Gericht | FG Berlin-Brandenburg 5. Senat | Entscheidungsdatum | 03.03.2010 | |
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Aktenzeichen | 5 K 1460/06 B | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Die Klägerin war alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin der X-GmbH (im Folgenden: GmbH). Das Stammkapital in Höhe von 100.000 DM war in voller Höhe eingezahlt. Mit notariellem Vertrag vom 18.5.2000, auf den Bezug genommen wird (Bl. 5ff der beigezogenen Einkommensteuerakte Bd. II), veräußerte die Klägerin zum 1.7.2000 ihre Gesellschaftsanteile an ihren Vater. Nach § 2 des Vertrages sollte der Kaufpreis dem in dem noch aufzustellenden Jahresabschluss zum 31.12.1999 ausgewiesenen Eigenkapital entsprechen, mindestens jedoch 1,00 DM betragen und bis zum 1.9.2000 zu zahlen sein.
Am 15.1.2001 erstellte die Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft A den Jahresabschluss für die GmbH zum 31.12.1999. Unter Textziffer - Tz. - 28 wurde auf den Wechsel des Anteilseigners zum 1.7.2000 hingewiesen. Es ergab sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag in Höhe von 354.053,37 DM. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die vom Beklagten zur Akte gereichten Auszüge aus dem Jahresabschluss verwiesen (Bl. 30 und Bl. 31 der Gerichtsakte).
Am 18.3.2002 reichte die Steuerberatungsgesellschaft A die von ihr für die Klägerin erstellte Einkommensteuererklärung 2000 beim Beklagten ein. Darin war kein Verlust im Sinne des § 17 Einkommensteuergesetz - EStG - hinsichtlich der Übertragung der Gesellschaftsanteile an der GmbH angegeben. Am 29.5.2002 erging der an die Steuerberatungsgesellschaft A adressierte Einkommensteuerbescheid 2000 für die Klägerin. Dagegen wandte sich die Klägerin persönlich mit Schreiben vom 6. 6.2002 und begehrte die Berücksichtigung ihres Kirchenaustritts sowie eine Änderung hinsichtlich der Sonderausgaben. Daraufhin erließ der Beklagte am 16.8.2002 einen Änderungsbescheid. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Mit Schreiben vom 29.11.2002 beantragte die Steuerberatungsgesellschaft A die Änderung des Einkommensteuerbescheides 2000, weil der Veräußerungsverlust aus der Übertragung von wesentlichen Anteilen an der GmbH in Höhe von 99.999,00 DM versehentlich nicht erklärt worden sei. Sie überreichte eine berichtigte Anlage GSE, eine Ermittlung des Veräußerungsverlustes sowie eine Kopie des Anteilsübertragungsvertrages. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 29.11.2002 nebst Anlagen Bezug genommen (Bl. 2ff der beigezogenen Einkommensteuerakte Bd. II). Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 2.6.2003 ab und berief sich darauf, dass die Klägerin ein grobes Verschulden daran treffe, dass der Verlust nicht berücksichtigt worden sei. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg.
Mit der Klage macht die Klägerin geltend, dass die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Abgabenordnung - AO - vorlägen. Sie treffe kein grobes Verschulden an der Nichtberücksichtigung des Verlustes. Grobes Verschulden setzte Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit voraus. Beides scheide aus. Sie, die Klägerin, sei ausgebildete Kunsthistorikerin. Sie habe keine kaufmännische Ausbildung absolviert. Sie sei im Rahmen ihrer Tätigkeit auch nicht mit steuerrechtlichen Vorschriften vertraut gemacht worden. Ihr Vater habe eine sehr starke Stellung innerhalb der GmbH gehabt, sei zum Zeitpunkt der Gründung aber nicht in der Lage gewesen, deren Gesellschafter und Geschäftsführer zu werden. Aufgrund der Stellung des Vaters sei sie, die Klägerin, nicht in die Lage versetzt gewesen, sich mit den kaufmännischen Belangen zu befassen. Sie habe zwar - abgesehen von ihrer Tätigkeit für die GmbH - ein Bürogewerbe unterhalten und Hausverwaltungen erledigt. Dabei habe sie sich aber nicht am freien Markt betätigt, sondern ausschließlich die Häuser ihrer Eltern verwaltet. Ihre Eltern hätten dies überwacht. Alle steuerlichen Angelegenheiten habe die Steuerberatungsgesellschaft A erledigt.
