Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 5. Senat | Entscheidungsdatum | 27.04.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 5 L 15.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 724 ZPO, § 172 VwGO, § 171 VwGO, § 167 Abs 1 VwGO, § 146 Abs 1 VwGO, § 123 Abs 1 VwGO, § 113 Abs 1 S 2 VwGO, § 88 VwGO |
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 12. April 2011 wird aufgehoben.
Der Antrag des Antragstellers, der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzugeben, den Zugang zu den Pferden (Traberstuten) Jackpot Girl und Indiana für die Registrierung und die in diesem Zusammenhang durchzuführende Abstammungsuntersuchung (Blutabnahme, tierärztliche Untersuchung) zu verschaffen, wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge hat der Antragsteller zu tragen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird für beide Rechtsstufen auf 500 Euro festgesetzt.
I.
Mit Verfügung vom 19. Mai 2008 erklärte die Antragsgegnerin die im Tenor bezeichneten Traberstuten für herrenlos und übereignete sie an einen Dritten. Das Verwaltungsgericht Potsdam stellte durch rechtskräftiges Urteil vom 30. November 2010 (VG 3 K 395/10) fest, dass die Ordnungsverfügung rechtsunwirksam ist und verpflichtete die Antragsgegnerin, dem Kläger den Besitz an den beiden Pferden wieder zu verschaffen. Am 12. April 2011 hat der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht Potsdam den im Tenor wiedergegebenen Antrag gestellt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Antragsgegnerin sei ihrer Verpflichtung aus dem Urteil bislang nicht nachgekommen. Zum Zwecke der Registrierung von Zuchtprodukten durch den zuständigen Zuchtverband müssten nach der letztmaligen Fristsetzung durch den Deutsche Traberliga International e.V. vom 8. April 2011 dort die Abstammungsuntersuchungen bis spätestens 2. Mai 2011 vorliegen. Ohne Registrierung würden die Pferde wertlos, weil sie weder für Rennen noch für die Zucht verwendet werden könnten. Die Antragsgegnerin sei über die Eilbedürftigkeit der Registrierung per Fax in Kenntnis gesetzt worden, habe aber nicht reagiert. Das Labor benötige für die Blutuntersuchung ca. zwei Wochen, weshalb der Zugang zu den Pferden bis spätestens 14. April 2011 ermöglicht werden müsse. Zwar sei ihm angeboten worden, die beiden Pferde zurückzuerhalten, aber nur gegen Zahlung von 25.000 Euro an die Erwerberin.
Das Verwaltungsgericht Potsdam hat den Antrag in einen Vollstreckungsantrag umgedeutet und der Antragsgegnerin ohne vorherige Anhörung mit dem angefochtenen Beschluss ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000 Euro für den Fall angedroht, dass sie dem Antragsteller nicht bis zum 14. April 2011 entsprechend Ziffer 2 des Urteils vom 30. November 2010 den Besitz an den beiden Traberstuten verschafft.
Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde, zu deren Begründung sie vorträgt und eidesstattlich versichert, nicht im Besitz der Pferde zu sein. Mit der Herausgabe der Tiere bis zum 14. April 2011 werde von ihr eine unmögliche Leistung verlangt. Die beiden Pferde seien an F… in S… übereignet worden, die jedoch trotz mehrfacher Aufforderung deren Aufenthaltsort nicht bekannt gebe. Den Besitz der Pferde könne sich die Stadt nur auf dem Weg eines Verwaltungsverfahrens gegen F… verschaffen, welches allerdings bei den gegebenen Rechtsschutzmöglichkeiten der Betroffenen erhebliche Zeit in Anspruch nehmen könne.
II.
Die nach § 146 Abs. 1 VwGO zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet.
