Gericht | VG Frankfurt (Oder) 6. Kammer | Entscheidungsdatum | 17.07.2013 | |
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Aktenzeichen | 6 K 372/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Das Verfahren wird eingestellt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Gerichtsgebühr ermäßigt sich gemäß Nr. 5111 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes.
Der Streitwert wird auf 102.224,40 Euro festgesetzt.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 03. Mai 2013 eingegangen am 08. Mai 2013 die Klage zurückgenommen. Daher wird das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eingestellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 2 VwGO. Nach dieser Bestimmung hat die Kosten des Verfahrens u. a. der zu tragen, der eine Klage zurücknimmt.
Für die von der Klägerin beantragte Kostenentscheidung zu Lasten des Beklagten auf Grundlage von § 155 Abs. 4 VwGO sieht das Gericht im vorliegenden Fall keinen Raum. Nach der zuletzt genannten Bestimmung können Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden. Die Kostenverteilung nach § 155 Abs. 4 VwGO geht zwar zumindest hinsichtlich der schuldhaft verursachten, ausscheidbaren Kosten als lex specialis allen sonstigen Kostenregelungen vor. Auch bei Verschulden eines Beteiligten bleibt es aber dem Ermessen des Gerichts überlassen, ob es von der Möglichkeit des Absatz 4 Gebrauch machen will (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 17. Auflage 2011, § 155 Rn. 19, 22 m.w.N.).
Hier mangelt es bereits an der Tatbestandsvoraussetzung, d. h. einem Verschulden des Beklagten. Allerdings kann auch vorprozessuales Verhalten eines Beteiligten grundsätzlich Verschulden im Sinne von § 155 Abs. 4 VwGO begründen. Auch ist der Klägerin zuzustehen, dass die Entscheidung des Beklagten, das Widerspruchsverfahren gegen den angefochtenen Bescheid, mit dem die Betriebsprämie für das Antragsjahr 2010 in Anwendung der Regelungen über die Modulation nach Art. 7 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 gekürzt worden war, nicht auszusetzen, obwohl er Kenntnis über den Vorlagebeschluss des erkennenden Gerichts vom 28. September 2011 im rechtlich gleich gelagerten Verfahren 6 K 255/10 (EuGH C-545/11) hatte, weder zwingend noch die allein sachgerechte Verfahrensweise war.
Allein dies begründet aber noch kein Verschulden im Sinne von § 155 Abs. 4 VwGO. Das erkennende Gericht sieht entgegen der von der Klägerin zitierten Kommentierung (Neumann in Sodan/Ziekow, Nomos-Kommentar zur VwGO, 3. Auflage 2010, § 155 Rn. 91) keinen Anlass, die vom Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 29. April 2003 (– VI R 140/90 -, veröffentlicht u.a. in BFH/NV 2003, S. 1010 ff.) aufgestellten Grundsätze auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Die Entscheidung des BFH betraf nicht die mit § 155 Abs. 4 VwGO wortgleiche Bestimmung des § 137 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO), sondern eine gemäß § 138 Finanzgerichtsordnung nach billigem Ermessen zu treffende Kostenentscheidung nach übereinstimmend für erledigt erklärtem Hauptsacheverfahren. Auch inhaltlich hat der BFH seine Entscheidung gerade nicht auf schuldhaftes Prozessverhalten im Sinne von § 137 Satz 2 FGO gestützt. Im Gegenteil heißt es in der Entscheidung, auch unterhalb der Verschuldensschwelle des § 137 Satz 2 FGO könnten einem Beteiligten die Kosten des Gerichtsverfahrens auferlegt werden, wenn diese Kosten durch sein Verhalten veranlasst (nicht unbedingt verschuldet) worden seien (BFH, Beschluss vom 29. April 2003 – VI R 140/90, zitiert nach juris, dort Rn. 13). Die Entscheidung verhält sich also gerade nicht zu der Frage, ob die Entscheidung einer Behörde, auch angesichts eines bei einem obersten Gericht anhängigen Musterverfahrens gleichwohl über einen Einspruch in rechtlich gleich gelagerten Verfahren zu entscheiden und damit zur Rechtswahrung eine Klageerhebung notwendig zu machen, als schuldhafte Veranlassung des Klageverfahrens zu werten ist.
Die fehlende Übertragbarkeit der vom BFH aufgestellte Grundsätze ergibt sich auch aus weiteren Erwägungen: Allerdings hat der BFH ausgeführt, dass es jedenfalls dann zum Recht der individuellen Prozessführung eines Bürgers gehört, dass sein Verfahren zum vorübergehenden Stillstand gebracht wird, wenn bereits Musterprozesse anhängig sind bzw. anhängig gemacht werden sollen und das Begehren auf Ruhen oder Aussetzen des Verfahrens nicht von sachwidrigen Motiven getragen ist (BFH, a. a. O., Rn. 11). Diese aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitete Erwägung gilt im Grundsatz für Verfahren aller Rechtswege. Die hierfür abgegebene Begründung bezieht sich aber zum großen Teil auf spezifische Fragen der Finanzverwaltung und des Finanzverwaltungsverfahrens. So nimmt der BFH einerseits Bezug auf § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO 1977, durch den die Möglichkeit einer vorläufigen Entscheidung geschaffen und der Druck von den Steuerpflichtigen genommen wurde, ihre Fälle durch Rechtsbehelfe offen zu halten, um in den Genuss einer für sie günstigen Entscheidung eines obersten Gerichtes zu kommen. Andererseits wird die ebenfalls dem Interesse der Prozessökonomie dienende Bestimmung des § 363 Abs. 2 AO 1977 herangezogen, die zur Vermeidung unnötiger Belastungen der Finanzbehörden und -gerichte die Voraussetzungen für ein Ruhen des Verfahrens regelt (BFH, a. a. O., Rn. 12).
Entsprechende Bestimmungen enthält das gemäß § 1 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz Brandenburg hier anzuwendende Verwaltungsverfahrensgesetz nicht. Eine Übertragbarkeit der oben genannten Erwägung auch ohne spezialgesetzliche Grundlage erscheint auch nicht zwingend geboten. Es ist auch unter Berücksichtigung der Vielzahl der betroffenen Betriebsinhaber schon fraglich, ob die Rechtmäßigkeit der Kürzung der Betriebsprämie nach den Regelungen des Art. 7 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 73/2009 ebenso als Massenproblem mit grundsätzlicher Bedeutung angesehen werden kann wie die Frage der Verfassungsmäßigkeit eines steuerrechtlichen Grundfreibetrages. Hinzukommt, dass der vorliegenden Fall kein Verfahren der Eingriffsverwaltung, sondern der Leistungsverwaltung betrifft. Die Klägerin begehrt mit der Betriebsprämie eine öffentlich finanzierte Leistung, ihre Interessenlage und auch ihr Schutzbedürfnis ist deshalb nicht mit dem eines Bürgers zu vergleichen, der sich gegen einen Eingriff der Finanzbehörde wendet.
Die Streitwertfestsetzung entspricht dem streitbefangenen Geldbetrag (§ 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes). Das Gericht hat wegen der Bezugnahme auf das Musterverfahren 6 K 255/10 (EuGH C-545/11) insoweit den Differenzbetrag angesetzt, der sich aus der Anwendung der Modulationsregelungen in Art. 7 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 73/2009 gegenüber den Modulationsregelungen in Art. 10 Abs. 1 i. V. m. 12 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1782/2003 ergibt.