Eine Auseinandersetzung mit steuerrechtlichen Fragen ergebe sich auch nicht daraus, dass sie selbst Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2000 eingelegt habe. Es sei dabei um einen sehr überschaubaren Bereich gegangen und habe nicht derart komplizierte Rechtsfragen betroffen, wie die nun streitige Geltendmachung eines Veräußerungsverlustes.
Die verspätete Geltendmachung des Verlustes sei auch auf ihre, der Klägerin, persönliche Situation zurückzuführen. Sie sei in dem fraglichen Zeitraum körperlich und emotional stark belastet gewesen. Sie habe im Jahr 2000 ihr erstes Kind zur Welt gebracht. Vor und nach der Schwangerschaft hätten erhebliche gesundheitliche Probleme bestanden. Ihr Ehemann habe sie damals zudem verlassen.
Sie, die Klägerin, müsse sich zwar das Verhalten ihres steuerrechtlichen Beraters anrechnen lassen. Diesen habe sie damals aber nicht von der Veräußerung der Anteile an der GmbH zeitnah unterrichtet, weil sie die Tragweite dieser Veräußerung nicht erkannt habe. Das Mandatsverhältnis mit der Steuerberatungsgesellschaft A sei zum 31.3.2002 beendet worden. Der Steuerberatungsgesellschaft A sei die Veräußerung der GmbH-Anteile zwar bereits im Jahr 2000 bekannt gewesen. Da die GmbH jedoch als eigenes Mandat betreut worden sei und sich die Anteilsübertragung für die GmbH erst im Rahmen des Jahresabschlusses 2000 ausgewirkt habe, seien die Unterlagen in dem entsprechenden Ordner abgelegt worden. Es seien zum damaligen Zeitpunkt auch keine weiteren Handlungen erforderlich gewesen, weil der konkrete Veräußerungspreis erst nach Abschluss einer Betriebsprüfung habe festgelegt werden sollen. Für die Bearbeitung ihres, der Klägerin, Mandats hätten sich daraus keine Rückschlüsse aufzwingen müssen. Auf die eingereichte Stellungnahme der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft A vom 2.7.2007 (Bl. 40 f der Gerichtsakte) wird verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 2.6.2003 und der Einspruchsentscheidung vom 31.10.2006 den Einkommensteuerbescheid 2000 vom 16.8.2002 dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb ein Verlust aus der Veräußerung der Anteile an der X-GmbH in Höhe von 99.999,00 DM berücksichtigt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er beruft sich weiterhin darauf, dass die Klägerin sich das grobe Verschulden ihres damaligen Bevollmächtigten zurechnen lassen müsse.
Neben der Verfahrensakte haben dem Gericht bei der Entscheidung zwei Einkommensteuerakten des Beklagten vorgelegen (Bd. I und Bd. II, beide weitgehend unblattiert ).
Die Klage ist unbegründet. Die Ablehnung der Änderung des Einkommensteuerbescheides 2000 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, weil die Nichtberücksichtigung des Veräußerungsverlustes im Einkommensteuerbescheid auf einem groben Verschulden der Klägerin beruht. Dabei kann der Senat offen lassen, ob die Klägerin selbst grob schuldhaft gehandelt hat. Denn es lag in jedem Fall ein grobes Verschulden der sie und die GmbH betreuenden Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft A vor, welches der Klägerin nach der ganz überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, der sich der Senat anschließt, zuzurechnen ist (vgl. dazu Loose in Tipke/Kruse, AO, § 173 Tz. 83 m.w.N.).
