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Entscheidung 10 Ta 2295/14


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 10. Kammer Entscheidungsdatum 27.01.2015
Aktenzeichen 10 Ta 2295/14 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 148 ZPO, § 98 Abs 6 ArbGG, VTV

Leitsatz

Eine Aussetzung nach § 98 Abs. 6 ArbGG kommt nur bei ernsthaften Zweifeln an der Wirksamkeit der AVE in Betracht. Zuvor ist der Rechtsstreit vollständig auszuermitteln.

Tenor

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. November 2014 - 62 Ca 61321/11 - wird aufgehoben.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

In diesem Verfahren stritten die Parteien über die Beiträge zum Sozialkassenverfahren zunächst für die Monate Dezember 2010 und Januar 2011 in Höhe von insgesamt 2.214,-- EUR für drei gewerbliche Arbeitnehmer. Nach Klagerücknahme hinsichtlich des Monats Januar 2011 im Termin am 27.6.2013 und Klageerweiterung um die Beiträge für den Zeitraum Januar 2010 bis November 2010 mit Schriftsatz vom 11.4.2014 (Bl. 501-504 d.A.) bezieht sich der Streitzeitraum nun auf die Zeit vom 1.1.2010 bis 31.12.2010. Insgesamt begehrt der Kläger vom Beklagten in diesem Verfahren 11.956,33 EUR.

Das Verfahren wurde durch einen Mahnbescheid vom 6.6.2011 (Bl. 2 d.A.) eingeleitet. Dieser wurde dem Beklagten am 11.6.2011 zugestellt. Nach am 30.6.2011 bei Gericht eingegangenem Widerspruch begründete der Kläger den Anspruch unter Bezugnahme auf den Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 18.12.2009 in der „jeweils gültigen für allgemeinverbindlich erklärten Fassung“. Hinsichtlich der Anspruchshöhe verwies der Kläger im Schriftsatz vom 8.7.2011 (Bl. 7-10 d.A.) darauf, dass der durchschnittliche Bruttomonatslohn in der Baubranche für 2010 und 2011 noch nicht bekannt sei. Deshalb wurde der sich aus dem vom Statistischen Bundesamt mit 2.226,50 EUR bestimmte durchschnittlichen Bruttomonatslohn des Jahres 2009 mit dem Beitragssatz von 16,6% ab dem 1.1.2009 in Höhe von 369,60 EUR abgerundet mit 369,00 EUR monatlich je gewerblichem Arbeitnehmer angenommen.

Mit Schriftsatz vom 15.9.2011 (Bl. 31-46 d.A.) teilte der Beklagte unter Bezugnahme auf entsprechenden Schriftverkehr mit der Soka-Bau mit, dass er in 2010 den Mindestlohn von 9,50 EUR gezahlt habe. Im Dezember 2010 habe er bis Mitte des Monats nur noch zwei Arbeitnehmer beschäftigt, danach bis zum 31.12.2010 nur noch einen und ab dem 1.1.2011 keinen mehr. Zum 31.1.2011 habe er das Baugewerbe abgemeldet und sich, wie zuvor schon teilweise, nur noch im Liegenschaftsmanagement (Immobilienhandel, Planung, Bürotätigkeit) betätigt.

Im Termin vor dem Arbeitsgericht am 9.1.2012 nahm der Kläger die Klage in Höhe von 1.107,-- EUR zurück (Bl. 76 d.A.). Es erging im Übrigen ein Versäumnisurteil in Höhe der weiteren 1.107,-- EUR gegen den Beklagten (Bl. 77-78 d.A.). Gegen dieses ihm am 17.1.2012 zugestellte Urteil legte der Beklagte am 23.1.2012 Einspruch ein (Bl. 83-86 d.A.). Auf entsprechende Nachfrage des Beklagten teilte das Arbeitsgericht unter dem 9.2.2012 mit, dass es in diesem Verfahren um die Mindestbeitragsforderungen für drei gewerbliche Arbeitnehmer im Dezember 2010 und Januar 2011 gehe.

