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Entscheidung 5 T 64/16


Metadaten

Gericht LG Neuruppin 5. Zivilkammer Entscheidungsdatum 02.11.2016
Aktenzeichen 5 T 64/16 ECLI ECLI:DE:LGNEURU:2016:1103.5T64.16.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

        

1. Die Beschwerde des Betroffenen vom 17. Mai 2016 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 3. Mai 2016 wird zurückgewiesen.

2. Auf die Beschwerde des Betroffenen vom 6. August 2016 wird der Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 7. Juli 2016 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels dahin abgeändert, dass die geschlossene Unterbringung des Betroffenen längstens bis zum 1. Januar 2017 betreuungsgerichtlich genehmigt wird.

3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Gründe

I.

Der Betroffene leidet seit den 80er Jahren unter einer paranoiden Schizophrenie. Die Erkrankung tritt in Schüben auf und führte in der Vergangenheit immer wieder dazu, dass der Betroffene durch gerichtliche Anordnungen geschlossen untergebracht und medizinisch behandelt werden musste.

Mit Beschluss vom 3. Mai 2016 hat das Amtsgericht Oranienburg - nach vorhergehenden vorläufigen Betreuungsanordnungen - die langfristige Betreuung des Betroffenen für die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge, Bestimmung des Aufenthaltes einschließlich Entscheidungen über Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen sowie Geltendmachung von Leistungsansprüchen angeordnet (Bl. 116 ff. d.A.). Gegen den ihm am 7. Mai 2016 zugestellten (Bl. 131 d.A.) Beschluss hat der Betroffene mit am gleichen Tage bei Gericht eingegangenen Schreiben vom 17. Mai 2016 handschriftlich Beschwerde eingelegt und angekündigt, diese noch weiter begründen zu wollen (S. 3; Bl. 157 d.A.); hierauf wird Bezug genommen. Das Amtsgericht hat der Beschwerde ohne weiteres Zuwarten nicht abgeholfen und sie mit Beschluss vom 20. Mai 2016 der Beschwerdekammer zugeleitet (Bl. 169 d.A.). Die Beschwerdekammer hat mit Beschluss vom 1. Juni 2016 dem Amtsgericht Oranienburg die Akten wegen nicht ordnungsgemäßer Durchführung des Abhilfeverfahrens zurückgesandt (Bl. 175 ff. d.A.). Mit Beschluss vom 7. Juni 2016 hat das Amtsgericht dem Betroffenen eine Verfahrenspflegerin bestellt (Bl. 200 d.A.). Mit weiterem Beschluss vom 21. Juli 2016 hat der Amtsrichter nach persönlicher Nachfrage bei dem Betroffenen, ob eine weitere Begründung erfolgen solle, und nach Verneinung dieser Frage (vgl. Bl. 355 RS d.A.), der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache erneut dem Landgericht zur weiteren Entscheidung übersandt (Bl. 358 f. d.A.).

