund eigenen Antriebs ohne Furcht vor Entdeckung wiedergutgemacht hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Februar 2001 - 1 D 69.99 – juris Rn. 10). Der Beklagte hat jedoch vor der Entdeckung seines Fehlverhaltens weder die Tat freiwillig offenbart noch den Schaden vor Entdeckung wiedergutgemacht. Er hat auch im Disziplinarverfahren keine zur Aufklärung beitragenden Angaben zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen gemacht. Erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Oranienburg, bei der zahlreiche Zeugen vernommen wurden, räumte er die meisten der ihm vorgeworfenen Tathandlungen ein. Damit ist weder der Milderungsgrund der tätigen Reue erfüllt noch liegen sonstige Umstände unterhalb der Schwelle des anerkannten Milderungsgrundes vor, die zu Gunsten des Beklagten zu berücksichtigen wären. Denn das Verhalten des Beklagten lässt kein günstigeres Persönlichkeitsbild erkennen, als es in den Zugriffsdelikten zum Ausdruck gekommen ist. Das späte Geständnis unter dem Druck der Ermittlungsergebnisse und der Anwesenheit zahlreicher Zeugen in der Hauptverhandlung hat nicht die Qualität einer freiwilligen Offenbarung, die erkennen ließe, dass der Beklagte sein Fehlverhalten bereut und aus innerer Einsicht entschlossen ist, sich künftig rechtstreu zu verhalten. Er hat auch nicht die Aufklärung des Dienstvergehens vereinfacht.

Dass der Beklagte bis zum Jahr 2006 und damit über 19 Jahre lang straf- und disziplinarrechtlich nicht in Erscheinung getreten war und bislang als durchschnittlich bewertete Leistungen erbracht hat, fällt angesichts der Schwere der Verfehlung nicht ausschlaggebend ins Gewicht. Jeder Beamte ist verpflichtet, bestmögliche Leistungen bei vollem Einsatz seiner Arbeitskraft zu erbringen und sich innerhalb und außerhalb des Dienstes achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten sowie dienstliche Anordnungen zu befolgen. Deshalb ist die langjährige pflichtgemäße Dienstausübung selbst bei überdurchschnittlichen Leistungen für sich genommen regelmäßig nicht geeignet, gravierende Pflichtenverstöße in einem milderen Licht erscheinen zu lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 C 3.12 - juris Rn. 43).

Als mildernder Umstand ist zu Gunsten des Beklagten allerdings zu berücksichtigen, dass die Klägerin das Disziplinarverfahren nicht bereits im Dezember 2007 einleitete, sondern erst im Januar 2009 und damit gegen die Einleitungspflicht des § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG verstoßen hat (s.o. unter 1 a). Dies kann dem Beamten als mildernder Umstand zugutekommen, wenn die verzögerte Einleitung für weiteres Fehlverhalten ursächlich war (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. November 2008 – 2 B 63.08 – juris Rn. 16, Urteil vom 29. Juli 2010 – 2 A 4.09 – juris Rn. 103). Von Letzterem ist hier auszugehen, da durchaus möglich ist, dass der Beklagte die von ihm nach Dezember 2007 begangenen Zugriffshandlungen nicht begangen hätte, wenn das Disziplinarverfahren rechtzeitig eingeleitet worden wäre.

Unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände fällt die prognostische Gesamtwürdigung für den Beklagten negativ aus. Das Gewicht der Entlastungsgründe genügt angesichts der Schwere des konkreten Zugriffsdelikts nicht, um von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen. Die Schwere des Dienstvergehens wird begründet durch die – bis heute nicht ausgeglichene – hohe Schadenssumme von ca. 7.500 Euro, der großen Anzahl der sich über einen Zeitraum von 20 Monaten erstreckenden 33 Zugriffshandlungen sowie dadurch, dass der Beklagte durch den Zugriff auf die dienstlich anvertrauten Gelder seines Dienstherrn nicht lediglich beamtenrechtliche Nebenpflichten verletzt, sondern im Kernbereich der ihm obliegenden Dienstpflichten versagt hat. Es gehört zu den Kernpflichten eines Postbeamten als Briefzusteller, dass dieser ihm dienstlich anvertraute Nachnahmegelder und -entgelte ordnungsgemäß verwaltet und abrechnet. Der Dienstherr - und hier auch die Post - sind auf die absolute Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit eines solchen Beamten beim Umgang mit dienstlich anvertrauten Geldern angewiesen. Schon aus Gründen einer sparsamen Verwaltung der Haushaltsmittel ist eine ständige und lückenlose Kontrolle eines jeden Mitarbeiters unmöglich und muss deshalb weitgehend durch Vertrauen ersetzt werden, was für jeden Beamten leicht einsichtig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 2005 – 2 C 12.04 – juris Rn. 27). Es liegen keine Umstände vor, die geeignet wären, die Schwere des Zugriffsdelikts erheblich herabzusetzen, oder die sonst die Prognose rechtfertigen könnten, das erforderliche Vertrauen sei wiederherstellbar. Die zu Gunsten des Beklagten zu berücksichtigende verspätete Einleitung des Disziplinarverfahrens fällt nicht erheblich ins Gesicht. Denn es liegt schon nichts dafür vor, dass es nach dem Zeitpunkt, zu dem das Disziplinarverfahren nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG hätte eingeleitet werden müssen, nur deshalb zu weiteren Dienstpflichtverletzungen kam, weil der Beklagte über die disziplinare Relevanz seines Verhaltens im Unklaren gelassen worden wäre (vgl. zu diesem Aspekt für die Annahme eines Milderungsgrundes: BVerwG, Beschluss vom 18. November 2008, a.a.O., Rn. 30 f.). Dem Beklagten musste es als erfahrenem Postbeamten auch ohne die Notwendigkeit einer disziplinaren Pflichtenmahnung klar gewesen sein, dass das Einbehalten von Nachnahmebeträgen eine gravierende Verfehlung darstellte, die nicht nur disziplinarrechtlich, sondern auch strafrechtlich geahndet werden würde. Im Übrigen wäre die disziplinare Höchstmaßnahme selbst dann gerechtfertigt, wenn man die Zugriffshandlungen außer Betracht lassen würde, die der Beklagte nach dem Zeitpunkt begangen hat, zu dem die Kläger das Disziplinarverfahren hätte einleiten müssen (Dezember 2007). Auch dies spricht dafür, dass die verspätete Einleitung nicht dazu geeignet ist, die Schwere des Dienstvergehens erheblich herabzusetzen.

Aus diesen Gründen lässt sich der Verbleib des Beklagten im Beamtenverhältnis auch nicht auf der Grundlage des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK mit einer unangemessen langen Verfahrensdauer rechtfertigen. Ein von dem Beamten zerstörtes Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf und damit auch nicht durch eine verzögerte disziplinarrechtliche Sanktionierung wegen schwerwiegender Pflichtverstöße wiederhergestellt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013 - 2 C 63.11 - juris Rn. 35 ff.).

Der Verhängung der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme steht auch nicht entgegen, dass der Beklagte in dem sachgleichen Strafverfahren zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Das in Art. 103 Abs. 3 GG verankerte Verbot der Doppelbestrafung gilt wegen der unterschiedlichen Zielrichtung der Maßnahmen nicht im Verhältnis von Disziplinarrecht und Strafrecht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. März 2014 – OVG 81 D 1.12 – Rn. 53). Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Verfassungsbestimmung, denn Disziplinargesetze sind nicht als „allgemeine Strafgesetze“ im Sinne des Art. 103 Abs. 3 GG anzusehen. Auch das Maßnahmeverbot des § 14 Abs. 1 BDG erstreckt sich ausdrücklich nicht auf die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme. Weil sich das Strafrecht und das Disziplinarrecht nach Rechtsgrund und Zweckbestimmung grundsätzlich unterscheiden, ist auch die Höhe der Kriminalstrafe für die Gewichtung des Dienstvergehens grundsätzlich nicht von ausschlaggebender Bedeutung, so dass die Höhe der Freiheitsstrafe auch nicht – wie der Beklagte geltend macht – als „Milderungsgrund“ berücksichtigt werden musste.

Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Hat ein Beamter wie hier durch ihm vorwerfbares Verhalten die Vertrauensgrundlage und damit die wesentliche Voraussetzung für den Fortbestand des Beamtenverhältnisses zerstört, dann ist seine Entfernung aus dem Dienst bzw. die Aberkennung seiner Ruhestandsbezüge die einzige Möglichkeit, das durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Beamtenverhältnis einseitig zu beenden. Die darin liegende Härte für den Betroffenen beruht allein auf einem dem Beklagten zurechenbaren Fehlverhalten ist nicht unverhältnismäßig (vgl. zur Aberkennung des Ruhegehalts: BVerwG, Urteil vom 8. März 2005 – 1 D 15.04 – juris Rn. 49, nachfolgend: BVerfG, Beschluss vom 9. August 2006 – 2 BvR 1003/05 – juris). Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Alters des Beklagten, seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen und der darauf beruhenden Schwierigkeiten des Beklagten, auf dem Arbeitsmarkt noch einmal Fuß zu fassen.

III.

Der Senat sieht keine Veranlassung, von der gesetzlichen Regelung für den Unterhaltsbeitrag (§ 10 Abs. 3 Satz 1 BDG) abzuweichen. Der Beklagte hat auch keine Gründe nach § 10 Abs. 3 Satz 3 BDG für eine Verlängerung des Unterhaltsbeitrages geltend gemacht.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 BDG, § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 3 BDG in Verbindung mit § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 69 BDG in Verbindung mit § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.