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Rechtsgrundlage für Sanktion bei Täuschungsversuch; Gesetzesvorbehalt; hinreichende Ermächtigungsgrundlage für Erlass der Approbationsordnung für Ärzte; Regelung des Prüfungsverfahrens in Prüfungsordnung; Täuschungsversuch bei ärztlicher Prüfung; unzulässiges Hilfsmittel; Mitnahme von Spickzettel; keine Verwendung des Spickzettels; (kein) Rücktritt vom Täuschungsversuch; Ermessen; Ergänzung der Ermessenserwägungen im Klageverfahren


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat Entscheidungsdatum 07.11.2011
Aktenzeichen OVG 10 N 21.09 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 4 BÄO, § 14 Abs 5 ÄApprO, § 15 Abs 6 ÄApprO, Art 12 Abs 1 GG, Art 80 Abs 1 GG, § 114 S 2 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. Januar 2009 wird abgelehnt.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt die Klägerin.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 7.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Klägerin wendet sich dagegen, dass der Beklagte die im Juli 2007 abgelegte zweite Wiederholung der mündlich-praktischen Prüfung des Ersten Abschnitts der ärztlichen Prüfung wegen eines Täuschungsversuchs mit „nicht ausreichend“ bewertet und den Ersten Abschnitt der ärztlichen Prüfung für endgültig nicht bestanden erklärt hat. Das Verwaltungsgericht hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen. Der auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit dieses Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg; denn ihr Vorbringen, das den Prüfungsumfang des Oberverwaltungsgerichts bestimmt (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO), ist nicht geeignet, einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des angegriffenen Urteils mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage zu stellen (vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 2009 - 1 BvR 812/09 -, NJW 2010, 1062, juris).

1. Entgegen der Auffassung der Klägerin beruht der angefochtene Bescheid des Beklagten auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage. Maßgebend sind vorliegend die Vorschriften der Approbationsordnung für Ärzte vom 27. Juni 2002 (BGBl. I, S. 2405), zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Prüfung zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Februar 2007 (BGBl. I, S. 122) - ÄAppO -. Rechtsgrundlage der Entscheidung des Beklagten ist § 15 Abs. 6 i.V.m. § 14 Abs. 5 ÄAppO, wonach bei Prüflingen, die sich eines Täuschungsversuchs schuldig gemacht haben, die mündlich-praktische Prüfung mit der Note „nicht ausreichend“ bewertet werden kann. Diese Regelung begegnet im Hinblick auf den Grundsatz des Gesetzesvorbehalts keinen Bedenken.

Vorschriften, die - wie die Approbationsordnung für Ärzte - die Aufnahme eines Berufs von einer bestimmten Vor- und Ausbildung sowie dem Nachweis erworbener Fähigkeiten in Form einer Prüfung abhängig machen, greifen in die Freiheit der Berufswahl ein und müssen deshalb den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG genügen. Dies bedeutet, dass die Leistungsanforderungen in einer solchen Prüfung und die Maßstäbe, nach denen die erbrachten Leistungen zu bewerten sind, einer gesetzlichen Grundlage bedürfen und die Prüfungsschranke nach ihrer Art und Höhe nicht ungeeignet, unnötig oder unzumutbar sein darf (BVerfG, Beschluss vom 17. April 1991 - 1 BvR 419/81 u.a. -, BVerfGE 84, 34, 45). Gesetzliche Grundlage ist hier § 4 Abs. 1 der Bundesärzteordnung - BÄO -, wonach das für Gesundheit zuständige Bundesministerium durch Rechtsverordnung in einer Approbationsordnung für Ärzte u.a. das Nähere über die ärztliche Prüfung und über die Approbation regelt. Diese Regelung genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssen Gesetze, die zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigen, Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung bestimmen. Auch das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratieprinzip des Grundgesetzes verpflichten den Gesetzgeber, im Bereich der Grundrechtsausübung die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und, sofern Einzelregelungen einer Verordnung überlassen bleiben, die Tendenz und das Programm schon so weit zu umreißen, dass sich der Zweck und der mögliche Inhalt der Verordnung bestimmen lassen. Dabei genügt es, wenn sich die gesetzlichen Vorgaben mit Hilfe allgemeiner Auslegungsgrundsätze erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Vorgeschichte des Gesetzes (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. März 1989 - 1 BvR 1033/82 u.a. -, BVerfGE 80, 1, 20 f.; OVG Bln-Bbg, Urteil vom 17. Dezember 2008 - OVG 10 A 1.08 -, juris Rn. 47, jeweils m.w.N.). Die Regelung in § 4 BÄO, die im Zusammenhang mit den übrigen Vorschriften der Bundesärzteordnung zu sehen ist, stellt eine hinreichende Ermächtigung zum Erlass der Approbationsordnung für Ärzte dar (vgl. grundlegend BVerfG, Beschluss vom 14. März 1989, a.a.O., S. 21 ff.; BVerwG, Urteil vom 18. Mai 1982 - BVerwG 7 C 24.81 -, BVerwGE 65, 323, 325 f.). Dies gilt auch, soweit der Verordnungsgeber ermächtigt wird, das Nähere über die ärztliche Prüfung zu regeln.

