Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 12.09.2012 | |
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Aktenzeichen | OVG 3 A 2.12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | §§ 198ff GVG, Art 6 Abs 1 MRK, Art 19 Abs 4 GG |
Erstreckt sich ein verwaltungsgerichtliches Verfahren über zwei Instanzen und verlangt der Kläger Entschädigung wegen der aus seiner Sicht allein unangemessenen Dauer des Berufungszulassungsverfahrens, so ist die Einbeziehung auch der ersten Rechtsstufe im Sinne einer Gesamtbetrachtung geboten
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Die Kläger begehren Entschädigung nebst Zinsen wegen der aus ihrer Sicht unangemessenen Dauer eines Berufungszulassungsverfahrens vor dem OVG Berlin-Brandenburg. Außerdem machen sie vorprozessuale Rechtsverfolgungskosten geltend.
Den Klägern war im Jahr 2000 durch die Investitionsbank (IBB) Wohnungsbauförderung für den Erwerb einer Eigentumswohnung bewilligt worden. Nachdem sie - ihren Angaben zufolge aufgrund nicht mehr hinnehmbarer Nachbarschaftsstreitigkeiten - ein Hausgrundstück erworben und die zuvor selbst genutzte Eigentumswohnung Anfang 2007 an eine Mieterin ohne Berechtigungsbescheinigung des Wohnungsamtes vermietet hatten, widerrief die IBB die Bewilligung mit Teilwiderrufsbescheiden vom 12. November 2007 und kürzte den Zinszuschuss für die noch bestehenden Darlehensverbindlichkeiten in Höhe von rund 54.300 Euro rückwirkend zum 1. März 2007 um 4,050 %. Dadurch erhöhte sich der Zinssatz auf 5,55 %. Zugleich forderte die IBB zu viel geleistete Beträge in Höhe von rund 2.000 Euro zurück. Hierdurch entstanden den Klägern bis zum Ende der Laufzeit des Darlehens (Juni 2010) Mehrkosten für höhere Zinsen, die der Beklagte des Ausgangsverfahrens unwidersprochen mit rund 6.800 Euro bezifferte.
Das Verwaltungsgericht Berlin wies die am 28. November 2007 erhobene und mit der Klageschrift begründete Klage - VG 16 A 95.07 durch Urteil vom 5. September 2008, den Klägern am 19. September 2008 zugestellt, ab. Die angegriffenen Bescheide seien sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht rechtmäßig. Die gerügte fehlende Anhörung sei in der mündlichen Verhandlung nachgeholt worden. Ferner führte das Verwaltungsgericht unter Würdigung des Sachverhaltes im Einzelnen aus, dass die Kläger durch die Vermietung ihrer Wohnung gegen die Zweckbestimmung der Förderung verstoßen hätten. Es liege weder eine Zustimmung der IBB vor, noch gebe es die behauptete abweichende Vereinbarung zwischen den Beteiligten. Das ausgeübte Widerrufsermessen sei nicht zu beanstanden.
Mit dem am 14. Oktober 2008 gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung - OVG 5 N 28.08 -, dessen neunseitige Begründung am 17. November 2008 bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg einging, rügten die Kläger im Wesentlichen die erstinstanzliche Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter als verfahrensfehlerhaft und machten ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils geltend. Die Berichterstatterin forderte den Beklagten des Ausgangsverfahrens unter dem 17. November 2008 auf, hierzu binnen sechs Wochen Stellung zu nehmen. Diese Stellungnahme ging am 3. Dezember 2008 bei dem OVG ein. Am 5. Januar 2010 wurde dem Beklagten des Ausgangsverfahrens aufgrund einer Berichterstatterverfügung die Abschrift eines Schriftsatzes zugesandt, mit dem der Verfahrensbevollmächtigte der Kläger seine neue Anschrift mitgeteilt hatte. Mit Beschluss vom 29. August 2011 lehnte das Oberverwaltungsgericht den Antrag auf Zulassung der Berufung ab.
