Gericht | ArbG Cottbus 2. Kammer | Entscheidungsdatum | 25.04.2012 | |
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Aktenzeichen | 2 BV 8/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 99 Abs 2 Nr 13 BetrVG, § 99 Abs 2 Nr 4 BetrVG, § 99 Abs 2 Nr 5 BetrVG, § 1 Abs 3 Nr 2 AÜG, § 14 Abs 3 S 1 AÜG |
1. Die Einstellung von Leiharbeitnehmern für noch ungewisse konkrete Schichten in einem ungewissen zeitlichen Rahmen sind keine Einstellungen nach § 99 BetrVG. Die Arbeitgeberin begehrt die Zustimmung zum künftigen, noch nicht näher konkretisierten Einsatz von Leiharbeitnehmern
2. Es liegt ein Zustimmungsverweigerungsgrund des Betriebsrates nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG vor, denn der Einsatz der Leiharbeitnehmer ist nicht nur vorübergehend geplant und verstößt deshalb gegen § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG.
Die Anträge werden zurückgewiesen.
A.
Die Beteiligten streiten über die Zustimmungsersetzung des Betriebsrates zur befristeten Einstellung der Arbeitnehmerin A... für den Zeitraum vom 28. Januar 2012 bis zum 30. Juni 2012 sowie über die Feststellung, ob die vorläufige Einstellung der Leiharbeitnehmerin aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war.
Der Antragsteller ist Arbeitgeber für ca. 1450 Arbeitnehmer. Die Antragsgegnerin ist der Betriebsrat der Beschäftigten der Flughäfen Berlin-Tegel und Schönefeld in den drei Bereichen Vorfeld, Passage und Operations. Die Arbeitgeberin erbringt Dienstleistungen für die Flughäfen.
Am 23. Januar 2012 unterrichtete die Antragstellerin den Antragsgegner über die beabsichtigte Einstellung der genannten Leiharbeitnehmerin in dem Bereich Passage/ Ticketing in Tegel und bat um Zustimmung hierzu nach § 99 BetrVG. Gleichzeitig teilte sie dem Antragsgegner mit, dass sie die vorläufige Durchführung dieser Maßnahme beabsichtige. Derzeit wird die Arbeitnehmerin A... beschäftigt.
Mit Schreiben vom 26. Januar 2012 widersprach der Betriebsrat der Einstellung und bestritt deren Dringlichkeit. Er wies zunächst darauf hin, dass er der Ansicht sei, die Anhörungsfrist laufe nicht, da unter anderem die Arbeitnehmerüberlassungsverträge für diese Arbeitnehmerin dem Betriebsrat nicht vorgelegt wurden. Es sei eine innerbetriebliche Ausschreibung unterblieben und Angaben zur Leiharbeitnehmerin seien unvollständig und unrichtig.
Der Betriebsrat berief sich zudem auf die Widerspruchsgründe des § 99 Absatz 2 Nr. 1, 3, 4 und 5 BetrVG.
Die Antragstellerin ist der Auffassung, sie beteilige den Betriebsrat richtig und vor Einstellung der Leiharbeitnehmerin. Denn eine Einstellung liege immer dann vor, wenn Personen in den Betrieb eingegliedert würden, um zusammen mit den dort beschäftigten Arbeitnehmern den arbeitstechnischen Zweck des Betriebs zu verwirklichen. Der Betriebsrat werde vor der konkreten Tätigkeit beteiligt, nicht etwa vor Abschluss des Rahmenvertrages mit dem Verleihunternehmen. Zu diesem Zeitpunkt stünde fest, zu welchen Bedingungen die Arbeitnehmer beschäftigt werden würden.
Die Antragstellerin ist weiter der Auffassung, sie habe den Betriebsrat ausreichend informiert. Sie habe ihm mitgeteilt, dass die Leiharbeitnehmerin die erforderlichen Schulungen „Dangerous Goods“ absolviert hätte. Die genauen Einsatzzeiten der Arbeitnehmerin könnten nur insoweit bekannt gegeben werden, als Dienstpläne bereits gefertigt seien. Im übrigen, also für folgende Monate richte sich der konkrete Einsatz nach der Betriebsvereinbarung Flex. Auch bei den eigenen Arbeitnehmern sei der konkrete Einsatz erst bei Erstellung der Dienstpläne bekannt. Die Einteilung der Arbeit erfolge wie bei den eigenen Arbeitnehmern. Es sei lediglich so, dass Wünsche der eigenen Arbeitnehmer bei der Einteilung der Dienste eher Berücksichtigung fänden als die Wünsche der Leiharbeitnehmer.