Der Gesetzgeber hat in der Bundesärzteordnung die grundsätzliche Entscheidung getroffen, die Ausübung des Berufs eines Arztes von einer bestimmten Ausbildung sowie dem Bestehen einer Prüfung abhängig zu machen. Allerdings enthält die Bundesärzteordnung außer den Hinweisen auf die Zulässigkeit von Vorprüfungen und die Aufteilung der ärztlichen Prüfung in zeitlich getrennte Abschnitte (vgl. § 4 Abs. 3 BÄO) keine näheren Regelungen über den Prüfungsstoff, das Prüfungsverfahren und die Bestehensvoraussetzungen. Das Prüfungsrecht wird jedoch durch Grundsätze beherrscht, die sich unmittelbar aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip ergeben, so dass der Gestaltungsraum des Verordnungsgebers hinreichend begrenzt ist. Die genaueren Festlegungen des Prüfungsverfahrens innerhalb dieses Rahmens gehören nicht zu den dem Gesetzgeber vorbehaltenen Leitentscheidungen, sondern dürfen der Verordnung vorbehalten bleiben (BVerfG, Beschluss vom 14. März 1989, a.a.O., S. 21 f.; BVerwG, Urteil vom 18. Mai 1982, a.a.O. S. 326 und Beschluss vom 23. Mai 1985 - BVerwG 7 B 113.85 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 211; OVG Bln-Bbg, Urteil vom 17. Dezember 2008, a.a.O., Rn. 47), wobei der Gesetzgeber erwarten kann, dass der Verordnungsgeber bewährte Prüfungsordnungen in Betracht zieht und die allgemeinen prüfungsrechtlichen Grundsätze beachtet (BVerfG, Beschluss vom 3. November 1982 - 2 BvL 28/81 -, BVerfGE 62, 203, juris Rn. 39).

