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Baugenehmigung; Nutzungsänderung; Bordell; bordellähnlicher Betrieb; Mischgebiet; Unzulässigkeit von Bordellen im Mischgebiet; gemischtes Gebiet; Wohnen; wesentliche Störung des Wohnens; typisierende Betrachtungsweise; milieubedingte Unruhe; Abwägungsgebot; Konfliktbewältigungsgebot; Kerngebiet; Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials; Beachtlichkeit von Abwägungsfehlern; maßgeblicher Zeitpunkt; Offensichtlichkeit; Einfluss auf das Abwägungsergebnis; für die Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials wesentlicher Punkt; Fehlerrüge; Frist; Form; allgemeine Zulässigkeit von Wohnungen im Kerngebiet; Gebot der Wahrung der allgemeinen Zweckbestimmung des Kerngebiets; Zulassung einer überwiegenden Wohnnutzung im Kerngebiet; Bezugnahme des Bebauungsplans auf unveröffentlichte DIN-Vorschrift; Kenntnisnahmemöglichkeit; zulässiger Störgrad von gewerblichen Betrieben und Vergnügungsstätten im gemischten Gebiet; Anspruch auf rechtliches Gehör; Einräumung einer Stellungnahmefrist


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat Entscheidungsdatum 29.01.2015
Aktenzeichen OVG 2 B 1.14 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 2 Abs 4 Nr 8 BauO BE, § 65 Abs 1 BauO BE, § 71 Abs 1 BauO BE, § 1 Abs 7 BauGB, § 2 Abs 3 BauGB, § 214 Abs 1 Nr 1 BauGB, § 214 Abs 3 S 1 BauGB, § 214 Abs 3 S 2 BauGB, § 215 BauGB, § 233 Abs 2 BauGB, § 6 Abs 3 BauGBAG BE, ProstG, § 1 Abs 3 BauNVO, § 7 Abs 1 BauNVO, § 7 Abs 2 Nr 7 BauNVO, § 7 Nr 5 BauO BE 1985, § 7 Nr 9 BauO BE 1985, Art 103 Abs 1 GG

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung die auf Erteilung einer Baugenehmigung zur Nutzung mehrerer Geschosse des Gebäudes K...straße .../P... Straße ... als Bordell bzw. bordellähnlichen Betrieb gerichtete Klage fort. Hilfsweise begehrt sie die Feststellung, dass die Genehmigungsversagung in der Vergangenheit rechtswidrig war, und wendet sich gegen die Gebührenfestsetzung im Widerspruchsverfahren.

Das Gebäude, ein siebengeschossiges Wohn- und Geschäftshaus, war in den 1960er Jahren von der Firma W... errichtet worden, die es bis 1995 als Hauptverkaufsstelle nutzte. Mit Vertrag vom 10. März 2006 veräußerte die W... das Grundstück an die jetzige Eigentümerin, die H.... Die Umschreibung im Grundbuch erfolgte am 6. Juli 2006. Das Gebäude wird gegenwärtig durch einen Drogeriemarkt, einen Imbiss, ein Pflanzengeschäft sowie ein Erotikkaufhaus mit Videokabinen und Kino („L...“) genutzt. Dieses nimmt Teile des Erdgeschosses ein und erstreckt sich außerdem auf die zweite Etage. Es ist im Januar 2006 eröffnet worden.

In unmittelbarer Nähe des Vorhabengrundstücks werden die P... Straße, die K... und Frobenstraße sowie die Genthiner Straße zur Straßenprostitution genutzt.

Die planungsrechtliche Lage in der Umgebung des Vorhabens stellt sich wie folgt dar:

Im Flächennutzungsplan Berlin (Neubekanntmachung vom 5. Januar 2015, ABl. S. 31) werden die Blöcke beidseits der P... Straße nördlich der Winterfeldt-/Alvenslebenstraße als Gemischte Baufläche M 2 dargestellt, südlich davon, mit Ausnahme der Grundstücke westlich der P... Straße zwischen Pallas- und Grunewaldstraße, die als Gemeinbedarfsfläche mit hohem Grünanteil dargestellt sind, als Wohnbaufläche W 1. Nördlich der Bülowstraße stellt der Flächennutzungsplan beidseits der P... Straße außerdem eine Einzelhandelskonzentration dar. Die P... Straße sowie die Pallas-/Goebenstraße werden als übergeordnete Hauptverkehrsstraßen dargestellt.

Der Baunutzungsplan vom 11. März 1958 (ABl. 1959 S. 50) in der Fassung vom 28. Dezember 1960 (ABl. 1961 S. 742, nachfolgend Baunutzungsplan 1958/1960) weist den Bereich beidseits der P... Straße und nördlich der K...straße als Kerngebiet, südlich davon als Gemischtes Gebiet der Baustufe V/3 aus.

Das Straßengeviert westlich der P... Straße und südlich der K...straße, in dem sich das Vorhabengrundstück befindet, wurde später durch den mit Rechtsverordnung vom 22. Dezember 1993 (GVBl. 1994, S. 31) festgesetzten Bebauungsplan XI-101u des früheren Bezirksamts Schöneberg von Berlin überplant. Er weist für das Vorhabengrundstück und die südlich angrenzenden Grundstücke entlang der P... Straße ein Kerngebiet mit fünf bis acht Vollgeschossen aus. Das westlich an das Vorhabengrundstück angrenzende Grundstück K...straße ..., das mit einem inzwischen als Wohnhaus genutzten mehrgeschossigen Gebäude (früheres Seniorenwohnhaus) bebaut ist, wurde als Allgemeines Wohngebiet festgesetzt. Der Bebauungsplan enthält eine Planergänzungsbestimmung (Nr. 2), wonach im Kerngebiet in den baulichen Anlagen oberhalb des I. Vollgeschosses Wohnungen allgemein zulässig sind. Ferner wird bestimmt, dass die Umfassungsteile von Wohnräumen, die zur P... Straße und zur Bülowstraße gelegen sind, zum Schutz vor Verkehrslärm ein bewertetes Schalldämmmaß (R’w res nach DIN 4109, Ausgabe November 1989) von mindestens 40 dB haben müssen (Planergänzungsbestimmung Nr. 6).

Innerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans XI-101u wurden mehrere Grundstücke, darunter das Vorhabengrundstück, durch den mit Rechtsverordnung vom 14. Juni 2006 (GVBl. S. 614) festgesetzten Bebauungsplan XI-101u-1 überplant. Dieser Bebauungsplan sieht für das Vorhabengrundstück ein Kerngebiet mit bis zu acht Vollgeschossen vor. Durch textliche Festsetzungen wird u.a. bestimmt, dass in dem Kerngebiet Spielhallen unzulässig (Nr. 1) und oberhalb des 6. Vollgeschosses Wohnungen allgemein zulässig sind (Nr. 3). Die Grundstücke westlich des Vorhabengrundstücks, sowohl das Grundstück K...straße ... als auch das Grundstück K...straße ..., werden als Allgemeines Wohngebiet ausgewiesen. Gegenüber dem Bebauungsplan XI-101u werden geänderte Baugrenzen festgesetzt, die eine Blockrandschließung an der Straßenecke K...straße/P... Straße sowie teilweise entlang der K...straße (bis auf das Grundstück Nr. 148-149 hin) ermöglichen.

