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Antrag auf Zulassung der Berufung; Bebauungszusammenhang; Straße als Abschluss des Bebauungszusammenhangs zum Außenbereich; Baulichkeiten zu Freizeitzwecken; Anforderungen an die Funktionslosigkeit eines Flächennutzungsplans; Aufklärungsrüge; Ortsbesichtigung; Verwertbarkeit von Lichtbildern


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat Entscheidungsdatum 10.12.2014
Aktenzeichen OVG 10 N 1.13 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 34 Abs 1 BauGB, § 35 Abs 1 BauGB, § 35 Abs 2 BauGB, § 35 Abs 3 Nr 1 BauGB, § 35 Abs 4 BauGB

Leitsatz

Eine widerlegbare Vermutung spricht dafür, dass Straßen - bei einseitiger Bebauung eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils i.S. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB - regelmäßig die Funktion eines Abschlusses des Bebauungszusammenhanges zum Außenbereich hin haben.

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 23. Oktober 2012 wird abgelehnt.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt die Klägerin mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 3.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Remise und einer Terrassenüberdachung an einem Wochenendhaus auf dem Flurstück 3... der Flur 6... in der Gemarkung B.... Das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklage abgewiesen.

Über den Zulassungsantrag der Klägerin kann der Berichterstatter anstelle des Senats entscheiden, nachdem sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 87 a Abs. 2 und Abs. 3 VwGO).

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Es bestehen bereits erhebliche Zweifel daran, ob der mit Schriftsatz vom 16. Januar 2013 begründete Antrag noch den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entspricht. Danach sind in dem Antrag die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Werden mehrere Zulassungsgründe geltend gemacht, bedarf es einer klaren Zuordnung des Vorbringens zu den jeweiligen Zulassungsgründen und eine substantiierte Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung (u.a. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 27. November 2014 - OVG 10 N 41.14 -). Die wenig strukturierte Zulassungsbegründung benennt zwar den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und der Sache nach auch § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, setzt sich aber in weiten Teilen nicht mit der angefochtenen Entscheidung auseinander und ordnet das Vorbringen nur unzureichend den einzelnen den sich im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB und § 35 Abs. 1 bis Abs. 4 BauGB stellenden Rechts- und Tatsachenfragen zu.

Der Antrag hätte jedoch selbst dann keinen Erfolg, wenn man das Vorbringen der Klägerin noch als den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend ansähe.

1. Die Klägerin hat hinsichtlich des geltend gemachten Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht hinreichend dargelegt, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils vorliegen. Derartige Zweifel bestehen dann, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden und auch die Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung derartigen Zweifeln unterliegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 2009 - 1 BvR 812/09 -, NJW 2010, 1062, juris Rn 16; OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 11. Dezember 2013 - OVG 10 N 90.10 -, LKV 2014, 36, juris Rn. 5).

a) Nach diesem Maßstab ist das Vorbringen der Klägerin, sie werde künftig den in ihrem Bauantrag noch fehlenden amtlichen Lageplan nachreichen, wenn dies erforderlich sei, nicht geeignet, einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage zu stellen. Das Verwaltungsgericht hat auf die Frage der Bescheidungsfähigkeit des Bauantrages im Hinblick auf fehlende Bauvorlagen nicht entscheidungserheblich abgestellt. Es hat die Frage vielmehr offen gelassen und die Entscheidung tragend darauf abgestellt, dass die Baugenehmigung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 BbgBO aus materiell-rechtlichen Gründen nicht zu erteilen sei, weil die öffentlich-rechtlichen Vorschriften des § 35 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 1 BauGB entgegenstünden. Die Klägerin greift also insoweit keine die Entscheidung tragende Begründung an.