Ferner hat das Amtsgericht, nachdem es zwischenzeitlich auf Antrag des Betreuers vom 28. Juni 2016 (Bl. 259 d.A.) mit Beschluss vom 23. Juni 2016 die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses genehmigt und die Einholung eines aktuellen fachärztlichen Gutachtens angeordnet hat (vgl. Bl. 262 ff.), mit weiterem Beschluss vom 7. Juli 2016 die weitere Unterbringung des Betroffenen bis längstens 14. Januar 2017, die zwangsweise Gabe von im Einzelnen aufgeführten Medikamenten und die Einzelfallfixierung betreuungsrechtlich genehmigt (Bl. 337 ff. d.A.). Zur Begründung hat das Amtsgericht auf die Empfehlungen in dem eingeholten fachärztlichen Gutachten des Dr. med. B... vom 1. Juli 2016 (Bl. 300 ff. d.A.) sowie auf die aus der Vergangenheit bekannten und jüngsten krankheitsbedingten Impulsdurchbrüche des Betroffenen verwiesen (Schlagen einer Mitpatientin etc.). Es bestehe die Gefahr, dass er mangels Krankheitseinsicht medizinisch unbehandelt bleibe und sich dadurch letztlich selbst weiteren erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge. Für sein Wohl sei es deshalb notwendig, dass er stationär behandelt und medikamentös eingestellt werde. Gegen den letztgenannten - am 19. Juli 2016 zugestellten (Bl. 364 d.A.) - Beschluss richtet sich die weitere verfahrensgegenständliche Beschwerde des Betroffenen vom 6. August 2016, für deren Inhalt auf das betreffende Schreiben verwiesen wird (Bl. 367 ff. d.A.). Das Amtsgericht Oranienburg hat der Beschwerde mit Beschluss vom 25. August 2016 nicht abgeholfen und die Sache ebenfalls zur weiteren Entscheidung dem Landgericht übersandt (Bl. 377 f. d.A.). Die Beschwerdekammer hat den Betroffenen am 6. Oktober 2016 in der Klinik nochmals persönlich im Beisein einer Vertrauensperson des Betroffenen (Herr B...) und des Stationsarztes Dr. K... angehört. Für den Verlauf der Anhörung wird auf den Aktenvermerk verwiesen. Mit Schreiben vom 10. Oktober 2016 hat der Betroffene erneut insbesondere gegen die Zwangsmedikation protestiert (Bl. 388 d.A.)

II.

Die von dem Betroffenen eingelegten Beschwerden gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Oranienburg vom 3. Mai 2016 und vom 7. Juli 2016 sind gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere jeweils in der Monatsfrist nach § 63 Abs. 1 FamFG beim Amtsgericht eingegangen.

1. In der Sache sind die Beschwerden ganz überwiegend unbegründet.

a) Entgegen der Auffassung des Betroffenen liegen die Voraussetzungen für die mit dem angefochtenen Beschluss vom 3. Mai 2016 erneut angeordnete Betreuung hinsichtlich der dort aufgeführten Aufgabenkreise vor; denn der Betroffene kann auf Grund einer psychischen Erkrankung seine Angelegenheiten weiterhin teilweise nicht im Sinne des § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB besorgen.

aa) Nach den der Kammer seit Jahren bekannten und ärztlich vielfach bestätigten medizinischen Diagnosen leidet der Betroffene seit über 30 Jahren an einer Residualschizophrenie mit unterschwellig praeproduktiven Denkstörungen, einem abnormen Bedeutungserleben und einer zuweilen durchbrechenden aggressiven Attitüde (vgl. zusammenfassend GA des Dr. B... vom 1. Juli 2016, S. 6; Bl. 305 d.A.). Letztere macht sich häufig im Zusammenhang mit dem ausgeprägten Gerechtigkeitsgefühl des Betroffenen und falsch interpretierten Ereignissen bemerkbar (z.B.: „Befreiungsversuche von gefangenen Indianern auf Westernfestspielen“). Die Betreuung, bestünde sie nicht, wäre daher auch derzeit für die Aufgabenkreise der Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge sowie für sämtliche versorgungsrelevanten Behördenangelegenheiten anzuordnen. Die psychische Erkrankung des Betroffenen lässt es nicht zu, dass dieser insoweit seine Angelegenheiten ausreichend selbst besorgen kann. In der Vergangenheit war vielmehr häufig festzustellen, dass der Betroffene unvorhersehbar reagiert. Solche für Dritte sehr bedrohlich wirkenden Reaktionen des ca. 2m großen und 150 kg schweren Betroffenen, wie insbesondere lautstarkes Brüllen und Androhen von Prügel, führten in der Vergangenheit zur Kündigung von Vertragsbeziehungen für Girokonto und Wohnung (etc.) und letztlich zur Sozialleistungsbedürftigkeit. Die Wahrnehmung des entsprechenden Aufgabenkreises ist mithin angezeigt. Unter Berücksichtigung der in der Vergangenheit häufig aufgetretenen akuten Exazerbationen der Erkrankung sind zudem die Aufgabenkreise der Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung zum Zwecke der Heilbehandlung zwingend erforderlich. Der Betroffene kann krankheitsbedingt auch diesbezüglich seinen Willen nicht frei bestimmen, das heißt nicht unbeeinflusst von der Krankheit und nach zutreffend gewonnenen Einsichten handeln. Im Rahmen der Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB ist eine freie Willensbestimmung ohne Krankheitseinsicht des Betroffenen aber von vornherein nicht möglich (vgl. BGH, Beschluss vom 13. April 2016 - XII ZB 236/15, juris Rn. 15). Die fehlende Krankheitseinsicht steht nicht zuletzt aufgrund der jüngsten Anhörung des Betroffenen durch die Kammer und des dabei gewonnenen persönlichen Eindrucks fest.