Für das nördlich an das Vorhabengrundstück angrenzende Gebiet im Bezirk Mitte wurde mit Rechtsverordnung vom 4. Juni 1996 (GVBl. S. 212) der Bebauungsplan II-B3 des früheren Bezirksamts Tiergarten festgesetzt. Dieser Bebauungsplan weist ein allgemeines Wohngebiet, ein Mischgebiet und ein Kerngebiet aus. U.a. für die Grundstücke P...Straße ..., das dem Vorhabengrundstück nördlich der Kurfürstenstraße gegenüberliegende Eckgrundstück P.../K...straße ... sowie die Grundstücke K...straße ...straße ... wird ein Kerngebiet festgesetzt (textliche Festsetzung Nr. 3). U.a. die Grundstücke K...straße 34 bis 40 werden als allgemeines Wohngebiet festgesetzt (textliche Festsetzung Nr. 1). Weiter wird bestimmt, dass im Kerngebiet in den baulichen Anlagen oberhalb des 1. Vollgeschosses Wohnungen allgemein zulässig sind (Nr. 8). Für mehrere Grundstücke im Kerngebiet wird festgesetzt, dass in den baulichen Anlagen in bestimmten Grundstücksbereichen oberhalb des 2. Vollgeschosses nur Wohnungen zulässig sind (Nr. 9). Ferner wird angeordnet (Nr. 11), dass im Kerngebiet und Mischgebiet Schank- und Speisewirtschaften sowie Vergnügungsstätten nur ausnahmsweise und nur beschränkt auf bestimmte Geschosse zugelassen werden können, und dass Spielhallen und Einrichtungen zur Schaustellung von Personen (z.B. Peep-, Sex- und Live-Shows sowie Videovorführungen) innerhalb der Flächen unzulässig sind.

Während des Klageverfahrens hat das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg im beschleunigten Verfahren nach § 13a BauGB den Bebauungsplan 7-50 B aufgestellt und mit Rechtsverordnung vom 11. Dezember 2012 (GVBl. vom 21. Dezember 2012, S. 526) festgesetzt. Dieser Bebauungsplan betrifft mehrere nicht zusammenhängende Gebiete, vorwiegend entlang der P... Straße, und enthält mit Ausnahme zweier textlicher Festsetzungen zum Schutz vor Lärm und Luftschadstoffen (Nr. 1) sowie zu Brennstoffen (Nr. 3) nur Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung, indem anstelle bisher festgesetzter Kerngebiete, Mischgebiete oder Gemischter Gebiete nunmehr Mischgebiete oder Allgemeine Wohngebiete festgesetzt werden. Für die Mischgebiete wird ergänzend bestimmt, dass Nutzungen nach § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO (Vergnügungsstätten) nur ausnahmsweise zugelassen werden können (textliche Festsetzung Nr. 2). Für das Vorhabengrundstück setzt der Bebauungsplan 7-50B ein Mischgebiet fest. Zur Sicherung des Aufstellungsverfahrens hat das Bezirksamt mit Rechtsverordnung vom 27. September 2011 (GVBl. S. 496) die Veränderungssperre 7-50B/61 erlassen, die am 1. Oktober 2011 in Kraft trat.

Die Klägerin ist Mieterin von Räumen auf dem Vorhabengrundstück. Mit Antrag vom 30. April 2007 hat sie eine Baugenehmigung für die Nutzungsänderung des zweiten bis fünften Obergeschosses des auf dem Vorhabengrundstück befindlichen Gebäudes beantragt. In dem Bauantrag wird das Vorhaben als „Laufhaus/Zimmervermietung/bordellähnlicher Betrieb“ bezeichnet. Nach der Bau- und Betriebsbeschreibung und ergänzenden Angaben der Klägerin im Genehmigungsverfahren ist die Einrichtung von 48 Zimmern geplant, die tageweise an Prostituierte vermietet werden sollen. Diese sollen ihre Dienste vor den Zimmern anbieten. Die Kunden sollen durch die Etagen laufen können. Geplant ist eine Öffnungszeit von 11 bis 6 Uhr. Der auf dem Grundstück befindliche, westlich an das Gebäude angrenzende Parkplatz soll von 22 Uhr bis 6 Uhr nicht genutzt werden. Während dieser Zeit soll das Gebäude nur über den Haupteingang an der Ecke K...straße/P...Straße zugänglich sein.

Das Bezirksamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28. Januar 2008 ab, da unzumutbare Belästigungen für die Umgebung (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO) zu erwarten seien. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2008 zurück.

Die von der Klägerin hierauf erhobene Verpflichtungsklage hat das Verwaltungsgericht mit dem Beklagten am 31. Mai 2010 und der Klägerin am 3. Juni 2010 zugestellten Urteil abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das geplante Laufhaus sei in dem durch den Bebauungsplan XI-101u-1 festgesetzten Kerngebiet als sonstiger, nicht wesentlich störender Gewerbebetrieb (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO) zwar allgemein zulässig. Es verstoße jedoch gegen das in § 15 Abs. 1 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme, da es zu einem „Trading-down-Effekt“, d.h. einem durch Niveauabsenkung bewirkten Attraktivitätsverlust des gesamten Gebietes mit der Folge der Verdrängung bereits ansässiger Betriebe und der Wohnbevölkerung führen würde. Es widerspreche deshalb der Eigenart des Baugebiets (§ 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO), das durch eine gewachsene Verflechtung von kerngebietstypischen Nutzungen und einen für ein Kerngebiet ungewöhnlich hohen Anteil an Wohnnutzungen geprägt sei. Außerdem sei es nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO unzulässig, denn aufgrund der exponierten Lage an der Ecke K...straße/P...Straße betreffe der Trading-down-Effekt auch die Umgebung des Baugebiets, die ebenfalls durch eine Nutzungsverflechtung von Gewerbe und Wohnbebauung geprägt sei.

Mit der vom Senat zugelassenen Berufung verfolgt die Klägerin die Verpflichtungsklage weiter. Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, der Bebauungsplan 7-50B sei unwirksam. Sie beanstandet in erster Linie die Aufstellung des Bebauungsplans im beschleunigten Verfahren nach § 13a BauGB. Die insoweit zu beachtenden flächenbezogenen Voraussetzungen (§ 13a Abs. 1 Sätze 2 und 3 BauGB) lägen nicht vor, da der Bebauungsplan eine versiegelte Fläche von mehr als 20.000 m² überplane und der Beklagte keine Vorprüfung des Einzelfalles (§ 13a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BauGB) vorgenommen habe. Der Bebauungsplan leide darüber hinaus aus mehreren Gründen an einem beachtlichen Fehler des Abwägungsergebnisses. Die Zulässigkeit des Vorhabens sei daher weiterhin an Hand des ein Kerngebiet festsetzenden Bebauungsplans XI-101u-1 zu beurteilen. Unzumutbare Belästigungen oder Störungen im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO stünden nicht in Rede. Das Vorhaben widerspreche auch nicht nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets. Insbesondere lasse sich seine Zulässigkeit nicht mit Blick auf einen zu befürchtenden Trading-down-Effekt verneinen, denn es gebe keine belastbaren Feststellungen oder Erfahrungssätze, die eine entsprechende Prognose tragen könnten. Im Gegenteil seien die Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung ein Trading-down-Effekt anzunehmen sei, nämlich die konzentrierte Ansiedlung von Vergnügungsstätten in einem Baugebiet, nicht gegeben, da es sich bei dem Vorhaben um die erste prostitutive Einrichtung ihrer Art in der Umgebung handle.