Nachdem die Kläger zunächst mit anwaltlichem Schreiben vom 24. Januar 2012 gegenüber der Senatsverwaltung für Finanzen außergerichtlich einen Anspruch auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer in Höhe von 2.400 Euro geltend gemacht und um Überweisung des Betrages bis zum 14. Februar 2012 gebeten hatten, haben sie am 28. Februar 2012 die vorliegende Klage erhoben. Sie fordern Entschädigung für das Berufungszulassungsverfahren, weil dieses fast drei Jahre gedauert habe, obwohl es sich um einen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht einfach gelagerten Sachverhalt handele. Das Oberverwaltungsgericht habe das Verfahren seit der Begründung des Zulassungsantrags nicht gefördert. Auf eine Überlastung des OVG komme es nicht an. Da Rechtfertigungsgründe nicht vorlägen, sei eine Verfahrensdauer von mehr als einem Jahr unangemessen. Dennoch werde hier - äußerst restriktiv - nur eine (Mindest-)Entschädigung von 1.200,00 Euro geltend gemacht und die letztlich festzusetzende Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt.
Eine Wiedergutmachung auf andere Weise im Sinne von § 198 Abs. 4 GVG sei nicht ausreichend. Die Verfahrensdauer sei angesichts der angespannten wirtschaftlichen Verhältnisse der Kläger von existenzieller wirtschaftlicher Bedeutung gewesen. Die Kläger hätten sich in ihrer finanziellen Planung stark einschränken müssen; die Belastungen hätten sich vor allem bei der Klägerin auch psychisch ausgewirkt.
Außerdem begehren die Kläger Ersatz ihrer vorprozessualen Rechtsverfolgungskosten. Der Verfahrensbevollmächtigte habe hierfür - ausgehend von einem Gegenstandswert von 2.400 Euro - eine 1,3-Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG und eine 0,3-Erhöhungsgebühr gemäß Nr. 1008 VV RVG verlangt. Zuzüglich der Pauschale für Post und Telekommunikation und Mehrwertsteuer ergebe sich ein Betrag von 330,34 Euro.
Die Kläger beantragen,
den Beklagten zu verurteilen,
1. an die Klägerin und den Kläger jeweils eine angemessene Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer des Rechtsstreits vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg - OVG 5 N 28.08 - nebst Zinsen in Höhe von 5 % seit dem 15. Februar 2012 zu zahlen,
hilfsweise an die Klägerin und den Kläger jeweils eine angemessene Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer des Rechtsstreits vor dem Verwaltungsgericht Berlin - VG 16 A 95.07 - und dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg - OVG 5 N 28.08 - nebst Zinsen in Höhe von 5 % seit dem 15. Februar 2012 zu zahlen,
2. an die Kläger vorprozessuale Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 330,34 Euro zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er macht geltend, dass die Dauer des Berufungszulassungsverfahrens im Wesentlichen der Überlastung des für das Ausgangsverfahren zuständigen Senats geschuldet sei. Dessen Vorsitzender habe im März 2009 und im März 2011 Überlastung angezeigt und um Zuweisung eines dritten Beisitzers gebeten. Dies habe mangels vorhandenen Personals erst zum 1. Juli 2011 erfolgen können. Die neu zugewiesene Berichterstatterin sei mit der Abarbeitung der Altverfahren betraut worden, was sie sofort in Angriff genommen habe. Der Zinsanspruch könne noch nicht ab dem 15. Februar 2012 geltend gemacht werden.