bb) Nach Maßgabe dieser Feststellungen ist die Anordnung der Betreuung in dem vom Betreuungsgericht angeordneten Rahmen zulässig und geboten. Nach § 1896 Abs. 1a) BGB darf ein Betreuer nur gegen den freien Willen des Volljährigen nicht bestellt werden. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zwar ist ein der Betreuung entgegenstehender natürlicher Wille der Betroffenen festzustellen, dieser Wille ist aber kein im Sinne von § 1896 Abs. 1a BGB „freier“ Wille, denn er beruht darauf, dass der Betroffene als Folge seiner Erkrankung nicht in der Lage ist, diese Erkrankung als solche zu erkennen und hieraus zutreffende Schlussfolgerungen für seine Lebensgestaltung abzuleiten. Damit stellt sich sein der Bestellung eines Betreuers entgegenstehender natürlicher Wille nicht als freie Willensentscheidung, sondern als Krankheitsfolge dar.

b) Die Voraussetzungen der Genehmigung des Betreuungsgerichts für die von dem Betreuer angeordnete Unterbringung des Betroffenen im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegen ebenfalls vor.

aa) Die Unterbringung eines Betreuten durch den Betreuer ist danach mit gerichtlicher Genehmigung geboten, wenn sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig sind, welche ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden können und der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann. Widerspricht eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 Nummer 2 - wie hier der Beschwerde sinngemäß zu entnehmen ist - dem natürlichen Willen des Betreuten, so kann sie gemäß Absatz 3 nur angeordnet werden, wenn (1.) der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann, (2.) zuvor erfolglos versucht wurde, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen, (3.) die ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen der Unterbringung nach Absatz 1 zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden, (4.) der erhebliche gesundheitliche Schaden durch keine andere dem Betreuten zumutbare Maßnahme abgewendet werden kann und (5.) der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt.

bb) Diese Voraussetzungen sind gegeben.

(1) Der Betroffene vermag - wie ausgeführt - wegen seiner psychischen Krankheit die Notwendigkeit der Behandlung nicht zu erkennen.

(2) Der Betroffene ist auch nicht freiwillig bereit, sich einer langfristigen Heilbehandlung zu unterziehen. Es konnten weder sein Betreuer noch die ihn behandelnden Ärzte oder seine Verfahrenspflegerin den Betroffenen von der Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung überzeugen. Ein geordnetes Gespräch war mit dem Betroffenen anlässlich seiner letzten Anhörung zwar ohne Weiteres möglich, erschöpfte sich aber im Wesentlichen aus der Versicherung des Betroffenen, er sei gesund und keinesfalls aggressiv oder sonst auffällig gewesen. Alle ihm insoweit in der Vergangenheit zur Last gelegten Vorkommnisse beruhten auf Missverständnissen. Der formale Gedankengang wirkte dabei eingeengt, die vielfach wiederholten Beteuerungen waren nicht überzeugend. Die Urteilsfähigkeit des Betroffenen ist partiell stark herabgesetzt und eine realistische Selbsteinschätzung nicht vorhanden.