Die Regelung in § 14 Abs. 5 ÄAppO über die Sanktionierung eines Täuschungsversuchs bewegt sich innerhalb des von der Ermächtigung in § 4 BÄO vorgegebenen Rahmens. Der Grundsatz der Chancengleichheit, der das gesamte Prüfungsrecht beherrscht, gebietet es, dass für vergleichbare Prüflinge so weit wie möglich vergleichbare Prüfungsbedingungen und Bewertungskriterien gelten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. April 1991, a.a.O., S. 52). Dieser Grundsatz ist verletzt, wenn ein Prüfling sich durch eine Täuschungshandlung einen Vorteil gegenüber anderen Prüflingen verschafft (vgl. zum Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz BVerwG, Beschluss vom 7. Dezember 1976 - BVerwG VII B 157.76 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 78). Zudem wird der Zweck der Prüfung, die tatsächlichen Leistungen und Fähigkeiten des Prüflings zu bewerten, verfehlt, wenn der Prüfling die Leistung nicht selbständig oder nur unter Zuhilfenahme unzulässiger Hilfsmittel erbringt (vgl. Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rn. 228). Es entspricht daher allgemein anerkannten prüfungsrechtlichen Grundsätzen, Täuschungshandlungen eines Prüflings, zu denen auch schon der Versuch einer Täuschung gehört (Niehues/Fischer, a.a.O., Rn. 229), zu sanktionieren. Die Möglichkeit, die entsprechende Prüfungsleistung, bei der die Täuschungshandlung begangen wurde, als nicht bestanden zu bewerten, stellt dabei eine typische verfahrensrechtliche Regelung in Prüfungsordnungen dar, so dass die entsprechende Vorschrift in der Approbationsordnung für Ärzte zu den Bestimmungen gehört, die sich der Gesetzgeber bei Erlass der Ermächtigungsnorm in der Bundesärzteordnung vorgestellt hat. Es bedurfte daher keiner weitergehenden ausdrücklichen Entscheidung des Gesetzgebers über die Sanktionierung von Täuschungshandlungen. Ob dies auch dann gilt, wenn die Prüfungsordnung als Sanktion den Ausschluss von der (weiteren) Prüfung oder sogar den endgültigen Verlust des Prüfungsanspruchs vorsieht, oder ob für diesen Fall eine ausdrückliche parlamentarische Grundentscheidung in Gesetzesform erforderlich ist (so HessVGH, Urteil vom 27. September 1995 - 1 UE 3026/94 -, NVwZ-RR 1996, 654, juris Rn. 22; Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 385; a.A. Waldeyer in: Hailbronner/Geis, Hochschulrecht in Bund und Ländern, § 16 HRG Rn. 22; VG Karlsruhe, Urteil vom 17. Juni 2010 - 7 K 3246/09 -, juris Rn. 28; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 7. Dezember 1976, a.a.O.), bedarf hier keiner Entscheidung. Denn nach § 14 Abs. 5 ÄAppO droht nicht der Ausschluss von der gesamten ärztlichen Prüfung oder jedenfalls des betroffenen Abschnitts der Prüfung, sondern es wird nur die jeweilige Prüfungsleistung (schriftliche oder mündlich-praktische Prüfung) als nicht bestanden bewertet. Dass der Beklagte hier das endgültige Nichtbestehen des ersten Abschnitts der ärztlichen Prüfung festgestellt hat, ist keine Sanktion für den Täuschungsversuch, sondern beruht darauf, dass es sich bei der Einzelprüfung, in der die Täuschungshandlung stattfand, um die letzte Wiederholungsmöglichkeit handelte, so dass das Nichtbestehen dieses Prüfungsteils zugleich das Nichtbestehen der gesamten Prüfung zur Folge hatte.

Eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung in § 4 BÄO zur Regelung von Sanktionen bei Täuschungshandlungen ist hier im Übrigen auch deshalb entbehrlich, weil die Ahndung von Täuschungsversuchen im Zusammenhang mit ärztlichen Prüfungen zu dem Normenbestand gehörte, den der Gesetzgeber bei Erlass der Ermächtigungsnorm vorfand. Bezieht sich eine Ermächtigung zur Normsetzung durch eine Verordnung auf einen Sachbereich, der bereits durch eine Verordnung geregelt war, so macht der Gesetzgeber, wenn er keine anderen Grundsätze in der Ermächtigung vorschreibt, deutlich, dass die vom Verordnungsgeber zu treffende Einzelregelung sich an den bisherigen Grundsätzen orientieren soll (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1972 - 2 BvL 51/69 -, BVerfGE 34, 52, juris Rn. 34; BVerwG, Beschluss vom 7. Dezember 1976, a.a.O.). Die gesetzliche Ermächtigung zum Erlass einer Approbationsordnung für Ärzte erfolgte (erstmals) in der Bundesärzteordnung vom 2. Oktober 1961 (BGBl. I, S. 1857). Zu diesem Zeitpunkt galt die Bestallungsordnung für Ärzte vom 15. September 1953 (BGBl. I, S. 1334), so dass § 4 BÄO insoweit legitimierende Bedeutung hatte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. März 1989, a.a.O., S. 3 f.). Nach § 9 Abs. 2 der Bestallungsordnung für Ärzte konnte der Prüfling bei festgestellten Ordnungswidrigkeiten, insbesondere Täuschungsversuchen während der Prüfung, durch den Vorsitzenden des Prüfungsausschusses von der weiteren Prüfung ausgeschlossen werden, die Prüfung galt als nicht bestanden. Die Ahndung eines Täuschungsversuchs durch Bewertung der Prüfungsleistung als nicht bestanden gehört damit zu den Regelungen, die der Gesetzgeber durch den Erlass der Ermächtigungsnorm in der Bundesärzteordnung legitimiert und in seinen gesetzgeberischen Willen aufgenommen hat. Die die Bestallungsordnung ablösende Approbationsordnung für Ärzte vom 28. Oktober 1970 (BGBl. I S. 1458) enthielt in § 14 Abs. 4 und § 15 Abs. 7 Bestimmungen, die den heutigen Regelungen in § 14 Abs. 5 und § 15 Abs. 6 ÄAppO nahezu wörtlich entsprachen. In Kenntnis dieser Verordnungslage hat der Gesetzgeber sich anlässlich von Änderungen der Bundesärzteordnung, die auch Änderungen des § 4 BÄO enthielten, nicht veranlasst gesehen, seine Ermächtigungsnorm zu verändern und etwa bezüglich der Ahndung von Täuschungshandlungen zu konkretisieren, so dass davon ausgegangen werden kann, dass er die vorgefundene Verordnungslage als seinem Willen entsprechend bestätigt hat.

2. Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht den Rücktritt vom Täuschungsversuch nicht anerkannt. Zum Ablauf der Täuschungshandlung hat das Verwaltungsgericht - insoweit von den Beteiligten nicht beanstandet - festgestellt, die Klägerin habe die Aufgabe erhalten, ein Präparat zu mikroskopieren, um anschließend Fragen hierzu zu beantworten, und sich zum Mikroskopieren mit dem Rücken zum Prüfungsraum gesetzt. Nachdem sie das Präparat, bei dem es sich um einen Darmabschnitt gehandelt habe, kurz betrachtet und einige Notizen gemacht habe, habe sie aus ihrer Kitteltasche einen „Spickzettel“ gezogen, den sie für die Prüfung gefertigt habe und auf dem sich Notizen zum Thema „Darm“ befunden hätten. Diesen Zettel habe sie dann, ohne ihn zu betrachten, wieder in die Kitteltasche gesteckt. Nachdem ein Prüfer, der dies beobachtet habe, den Zettel herausverlangt habe, sei die Prüfung inhaltlich fortgesetzt worden. Das Verwaltungsgericht hat die Annahme eines „sanktionsbefreienden“ Rücktritts verneint, weil ein Rücktritt in der Prüfungsordnung nicht geregelt sei und die unterbliebene Verwendung eines „Spickzettels“ nicht den Verstoß gegen die Prüfungsordnung beseitige, der bereits in dem Mitführen eines zu Täuschungszwecken angefertigten „Spickzettels“ liege. Diese Auffassung begegnet keinen ernstlichen Zweifeln.

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, liegt das zu sanktionierende Verhalten der Klägerin darin, dass sie heimlich einen Zettel mit Notizen bei sich geführt hat, die geeignet waren, ihr in der Prüfung einen unzulässigen Vorteil gegenüber anderen Prüflingen zu verschaffen. Diese Handlung, die von der Frage einer späteren Verwendung der mitgeführten Notizen zu trennen ist, ist mit Beginn der Prüfung abgeschlossen. Der Täuschungs„versuch“, nämlich die vorsätzliche Mitnahme eines zu Täuschungszwecken generell geeigneten Spickzettels, stellt bereits eine vollendete Täuschungshandlung im Sinne des Prüfungsrechts dar (vgl. BayVGH, Beschluss vom 11. März 2008 - 7 ZB 07.612 -, juris Rn. 10 und Beschluss vom 24. Juli 2008 - 7 C 08.1618 -, juris Rn. 2; Niehues/Fischer, a.a.O., Rn. 229), so dass für einen „Rücktritt“ von vornherein kein Raum ist. Ob der Spickzettel tatsächlich verwendet wird, ist für die Einordnung seiner Mitnahme als Täuschungshandlung ohne Bedeutung. Gleiches gilt für die Frage, ob der Inhalt des Spickzettels für die Lösung der konkreten Prüfungsfrage hilfreich ist. Daher kann allein der Umstand, dass die Klägerin in einer konkreten Situation auf die Verwendung ihres Notizzettels verzichtet hat, nicht dazu führen, dass von einer Sanktionierung der vorangegangenen Täuschungshandlung ganz abgesehen wird. Ob etwas anderes gilt oder jedenfalls eine deutliche Sanktionsmilderung geboten ist, wenn ein Prüfling eine Verwendungsabsicht vollständig aufgibt, also etwa in einem Akt „tätiger Reue“ - um im strafrechtlichen Bild der Klägerin zu bleiben - den mitgeführten Spickzettel vor einer möglichen Verwendung offenbart und abgibt, bedarf keiner Entscheidung. Denn ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Klägerin mag zwar in der konkret beobachteten Situation darauf verzichtet haben, ihre Notizen zu lesen, sie hat den Zettel jedoch wieder in ihrer Tasche versteckt und sich damit die Möglichkeit erhalten, ihn zu einem späteren Zeitpunkt doch noch zu verwenden. Als endgültige und nach außen sichtbare Abkehr von dem durch das Anfertigen und die Mitnahme des Spickzettels dokumentierten Willen, das Prüfungsergebnis ggf. durch die Verwendung eines unzulässigen Hilfsmittels zu beeinflussen, kann dieses Verhalten nicht gewertet werden.