Da die Kläger von der längeren Verfahrensdauer wegen der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage profitiert hätten und die zu erfüllende Zahlungsverpflichtung nicht von existenzieller wirtschaftlicher Bedeutung gewesen sein dürfe, spreche viel dafür, dass bei Bejahung unangemessener Verfahrensdauer eine Wiedergutmachung auch auf andere Art und Weise, etwa durch eine Feststellung nach § 198 Abs. 2, Abs. 4 GVG, in Betracht komme. Anderenfalls sei zu prüfen, ob die Entschädigung personenbezogen oder verfahrensbezogen beansprucht werden könne und ob hier ein niedrigerer Betrag als der genannte festgesetzt werden müsse. Vorprozessuale Rechtsverfolgungskosten könnten nicht verlangt werden, weil es sich nicht um ein Vorverfahren im Sinne von § 162 Abs. 2 VwGO handele und eine außergerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen gemäß § 198 GVG nicht erforderlich sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte OVG 3 A 2.12 sowie die das Ausgangsverfahren betreffende Gerichtsakte VG 16 A 95.07/ OVG 5 N 28.08 Bezug genommen. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen.
Die Klage hat keinen Erfolg.
I. An der Zulässigkeit der Klage bestehen auch im Hinblick auf den unbezifferten Leistungsantrag zu 1. keine rechtlichen Bedenken. Er genügt dem in § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO normierten Erfordernis eines bestimmten Antrages, der grundsätzlich spätestens im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vorliegen muss. Bei unbezifferten Schadensersatzklagen, die die Höhe des Schadensersatzes in das Ermessen des Gerichts stellen, muss kein genauer Betrag genannt werden. Es reicht grundsätzlich aus, dass der Kläger - wie hier - eine ungefähre Größenordnung des verlangten Betrages angibt (s. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl., § 82 Rn. 10; Geiger, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl., § 82 Rn. 10; vgl. ferner die zivilgerichtliche Rechtsprechung zu §§ 253 Abs. 2 Nr. 2, 287 ZPO: BGH, Beschluss vom 07. April 2009 - KZR 42/08 -, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 14. Mai 2008 - VI U 14/07 -, juris). Bei Entschädigungsklagen im Sinne von § 198 Abs. 2 GVG besteht zudem die Schwierigkeit, dass es einem Kläger in der Regel kaum möglich sein dürfte, einen zutreffenden „monatsgenauen" immateriellen Schaden (§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG) zu beziffern.
II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Kläger können die geltend gemachten Leistungen nicht von dem Beklagten verlangen. Ihnen steht weder ein Entschädigungsanspruch noch ein Anspruch auf Erstattung außerprozessualer Kosten zu.
1. Der mit dem Antrag zu 1. begehrte Entschädigungsanspruch setzt nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302), das nach dessen in Art. 23 Satz 1 normierter Übergangsvorschrift anwendbar ist, eine unangemessen lange Dauer des von den Klägern betriebenen Gerichtsverfahrens voraus. Die Angemessenheit richtet sich gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.
Dem Erfolg des zu 1. gestellten Hauptantrages steht bereits entgegen, dass die Kläger den geltend gemachten Entschädigungsanspruch nicht ausschließlich mit der Dauer des Berufungszulassungsverfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht begründen können. Zwar hat der Senat bislang offen gelassen, ob unter einem Gerichtsverfahren, für das ein Kläger Entschädigung verlangen kann, nur das in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss zu verstehen ist (vgl. dazu BT-Drs. 17/3802, S. 18 f.), oder ob dieser Begriff unabhängig von der Anzahl der durchlaufenen Instanzen auch allein das Verfahren in einer bestimmten Rechtsstufe umfassen kann, dessen angemessene Dauer isoliert zu betrachten wäre (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. März 2012 - OVG 3 A 1.12 -, juris Rn. 28 ff. mit Nachweisen zur insoweit nicht eindeutigen Rsp. des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte - EGMR - und des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG -).