Die Klägerin beantragt,

1. das angefochtene Urteil abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg vom 28. Januar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 16. Juli 2008 zu verpflichten, ihr die beantragte Nutzungsänderung auf dem Grundstück K...straße 1...Ecke P...Straße 1... in ein Laufhaus entsprechend ihres Bauantrags vom 30. April 2007, vervollständigt am 13. August 2007, zu genehmigen,

hilfsweise

festzustellen, dass der Beklagte bei Inkrafttreten der Veränderungssperre 7-50B/61 im Bezirk Tempelhof-Schöneberg, Ortsteil Schöneberg, am 1. Oktober 2011 verpflichtet war, über den Antrag der Klägerin vom 30. April 2007 auf Erteilung einer Baugenehmigung, vervollständigt am 13. August 2007, erneut zu entscheiden,

weiter hilfsweise

festzustellen, dass der Beklagte in der Zeit vom 13. Februar 2008 bis zum 30. September 2011 verpflichtet war, über den Antrag der Klägerin vom 30. April 2007 auf Erteilung einer Baugenehmigung, vervollständigt am 13. August 2007, erneut zu entscheiden,

weiter hilfsweise

den Widerspruchsbescheid der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 16. Juli 2008 insoweit aufzuheben, als darin eine Widerspruchsgebühr in Höhe von 217 Euro festgesetzt wird,

2. die Hinzuziehung der bevollmächtigten Rechtsanwälte für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er macht geltend, der für das Vorhabengrundstück ein Mischgebiet festsetzende Bebauungsplan 7-50B sei wirksam. Weder die flächenabhängigen noch die schutzzweckbezogenen Ausschlussgründe des § 13 a BauGB hätten der Durchführung des beschleunigten Verfahrens entgegengestanden. Die außerdem geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe lägen ebenfalls nicht vor. Zur Beurteilung am Maßstab des Bebauungsplanes XI-101u-1 und des Rücksichtnahmegebots (§ 15 BauNVO) weist der Beklagte insbesondere auf den hohen Wohnanteil im Umfeld des Vorhabengrundstücks und auf die vom typischen Bild eines Kerngebiets abweichende Zulassung einer Wohnnutzung schon oberhalb des ersten Vollgeschosses durch den Bebauungsplan XI-101u hin. Es bestehe die greifbare Gefahr unzumutbarer Belästigungen und Störungen der in der Umgebung angesiedelten Wohnnutzung einschließlich ihrer Folgeeinrichtungen. Gleiches gelte für die Einzelhandels-, Büro- und Verwaltungsnutzungen, deren Erhalt und weitere Ansiedlung und Fortentwicklung das Ziel der für diesen Bereich vorhandenen Planungen sei.

Mit Urteil vom 7. Juni 2012 – OVG 2 B 18.11 – (juris) hatte der Senat die Verpflichtungsklage im Hinblick auf die Veränderungssperre abgewiesen. Den Feststellungsanträgen der Klägerin hatte er im Wesentlichen stattgegeben, da das Vorhaben nicht in Widerspruch zu der Festsetzung eines Kerngebiets im Bebauungsplan XI-101u-1 stehe und ein Rückgriff auf die Regelung des § 15 BauNVO nicht zulässig sei. Das Bundesverwaltungsgericht hat dieses Urteil auf die Revisionen beider Beteiligter mit Urteil vom 12. September 2013 – 4 C 8.12 – aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und Aufstellungsvorgänge der Bebauungspläne XI-101u, XI-101u-1, II-B3 und 7-50B verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.

1. Das Verwaltungsgericht hat die mit dem Hauptantrag weiter verfolgte Verpflichtungsklage unter Berücksichtigung der inzwischen maßgeblichen Sach- und Rechtslage zu Recht abgewiesen. Der den Bauantrag vom 30. April 2007 zurückweisende Bescheid des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg vom 28. Januar 2008 und der Widerspruchsbescheid der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 16. Juli 2008 sind im Ergebnis rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klägerin kann weder die Erteilung einer Baugenehmigung für die Nutzungsänderung mehrerer Geschosse des Gebäudes K.../P... in ein Bordell bzw. einen bordellähnlichen Betrieb in Form eines Laufhauses noch eine erneute Entscheidung über ihren hierauf gerichteten Antrag beanspruchen (§ 113 Abs. 5 VwGO). Das Vorhaben ist unter Berücksichtigung der für die Beurteilung seiner Genehmigungsfähigkeit maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren bauplanungsrechtlich unzulässig.

Dies gilt zunächst, wenn man den während des Berufungsverfahrens im Jahre 2012 aufgestellten Bebauungsplan 7-50 B zugrunde legt, der für das Vorhabengrundstück ein Mischgebiet festsetzt (vgl. nachfolgend unter a). Etwas anderes ergäbe sich aber auch dann nicht, wenn dieser Bebauungsplan unwirksam wäre. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtete sich dann nach dem Baunutzungsplan 1958/1960, da sowohl der 2006 festgesetzte Bebauungsplan XI-101u-1 (dazu nachfolgend unter b) als auch der Bebauungsplan XI-101u aus dem Jahre 1993 (vgl. unter c) unwirksam sind. Mit der im Baunutzungsplan 1958/1960 für das Grundstück getroffenen Festsetzung eines Gemischten Gebiets ist das Vorhaben ebenfalls nicht vereinbar (vgl. unter d).