3. Soweit die Klägerin schließlich die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, die Entscheidung des Beklagten sei ermessensfehlerfrei, angreift, vermögen ihre Einwände ebenfalls nicht zu überzeugen.

Das Verwaltungsgericht hat in der Stellungnahme des Beklagten im Klageverfahren eine zulässige Ergänzung der Ermessenserwägungen gemäß § 114 Satz 2 VwGO gesehen, die Ermessensfehler nicht erkennen lasse. In dieser Stellungnahme hat der Beklagte, nachdem die Klägerin in der Klagebegründung erstmals zum Vorwurf des Täuschungsversuchs Stellung genommen und sich darauf berufen hatte, sie habe den Zettel nicht gelesen, ausgeführt, der Täuschungsversuch sei bereits mit der Mitnahme des vorbereiteten „Spickzettels“ in den Prüfungsraum vollendet und auch vom Vorsatz der Klägerin umfasst gewesen. Darauf, ob die vorbereiteten Notizen hätten verwertet werden können, komme es nicht an, so dass es auch auf den als Schutzbehauptung zu bewertenden Vortrag der Klägerin nicht ankomme. Die versuchte Täuschungshandlung stelle auch in der von der Klägerin beschriebenen Form einen schwerwiegenden Täuschungsversuch dar. Der „Spickzettel“ sei bereits vor der Prüfung ausschließlich zum Zwecke der Täuschung gefertigt, sodann mit in die Prüfung genommen und während der Prüfung auch tatsächlich hervorgeholt worden. Aufgrund der Intensität der Täuschungshandlung einschließlich der langfristigen Vorbereitung komme eine andere Rechtsfolge, als die Prüfung als „nicht ausreichend“ zu bewerten, nicht in Betracht. Es seien keine Umstände ersichtlich, die so erheblich zugunsten der Klägerin sprächen, dass die einzig denkbare andere Rechtsfolge, den Prüfungsversuch als nicht unternommen zu bewerten, gerechtfertigt werden könnte. Es sei überdies nicht nur zulässig, sondern geboten, unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung auch zu berücksichtigen, dass der gravierende Täuschungsversuch der Klägerin nicht dazu führen dürfe, dass sie durch die Täuschungshandlung gegenüber anderen Prüflingen, die die Prüfung ohne Täuschungsversuch absolviert hätten, besser gestellt werde, indem ihr ein zusätzlicher Wiederholungsversuch eingeräumt werde. Warum diese Ausführungen ermessensfehlerhaft sein sollen, hat die Klägerin nicht dargelegt.