Eine Einbeziehung auch der ersten Rechtsstufe im Sinne einer Gesamtbetrachtung ist jedoch jedenfalls dann geboten, wenn sich ein Gerichtsverfahren - wie hier - über zwei Instanzen erstreckt und der Kläger allein die unangemessene Verfahrensdauer der Rechtsmittelinstanz rügt. In einem solchen Fall greift vor allem das gegen eine Gesamtbetrachtung sprechende Argument nicht mehr, eine bereits in der ersten Instanz eingetretene Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4 GG könne nicht mehr durch das beschleunigte Vorgehen in einer weiteren Instanz „geheilt" werden. Stattdessen erscheint es billig, die begehrte finanzielle Kompensation nicht allein von einem etwaigen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK in der Rechtsmittelinstanz, sondern von der Angemessenheit der Gesamtverfahrensdauer abhängig zu machen (vgl. Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, Kommentar, § 198 GVG Rn. 79 f., 101). Hierbei ist im Übrigen zu bedenken, dass ein (relativ) schnelles Urteil des Verwaltungsgerichts dazu führt, dass der Kläger immerhin über eine erste gerichtliche Entscheidung und damit über ein erstes Ergebnis in Bezug auf den Ausgang des Rechtsstreites verfügt. In diesem Fall dürfte ihn eine für sich genommen lange Dauer des sich daran anschließenden Rechtsmittelverfahrens grundsätzlich weniger belasten als das Warten auf eine (erste) gerichtliche Entscheidung.
2. Der Hilfsantrag bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Den Klägern steht auch bei Berücksichtigung der Gesamtdauer des Rechtsstreites die geltend gemachte Entschädigung nicht zu. Ob der Anspruch eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung seines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verletzt wurde, ist im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK sowie des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG zu beurteilen (vgl. auch BT-Drs. 17/3802, S. 1, 15). Als Maßstab nennt § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (vgl. insoweit EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010, Beschwerde Nr. 21423/07, Rn. 32; Urteil des Senats vom 27. März 2012 – OVG 3 A 1.12 –, juris).
Angesichts dessen ist es nicht möglich, abstrakte Angaben zu einer „Höchstdauer" als Grenze der Angemessenheit zu machen. Soweit das OVG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 25. Juli 2012 - 7 KE 1/11 -, juris Rn. 57) der Rechtsprechung des EGMR einen groben Anhaltspunkt entnimmt, wonach dort in mehreren Entscheidungen eine Verfahrenslaufzeit von etwa einem Jahr pro Instanz als angemessen angesehen worden sei, folgt der Senat dem nicht. Das von dem OVG Sachsen-Anhalt insoweit allein zitierte Urteil des EGMR vom 26. November 2009 in der Rechtssache Nazarov v. Russia (Nr. 13591/05, Rn. 126) enthält zwar die Feststellung „one year per instance may be a rough rule of thumb in Article 6 § 1 cases”. Es handelt sich jedoch um eine beiläufige Bemerkung, die der EGMR in nicht entscheidungserheblicher Weise in einem Verfahren zu Art. 5 Abs. 4 EMRK (Entscheidung innerhalb kurzer Frist bei Freiheitsentziehung) gemacht hat. Diese „grobe Faustregel“ findet sich in Entscheidungen des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht als grundsätzlicher Maßstab. Im Übrigen ist bei der Frage nach einer „Höchstdauer“ zu berücksichtigen, dass im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der Untersuchungsgrundsatz gilt (§ 86 Abs. 1 VwGO), der oftmals einen höheren Zeitaufwand erfordert als durch den Beibringungsgrundsatz geprägte Verfahren vor den Zivilgerichten.
Schließlich ist es - auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR - nicht angezeigt, in Bezug auf die Komplexität einer Sache fünf verschiedene Kategorien zu bilden (so aber OVG Sachsen-Anhalt, a.a.O., juris Rn. 39 ff.). Dies erscheint konstruiert und ist nicht geeignet, die an den Umständen des Einzelfalles orientierte Rechtsprechung des EGMR dergestalt zu strukturieren, dass sich hieraus bestimmte zeitliche Vorgaben ableiten lassen.