Mit Schriftsatz vom 17.4.2012 (Bl. 110-123 d.A.) teilte der Beklagte mit, dass er ab September 2010 nur den Mindestlohn von 9,50 EUR gezahlt habe. Ausweislich der Anlage 9a zu diesem Schriftsatz seien im Streitzeitraum nur die Arbeitnehmer Andreas K. bis zum 20.12.2010 und der Arbeitnehmer M. G. bis 31.12.2010 bei einer 38-Std.-Woche mit 9,50 EUR Stundenlohn beschäftigt gewesen. Herr K. habe das Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung zum 20.12.2010 beendet (Bl. 119 d.A.), Herr G. sei zum 31.12.2010 gekündigt worden (Bl. 120 d.A.). Ausweislich der dort als Anlage 5c beigefügten Aufstellung seien Herr K. im Dezember 2010 13 Wochentage und Herr G. 23 Wochentage beschäftigt gewesen. Der Bruttolohn bis zum 20.12.2010 habe 1.083,00 EUR betragen, der bis zum 31.12.2010 sodann 1.444,00 EUR. Bei einem Beitragssatz von 16,6% ergebe das eine Beitragspflicht in Höhe von 419,48 EUR.

Mit Schriftsatz vom 1.6.2012 nahm der Kläger die Klage in Höhe von weiteren 553,50 EUR zurück und verlangte nur noch 553,50 EUR für 1,5 gewerbliche Arbeitnehmer im Monat Dezember 2010 (Bl. 143 d.A.) auf der Basis der durchschnittlichen Bruttomonatslöhne des Jahres 2009 entsprechend den Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes. Hinsichtlich der Lohnhöhe habe der Kläger zwar Behauptungen aufgestellt, aber keine nachprüfbaren Unterlagen vorgelegt.

Nach Übernahme einer anwaltlichen Vertretung des Beklagten beantragte dieser mit Schriftsatz vom 6.8.2012 (Bl. 152-354 d.A.) eine Aussetzung des Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens C-317/11 vor dem Gerichtshof der Europäischen Union. Weiter begehrte der Beklagte die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 97 Abs. 5 ArbGG zumindest mangels teilweiser Tarifzuständigkeit der Tarifvertragsparteien des VTV für die vom VTV erfassten Betriebe. Der Klage fehle auch eine materielle Anspruchsgrundlage, denn der VTV sei nicht wirksam für allgemeinverbindlich erklärt worden. Nachdem das Arbeitsgericht unter dem 16.11.2012 (Bl. 380 d.A.) mitgeteilt hatte, dass der EuGH am 22.10.2012 beschlossen habe die Sache C-317/11 aus dem Register zu streichen, nahm der Beklagte das diesbezügliche Aussetzungsersuchen zurück (Bl. 381 d.A.). Mit Schriftsatz vom 28.2.2013 (Bl. 390 d.A.) teilte der Beklagte mit, dass die gestellten Aussetzungsanträge nicht aufrechterhalten würden. Im Termin vom 27.6.2013 wurde vom Kläger die Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils in Höhe von 553,50 EUR beantragt und im Übrigen die Klage zurückgenommen. Das Gericht entschied nicht in der Sache, sondern gab dem Beklagten auf, die Arbeitsstunden der gewerblichen Arbeitnehmer im Dezember 2010 unter Beweisantritt anzugeben. Dem Kläger wurde aufgegeben, auf diesen zu erwartenden Vortrag unter Beweisantritt zu erwidern (Bl. 480-481 d.A.).

Mit einer unter dem 28.8.2013 übersandten Aufstellung (Bl. 486-487 d.A.) teilte der Beklagte mit, dass im Dezember 2010 der Arbeitnehmer K. „0 + auf Abruf + 14 Urlaubstage (Abgeltung)“ und der Arbeitnehmer G. „0 + auf Abruf + 7 Urlaubstage“ tätig gewesen seien. Darüber hinaus waren in dieser Aufstellung auch die von Januar 2010 bis November 2010 beschäftigten Arbeitnehmer aufgeführt. Die dazugehörigen Bruttolohnsummen würden kurzfristig noch nachgeliefert werden können, was jedoch nicht erfolgte. In einer zweiten Tabelle listete der Beklagte die monatsbezogenen Stunden des Arbeitnehmers J. S. für die Monate Januar bis März 2010 auf und wies darauf hin, dass Herr S. im Bereich Immobilien - ohne Anrechnung Baugewerbe - tätig gewesen sei.