Die Antragstellerin führt aus, es lägen auch keine Widerspruchsgründe nach den Nr. 1, 3, 4 und 5 BetrVG vor. Insbesondere liege kein Verstoß gegen das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vor. Die Arbeitnehmerin werde nur vorübergehend im Sinne von § 1 Absatz 3 Nr. 2 AÜG eingestellt, denn es sei für die Beteiligte zu 1 unklar, ob sich der erhöhte Arbeitskräftebedarf nach Eröffnung des Großflughafens Berlin / Brandenburg so fortsetzte. Die Maßnahme stelle auch keine Tarifflucht dar. Die Beteiligte zu 1) hätte Auftragsspitzen am Tage abzudecken. Zu diesen Stoßzeiten seien täglich mehrere Hände von Nöten.
Schließlich sei die Maßnahme dringend erforderlich gewesen, denn die Beteiligte zu 1 könne die Aufträge nicht ohne die Leiharbeitnehmerin abwickeln.
Mit ihrem am 30. Januar 2012 beim Arbeitsgericht Cottbus eingereichten Beschlussverfahren beantragt die Antragstellerin,
1. die verweigerte Zustimmung des Antragsgegners zur Einstellung der Leiharbeitnehmerin A... in den Bereich Passage (Ticketing) in Tegel zu ersetzen,
2. festzustellen, dass die vorläufige Einstellung der im Antrag zu 1) genannten Leiharbeitnehmerin aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war.
Der Antragsgegner beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, der Zustimmungsersetzungsantrag sei deshalb zurückzuweisen, weil die Antragstellerin den Begriff der Einstellung nach § 99 BetrVG im Rahmen ihres Vorgehens verkannt habe und daher das Vorgehen unzulässig sei. Denn die Arbeitgeberin beantrage die Zustimmung für alle künftigen Einsätze dieser Leiharbeitnehmerin bis zum 30. Juni 2012.
Der Betriebsrat weist zudem darauf hin, dass mit der Einstellung der Leiharbeitnehmerin ein Verstoß gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vorliege und deshalb der Widerspruchsgrund des § 99 Absatz 2 Nr. 1 BetrVG gegeben sei. Denn die Einstellung erfolge nicht vorübergehend. Die Antragstellerin habe dauerhaft Beschäftigungsbedarf. Sie würde befristete Beschäftigungen auslaufen lassen, um für diese Stellen Leiharbeitnehmer einzusetzen. Die täglichen Auftragsspitzen wiederholten sich jährlich aufs Neue. Zur Abwicklung der Arbeit sei eine bestimmte Anzahl von Arbeitskräften notwendig. Diese Anzahl würde die Beteiligte zu 1 seit mehreren Jahren nur mit Hilfen von mindestens 150 bis 200 Leiharbeitnehmern abdecken können.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
B.
Die Anträge auf Zustimmungsersetzung und auf Feststellung, dass die vorläufige Einstellung aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war, sind unbegründet.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vergleiche umfassend BAG vom 23.1.2008 – 1 ABR 74/06, Juris setzt ein Antrag nach § 99 Absatz 4 BetrVG auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates zu einer als Einstellung bezeichneten Maßnahme voraus, dass es sich bei dieser tatsächlich um eine Einstellung im Sinne von § 99 Absatz 1 Satz 1 und 2 BetrVG handelt. Andernfalls – so das BAG in der oben zitierten Entscheidung – gehe der Antrag ins Leere.
Eine Einstellung liege aber nach § 99 Absatz 1 Satz 1 BetrVG vor, wenn Personen in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert werden, um zusammen mit den dort beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen. Auf das Rechtsverhältnis, in dem diese Personen zum Betriebsinhaber stehen, komme es nicht an, vergleiche BAG vom 23.1.2008 – 1 ABR 74/06; BAG vom 25. 1 2005 – 1 ABR 59/03 und vom 2. 10. 2007 – 1 ABR 60/06.
Bei Leiharbeitnehmern sei die Übernahme im Sinne von § 14 Absatz 3 Satz 1 AÜG bezogen auf den Betrieb des Entleihers die als Einstellung im Sinne von § 99 Absatz 1 BetrVG zu erachtende Eingliederung. Hiernach liegt eine Einstellung eines Leiharbeitnehmers im Entleiherbetrieb erst vor, wenn der Leiharbeitnehmer dort zur Arbeitsleistung eingegliedert wird, vergleiche wiederum BAG vom 23.1.2008 – 1 ABR 74/06.