a) Legt man der im Baugenehmigungsverfahren nach § 71 Abs. 1, § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 4 Nr. 18 und Nr. 8 BauO Bln gebotenen Prüfung, ob das Vorhaben mit den Vorschriften der §§ 29 bis 38 BauGB vereinbar ist (vgl. dazu bereits Urteil des Senats vom 7. Juni 2012, a.a.O. Rn. 45), den Bebauungsplan 7-50B zugrunde, so ergibt sich die planungsrechtliche Unzulässigkeit des Vorhabens daraus, dass der Bebauungsplan für das Vorhabengrundstück und die weiteren Grundstücke beidseits der P... Straße zwischen K... und Bülowstraße ein Mischgebiet ausweist. In einem derartigen Gebiet sind Bordelle und bordellartige Betriebe unzulässig, denn solche Betriebe sind mit der im Mischgebiet ebenfalls zulässigen Wohnnutzung unverträglich (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. September 2013 – 4 C 8.12 –, juris Rn. 14). Die für die Genehmigungsfähigkeit in bauplanungsrechtlicher Hinsicht entscheidende Frage, ob das Vorhaben gebietsverträglich ist, ist grundsätzlich aufgrund einer typisierenden Betrachtungsweise zu beantworten. Danach kommt es darauf an, ob sich das Vorhaben aufgrund seiner typischen Nutzungsweise störend auswirkt. Bordellartige Betriebe sind regelmäßig mit nach außen wirkenden Begleiterscheinungen („milieubedingte Unruhe“) verbunden, die beispielsweise durch ein anstößiges Verhalten der Kunden gegenüber Passantinnen und Passanten oder durch das Werben von Kunden erhebliche Belästigungen Unbeteiligter befürchten lassen. Diese regelmäßig zu erwartenden Auswirkungen stellen eine wesentliche Störung des Wohnens dar (zur insoweit einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung vgl. die Nachweise bei Fickert/Fieseler, BauNVO, 12. Aufl. 2014, Anm. 2.1 zu § 6; vgl. aus der Rechtsprechung des Senats u.a. Beschlüsse vom 5. Juni 2009 – OVG 2 S 20.09 –, vom 4. März 2010 – OVG 2 S 65.09 – und vom 14. Juni 2010 – OVG 2 S 15.10 –, juris Rn. 5).

Voraussetzung für die Unzulässigkeit des Vorhabens wegen Widerspruchs zu den Festsetzungen des Bebauungsplans 7-50B ist allerdings die Wirksamkeit dieses Bebauungsplans. Auf die darauf bezogenen Einwendungen der Klägerin kommt es jedoch für das vorliegende Verfahren nicht entscheidungserheblich an, da das streitgegenständliche Vorhaben, wie nachfolgend näher ausgeführt wird, auch bei unterstellter Unwirksamkeit des Bebauungsplanes 7-50B bauplanungsrechtlich unzulässig wäre.

b) Im – in der Folge unterstellten – Fall der Unwirksamkeit des Bebauungsplans 7-50B ist als möglicher Maßstab der bauplanungsrechtlichen Beurteilung zunächst der im Jahre 2006 festgesetzte Bebauungsplan XI-101u-1 in Betracht zu ziehen, der für das Vorhabengrundstück ein Kerngebiet festsetzt. Dieser Bebauungsplan ist jedoch, wie sich aus dem bereits im Urteil des Senats vom 7. Juni 2012 (a.a.O. Rn. 56 und 58) beanstandeten Verstoß gegen das Konfliktbewältigungsgebot ergibt, nicht abwägungsfehlerfrei zustande gekommen (aa). Entgegen der in dem genannten Urteil zugrundegelegten Annahme (a.a.O., Rn. 47) kann der Plan nicht im Hinblick auf die Planerhaltungsvorschriften der §§ 214, 215 BauGB als wirksam ansehen werden (bb).

aa) Der Bebauungsplan XI-101u-1 leidet an einem Fehler im Abwägungsvorgang bzw. einem Verstoß gegen die Vorschrift des § 2 Abs. 3 BauGB, da der Plangeber für die Abwägung wesentliche Umstände nicht ermittelt, nicht bewertet und nicht in die Abwägungsentscheidung eingestellt hat.

Nach § 1 Abs. 7 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist das Gebot gerechter Abwägung wegen eines Fehlers im Abwägungsvorgang verletzt, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattfindet, wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, oder wenn die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt wird. Soweit die Ermittlung und Bewertung der Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind, in § 2 Abs. 3 BauGB inzwischen als eigenständige verfahrensbezogene Pflicht geregelt ist, ergeben sich daraus keine inhaltlichen Änderungen gegenüber den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Abwägungsgebot entwickelten Anforderungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. April 2008 – 4 CN 1.07 –, juris Rn. 20; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt Urteil vom 24. Oktober 2013 – OVG 2 A 2.12 –, juris Rn. 76).

Maßgeblich für die Beurteilung, ob ein Abwägungsfehler vorliegt, ist gemäß § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Bebauungsplan. Nach dieser auf Verfahrensfehler nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 BauGB entsprechend anwendbaren Vorschrift (vgl. Battis in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 214 Rn. 4) dürfen nachträgliche Änderungen der städtebaulichen Verhältnisse oder von Rechtsvorschriften, die die Gemeinde bei der Beschlussfassung über den Bebauungsplan nicht kannte und nicht kennen musste, der gerichtlichen Kontrolle nicht zugrunde gelegt werden. Bei Bebauungsplänen der Berliner Bezirke kommt es auf die Beschlussfassung der Bezirksverordnetenversammlung über den Bebauungsplan (vgl. § 6 Abs. 3 AGBauGB) an, die die letzte inhaltliche Entscheidung im Aufstellungsverfahren darstellt (vgl. Urteil des Senats vom 11. Oktober 2007 – OVG 2 A 1.07 –, juris Rn. 33). Wie sich den beigezogenen Aufstellungsvorgängen entnehmen lässt, fand die danach maßgebliche Beschlussfassung am 15. März 2006 statt.

Die Bebauungsplan XI-101u-1 weist auf dem westlichen Nachbargrundstück des Vorhabengrundstücks (K...straße 1...) ein allgemeines Wohngebiet aus und erklärt in dem für das Vorhabengrundstück festgesetzten Kerngebiet Wohnungen oberhalb des sechsten Vollgeschosses für allgemein zulässig. Die Begründung hebt in mehrfacher Weise den Schutz und die Stärkung der Wohnnutzung als Planungsziele hervor. So wird darauf hingewiesen, dass die auch zur Stadtbildverbesserung („Stadtreparatur“) vorgenommene Baukörperausweisung auf dem Vorhabengrundstück und dem westlichen Nachbargrundstück, die dort eine Blockrandbebauung ermögliche, eine verbesserte Abschirmung des Blockinnenbereichs vor Abgas- und Lärmimmissionen der verkehrlich stark frequentierten P... Straße erlaube. Dies könne zur Wohnwertverbesserung auf dem westlichen Nachbargrundstück beitragen und ermögliche dort die Entstehung zusätzlichen Wohnraums (S. 8 ff. der Planbegründung). Hervorgehoben wird weiter, dass der Bebauungsplan zum Ziel habe, die im ehemaligen Sanierungsgebiet entwickelten Sanierungsziele umzusetzen. Das für das Wohngebiet ausgewiesene hohe Nutzungsmaß wurde mit dem damaligen Sanierungsziel begründet, eine innerstädtische Wohndichte aufrecht zu erhalten, um das in den 90er Jahren entstandene Wohnungsdefizit zu mindern (ebd., S. 8 und 11). Die Zulassung der Wohnnutzung (textliche Festsetzung Nr. 3) im Kerngebiet wird damit begründet, dass die an der P... Straße bestehende Nutzungsverflechtung von Wohnen und Gewerbe beibehalten werden solle, um einer Monostruktur mit dem daraus resultierenden Verödungseffekt außerhalb der Geschäftszeiten entgegenzuwirken (ebd., S. 13 f.; vgl. auch S. 10). Auch der Ausschluss von Spielhallen im Kerngebiet (textliche Festsetzung Nr. 1) wird als Beitrag zur Erhaltung der Nutzungsvielfalt der in dem betroffenen Abschnitt der P... Straße vorhandenen Einzelhandelskonzentration unter Ausschluss städtebaulich unerwünschter Nutzungen beschrieben (ebd. S. 13).