Nachdem ein in einem anderen Rechtsstreit der Parteien angeregter Betriebsbesuch durch den Kläger zur Berechnung der seit dem 1.7.2013 zulässigen Saldierung von Ansprüchen des Klägers gegen den Beklagten mit Ansprüchen des Beklagten gegen den Kläger nicht zustande kam, erweiterte der Kläger die Klage unter dem 11.4.2014 um 11.402,83 EUR um die Beiträge für die in einer Auflistung genannten Arbeitnehmer mit den konkreten Bruttolöhnen (Bl. 501-504 d.A.). Dabei berief er sich hinsichtlich der berücksichtigten Stunden auf eine Mitteilung des Hauptzollamtes E. Hinsichtlich der konkreten Beitragshöhe sei der Mindestlohn zugrunde gelegt worden. Dabei waren die jeweils genannten Personen identisch mit der Aufstellung des Klägers. Die geleisteten Stunden wichen jedoch teilweise von der Aufstellung des Klägers ab. Auch wurde in den Monaten Januar bis März 2010 der Arbeitnehmer S. berücksichtigt. Schließlich wurden für den Arbeitnehmer F. S. in den Monaten Juni, Juli und August 2010 mit 10,64 EUR, 10,86 EUR und 10,89 EUR höhere Stundenlöhne angesetzt als der Mindestlohn vorsieht.

Im Termin am 27.6.2013 beschloss die Kammer zugleich, die Akten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Allgemeinverbindlicherklärung vom 25.6.2010 beizuziehen, wobei die Akten auch von der Kammer 15 des ArbG Berlin im Verfahren 15 Ca 60291/12 beigezogen worden waren. Unter dem 23.6.2014 teilte die Kammer mit, dass nach Einsicht der Unterlagen die Bedenken der Kammer 15 geteilt würden und beabsichtigt sei, die von der Kammer 15 und von der Kammer 3 des LAG Berlin-Brandenburg im Verfahren 3 Sa 1197/13 verlangten Auskünfte zur AVE vom 25.6.2010 (gültig ab 1.1.2010) ebenfalls einzuholen (Bl. 508 d.A.).

Nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 24.7.2014 (Bl. 518-594 d.A.) mitgeteilt hatte, dass er mit einem Abwarten des Vorliegens von Auskünften nicht einverstanden sei, terminierte das Arbeitsgericht auf den 27.11.2014 und gab dem Beklagten auf, binnen vier Wochen zu der Klageerweiterung vom 11.4.2014 Stellung zu nehmen. Nunmehr beantragte der Beklagte mit Schriftsatz vom 2.9.2014 (Bl. 605-606 d.A.) das Ruhen des Verfahrens. Dem widersprach der Kläger mit Schriftsatz vom 1.10.2014 (Bl. 617-622 d.A.). Unter dem 16.10.2014 teilte das Arbeitsgericht mit, dass nunmehr beabsichtigt sei, den Rechtsstreit gemäß § 98 Abs. 6 ArbGG bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahren 2 BVAVE 5002/14 auszusetzen, da dort die Wirksamkeit der AVE 2010 überprüft werde. Nach Zustimmung des Beklagten und Ablehnung des Klägers setzte das Arbeitsgericht den Rechtsstreit mit Beschluss vom 21.11.2014 gemäß § 98 Abs. 6 ArbGG aus (Bl. 658-663 d.A.).

In der Begründung verwies das Arbeitsgericht darauf, dass der erste Anschein für die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverbindlicherklärung spreche. Es genüge daher nicht, wenn die Prozessparteien die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der AVE pauschal bestreiten würden. Erforderlich sei vielmehr ein substantiierter Parteivortrag, der geeignet sei, erhebliche Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen nach § 5 Abs. 1 TVG aufkommen zu lassen. Eine Aussetzung nach § 98 Abs. 6 ArbGG dürfe aber auch bei Bestehen solcher Zweifeln nur dann erfolgen, wenn die Entscheidung des konkreten Rechtsstreits ausschließlich von der Frage der Wirksamkeit der Norm abhänge. Andernfalls fehle es an ihrer Entscheidungserheblichkeit.

Danach sei der vorliegende Rechtsstreit auszusetzen, weil es entscheidungserheblich auf die Wirksamkeit der AVE vom 25.06.2010, die auch für den Klagezeitraum gegolten habe, ankomme.

Unstreitig habe der Beklagte im Klagezeitraum einen Baubetrieb im Sinne des VTV unterhalten und gewerbliche Arbeitnehmer beschäftigt, für die er beitragspflichtig wäre.