Tatsächlich mitbestimmungspflichtig ist nach dieser Rechtsprechung erst der tatsächliche Einsatz von Leiharbeitnehmern im Entleiherbetrieb. Jede noch so kurze tatsächliche Beschäftigung sei mitbestimmungspflichtig. Erst bei Kenntnis von Dauer und zeitlichem Umfang der Tätigkeit jedes einzelnen Leiharbeitnehmers könne der Betriebsrat seine Zustimmungsverweigerungsgründe prüfen. Das BAG führt in seiner Entscheidung weiter aus, dass die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bei der Einstellung von Arbeitnehmern entwertet und nicht sinnvoll wahrzunehmen wären, wenn sie sich auf die Aufnahme eines Leiharbeitnehmers in einen Stellenpool oder seinen erstmaligen Einsatz beschränken würden und völlig offen wäre, wie oft, wie lange und in welchem zeitlichen Umfang er künftig eingesetzt werden würde.
2. Vorliegend kann nichts anderes gelten. Zwar bildet die Antragstellerin keinen Stellenpool aus dem der Verleiher regelmäßig nach bestimmten festgelegten Kriterien die zu leistenden Schichten besetzt. Die Antragstellerin bildet jedoch selbst einen Stellenpool nach dem sie nach für den Betriebsrat unbekannten Zeitpunkten Arbeitnehmer in ungewissem Umfang beschäftigt. Die Beschäftigung ist lediglich über das Jahr bezogen nach der von der Antragstellerin angewendeten BV Flex bestimmbar.
Diese Betriebsvereinbarung fordert bestimmte Mindestregelungen hinsichtlich der Einsetzbarkeit und der Dauer einzelner Schichten und der einzuhaltenden Monatsarbeitszeit. Dass eine derartige unbestimmte Beschäftigung mit den eigenen Arbeitnehmern so praktiziert wird und aufgrund der nachwirkenden Betriebsvereinbarung vom Betriebsrat akzeptiert wird, hat mit der Frage der Mitbestimmung bei Einstellung von Beschäftigten, mit denen die Antragstellerin keinen Vertrag geschlossen hat, nichts zu tun. Denn die eigenen Arbeitnehmer haben einen individuellen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Beschäftigung und auch einen einklagbaren Anspruch auf Einsatz in bestimmtem Umfang. Damit reicht hier als Anknüpfungspunkt nach § 99 BetrVG der Abschluss des Arbeitsvertrages selbst.
Im Falle des Einsatzes von Leiharbeitnehmern dagegen kann der Betriebsrat nicht prüfen, ob einzelne Arbeitnehmer der Beteiligten zu 1) benachteiligt werden, etwa durch die Einteilung der Schichten (Häufigkeit der Arbeit) oder die Länge der Arbeit oder Zusammensetzung der Schichten, denn gerade diese Details liegen dem Betriebsrat hier nicht vor. Denn die BV Flex ist unbestimmt. Sie legt nur den Rahmen fest. Gerade weil es kein Vertragsverhältnis zu den einzelnen Arbeitnehmern gibt und der Betriebsrat die Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer nicht kennt, muss er zu den jeweiligen konkreten Einsätzen der Leiharbeitnehmer gehört werden. Erst dann steht fest, ob einzelne eigene Arbeitnehmer der Antragstellerin benachteiligt werden.
Ob ein Fall anders zu entscheiden wäre, bei dem beispielsweise in einem Betrieb täglich von 8 bis 17 Uhr bei einer Stunde Mittagspause gearbeitet würde, kann dahinstehen. In diesem Fall würde aber voraussichtlich der Zustimmungs-ersetzungsantrag bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen begründet sein. Denn der konkrete Einsatz und die tägliche Zusammensetzung der Arbeitnehmer stünden im Vorhinein fest.
Völlig ungewisse Einsätze, die nur bestimmbaren Rahmenrichtlinien unterliegen können aber nicht Gegenstand des Verfahrens nach § 99 BetrVG sein.