(3) Die Unterbringungsmaßnahme ist zum Wohl des Betreuten ferner erforderlich, um eine weitere Verschlechterung seines Krankheitsbildes zu verhindern und damit, um einen drohenden gesundheitlichen Schaden abzuwenden. Da der Betroffene seine Medikamente in der Vergangenheit immer wieder abgesetzt hat, ist bisher keine Verbesserung seines Gesundheitszustandes eingetreten. Nach Einschätzung des behandelnden Stationsarztes Dr. K... könnte bei konsequenter Behandlung jedoch durchaus eine aus Sicht des Betroffenen „pragmatische“ Behandlungsakzeptanz im Bereich des Möglichen sein, das heißt keine echte Krankheitseinsicht, aber eine Kooperation im Rahmen der auch künftig erforderlichen medizinischen Behandlung. Dabei ist zwar von einem dauerhaften Krankheitsverlauf auszugehen. Ohne eine längerfristige Intervention besteht aber die Gefahr, dass es wieder zu Fehlhandlungen des Betroffenen kommt. Aufgrund des bei ihm krankheitsbedingt sporadisch eintretenden Verlustes an Selbstkontrolle kann er durch unkontrolliertes und aggressives Handeln seine eigene Gesundheit in erheblicher Weise gefährden.

(4) Da der Betroffene eine Medikamenteneinnahme außerhalb einer Klinik nicht durchzuhalten vermag und ihm ein kooperatives Verhalten im Rahmen einer ambulanten Therapie („Compliance“) nicht zuzutrauen ist, kann der drohende erhebliche gesundheitliche Schaden durch keine andere zumutbare Maßnahme abgewendet werden. Aufgrund der fehlenden Krankheitseinsicht des Betroffenen sind jegliche Therapieansätze derzeit nur innerhalb der Unterbringung und unter ärztlicher Aufsicht möglich.

(5) Die Behandlung überwiegt bei dieser Sachlage auch die dem Betroffenen dadurch entstehenden Nachteile, denn sie ist zwingend notwendig, um die Auswirkungen der psychischen Krankheit zu mildern. Die Kammer ist im Ergebnis davon überzeugt, dass bei einer vorzeitigen Entlassung des Betroffenen die Gefahr besteht, dass sich seine Krankheit in allen bereits bekannten Erscheinungsweisen fortsetzt und verschlimmert. Aufgrund des Zustandes des Betroffenen, der weiterhin sporadisch auftretenden starken Erregung und der fehlenden Krankheitseinsicht ist davon auszugehen, dass der Betroffene ohne längerfristigen Verbleib in einer geschlossenen Einrichtung nicht ausreichend behandelt werden kann und die erforderlichen Medikamente nicht einnehmen würde. Es hat sich erwiesen, dass die bisherigen Behandlungen des Betroffenen nicht ausreichend waren. Die Kammer folgt insoweit der ärztlichen Einschätzung, dass der Betroffene bei einer optimalen medikamentösen Einstellung und Behandlung in Zukunft zumindest stabilisiert werden kann. Da es dem Betroffenen bisher an jeglicher Krankheitseinsicht fehlt, ist hierfür die längerfristige geschlossene Unterbringung erforderlich.

cc) Schließlich ist die vom Amtsgericht auf Grundlage des fachärztlichen Gutachtens des Dr. B… vom 1. Juli 2016 (S. 8; Bl. 307 d.A.) angeordnete Dauer der Unterbringung von 6 Monaten - das heißt bis zum 1. Januar 2017 - grundsätzlich nicht zu beanstanden. Die Prognose, welche Dauer für die Unterbringung erforderlich ist, ist regelmäßig auf Grundlage des einzuholenden Sachverständigengutachtens vorzunehmen (vgl. § 321 Abs. 1 Satz 3 FamFG). Der Fristablauf hat sich dabei allerdings an dem Zeitpunkt der Erstellung des ärztlichen Gutachtens zu orientieren, so dass die Frist nicht erst mit der gerichtlichen Entscheidung beginnt, sondern mit dem Datum des Gutachtens (vgl. BGH, Beschluss vom 13. April 2016 - XII ZB 236/15, juris Rn. 22 mwN). Der angefochtene Beschluss ist daher abzuändern und die (Höchst-)Dauer der Unterbringung entsprechend zu reduzieren.

c) Die Voraussetzungen für die von dem Betreuungsgericht genehmigten Fixierungsmaßnahmen im Sinne des § 1906 Abs. 4 BGB liegen vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführen ebenfalls vor (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 28. Juli 2015 - XII ZB 44/15, juris Rn. 11 mwN).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 25 Abs. 2 GNotKG.