Der VTV finde auf den Beklagten nur aufgrund der Allgemeinverbindlicherklärung des VTV unmittelbar und zwingend Anwendung, weil der Beklagte nicht Mitglied in einen der den VTV abgeschlossenen Arbeitgeberverbände ist. Ebenso wenig wird er von einer Einschränkung der AVE erfasst. Darüber hinaus habe der Beklagte ausreichende Tatsachen vorgetragen, die erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit der AVE vom 25.06.2010 aufkommen lassen würden. Das zeige sich schon darin, dass das Gericht die Beiziehung der Akten des BMAS zu der AVE für erforderlich gehalten habe, um deren Wirksamkeit von Amts wegen zu prüfen. Der Beklagte habe nämlich das Vorliegen der Wirksamkeitsvoraussetzungen hierzu nicht nur pauschal bestritten, sondern ausführlich unter Bezugnahme u. a. auf die ihm vorliegenden Unterlagen des BMAS vorgetragen, dass das Ministerium von den darin enthaltenen Angaben zur Beschäftigtenzahl der gewerblichen Arbeitnehmer in der Baubranche davon erheblich abweichende Zahlen zur Ermittlung des Quorums nach § 5 Abs. 1 Ziffer 1 TVG a.F. zugrunde gelegt habe.

Gegen diesen dem Kläger am 1.12.2014 zugestellten Beschluss legte dieser am 15.12.2014 sofortige Beschwerde ein (Bl. 671-674 d.A.) und beantragte die Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses. Zur Begründung führt der Kläger aus, dass drei Voraussetzungen vorliegen müssten, um einen Rechtstreit wie hier auszusetzen.

Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Wirksamkeit der maßgeblichen AVE, oder
ernsthafte gerichtsbekannte Anhaltspunkte für die Unwirksamkeit der AVE, und
Anhängigkeit eines Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 5 ArbGG mit substantiellen Angriffen gegen die Wirksamkeit der maßgeblichen AVE

Da das Arbeitsgericht keine gerichtsbekannten ernsthaften Anhaltspunkte in dem angefochtenen Beschluss benannt habe, könne es nur auf die vom Beklagten vorgetragenen konkreten Anhaltspunkte ankommen. Der Beklagte habe sich zwar kritisch mit den Inhalten der Akte des BMAS auseinandergesetzt. Die durch diesen Vortrag möglicherweise entstandenen Zweifel an der Wirksamkeit der AVE seien aber durch den unstreitig gebliebenen Vortrag des Klägers zur Erhebung der Zahl der unter den Geltungsbereich des VTV fallenden Arbeitnehmer widerlegt. Auch seien in dem angezogenen Verfahren 2 BVAVE 5002/10 keine substantiellen Angriffe auf die Wirksamkeit der AVE erfolgt.

Mit Beschluss vom 16.12.2014 (Bl. 676 d.A.) hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde unter Berufung auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses nicht abgeholfen. Die Beschwerdeschrift enthalte im Wesentlichen bereits vorgebrachte Argumente, mit denen sich die Beschwerde auseinandersetze.

Im Einverständnis mit beiden Parteien wartete das Landesarbeitsgericht vor einer Beschwerdeentscheidung die Entscheidungen in den Rechtsbeschwerdeverfahren 10 AZB 109/14 und 10 AZB 110/14 ab. Diese sind unter dem 7.1.2015 ergangen und liegen nun vor.

II.

Die sofortige Beschwerde des Klägers vom 15. Dezember 2014 ist zulässig und begründet. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, das Verfahren auszusetzen, war daher aufzuheben.

1.

Die nach § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 252 ZPO statthafte Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie wurde innerhalb der Zweiwochenfrist nach § 78 Satz 1 ArbGG i. V. m. § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO eingelegt und genügt den Anforderungen des § 569 Abs. 2 ZPO.

2.

Die Beschwerde ist auch begründet und führt zur Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses des Arbeitsgerichts vom 21. November 2014.

2.1

Mit den Beschlüssen des Bundesarbeitsgerichts vom 7.1.2015 10 AZB 109/14 und 10 AZB 110/14 hat das Bundesarbeitsgericht teilweise klarstellend und teilweise unter Wiederholung der Gründe der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 10.9.2014 - 10 AZR 959/13 – ausgeführt, mit welchem Maßstab und anhand welcher Kriterien die Aussetzung eines Rechtsstreits nach § 98 Abs. 6 ArbGG erfolgen kann.