Der angefochtene Beschluss ist bereits deshalb aufzuheben, weil das Verwaltungsgericht dem Antragsteller etwas zugesprochen hat, was er nicht beantragt hat. Zwar mag eine Antragsauslegung oder -umdeutung bei anwaltlich nicht vertretenen Rechtsschutzsuchenden in deren Interesse über nicht sachgerechte Antragsformulierungen hinweghelfen. So aber liegt es hier nicht. Vielmehr hat der Antragsteller durchaus interessengerecht vor einer endgültigen Rückgabe der Pferde zur Vermeidung eines unmittelbar drohenden Rechtsverlusts eine Zwischenverfügung erwirken wollen, um mit der Registrierung der beiden Traberstuten deren Wert als Zucht- und Rennpferde zu erhalten. Mit der Umdeutung des Begehrens in einen Antrag nach § 172 VwGO auf Androhung eines Zwangsgeldes zur Vollstreckung der der Antragsgegnerin im Urteil vom 30. November 2010 auferlegten Verpflichtung nach § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO (Ziffer 2 des Tenors) ist das Verwaltungsgericht in unzulässiger Weise über diesen Antrag hinausgegangen (vgl. § 88 VwGO). Dass der Antragsteller keinen Vollstreckungsantrag stellen wollte, ist auch daraus zu schließen, dass er nach telefonischer Auskunft der Geschäftsstelle der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Potsdam keine nach § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 724 ZPO für die Vollstreckung notwendige Vollstreckungsklausel für das als Vollstreckungstitel taugliche, rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts beantragt und demzufolge auch nicht erhalten hat (zur Notwendigkeit einer Vollstreckungsklausel in Fällen der Vollstreckung gegen die Behörde nach § 172 VwGO vgl. Beschlüsse VGH Mannheim vom 12. Januar 1995 - 10 S 488/94 -, juris Rn. 3, und vom 25. Juni 2003 - 4 S 118/03 -, juris Rn. 2; ebenso Bader u.a., VwGO, 5. Aufl., Rn. 1 zu § 171, Redeker/v. Oertzen, VwGO, 15. Aufl., Rn. 2 zu § 171 und Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., Rn. 1 zu § 171; a.A. Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., Rn. 18 zu § 171, Schoch u.a., VwGO, Rn. 12 zu § 171, Eyermann, VwGO, 13. Aufl., Rn. 4 zu § 171; OVG Münster, Beschluss vom 23. Juni 2010 - 8 E 555/10 -, juris Rn. 4 f., VGH München, Beschluss vom 19. Oktober 2005 - 22 C 05.2553 -, juris Rn. 14, OVG Saarlouis, Beschluss vom 21. Dezember 2010 - 2 E 291/10 -, juris Rn. 4 f., wenngleich mit wenig überzeugender Begründung).
Dem Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO kann jedoch nicht (mehr) entsprochen werden. Es kann offen bleiben, ob ihm die Antragsgegnerin Zugang zu den beiden Pferden zum Zwecke der Blutabnahme verschaffen könnte. Denn jedenfalls käme eine Anordnung des Senats zu spät. Die Frist zur Registrierung der Pferde beim Zuchtverband läuft am 2. Mai 2011 ab. Da das Labor für die Blutuntersuchung nach dem eigenen Vorbringen des Antragstellers ca. zwei Wochen benötigt, könnte der Antragsteller im Falle der Antragsstattgabe die Registrierungsfrist nicht mehr einhalten. Dass er eine von ihm im Schriftsatz vom 21. April 2011 angedeutete, weitere Fristverlängerung des Zuchtverbandes erhalten hätte, hat er auch mit dem nachgereichten Schriftsatz vom 26. April 2011 nicht belegt.
Ergänzend sei angemerkt, dass die Antragsgegnerin zwar wohl tatsächlich nicht (mehr) im Besitz der Pferde ist, dieser Umstand indes nach vorläufiger Einschätzung des Senats einer Vollstreckung des Urteils vom 30. November 2010 nicht entgegenstünde. Ziffer 2 des Tenors ist auf die Wiederverschaffung des Besitzes an den beiden Pferden gerichtet. Die Erfüllung dieser (Folgenbeseitigungs-)Pflicht setzt einen Besitz der Antragsgegnerin an den Pferden nicht voraus. Zwar wirkt das Urteil mangels Beiladung der Erwerberin und damit mangels Rechtskrafterstreckung nicht gegen diese. Es ist aber nach dem Urteil Sache der Antragsgegnerin, die Übereignung der Pferde auf dem dafür vom Gesetz vorgesehenen Weg rückgängig zu machen und sich den Besitz der Pferde zunächst selbst wiederzubeschaffen. Dass sie ein Verwaltungsverfahren gegen die Erwerberin eingeleitet hat, hat die Antragsgegnerin allein mit dem Hinweis in ihrem Schriftsatz vom 26. April 2011 „in der Anhörung“ habe F… mitgeteilt, selbst auch nicht mehr im Besitz der Pferde zu sein, nicht hinreichend dargetan. Erst wenn sie nachweist, dass ihr die Wiedererlangung des Besitzes an den Pferden rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist, müsste sich der Antragsteller auf einen Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen der Amtshaftung verweisen lassen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 63 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).