Soweit sie meint, ihr werde zu Unrecht die Schwere ihres Täuschungsversuchs vorgehalten, diese lasse sich nicht durch die gezielte Vorbereitung des Spickzettels begründen, ist diese Auffassung unzutreffend. Das gezielte Anfertigen eines Spickzettels, der geeignet ist, dem Prüfling in der Prüfungssituation zusätzliches Wissen zu vermitteln und ihm dadurch einen nicht gerechtfertigten Vorteil gegenüber anderen Prüflingen zu verschaffen, stellt ein planvoll auf eine Täuschung ausgerichtetes und mit einem gewissen Aufwand verbundenes Verhalten dar, das zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Chancengleichheit führen kann und daher ohne weiteres als so schwerwiegend bewertet werden darf, dass es zum Nichtbestehen der entsprechenden Prüfungsleistung führt (vgl. etwa OVG NW, Beschluss vom 13. August 2010 - 14 A 1268/09 -, DVBl. 2011, 186, 3. Leitsatz, juris; OVG Rh-Pf., Beschluss vom 27. Januar 1992 - 11 A 10544/91 -, Leitsatz und Orientierungssatz in juris; Niehues/Fischer, a.a.O., Rn. 242 m.w.N.). Der Hinweis der Klägerin auf eine Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs steht dem nicht entgegen. Er bezieht sich auf eine Fundstelle bei Niehues (Prüfungsrecht, 4. Aufl. 2004, Rn. 457 Fn. 588, nunmehr Niehues/Fischer, a.a.O., Rn. 241 Fn. 216), wonach bei leichteren Verstößen in der Regel eine Verwarnung genüge. Der dabei als Beispiel genannte Fall, dass ein kaum brauchbarer Spickzettel im Prüfungsraum vor dem eigentlichen Beginn der Aufsichtsarbeit „aus dem Verkehr gezogen“ wird, ist mit dem der Klägerin schon deshalb nicht vergleichbar, weil der von ihr angefertigte Spickzettel nicht „kaum brauchbar“, sondern vielmehr generell geeignet gewesen ist, die Chancengleichheit nachhaltig zu verletzen (vgl. zur Bedeutung der generellen Eignung des mitgeführten Hilfsmittels BayVGH, Beschlüsse vom 11. März 2008 und 24. Juli 2008, jeweils a.a.O.; zur Bedeutung dieser Eignung gerade für die Ermessensentscheidung des § 14 Abs. 5 ÄAppO: OVG NW, Beschluss vom 14. Dezember 2009 - 14 E 1349/09 -, juris Rn. 6). Der in der Fundstelle genannten Entscheidung (BayVGH, Urteil vom 16. März 1988 - 3 B 87.02013 -, BayVBl. 1988, 434) - jedenfalls dem veröffentlichten Text - lässt sich die zitierte Aussage im Übrigen nicht entnehmen. Die Entscheidung bestätigt vielmehr, dass es auch im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht zu beanstanden sei, wenn (allein) der Besitz eines nicht zugelassenen Hilfsmittels nach Ausgabe der Prüfungsaufgabe zur Bewertung der Prüfungsleistung mit nicht bestanden führe, sofern der Prüfling nicht nachweisen könne, dass der Besitz weder auf Vorsatz noch auf Fahrlässigkeit beruhe (a.a.O., S. 435 unter Bezugnahme auf BayVGH, Beschluss vom 6. April 1981 - 3 B 80 A.1519 -, BayVBl. 1981, 688, 689).

Soweit die Klägerin geltend macht, die Schwere des ihr angelasteten Täuschungsversuchs werde durch den freiwilligen Rücktritt deutlich relativiert, lässt sie erneut außer Acht, dass ein „Rücktritt“ bezogen auf die ihr vorgeworfene Mitnahme des Spickzettels nicht vorliegt. Wird ein Spickzettel konkret verwendet, erhöht dies den Unrechtsgehalt der Täuschungshandlung. Unterbleibt die Verwendung, bleibt es bei dem Vorwurf der Mitnahme des unzulässigen Hilfsmittels.