Unter Berücksichtigung des dargelegten Maßstabes ist das hier zu betrachtende Ausgangsverfahren vor dem Verwaltungsgericht weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht besonders schwierig gewesen. Es handelte sich, wie auch die Übertragung auf den Einzelrichter gemäß § 6 VwGO zeigt, um einen Fall mit allenfalls durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad. Die Rechtsfragen, die entschieden werden mussten, gehören zu den Standardproblemen eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (u.a. Widerruf des Bewilligungsbescheides wegen Zweckverfehlung, fehlende Anhörung im Verwaltungsverfahren, Zustimmung bzw. angebliche Vereinbarung mit einem Mitarbeiter des Beklagten, fehlerfreie Ermessensausübung). Die Rechtslage war aus der Sicht des Verwaltungsgerichts eindeutig und der Sachverhalt im Wesentlichen geklärt. Die Klagebegründung ist - ebenso wie der sonstige Vortrag der Kläger - übersichtlich; eine Beweiserhebung war nicht angezeigt. Auch im Berufungszulassungsverfahren stellten sich keine überdurchschnittlich schwierigen Sach- und Rechtsfragen. Zwar war die Begründung des Zulassungsantrags sehr ausführlich, in zulassungsrechtlicher bzw. materiell-rechtlicher Hinsicht stellte sie jedoch keine erhöhten Anforderungen. Dies verdeutlicht exemplarisch die Rüge fehlender Anhörung vor der Übertragung auf den Einzelrichter.
Von der Gesamtverfahrensdauer sind keine Zeiten im Hinblick auf das Verhalten der Kläger abzuziehen. Sie haben die Klage mit deren Erhebung begründet und sind nicht weiter „säumig" gewesen. Dass sie die Zweimonatsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO ausgeschöpft haben, kann im Hinblick auf die verhältnismäßig kurze Frist, die der Gesetzgeber ausdrücklich eingeräumt hat, nicht zu ihren Lasten gehen.
Andererseits ist weder hinreichend dargelegt noch ersichtlich, dass das Ausgangsverfahren für die Kläger von besonderer Bedeutung war. Soweit sie behaupten, sie seien - nach dem Kauf eines Hauses - in ihrer wirtschaftlichen Existenz betroffen gewesen, gibt es dafür keinen greifbaren Anhaltspunkt. Konkrete Zahlen - auch zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen - nennen die Kläger insoweit nicht. Die von dem Beklagten des Ausgangsverfahrens unwidersprochen mit rund 6.800 Euro bezifferten Mehrkosten (erhöhter Zinsaufwand), auf die sich das Verwaltungsgericht für die Bemessung des Streitwerts gestützt hat, bezogen sich auf die Zeit von März 2007 bis zum Laufzeitende im Juni 2010, d.h. auf rund 40 Monate. Dass die Kläger diese (moderat) erhöhten Zinsen nicht aufbringen konnten, ist nicht einmal ansatzweise nachvollziehbar dargetan. Ebenso wenig haben die Kläger dargelegt, dass sie die durch den Teilwiderruf verursachten zusätzlichen Kosten nicht durch die Vermietung der geförderten Wohnung, zudem an eine Mieterin ohne Wohnberechtigungsschein, decken konnten.
Soweit sich die Kläger auf eine psychische Belastung, vor allem der Klägerin, berufen, ist dies ebenfalls nicht substantiiert dargelegt. Zwar ist den Klägern zuzugestehen, dass die (teilweise) Aufhebung eines Subventionsbewilligungsbescheides als belastend empfunden werden kann. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass diese Belastung hier über das normale Maß hinausging. Im Ausgangsverfahren VG 16 A 95.07 haben die Kläger dementsprechend lediglich im Wesentlichen behauptet, wegen der massiven Streitigkeiten mit ihrem Nachbarn (und nicht wegen der Belastung durch den Teilwiderruf) in psychiatrischer Behandlung gewesen zu sein. Ein Nachweis hierfür wurde jedoch schon damals nicht erbracht. Hinzu kommt, dass die Kläger von der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage profitiert haben (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und dass das Verwaltungsgericht in erster Instanz relativ schnell unter ausführlicher Würdigung der Sach- und Rechtslage entschieden und damit zumindest für vorläufige Rechtsklarheit gesorgt hat. Dass sich die anwaltlich vertretenen Kläger berechtigte Hoffnung auf einen Erfolg ihres Rechtsmittels machen durften, war nicht ersichtlich.