Lässt der Bebauungsplan in zweifacher Weise Wohnnutzung und kerngebietstypische Nutzungen unmittelbar nebeneinander zu und war die Erhaltung und Stärkung der Wohnnutzung ein wesentliches Planungsziel, so hätte der Plangeber zur Vermeidung möglicher Nutzungskonflikte sowie einer städtebaulich unerwünschten Strukturveränderung erwägen sowie ggf. ermitteln und bewerten müssen, mit welchen gewerblichen Ansiedlungsinteressen im Plangebiet zu rechnen war. Insbesondere hätte er sich mit der Möglichkeit auseinandersetzen müssen, dass sich bei uneingeschränkter Ausweisung eines Kerngebiets weitere die Nutzungsstruktur des Gebiets in Richtung auf ein „Rotlichtviertel“ verändernde Einrichtungen ansiedeln könnten. Entsprechende Überlegungen hätten sich deshalb aufdrängen müssen, weil dem Plangeber die in dem Quartier bereits seit Jahrzehnten betriebene Straßenprostitution mit entsprechenden Belastungen für die Wohnnutzung bekannt war und die zum Jahresbeginn 2006 aufgenommene Nutzung des Vorhabengrundstücks durch das Erotikkaufhaus und -kino „L...“ für ihn erkennbar war. Hinzu kommt, dass das der Aufstellung des Bebauungsplans ursprünglich zugrunde liegende Vorhaben der Errichtung eines Büro- und Geschäftshauses über Jahre hinweg nicht mehr verfolgt und auch andere Pläne aufgegeben worden waren. Schließlich war dem Plangeber bekannt, dass das Vorhabengrundstück verkauft werden sollte. Er hätte deshalb erwägen müssen, ob es geboten war, neben Spielhallen weitere mit der Wohnnutzung unverträgliche Nutzungen oder im Hinblick auf die angestrebte Nutzungsmischung von Wohnen und Gewerbe problematische Nutzungen wie insbesondere Bordelle und andere Gewerbebetriebe mit sexuellem Bezug auszuschließen. Unter Würdigung dieser Umstände ist der Senat bereits im Urteil vom 7. Juni 2012 (a.a.O., Rn. 56 und 58) zu der vom Bundesverwaltungsgericht nicht beanstandeten Beurteilung gelangt, eine mögliche Strukturveränderung des Plangebiets zu einem „Rotlichtbezirk“ habe bereits bei der Festsetzung des Bebauungsplans im Jahre 2006 auf der Hand gelegen. Die sich hieraus ergebenden Nutzungskonflikte hätten zur Vermeidung eines Abwägungsfehlers bereits im Rahmen der Planung bewältigt werden müssen.

Einen weiteren dies stützenden Gesichtspunkt nennt das an den Beklagten gerichtete Schreiben des F... vom 22. November 2007 (Bl. 885 der Aufstellungsvorgänge). Darin wird unter Hinweis auf das im Jahre 2002 – während der Aufstellung des Bebauungsplans XI-101u-1 – in Kraft getretene Prostitutionsgesetz (Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 20. Dezember 2001, BGBl. S. 3983) ein Verfahrensfehler nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 BauGB gerügt. Zwar kann der in diesem Schreiben vertretenen Ansicht, durch das genannte Gesetz sei der Betrieb von Bordellen und ähnlichen Einrichtungen in Wohngebieten generell genehmigungsfähig geworden, in bauplanungsrechtlicher Hinsicht nicht zugestimmt werden. Richtig ist jedoch, dass das Prostitutionsgesetz den legalen Betrieb von Bordellen und bordellähnlichen Einrichtungen erleichtert bzw., soweit er über eine bloße „gewerbliche Zimmervermietung“ hinaus in regulären Beschäftigungsverhältnissen organisiert werden soll, überhaupt erst ermöglicht hat, weshalb seitdem verstärkt mit entsprechenden Vorhaben zu rechnen war (vgl. insbesondere die Einschränkung der Strafbarkeit der Förderung der Prostitution durch Streichung des früheren § 180a Abs. 1 Nr. 2 StGB und Neufassung des § 181a Abs. 2 StGB).

Der Plangeber hat diese Gesichtspunkte, wie sich aus den Aufstellungsvorgängen und insbesondere der Begründung des Bebauungsplans ergibt, jedoch nicht in die Abwägung eingestellt. Die Planbegründung lässt die in der Umgebung des Vorhabens betriebene Straßenprostitution unerwähnt. Die Aufstellungsvorgänge lassen nicht erkennen, dass die aktuelle Entwicklung in der Nutzung des Vorhabengrundstücks berücksichtigt worden und der Stand der Verkaufsbemühungen oder die möglichen Nutzungsinteressen potentieller Erwerber aufgeklärt und in Erwägung gezogen worden wären. Ebenso wenig wurde ein Ausschluss weiterer im Kerngebiet allgemein zulässiger Nutzungen erwogen, um die Ansiedlung von Betrieben des Prostitutions- oder Sexgewerbes zu verhindern.

bb) Der festzustellende Abwägungsfehler bzw. Verstoß gegen § 2 Abs. 3 BauGB ist beachtlich und führt zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans XI-101u-1.

Nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB stellt es einen beachtlichen Fehler dar, wenn entgegen der Vorschrift des § 2 Abs. 3 BauGB die von der Planung berührten Belange, die der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt oder bewertet worden sind und der Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss gewesen ist. Nach § 214 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz sind Mängel im Abwägungsvorgang erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Offensichtlich sind Fehler bei der Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials, wenn sie ohne Weiteres aus dem Aufstellungsvorgang und der Planbegründung hervorgehen. Das ist hier der Fall, da sich das zu beanstandende Ermittlungs- und Bewertungsdefizit sowie die fehlende Erwägung der sich aufdrängenden Frage nach weiteren Nutzungsbeschränkungen aus den Planunterlagen deutlich ergibt. Der Fehler war von Einfluss auf das Abwägungsergebnis. Hierfür muss nach den Umständen des jeweiligen Falles die konkrete Möglichkeit bestehen, dass die Planung ohne den Fehler anders ausgefallen wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. April 2008, a.a.O., Rn. 22). Entsprechende Anhaltspunkte ergeben sich aus dem Ausschluss von Spielhallen im Kerngebiet (textliche Festsetzung Nr. 1). Diese zur Erhaltung der Nutzungsvielfalt unter Ausschluss städtebaulich unerwünschter Nutzungen getroffene Festsetzung legt nahe, dass der Plangeber eine gleichlautende Ausschlussregelung in Bezug auf Prostitutionsbetriebe und ggf. sonstige Gewerbebetriebe und Vergnügungsstätten mit sexuellem Bezug getroffen hätte, wenn er die Möglichkeit der Ansiedlung derartiger Betriebe in dem für das Vorhabengrundstück ausgewiesenen Kerngebiet berücksichtigt hätte. Der Fehler bezieht sich bereits deshalb auf im Sinne des § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB „wesentliche“ Punkte, weil der Plangeber in der konkreten Planungssituation abwägungsbeachtliche Fragen nicht zutreffend ermittelt, nicht bewertet und nicht in die Abwägung eingestellt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. April 2008, a.a.O., Rn. 19, 22). Unabhängig davon betrifft der Mangel angesichts der vom Plangeber mehrfach hervorgehobenen Planungsziele des Schutzes und der Stärkung der Wohnnutzung gewichtige Gesichtspunkte, die für die Abwägung von erheblicher Bedeutung waren.