2.1.1

Das Bundesarbeitsgericht hat ausgeführt, dass es Voraussetzung für eine Aussetzung nach § 98 Absatz 6 ArbGG sei, dass das Gericht ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit einer AVE oder Rechtsverordnung i.S.v. § 2 a Abs. 1 Nr. 5 ArbGG habe. Anders als bei einer Aussetzung wegen eines Verfahrens nach § 97 ArbGG würden vernünftige Zweifel nicht ausreichen. Denn anders als die Tariffähigkeit oder die Tarifzuständigkeit einer Gewerkschaft, die ohne eine Prüfung durch Dritte gerichtlich geltend gemacht werden könne, bestehe im Verfahren zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) für die betroffenen Kreise Gelegenheit Stellung zu nehmen. Die AVE werde in einem rechtsförmigen Verfahren entsprechend § 5 TVG und der dazu entsprechend § 11 TVG ergangenen Rechtsverordnung erfolge.

Erforderlich sei vielmehr entweder ein substantiierter Parteivortrag, der geeignet sei, ernsthafte Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen nach § 5 Abs. 1 TVG aufkommen zu lassen, oder das Vorliegen entsprechender gerichtsbekannter Tatsachen. Nur dann komme die Prüfung einer Aussetzung in Betracht. Allein der Umstand, dass durch eine Partei des anhängigen Rechtsstreits oder durch Dritte hinsichtlich einer entscheidungserheblichen AVE ein Verfahren nach § 98 ArbGG eingeleitet worden sei, könne deshalb noch nicht ausreichen, um solche ernsthaften Zweifel zu begründen und ein Verfahren auszusetzen. Die bloße Verfahrenseinleitung sage nichts über die Substanz eines entsprechenden Angriffs aus und stelle somit für sich genommen die Wirksamkeit der angegriffenen AVE noch nicht in Zweifel. Andernfalls würde alleine die Verfahrenseinleitung nach § 98 ArbGG zu einem Stillstand aller Rechtsstreite führen, in denen es auf die Wirksamkeit der angegriffenen AVE oder Rechtsverordnung ankomme. Ein solches Ergebnis wäre mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem arbeitsgerichtlichen Beschleunigungsgrundsatz § 9 Abs. 1 ArbGG) folgenden Anspruch der Parteien des Ausgangsverfahrens auf eine zeitnahe Entscheidung nicht vereinbar.

Das aussetzende Gericht müsse selbst keine weiteren Schritte zur Überprüfung der Wirksamkeit einer AVE unternehmen und etwa Einblick in die entsprechenden Unterlagen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nehmen oder Beweis erheben. Diese Überprüfung der Rechtswirksamkeit der AVE sei vielmehr nach § 98 ArbGG kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung dem dortigen Rechtsstreit vorbehalten.

Deshalb genügt es, wenn das Gericht des Hauptsacheverfahrens aufgrund Parteivortrags (z.B. der Begründung eines einschlägigen Antrags nach § 98 ArbGG) oder aufgrund offenzulegender gerichtsbekannter Tatsachen zu dem Ergebnis komme, dass ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit der AVE bestünden. Dabei habe es alle ihm bekannten Umstände, die für oder gegen die Wirksamkeit einer AVE sprächen, in seine Würdigung einzubeziehen und unter Berücksichtigung des Zwecks des Verfahrens nach § 98 ArbGG einerseits und des Beschleunigungsinteresses der Parteien andererseits zu gewichten. Bei der Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs „ernsthafte Zweifel“ bleibe dem aussetzenden Gericht ein gewisser Beurteilungsspielraum.

2.1.2

Wie bereits im Urteil vom 10. September 2013 - 10 AZR 959/13 - ausgeführt, bekräftigte das Bundesarbeitsgericht auch in den Entscheidungen vom 7.1.2015, dass eine Aussetzung nach § 98 Abs. 6 ArbGG auch bei ernsthaften Zweifeln an der Wirksamkeit einer AVE oder einer der in § 2 a Abs. 1 Nr. 5 ArbGG genannten Rechtsverordnungen nur dann erfolgen dürfe, wenn die Entscheidung des konkreten Rechtsstreits ausschließlich von der Frage der Wirksamkeit einer solchen Norm abhänge. Wenn und soweit der Rechtsstreit ohne Klärung der Wirksamkeit der AVE oder Rechtsverordnung entschieden werden könne, komme eine Aussetzung nicht in Betracht, auch weil die hierdurch eintretende Verzögerung des Rechtsstreits nicht gerechtfertigt wäre. Gegebenenfalls habe eine auf einzelne Streitgegenstände beschränkte Aussetzung zu erfolgen.