Im Übrigen haben die Kläger im Berufungszulassungsverfahren die nunmehr behauptete wirtschaftliche Bedrängnis und eine aus der Planungsunsicherheit resultierende erhebliche Belastung zu keinem Zeitpunkt zum Ausdruck gebracht. Zwar sind die Kläger grundsätzlich nicht verpflichtet - z.B. durch Sachstandanfragen -, auf eine beschleunigte Behandlung ihrer Sache hinzuwirken. Hier wäre jedoch ein Hinweis auf eine aus der Sicht der Kläger bestehende besondere Bedeutung der Angelegenheit erforderlich gewesen, weil sowohl das Verwaltungsgericht als auch das Oberverwaltungsgericht im Hinblick auf den nicht allzu hohen streitigen Betrag bei objektiver Betrachtung von einer ausreichenden wirtschaftlichen Kompensation durch die Vermietung der Wohnung ausgehen durften und die Klage zudem aufschiebende Wirkung entfaltete.
Unter Berücksichtigung der angeführten Gesamtumstände, vor allem im Hinblick auf die geringe Bedeutung der Sache und die zügige erstinstanzliche Entscheidung, ist die Gesamtverfahrensdauer von rund 45 Monaten (3 Jahre und 9 Monate) für zwei Instanzen, wovon ca. 9 ½ Monate auf das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht (Klageerhebung am 28. November 2007, Zustellung des am 5. September 2008 verkündeten Urteils am 19. September 2008) und rund 34 ½ Monate (2 Jahre und 10 ½ Monate) auf das Rechtsmittelverfahren entfallen, noch nicht unangemessen im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4 GG. Nichts anderes gilt hier, wenn man berücksichtigt, dass das Zulassungsverfahren gemäß §§ 124 ff. VwGO von seinem Sinn und Zweck her und im Hinblick auf den Willen des Gesetzgebers auf Beschleunigung ausgerichtet ist. Soweit das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt in dem bereits angeführten Urteil eine Verfahrensdauer von mehr als einem Jahr als unangemessen angesehen hat, war dies vor allem der Bedeutung der Sache für die dortige Klägerin (Dienstrechtsstreitigkeit, Umsetzung einer Polizeibeamtin mit der Folge eines deutlich längeren Fahrtweges) geschuldet. Unabhängig davon kommt es für die Frage nach einem Entschädigungsanspruch nicht darauf an, ob ein Gerichtsverfahren lange gedauert hat, sondern ob es unangemessen lang im Sinne von Art.6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4 GG gewesen ist. §§ 198 ff. GVG stellen letztlich einen Rechtbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK dar, die dazu dienen, Verstößen gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK wirksam zu begegnen.
3. Da kein Anspruch auf Entschädigung besteht, können die Kläger auch keine Zinsen verlangen, die ohnehin erst ab Rechtshängigkeit, d.h. ab dem 28 Februar 2012, beansprucht werden könnten (§§ 288,291 BGB).
Die außerdem mit dem Antrag zu 2. geltend gemachten vorprozessualen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 330,34 Euro können ebenfalls nicht beansprucht werden, weil kein Entschädigungsanspruch besteht. Sie stellen im Übrigen keinen Vermögensnachteil (materiellen Schaden) im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG dar, weil die vorprozessuale Geltendmachung allein auf dem Entschluss der Kläger beruhte und gesetzlich nicht vorgeschrieben ist.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 1, 711 Satz 1 ZPO.
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, § 173 Satz 2 VwGO, § 201 Abs. 2 Satz 3 GVG, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.