3. Die Einstellung von Leiharbeitnehmern für noch ungewisse konkrete Schichten in einem ungewissen zeitlichen Rahmen sind keine Einstellungen nach § 99 BetrVG. Die Arbeitgeberin begehrt aber nicht die Zustimmung zu bestimmten, in ihrem Umfang konkretisierten Eingliederungen, sondern die generelle Zustimmung zum künftigen noch nicht näher konkretisierten Einsatz der bezeichneten Leiharbeitnehmer.
4. Der Betriebsrat hat zu Recht seine Zustimmung auch deshalb verweigert, weil die personelle Maßnahme, die Einstellung der Arbeitnehmerin, gegen ein Gesetz verstieß.
a) Der Gesetzesverstoß beruht auf § 1 Absatz 3 Nr. 2 AÜG, nach dem die Arbeitnehmerüberlassung nur noch vorübergehend gestattet ist. Dass hierin ein Verstoß gegen ein Gesetz begründet sein kann, ist überwiegende Meinung in der Literatur, vergleiche Hamann, Kurswechsel bei der Arbeitnehmerüberlassung, NZA 2011, S. 70, 75, Fitting, 26. Auflage, § 99 Rn 192 a BetrVG, a. A. wohl ArbG Leipzig, vom 15.02.2012, 11BV 79/11.
b) Die beabsichtigte Einstellung der Arbeitnehmerin sollte nicht nur vorübergehend erfolgen. Nach Hamann, NZA 2011, S. 70 ff. könnte der Begriff vorübergehend verstanden werden wie die Befristung mit Sachgrund nach § 14 Absatz 1 TzBfG, wobei geringere Anforderungen an die Prognoseentscheidung des Arbeitgebers zu verlangen seien. Der Arbeitgeber könne auch vorübergehend beschäftigen, wenn ein erhöhter Arbeitskräftebedarf vorliege, aber unsicher sei, ob sich dieser zukünftig fortsetzte, so auch Fitting, 26. Auflage § 99 Rn 192 a BetrVG.
c) Die Kammer folgt dieser Auffassung, denn der Gesetzgeber wollte sichtlich von einer Höchstdauergrenze des Einsatzes von Leiharbeitnehmern abrücken. Der Gesetzgeber wollte die Richtlinie 2008/104 EG umsetzen, nach der Arbeitgeber Leiharbeitnehmer nicht auf Stammarbeitsplätzen einsetzten dürfen, sondern nur zur Abdeckung einer Auftragsspitze.
Vorliegend setzt die Beteiligte zu 1 die Arbeitnehmerin jedoch gerade auf einem Stammarbeitsplatz ein. Die Arbeitgeberin erklärt selbst, es bestehe ein tatsächlicher Bedarf an flexibel einsetzbaren Arbeitskräften. Es sei ihre freie unternehmerische Entscheidung, diesen Arbeitsbedarf mit Leiharbeitnehmern abzudecken. Die Antragstellerin trägt auf Blatt 14 ihrer Antragsschrift vor, sie benötige zur Abdeckung der Tagesspitzen gerade das Personal.
Dieses zusätzliche Personal benötigt sie jedoch nach Überzeugung der Kammer bei jedem Flugplan, Sommer wie Winter, aufs Neue. Seit mehreren Jahren setzt die Antragstellerin nunmehr ca. 200 Leiharbeitnehmer ein, um flexible Arbeitskräfte täglich zu haben, um die Tagesspitzen von jeweils ca. 3 Stunden abzudecken. Bezieht man den Arbeitskräftebedarf auf das gesamte Jahr liegt dauerhaft der Bedarf an diesen Leiharbeitnehmern vor. Die Beteiligte zu 1 hat nicht dargelegt, welcher Sachgrund gerade zum Einsatz dieser Leiharbeitnehmerin vorliegt und aus welchen Gründen diese Arbeitnehmerin nach Ablauf des 30. Juni 2012 nicht mehr benötigt wird oder inwiefern ihr Bedarf noch ungewiss ist. Es ist auch augenscheinlich, dass der Bedarf nicht ungewiss ist, weil gerade im Sommer der neue Flughafen eröffnet sein soll. Dieser erfordert jedoch gerichtsbekannt viele weitere Arbeitskräfte. Derzeit werden weitere provisorische Check-In-Schalter gebaut. Auch erhöht sich die Anzahl der abzufertigenden Flüge.
5. Der auf die Feststellung der dringenden Erforderlichkeit der vorläufigen personellen Maßnahme gerichtete Antrag ist ebenso unbegründet. Denn es liegt schon keine Einstellung vor. Diese kann deshalb auch nicht dringend erforderlich gewesen sein.