b) Ohne Erfolg bleibt auch das Vorbringen, das Vorhabengrundstück der Klägerin sei tatsächlich dem Innenbereich im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB zuzuordnen. Das Verwaltungsgericht ist zu der eingehenden begründeten Würdigung und Bewertung gelangt, dass das Vorhabengrundstück weder in einem beplanten Gebiet noch in einem Zusammenhang bebauten Ortsteil im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB, sondern im Außenbereich (§ 35 Abs. 1 BauGB) liege. Das Vorhabengrundstück nehme nicht an dem Bebauungszusammenhang der Gebäude westlich des V... teil. Soweit die Klägerin auf eine Bebauung mit Wochenendhäusern (süd-) östlich des V... hinweise, sei davon auszugehen, dass die den W... kreuzende Bahnlinie eine Zäsurwirkung habe. Die nördlich der Bahnlinie und an diese sich anschließende Feld- oder Wiesenfläche auf der Ostseite des Weges befindlichen zwei Wochenendhäuser seien allenfalls Teil eines Bebauungszusammenhangs in Verbindung zur Bebauung westlich des V.... Auf der Ostseite des Weges setzte sich dieser Bebauungszusammenhang nicht nach Norden fort. Vielmehr bilde der auf dem Flurstück 3... südlich des Grundstücks der Klägerin liegende Teich eine deutliche Zäsur. Die nördlich davon folgende Bebauung mit zwei Wochenendhäusern, die nicht dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienten, auf dem Vorhabengrundstück und dem südlichen Nachbargrundstück seien nicht maßstabsbildend für einen Bebauungszusammenhang. Von daher komme es nicht darauf an, ob die Freifläche (Luchwiesen) nördlich des Vorhabengrundstückes aufgrund ihrer natürlichen Beschaffenheit nicht bebaubar sei.

Diese Ausführungen der angegriffenen Entscheidung vermag das Vorbringen der Klägerin nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage zu stellen. Ihr Einwand, die Straße des V... verbinde das östlich gelegene Vorhabengrundstück mit dem Bebauungszusammenhang der Wohngebäude westlich des Weges, trifft nicht zu. Ob eine Straße eine trennende oder eine verbindende Wirkung hat, kann nur Ergebnis einer wertenden Betrachtung des konkreten Sachverhalts sein (OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 14. März 2012 - OVG 10 N 34.10 -, DVBl 2012, 776, juris Rn. 6 m.w.N.). Eine widerlegbare Vermutung spricht dafür, dass Straßen - bei einseitiger Bebauung eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils - regelmäßig die Funktion eines Abschlusses des Bebauungszusammenhanges zum Außenbereich hin haben. Verläuft eine Straße als Erschließungsanlage entlang solcher Grundstücke, die zu einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil gehören, während die Grundstücke auf der anderen Seite der Erschließungsanlage dem Außenbereich zugeordnet sind, so gehört in der Regel bereits die Erschließungsanlage zum Außenbereich (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 1973 - BVerwG IV C 3.72 -, BauR 1974, 41, juris Ls.). Dass hier etwas Abweichendes von der widerlegbaren Vermutung zu gelten hat, hat die Klägerin nicht substantiiert dargelegt.

Die Zulassungsbegründung reklamiert auch ohne Erfolg, dass die nördlich gelegene Wochenendhausbebauung östlich des V... (gemeint ist wohl westlich dieses Weges, denn nordöstlich befinden sich nur unbebaute Wiesen) für das Vorhabengrundstück einen Bebauungszusammenhang vermitteln könne. Das trifft schon deshalb nicht zu, weil Wochenendhäuser keine maßstabsbildende Bebauung sind. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass unter dem Begriff der Bebauung im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB nicht jede beliebige bauliche Anlage fällt. Gemeint sind vielmehr Bauwerke, die für die angemessene Fortentwicklung der vorhandenen Bebauung maßstabsbildend sind. Dies trifft ausschließlich für Anlagen zu, die optisch wahrnehmbar und nach Art und Gewicht geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten städtebaulichen Charakter zu prägen. Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Baulichkeiten, die etwa zu Freizeitzwecken nur vorübergehend genutzt werden (z.B. Wochenendhäuser, Gartenhäuser), sind in aller Regel keine Bauten, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Juli 2002 - BVerwG 4 B 30.02 -, BauR 2002, 1827, juris Rn. 3; OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 25. April 2013 - OVG 10 N 21.10 - NVwZ 2013, 888, juris Rn. 12 m.w.N.).

c) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung folgen auch nicht aus dem Vorbringen der Klägerin, dass die Ausführungen des Vorhabens entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts keine öffentlichen Belange im Sinne von § 35 Abs. 2, 3 BauGB beeinträchtige.

Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die Errichtung der geplanten baulichen Anlagen als sonstige Vorhaben öffentliche Belange nach § 35 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB beeinträchtige, da der Bereich des Vorhabengrundstücks im geltenden Flächennutzungsplan der Gemeinde als Fläche für Landwirtschaft dargestellt sei. Der Einwand der Klägerin, dass der Flächennutzungsplan hier straßenbegleitend funktionslos geworden sei, weil die Gemeinde mit dem V... eine asphaltierte Straße errichtet habe, stellt die vorgenannte Bewertung nicht durchgreifend in Frage. Die Darstellungen des Flächennutzungsplans können eine Sperrwirkung im Sinne von § 35 Abs. 2 und Abs. 3 BauGB nur dann nicht erzeugen, wenn die Entwicklung des Baugeschehens ihnen in einem sowohl qualitativ wie quantitativ so erheblichen Maß zuwiderläuft, dass die Verwirklichung der ihnen zugrunde liegenden Planungsabsichten entscheidend beeinträchtigt ist (BVerwG, Beschluss vom 31. Oktober 1997 - BVerwG 4 B 185/97 -, juris Rn. 7). Bebauungspläne können nur in äußerst seltenen Fällen funktionslos werden. Eine Festsetzung tritt nur dann außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und wenn diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient (OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 17. Dezember 2013 - OVG 10 N 53.11 -, juris Rn. 11). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Der Umstand, dass in der Nähe des Vorhabengrundstücks eine asphaltierte Straße errichtet würde, steht der Verwirklichung des Planes, dass die neben der Straße gelegenen Flächen der Klägerin zu landwirtschaftlichen Zwecken genutzt werden, quantitativ nicht entgegen, zumal auch für eine landwirtschaftliche Nutzung in der Regel eine Zuwegung benötigt wird.

Die Berufungszulassungsbegründung kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass das Vorhabengrundstück auf einer „Sandlinse“ in einem Feuchtgebiet liege und daher keine Erweiterung einer Splittersiedlung zu befürchten sei. Das Verwaltungsgericht hat wegen der Beeinträchtigung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB ausdrücklich offen gelassen, ob die geplante bauliche Anlage auch den öffentlichen Belang einer zu befürchtenden Erweiterung (in Bezug auf die Terrassenüberdachung) oder Verfestigung (bezüglich der Remise) einer Splittersiedlung nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB beeinträchtige. Die Klägerin greift also auch insoweit keine die Entscheidung tragende Begründung an.

Soweit die Klägerin vorträgt, die geplante Terrassenüberdachung und die Remise würden als Ersatzbau Bestandsschutz genießen, genügt ihr Vorbringen bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die Errichtung der baulichen Anlagen nicht aus Gründen des Bestandsschutzes gerechtfertigt sei, weil die Voraussetzungen des § 35 Abs. 4 BauGB nicht gegeben seien. Die Klägerin legt nicht substantiiert dar, dass entgegen der Bewertung des Verwaltungsgerichts bei dem Bauvorhaben die Voraussetzungen der vorgenannten Norm vorliegen sollen.

2. Sollte die Klägerin mit ihrem Vorbringen, dem erstinstanzlichen Gericht fehle die Tatsachengrundlage für die von ihm getroffene Entscheidung und es hätte einen Ortstermin anberaumen müssen, eine Verfahrensrüge nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geltend machen wollen, bliebe diese ohne Erfolg. Eine Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) hat schon deshalb keinen Erfolg, weil die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht keinen entsprechenden Beweisantrag auf Durchführung eines Ortstermins gestellt hat und nicht dargelegt hat, dass sich der Vorinstanz die Notwendigkeit einer solchen Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung zwei Lichtbilder ins Verfahren eingeführt, die das Vorhabengrundstück und seine Umgebung aus der Luft zeigen. Lichtbilder und Lagepläne sind im Rahmen von § 86 Abs. 1 VwGO unbedenklich verwertbar, wenn sie die Örtlichkeiten in ihren für die gerichtliche Beurteilung maßgeblichen Merkmalen so eindeutig ausweisen, dass sich der mit einer Ortsbesichtigung erreichbare Zweck mit ihrer Hilfe ebenso zuverlässig erfüllen lässt. Ist dies der Fall, so bedarf es insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Untersuchungsgrundsatzes keiner Durchführung einer Ortsbesichtigung (BVerwG, Beschluss vom 3. Dezember 2008 - BVerwG 4 BN 26/08 -, BauR 2009, 617, juris Rn. 3). Die Klägerin hat nicht substantiiert geltend gemacht, dass die ins Verfahren eingeführten Lichtbilder im Bezug auf die Abgrenzung des Innen- zum Außenbereich hier keine hinreichende Aussagekraft haben.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, da sie keinen Antrag gestellt hat und damit kein Kostenrisiko eingegangen ist. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 9.1.9 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 (DVBl 2004, S. 1525), wobei der Senat der erstinstanzlichen Wertfestsetzung folgt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).