Der Fehler ist nicht gemäß § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 BauGB nachträglich unbeachtlich geworden, da er mit dem zu den Aufstellungsvorgängen genommenen Schreiben des F... vom 22. November 2007 wirksam gerügt worden ist. Das Schreiben genügt den formellen Anforderungen nach § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Es ist dem Beklagten an dem genannten Tag und damit innerhalb der Frist des § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB zugegangen. Maßgeblich war nach der Übergangsvorschrift des § 233 Abs. 2 Satz 3 BauGB noch die bis zum Inkrafttreten des Innenstadtentwicklungsgesetzes vom 21. Dezember 2006 (BGBl. I S. 3316) am 1. Januar 2007 geltende Frist von 2 Jahren (vgl. § 215 BauGB in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 2004, BGBl. I S. 2414). Wie von § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB weiter vorausgesetzt, wird in dem Schreiben der die Verletzung begründende Sachverhalt dargelegt. Die gesetzliche Regelung verlangt damit eine Konkretisierung und Substanziierung der Fehlerrüge. Der Gemeinde soll durch die Darstellung des maßgebenden Sachverhalts ermöglicht werden, auf dieser Grundlage begründeten Anlass zu haben, in die Frage einer Fehlerbehebung einzutreten (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. Januar 2012 – 4 BN 35.11 –, juris Rn. 2, und vom 8. Mai 1995 – 4 ND 16.95 –, juris Rn. 9). Diesen Anforderungen genügt das Rügeschreiben, in dem neben dem bereits erwähnten Hinweis auf das Prostitutionsgesetz als bedeutsam hervorgehoben wird, dass das Quartier seit Jahrzehnten durch die Straßenprostitution geprägt sei. Aufgrund der neuen Rechtslage hätten nicht nur Spielhallen, sondern auch Bordelle und bordellartige Betriebe ausgeschlossen werden müssen. Daneben macht der Rügeführer geltend, es hätte in Betracht gezogen werden müssen, dass das Vorhabengrundstück zum Zeitpunkt der Beschlussfassung im Stadtplanungsausschuss der Bezirksverordnetenversammlung am 7. März 2006 bereits veräußert worden sei, wobei einer der beiden Eigentümer seit langem im Erotikbereich tätig sei. Seit dem 1. Januar 2006 werde auf dem Grundstück von einer Gesellschaft, deren Geschäftsführer dieser neue Grundstückseigentümer sei, ein Erotikkaufhaus betrieben. Im Stadtplanungsausschuss sei mit der Mitteilung, dass das Grundstück verkauft werden solle, nicht der aktuelle Stand der Tatsachen mitgeteilt worden. Zudem sei dem Ausschuss nicht die veränderte Nutzung der Verkaufsräume mitgeteilt worden. Damit sei offensichtlich, dass die aktuellen Verhältnisse vor der Beschlussfassung über den Bebauungsplan nicht noch einmal überprüft und bewertet worden seien. Die Rüge deckt den oben festgestellten Abwägungsfehler inhaltlich ab. Der Rügeführer substanziiert seine Rüge mit denselben Umständen, die oben als abwägungsbeachtlich dargelegt worden sind, und beanstandet im Wesentlichen das ausgeführte Ermittlungs-, Bewertungs- und Abwägungsdefizit. Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob dem Plangeber vorgeworfen werden kann, er habe nicht berücksichtigt, dass das Grundstück bereits veräußert gewesen sei, und dass der Erwerber maßgeblich im Erotikbereich tätig sei. Wie der Beklagte im Berufungsverfahren mitgeteilt hat, ist der Veräußerungsvertrag über das Grundstück zwar ausweislich des Liegenschaftskatasters bereits am 10. März 2006, d.h. vor der Beschlussfassung der Bezirksverordnetenversammlung über den Bebauungsplan geschlossen worden. Fraglich ist aber, ob dies dem Plangeber, hätte er den Sachverhalt näher aufgeklärt, bereits damals hätte bekannt sein können. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Person des Erwerbers. Hierauf kommt es jedoch letztlich nicht entscheidungserheblich an, weil aus den oben dargelegten Gründen bereits die übrigen Umstände ergeben, dass der Plangeber die Möglichkeit einer beabsichtigten Ansiedlung u.a. von Bordellen hätte in Betracht ziehen und bewerten sowie die Frage nach weiteren Nutzungsbeschränkungen hätte prüfen und erwägen müssen.

Der Abwägungsfehler betrifft die für den Bebauungsplan ebenso wie für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des hier streitgegenständlichen Vorhabens wesentliche Festsetzung eines Kerngebietes für das Vorhabengrundstück. Er bleibt daher in seinen Auswirkungen nicht in einer Weise begrenzt, dass lediglich eine für das vorliegende Verfahren unerhebliche Teilunwirksamkeit des Bebauungsplans angenommen werden könnte.

c) Der Bebauungsplan XI-101u aus dem Jahre 1993, der für das Vorhabengrundstück gleichfalls ein Kerngebiet festsetzt, kann der Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens ebenfalls nicht zugrunde gelegt werden, denn auch dieser Bebauungsplan ist unwirksam.