Der Vorwurf der Klägerin, bei der Ermessensentscheidung seien in fehlerhafter Weise die Ebenen der fachlichen Bewertung und des Täuschungsversuchs verknüpft worden, bezieht sich ausdrücklich auf die Erwägungen im Bescheid vom 26. Oktober 2007. Darin wird ausgeführt, die Prüfungsleistung sei aufgrund des festgestellten Täuschungsversuchs mit „nicht ausreichend“ zu bewerten. Aufgrund der Tatsache, dass die Prüfungsleistung von der Prüfungskommission auch mit „nicht ausreichend“ bewertet worden sei, sei auch eine weniger einschneidende Maßnahme nicht angemessen und daher ausgeschlossen. Die Klägerin wäre andernfalls durch ihren Täuschungsversuch bessergestellt, als wenn sie die Täuschungshandlung nicht begangen hätte. Ob diese Argumentation zulässig ist oder - wie die Klägerin meint - nur die Umstände der Täuschungshandlung selbst bei der Ermessensentscheidung berücksichtigt werden dürfen, bedarf vorliegend keiner näheren Prüfung. Denn die Entscheidung des Beklagten beruht im Ergebnis nicht auf diesen Erwägungen. Der Beklagte hat in seinen ergänzenden Ausführungen im Rahmen der Klageerwiderung deutlich gemacht, dass bereits aufgrund der Intensität der Täuschungshandlung eine andere Rechtsfolge nicht in Betracht gekommen sei. Der Hinweis auf die Berücksichtigung der materiellen Prüfungsleistung stellt dabei lediglich eine Ergänzung dar („überdies“), die auch hinweggedacht werden könnte, ohne dass sich die vom Beklagten ausgesprochene Rechtsfolge - Nichtbestehen der Einzelprüfung - im Ergebnis änderte.

Der Beklagte hat durch seine Ausführungen im Klageverfahren auch nicht die Grenzen einer zulässigen Ergänzung seiner Ermessenserwägungen i.S.d. § 114 Satz 2 VwGO überschritten, insbesondere hat er nicht wesentliche Teile seiner Erwägungen ausgetauscht und durch andere ersetzt. Der Beklagte hat allerdings seinem Bescheid vom 26. Oktober 2007 einen etwas anderen Sachverhalt zugrunde gelegt, weil er aufgrund der Bemerkung im Prüfungsprotokolls, dass ein Zettel mit anatomischen Inhalt „verwendet“ worden sei, davon ausgegangen ist - was nach der allgemeinen Lebenserfahrung auch naheliegt -, dass der Spickzettel nicht nur in die Hand genommen, sondern auch gelesen worden ist. Diese (Fehl-)Vorstellung wurde dadurch gefördert, dass die Klägerin weder im Verwaltungs- noch im Widerspruchsverfahren die Gelegenheit zur Äußerung zum Vorwurf des Täuschungsversuchs genutzt und erstmals im Klageverfahren dazu vorgetragen hat. Für die Bewertung ihres Verhaltens spielt dies jedoch keine Rolle, weil der Beklagte schon in dem Bescheid ausgeführt hat, dass bereits die Mitnahme eines Zettels mit prüfungsrelevanten Informationen einen Täuschungsversuch i.S.d. § 14 Abs. 5 ÄAppO darstelle, der eine Sanktion rechtfertige. Die Klägerin habe versucht, über ihren tatsächlichen abrufbaren Wissens- und Kenntnisstand zu täuschen, indem sie sich unerlaubter Hilfsmittel während der Prüfung bedient habe bzw. habe bedienen wollen. Nach alledem sei die Prüfungsleistung aufgrund des festgestellten Täuschungsversuchs mit „nicht ausreichend“ zu bewerten. In dieser Begründung wird bereits deutlich, wie der Umstand der Mitnahme eines Spickzettels in die Prüfung bewertet wird und dass sich daraus die ausgesprochene Sanktion rechtfertigt. Da ausgehend von der ursprünglichen Vorstellung des Beklagten, dass der Spickzettel konkret verwendet worden ist, die Rechtsfolge der Bewertung der Prüfungsleistung als nicht bestanden naheliegt, ist es einleuchtend, dass dazu eine nähere Begründung nicht erfolgt und lediglich zusätzlich auf die Besonderheit - auch inhaltliche Bewertung der Prüfungsleistung mit „nicht ausreichend“ - eingegangen worden ist. Vor diesem Hintergrund durfte der Beklagte seine Ermessenserwägungen im Klageverfahren ergänzen, um nunmehr den neuen Vortrag der Klägerin zum Ablauf der Täuschungshandlung zu würdigen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG, wobei sich der Senat - wie wohl auch das Verwaltungsgericht - an der Empfehlung in Nr. II.36.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Fassung Juli 2004, NVwZ 2004, 1327) orientiert hat.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).