Grob fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und im Stande ist, in ungewöhnlichem Maße und ihn nicht entschuldbarer Weise verletzt (Loose, am angegebenen Ort, Tz. 76 a m.w.N.). Die Steuerberatungsgesellschaft A hat bis zum 31.3.2002 sowohl die steuerrechtlichen Angelegenheiten der GmbH als auch der Klägerin erledigt. Wie sich aus den von dem Beklagten überlassenen Auszügen aus dem von der Steuerberatungsgesellschaft A erstellten Jahresabschluss der GmbH zum 31.12.1999 ergibt, war der Steuerberatungsgesellschaft A spätestens im Januar 2001 bekannt, dass die Klägerin ihre Geschäftsanteile veräußert hatte. Aus den detaillierten Angaben in Tz. 28 des Jahresabschlusses lässt sich ersehen, dass der notarielle Vertrag vom 18.5.2000 bei der Erstellung des Jahresabschlusses vorgelegen haben muss. Das hätte den zuständigen Sachbearbeiter in jedem Fall dazu veranlassen müssen, durch einen entsprechenden Vermerk in der Akte der Klägerin sicherzustellen, dass ein Veräußerungsgewinn oder -verlust bei der Erstellung der Einkommensteuererklärung 2000 berücksichtigt werden würde (s. zu den Anforderungen an die Sorgfalt auch BFH, Urteil vom 3.12.2009 – VI R 58/07, DStR 2010, 373). Wie sich aus der Stellungnahme der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft A ergibt, hat der Sachbearbeiter dies unterlassen.
Diese Verpflichtung hätte den Sachbearbeiter der Steuerberatungsgesellschaft A auch dann getroffen, wenn der notarielle Vertrag bei der Erstellung des Jahresabschlusses nicht vorgelegen haben sollte. Denn ausweislich der zitierten Tz. 28 des Jahresabschlusses waren Einzelheiten zu der Anteilsübertragung bekannt. Sofern noch Unklarheiten hinsichtlich der Berücksichtigung eines Veräußerungsgewinns oder -verlustes bestanden haben sollten, wäre es Aufgabe des Sachbearbeiters gewesen, dies zu ermitteln und durch einen entsprechenden Vermerk in der Akte der Klägerin die Berücksichtigung dieses Gewinns oder Verlustes bei der Erstellung der Einkommensteuererklärung 2000 sicherzustellen.
Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin darauf, dass der Sachbearbeiter der Steuerberatungsgesellschaft A deshalb nicht grob fahrlässig gehandelt habe, weil der Vorgang der Anteilsveräußerung für die GmbH erst bei der Erstellung des Jahresabschlusses zum 31.12.2000 Bedeutung erlangt hätte. Dies mag zwar zutreffen, entlastet den handelnden Sachbearbeiter aber deshalb nicht, weil er seine Sicht nicht nur auf die damals von ihm betreute GmbH hätte beschränken dürfen. Es wäre - wie ausgeführt - seine Aufgabe gewesen, rechtzeitig sicherzustellen, dass alle steuerrechtlichen Folgen der Anteilsveräußerung bei allen von der Steuerberatungsgesellschaft A betreuten Beteiligten korrekt berücksichtigt werden. Denn nur in diesem Fall erfolgt eine umfassende steuerrechtliche Beratung, die ein Steuerberater insbesondere dann zu erbringen hat, wenn er nicht nur damit betraut ist, die steuerlichen Angelegenheiten einer GmbH zu besorgen, sondern auch diejenigen der Gesellschafter. Selbst wenn die steuerrechtliche Betreuung der GmbH einerseits und der Gesellschafter andererseits unterschiedlichen Sachbearbeitern obliegt, ist durch entsprechende organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass keine Informationen verloren gehen, so z.B. durch die geschilderte Anfertigung von Aktenvermerken. Indem der Sachbearbeiter der Steuerberatungsgesellschaft A dies missachtet hat, hat er die ihm obliegenden Pflichten in besonders hohem Maße verletzt (vgl. BFH aaO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.