aa) Dies ergibt sich zunächst daraus, dass die in der Planergänzungsbestimmung Nr. 2 angeordnete allgemeine Zulässigkeit von Wohnungen im Kerngebiet oberhalb des I. Vollgeschosses einer Rechtsgrundlage entbehrt, da sie nicht auf die allein in Betracht kommende Regelung des § 7 i.V.m. § 1 Abs. 3 Satz 1 BauNVO gestützt werden kann. Nach § 7 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO können im Kerngebiet zwar auch sonstige, d.h. nicht den besonderen Zweckbindungen nach § 7 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO unterliegende Wohnungen zugelassen werden. Eine solche Festsetzung hat jedoch die allgemeine Zweckbestimmung eines Kerngebiets zu wahren. Diese ergibt sich aus der allgemeinen Umschreibung in § 7 Abs. 1 BauNVO, die in § 7 Abs. 2 BauNVO konkretisiert wird. Danach haben Kerngebiete zentrale Funktionen. Sie bieten vielfältige Nutzungen und ein urbanes Angebot an Gütern und Dienstleistungen für die Besucher der Stadt und die Wohnbevölkerung eines größeren Einzugsbereiches. Dieser Charakter umfasst auch eine nach Maßgabe des Bebauungsplanes oder ausnahmsweise zulässige Wohnnutzung. Der Plangeber hat bei der Festsetzung von Wohnungen im Kerngebiet jedoch zu beachten, dass dieses in erster Linie und im Unterschied zu anderen Baugebieten der Baunutzungsverordnung den vorgenannten zentralen Funktionen und Einrichtungen zu dienen bestimmt ist. Da der Bebauungsplan in dem Kerngebiet entlang der P... Straße eine Bebauung von im Wesentlichen fünf bis acht Vollgeschossen sowie in dem Kerngebiet an der Bülowstraße eine Bebauung von fünf bis sechs Vollgeschossen zulässt, bedeutet die Planergänzungsbestimmung Nr. 2, die oberhalb des ersten Vollgeschosses allgemein eine Wohnnutzung zulässt, die Zulassung einer überwiegenden Wohnnutzung. Die Planergänzungsbestimmung eröffnet damit die Möglichkeit, dass das festgesetzte Kerngebiet vorwiegend dem Wohnen dient. Dies ist mit der allgemeinen Zweckbestimmung eines Kerngebiets nicht zu vereinbaren (vgl. OVG Nordrh.-Westf., Urteil vom 13. November 2009 – 10 D 87/07.NE –, juris Rn. 44 ff., Sächsisches OVG, Urteil vom 3. März 2005 – 1 B 431/03 –, juris Rn. 55 ff.; zum Ganzen auch OVG Nordrh.-Westf., Urteil vom 26. Juni 2014 – 7 B 68/12.NE, juris Rn. 32 ff.; Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand 1. Juli 2014, § 7 BauNVO Rn. 40; Otto, ZfBR 2013, S. 125).

bb) Ein weiterer Unwirksamkeitsgrund ist in der Planergänzungsvorschrift Nr. 6 zu sehen. Mit der dort getroffenen Bestimmung, dass die Umfassungsteile von Wohnräumen, die zur P... Straße und zur Bülowstraße gelegen sind, zum Schutz vor Verkehrslärm ein bewertetes Schalldämmmaß (R’w res nach DIN 4109, Ausgabe November 1989) von mindestens 40 dB aufweisen müssen, verweist der Bebauungsplan in einer Weise auf die DIN-Norm, dass sich erst aus dieser Vorschrift ergibt, unter welchen Voraussetzungen die betroffenen Vorhaben planungsrechtlich zulässig sind. Um beurteilen zu können, ob die Bauausführung den damit aufgestellten Anforderungen genügt, muss bekannt sein, wie die benannte DIN-Norm das bewertete Schalldämmmaß „R’w res“ definiert. Im Hinblick auf die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Anforderungen an die Verkündung von Rechtsnormen muss der Plangeber bei einer derartigen Bezugnahme auf DIN-Normen sicherstellen, dass die Planbetroffenen sich von deren Inhalt verlässlich Kenntnis verschaffen können (vgl. zum ganzen BVerwG, Beschlüsse vom 29. Juli 2010 – 4 BN 21.10 –, juris Rn. 9 ff., und vom 30. September 2014 – 4 B 49.14 –, juris Rn. 3; Urteil des Senats vom 9. Mai 2012 – OVG 2 A 17.10 – juris, Rn. 35 ff.).

Diesen Anforderungen ist hier nicht genügt, da die genannte DIN-Norm in Berlin nicht öffentlich zugänglich ist und der Beklagte für die Betroffenen keine Möglichkeit geschaffen hat, von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen, etwa dadurch, dass ein Abdruck der DIN-Norm bei der Verwaltungsstelle, bei der der Bebauungsplan eingesehen kann, zur Einsicht bereitgehalten und hierauf in der Bebauungsplanurkunde hingewiesen wird. Weder die Planurkunde noch der veröffentlichte Bekanntmachungstext (GVBl. 1994, S. 31) enthalten einen solchen Hinweis.

cc) Die genannten Rechtsfehler führen je für sich zur Unwirksamkeit der Kerngebietsausweisung im Bebauungsplan XI-101u und zur Gesamtunwirksamkeit dieses Bebauungsplanes. Sie werden von den die Beachtlichkeit von Fehlern einschränkenden Planerhaltungsvorschriften der §§ 214 ff. BauGB von vornherein nicht erfasst. Keiner der beiden Fehler hat zudem lediglich eine für das vorliegende Verfahren unerhebliche Teilunwirksamkeit zur Folge.

d) Im Falle der Unwirksamkeit des Bebauungsplans 7-50B (vgl. oben unter a) wäre die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens deshalb am Maßstab des Baunutzungsplans 1958/1960 zu beurteilen. Dieser Plan gilt aufgrund der bauplanungsrechtlichen Vorschriften der Bauordnung für Berlin in der Fassung vom 21. November 1958 (GVBl. S. 1087, 1104 – BO 58 –) sowie der Überleitungsbestimmungen des Bundesbaugesetzes und des Baugesetzbuchs als übergeleiteter Bebauungsplan fort (vgl. Korbmacher in: Dürr/Korbmacher, Baurecht für Berlin, 2. Aufl. 2001, Rn. 190; Dageförde in: Wilke/Dageförde/Knuth/Meyer/Broy-Bülow, BauO, 6. Aufl., Anhang Rn. 7; OVG Berlin, Urteil vom 31. März 1992 – OVG 2 A 9.88 –, juris Rn. 15, 30 ff.).