Es bedürfe daher einer vorherigen Prüfung der Schlüssigkeit und Erheblichkeit des Parteivorbringens in Bezug auf die Klageforderung und gegebenenfalls der Durchführung einer Beweisaufnahme. Die Entscheidungserheblichkeit der AVE oder entsprechenden Rechtsverordnung sei im Aussetzungsbeschluss zu begründen.

2.2

Gemessen an diesen Maßstäben kann der Aussetzungsbeschluss vom 21. November 2014 keinen Bestand haben.

Zwar hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass es sich bei dem Betrieb des Beklagten im Jahre 2010 unstreitig um einen Baubetrieb im Sinne des VTV gehandelt habe, in dem Arbeitnehmer beschäftigt worden seien, für die der Beklagte beitragspflichtig sei. Dennoch befindet sich der Rechtsstreit derzeit nicht in einem entscheidungsreifen Stadium, in dem es allein noch auf die Wirksamkeit der AVE 2010 ankäme.

Bereits in seinem Schriftsatz vom 15. September 2011 hatte der Kläger darauf hingewiesen, dass er seinen Arbeitnehmern nur den Mindestlohn von 9,25 EUR bis 31.8.2010 und 9,50 EUR ab 1.9.2010 gezahlt habe. Auf die entsprechende Auflage im Termin am 27. Juni 2013 teilte der Kläger dann noch die Arbeitsstunden der gewerblichen Arbeitnehmer im Dezember 2010 mit. Mit der Anlage zum Schriftsatz vom 28. August 2013 übersandte der Kläger zugleich die konkret in den übrigen Monaten des Jahres 2010 beschäftigten Arbeitnehmer und die von diesen geleisteten Arbeitsstunden. Auch wenn das Arbeitsgericht mit der Ladung zum 27. November 2014 dem Beklagten nochmals aufgegeben hatte, zu der Klageerweiterung des Klägers vom 11. April 2014 Stellung zu nehmen und diese nicht erfolgt ist, ist der Vortrag des Klägers sowohl bezüglich der Klageerweiterung wie auch bezüglich der restlichen Ursprungsforderung streitig.

Für die restliche Ursprungsforderung (Antrag zu 1) aus dem Schriftsatz vom 11. April 2014) hat der Kläger nach wie vor die abgerundeten Beiträge nach den vom Statistischen Bundesamt für das Jahr 2009 ermittelten Durchschnittslöhnen zugrunde gelegt. Deshalb müsste das Arbeitsgericht zumindest eine dahingehende Aussage treffen, ob für den Monat Dezember 2010 von diesen oder nur vom Mindestlohn auszugehen ist.

Auch die der Klageerweiterung zugrunde gelegten Stundenzahlen hat der Kläger nicht näher begründet. Diese weichen teilweise von denen in der Aufstellung des Beklagten ab, so dass das Arbeitsgericht ausführen müsste, von welchen Stunden letztendlich auszugehen wäre.

Auch hat der Kläger behauptet, dass für einzelne Arbeitnehmer in den Monaten Juni, Juli und August 2010 mehr als der Mindestlohn gezahlt worden sei. Dazu fehlen Anhaltspunkte in dem Aussetzungsbeschluss, ob das Arbeitsgericht mangels Erfüllung der Auflage in der Ladung zum 27. November 2014 durch den Beklagten diese Stundenlöhne als gegeben ansieht oder ob das – zum damaligen Zeitpunkt für die Monate Januar 2010 bis November 2010 nicht relevante Vorbringen, dass nur der Mindestlohn gezahlt worden sei, als erheblich angesehen worden ist.

3.

Sofern der Sachverhalt entsprechend geklärt sein sollte, müsste das Arbeitsgericht sodann wohl prüfen, ob ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit der AVE 2010 bestehen. Dazu müsste das Arbeitsgericht wohl den Vortrag des Beklagten konkret zur Kenntnis nehmen und in einem etwaigen Aussetzungsbeschluss darlegen, welche der vorgetragen Tatsachen die Ernsthaftigkeit der Zweifel begründen würden. Dabei wird das Arbeitsgericht aber wohl nicht umhin kommen, auch die Ausführungen des Klägers dagegen abzuwägen, worauf der Kläger auch schon in seiner sofortigen Beschwerde hingewiesen hatte.

4.

Gründe, die Rechtsbeschwerde nach § 78 ArbGG i. V. m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen, waren nicht gegeben.