Das Vorhaben widerspricht der im Baunutzungsplan 1958/1960 für das Vorhabengrundstück getroffenen Festsetzung eines gemischten Gebiets (§ 7 Nr. 9 BO 58). Die genannte Vorschrift entspricht weitgehend der Regelung über Mischgebiete in § 6 BauNVO. Unterschiede bestehen zwar im Katalog der allgemein zulässigen Nutzungen. So nennt § 7 Nr. 9 Buchst. c BauO 58 Vergnügungsstätten als in gemischten Gebieten allgemein zulässig, während derartige Einrichtungen nach § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO 1990 in Mischgebieten nur unter einschränkenden Voraussetzungen zulässig sind; ebenso regelt § 7 Nr. 9 Satz 1 Buchst. c BauO 58 die Zulässigkeit von Gewerbebetrieben im Wortlaut anders als § 6 BauNVO. Diese Unterschiede wirken sich jedoch im vorliegenden Verfahren nicht aus, ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt, ob das streitgegenständliche Vorhaben eine Vergnügungsstätte im Sinne des § 7 Nr. 9 Satz 1 Buchst. c BauO 58 darstellt. Entscheidend ist, dass die Regelung des § 7 Nr. 9 Satz 1 Buchst. c BauO 58 für das gemischte Gebiet, ebenso wie nunmehr die bundesrechtliche Regelung für das Mischgebiet, von einer Nutzungsstruktur ausgeht, in der Wohnnutzung und gewerbliche Nutzungen gleichberechtigt nebeneinander stehen (vgl. von Feldmann/Knuth, Berliner Planungsrecht, 3. Aufl. 1998, Rn. 111). Dies ergibt sich neben der Zusammenfassung von Wohnen und gewerblichen Nutzungen in einem Gebietstypus aus den Voraussetzungen für die Zulässigkeit gewerblicher Kleinbetriebe sowie der nur ausnahmsweisen Zulassungsfähigkeit gewerblicher Betriebe mittleren Umfangs in § 7 Nr. 9 Satz 1 Buchst. c und Satz 2 BO 58. Die Formulierungsunterschiede im Vergleich zur Baunutzungsverordnung rechtfertigen es nicht, gewerblichen Nutzungen einen höheren Störgrad zuzubilligen als in Mischgebieten, in denen sich das zulässige Ausmaß von Störungen gemäß § 6 Abs. 1 BauNVO danach bestimmt, dass die sonstigen Nutzungen das Wohnen nicht wesentlich stören dürfen. Ein anderer Maßstab gilt auch nicht für die in § 7 Nr. 9 Satz 1 Buchst. c BO 58 genannten Vergnügungsstätten, was sich für derartige Einrichtungen aus § 7 Nr. 5 BauO 58 ergibt. Das Vorhaben der Klägerin ist – unabhängig von seiner Einordnung als Vergnügungsstätte oder als sonstiger gewerblicher Betrieb im Sinne des § 7 Nr. 9 BauO 58 – aus den zur Mischgebietsausweisung des Bebauungsplans 7-50B genannten Gründen nicht mit der Festsetzung eines gemischten Gebiets durch den Baunutzungsplan vereinbar.

Anhaltspunkte dafür, dass diese Gebietsfestsetzung von Anfang an unwirksam war oder nachträglich, etwa wegen Funktionslosigkeit, unwirksam geworden wäre, bestehen nicht.

e) Der Bitte der Klägerin um Einräumung einer Stellungnahmefrist zu den in der mündlichen Verhandlung erörterten Fragen der Unwirksamkeit der Bebauungspläne XI-101u-1 und XI-101u sowie zur Beurteilung anhand des Baunutzungsplans 1958/60 musste der Senat nicht nachkommen. Die Klägerin hat erklärt, sie sei mangels ausreichender Vorbereitung nicht in der Lage, sich in der mündlichen Verhandlung zu diesen für sie überraschend aufgeworfenen Fragen zu äußern.

Die Einräumung einer weiteren Frist zur Stellungnahme war, worauf der Senat in der mündlichen Verhandlung schon hingewiesen hat, unter Berücksichtigung des den Beteiligten zustehenden Anspruchs auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren nicht geboten. Vielmehr handelt es sich um Fragen, mit deren möglicher Entscheidungserheblichkeit die Klägerin nach dem bisherigen Sach- und Streitstand rechnen musste. Der in Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verankerte Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs garantiert den Beteiligten eines Gerichtsverfahrens, dass sie Gelegenheit erhalten, sich vor Erlass der Entscheidung zu äußern und dadurch die Willensbildung des Gerichts zu beeinflussen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 – 1 PBvU 1/02 –, juris Rn. 42). Hieraus ergibt sich keine allgemeine Frage- oder Aufklärungspflicht des Richters. Ein Gericht verstößt lediglich dann gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und das Gebot eines fairen Verfahrens, wenn es ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. m.w.N. BVerwG, Beschluss vom 12. November 2014 – 2 B 67.14 –, juris Rn. 10).

So lagen die Dinge hier jedoch nicht. Die Klägerin hat selbst mit der Unwirksamkeit des Bebauungsplans 7-50B argumentiert. Dass es in diesem Falle auf die vorher aufgestellten Bebauungspläne ankommen würde, lag auf der Hand. Nicht zuletzt ergab sich dies aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. September 2013 (a.a.O., juris Rn. 14), in dem auf die mögliche Maßgeblichkeit der Vorgänger-Bebauungspläne aus den Jahren 2006 und 1993 sowie die ggf. notwendige Überprüfung ihrer Wirksamkeit hingewiesen worden war. Das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O., juris Rn. 14) hatte außerdem die vom Senat im Urteil vom 7. Juni 2012 angenommene Verletzung des Konfliktbewältigungsgebots bei der Aufstellung des Bebauungsplans XI-101u-1 herausgestellt und diese Würdigung am Maßstab des Bundesrechts unbeanstandet gelassen (a.a.O. Rn. 16 ff.). Der Senat hat die Beteiligten zudem durch ein am 15. Januar 2015 übermitteltes Schreiben darauf hingewiesen, dass es, soweit es auf den Bebauungsplan XI-101u-1 von 2006 und dessen erneut zu überprüfende Wirksamkeit ankommen sollte, das Schreiben des F... vom 22. November 2007 von Bedeutung sein könnte. Eine Ablichtung dieses Schreibens wurde den Beteiligten übermittelt. Ferner hat der Senat in dem Schreiben vom 15. Januar 2015 Hinweise zur möglichen Unwirksamkeit des Bebauungsplans XI-101u gegeben. Aufgrund dieser Hinweise war für die anwaltlich vertretene Klägerin erkennbar, dass es für die Entscheidung auf die Wirksamkeit des Bebauungsplans XI-101u-1, und zwar unter Berücksichtigung des Rügeschreibens vom 22. November 2007, sowie des Bebauungsplans XI-101u ankommen könnte. Die Klägerin musste daher auch damit rechnen, dass sich die bauplanungsrechtliche Beurteilung am Baunutzungsplan von 1958/1960 orientieren würde. Ist ein Beteiligter anwaltlich vertreten, darf ein Berufungsgericht grundsätzlich davon ausgehen, dass sich ein Prozessbevollmächtigter mit der maßgeblichen Sach- und Rechtslage hinreichend vertraut gemacht hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juli 2001 – 4 B 50.01 –, juris Rn. 11; Beschluss vom 25. Mai 2001 – 4 B 81.00 –, juris Rn. 9).

2. Die Hilfsanträge, die auf die Feststellung gerichtet sind, dass der Beklagte vor Inkrafttreten der Veränderungssperre am 1. Oktober 2011 bzw. bereits seit dem 13. Februar 2008 zur Erteilung der von der Klägerin beantragten Baugenehmigung verpflichtet war, haben ebenfalls keinen Erfolg. Sie sind jedenfalls unbegründet, da sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit infolge der dargelegten Unwirksamkeit der Bebauungspläne XI-101u-1 und XI-101u schon damals nach dem Baunutzungsplan 1958/1960 richtete und das Vorhaben, wie gleichfalls bereits ausgeführt, mit der dortigen Ausweisung eines gemischten Gebiets unvereinbar ist. Unbegründet ist daher auch der auf die Aufhebung der Gebührenfestsetzung für das Widerspruchsverfahren gerichtete weitere Hilfsantrag.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Wegen der Kostentragungspflicht der Klägerin muss über ihren Antrag, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO), nicht entschieden werden. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.