Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 15. Kammer | Entscheidungsdatum | 08.09.2010 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | 15 Sa 725/10, 15 Sa 1631/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 14 Abs 1 S 2 Nr 4 TzBfG |
Das Arbeitsverhältnis eines wissenschaftlichen Referenten einer Parlamentsfraktion kann nicht wirksam auf die Halbzeit einer Wahlperiode befristet werden. Dies gilt auch dann, wenn zu diesem Zeitpunkt regelmäßig Neuwahlen zum Fraktionsvorstand stattfinden.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 03.03.2010 – 37 Ca 8451/09 – wird zurückgewiesen.
II. Auf die Anschlussberufung des Klägers wird die Beklagte verurteilt,
1. an den Kläger weitere 6.800,00 € brutto abzüglich netto erlangtem Arbeitslosengeld von 3.264,00 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über den jeweiligen Basiszinssatz auf je 3.400,00 € brutto abzüglich je 1.132,00 € Arbeitslosengeld seit dem 16.03.2010 und 16.04.2010 zu zahlen,
2. an den Kläger weitere 13.600,00 € brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über den jeweiligen Basiszinssatz auf je 3.400,00 € brutto seit dem 16.05.2010, 16.06.2010, 16.07.2010 und 16.08.2010 zu zahlen.
III. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund wirksamer Befristung sein Ende gefunden hatte und ob die Beklagte für die Zeit danach Vergütung zu zahlen hat.
Der am … 1974 geborene Kläger war aufgrund des Arbeitsvertrages vom 19. Dezember 2006 (Bl. 3 ff. d. A.) für die Zeit vom 1. Januar 2007 bis 30. April 2009 als wissenschaftlicher Referent der Beklagten eingestellt worden. Die Beklagte ist eine Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses.
Am 11. September 2008 wurde der bisherige Fraktionsvorsitzende der Beklagten abgewählt. Die Wahl eines anderen Fraktionsvorsitzenden fand am 13. Januar 2009 statt. Im Fraktionsgesetz des Berliner Abgeordnetenhauses und in der Satzung der Beklagten ist nicht vorgesehen, dass Wahlen des Fraktionsvorstandes zur Halbzeit der Wahlperiode stattfinden.
Mit entsprechenden Klageerweiterungen hat der Kläger die Zahlung der Vergütung für die Zeiträume Mai 2009 bis Februar 2010 unter Abzug des erhaltenen Arbeitslosengeldes begehrt.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten aufgrund der im Arbeitsvertrag K1 vom 19.12.2006 bezeichneten Befristung zum 30.04.2009 nicht zum 30.04.2009 beendet worden ist;
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände geendet hat;
3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.800,-- € brutto abzgl. netto erhaltenem Arbeitslosengeld von 2.264,-- € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 18.07.2009 zu zahlen;
4. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 13.600,-- € brutto abzgl. netto erhaltenem Arbeitslosengeld von 4.528,-- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf je 3.400,-- € abzgl. je 1.132,-- € Arbeitslosengeld seit dem 16.07., 16.08., 16.09. und 16.10.2009 zu zahlen;
5. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 13.600,-- € brutto abzgl. netto erhaltenem Arbeitslosengeld von 4.528,-- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf je 3.400,-- € abzgl. je 1.132,-- € Arbeitslosengeld seit dem 16.11., 16.12.2009, 16.01. und 16.02.2010 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass ein zulässiger Anknüpfungspunkt für eine Befristung nicht nur die Wahlperiode, sondern auch der Zeitpunkt der regelmäßigen Wahl des Fraktionsvorsitzenden sein könne. Dies müsse zulässig sein, da die Fraktionen einer Fremdbestimmung entzogen seien. Vorliegend sei es unerheblich, dass die Neuwahl kurz zuvor stattgefunden habe. Eine zusätzliche Wahl zum 30. April 2009 wäre unnütze Formelei gewesen.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 3. März 2010 den zuletzt gestellten Klageanträgen überwiegend stattgegeben, jedoch den Antrag zu 2. abgewiesen. Die Befristung sei unwirksam gewesen. Eine Befristung hätte nur auf das Ende der Wahlperiode wirksam vereinbart werden können, nicht jedoch zu deren Halbzeit. Nach den Grundsätzen des Annahmeverzuges müsse die Beklagte auch das begehrte Arbeitsentgelt zahlen.
Dieses Urteil ist der Beklagten am 20. April 2010 zugestellt worden. Die Berufung ging am 1. April 2010 beim Landesarbeitsgericht ein. Die entsprechende Begründung erfolgte am 21. Juni 2010 (Montag). Dieser Schriftsatz wurde dem Klägervertreter am 28. Juni 2010 zugestellt. Am 28. Juli 2010 erfolgte die Anschlussberufung bzgl. des Arbeitsentgeltes von März bis August 2010.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 3. März 2010 – 37 Ca 8451/09 – dahingehend abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und klageerweiternd
die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere
6.800,00 € brutto abzüglich netto erlangtem Arbeitslosengeld von 3.264,00 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über den jeweiligen Basiszinssatz auf je 3.400,00 € brutto abzüglich je 1.132,00 € Arbeitslosengeld seit dem 16.03.2010 und 16.04.2010 und weitere 13.600,00 € brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über den jeweiligen Basiszinssatz auf je 3.400,00 € brutto seit dem 16.05.2010, 16.06.2010, 16.07.2010 und 16.08.2010 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
auch die Klageerweiterung abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, dass es abweichend von der Fraktionssatzung bei ihr üblich gewesen sei, zur Halbzeit der Wahlperiode den Fraktionsvorstand neu zu wählen. Dies sei auch in der vorangegangenen Wahlperiode so gewesen. Bei der davor liegenden Wahlperiode sei es nicht zu einer derartigen Wahl gekommen, weil die Wahlperiode nur 1 ½ Jahre betragen hätte.
Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Auf die Anschlussberufung des Klägers ist die Beklagte zu verurteilen, weiteres Arbeitsentgelt für die Zeit von März bis August 2010 zu zahlen.
I.
Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist statthaft und zulässig.
II.
Die Berufung hat jedoch keinen Erfolg.
1. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der vereinbarten Befristung mit dem 30. April 2009 beendet worden ist. Diese Befristung ist vielmehr unwirksam.
1.1 Der Kläger hat innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist rechtzeitig die Feststellung begehrt, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der Befristung nicht beendet worden ist (§ 17 TzBfG). Die Klage war am 30. April 2009 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangen und der Beklagten am 19. Mai 2009 zugestellt worden.
1.2 Die Befristung des Arbeitsverhältnisses zum 30. April 2009 ist unwirksam, denn sie ist nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt.
Da das Arbeitsverhältnis für einen längeren Zeitraum als zwei Jahre befristet worden war, ist eine solche Befristung nur bei Vorliegen eines sachlichen Grundes gerechtfertigt (§ 14 Abs. 1 TzBfG). Nach dieser Norm liegt ein sachlicher Grund insbesondere vor, wenn die Eigenart der Arbeitsleistung die Befristung rechtfertigt (§ 14 I 2 Ziff. 4 TzBfG). Diese Voraussetzung ist nicht gegeben.
Die Befristung von Mitarbeitern einer Parlamentsfraktion kann durch die Eigenart der Arbeitsleistung gerechtfertigt sein (KR-Lipke 9. Auflg. § 14 TzBfG Rn. 175). Das Bundesarbeitsgericht hält die Befristung eines Arbeitsverhältnisses mit einem Arbeitnehmer einer Parlamentsfraktion für zulässig, wenn als Beendigungszeitpunkt der Ablauf der Wahlperiode gewählt wird. Die Vorschläge, Beiträge und Konzepte eines wissenschaftlichen Mitarbeiters seien geprägt von seinen politischen Einstellungen. Dies mache es notwendig, dass er sich in Einklang mit den politischen Vorstellungen der Fraktion befinde, der er zuarbeite. Fraktionen seien frei in ihrer Entscheidung, Inhalte und Ziele ihrer parlamentarischen Arbeit zu bestimmen. Daher müsse nach ihrer Neukonstituierung jeweils entschieden werden können, von welchen wissenschaftlichen Mitarbeitern man sich künftig beraten und in seiner parlamentarischen Arbeit unterstützen lassen wolle. Die Ungewissheit über den Fortbestand oder die jeweilige Größe einer Fraktion nach Ablauf einer Wahlperiode oder deren vorzeitige Beendigung reiche hingegen nicht zur Begründung einer Befristung. Derartige Unsicherheiten über den Bestand eines Arbeitsplatzes könnten eine Befristung nicht rechtfertigen. Das Bundesarbeitsgericht führt ferner aus:
„Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt die Befristungsabrede das Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers in ausreichendem Maße. Durch die auf die jeweilige Legislaturperiode beschränkte Dauer der arbeitsvertraglichen Beziehungen wird gesichert, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht von Änderungen der politischen Schwerpunkte innerhalb einer Legislaturperiode und damit von selbst geschaffenen und zu verantwortenden Zwängen abhängt, sondern allein die zu Beginn der Wahlperiode eintretenden personellen Veränderungen in einer Fraktion berücksichtigt.“ (BAG vom 26.08.1998 - 7 AZR 257/97 - juris Rn. 22).
Diese Entscheidung ist auf Zustimmung gestoßen (KR-Lipke a. a. O. Rn. 175). Die Kritik von Dach (NZA 1999, 627) beschränkt sich im Wesentlichen darauf, dass das BAG den Grundsatz der Diskontinuität einer Parlamentsfraktion nicht ausdrücklich berücksichtigt hätte. Im Ergebnis stimmt er ebenfalls der Rechtsprechung des BAG zu.
Bei Anwendung dieser Grundsätze kann das Arbeitsverhältnis eines wissenschaftlichen Referenten einer Parlamentsfraktion nicht wirksam auf die Halbzeit einer Wahlperiode befristet werden. Dies gilt auch dann, wenn zu diesem Zeitpunkt regelmäßig Neuwahlen zum Fraktionsvorstand stattfinden, was nachfolgend zu Gunsten der Beklagten unterstellt wird.
Das Bundesarbeitsgericht hat zu Recht bei der Befristung eines Arbeitsverhältnisses eines wissenschaftlichen Mitarbeiters einer Parlamentsfraktion darauf abgestellt, dass das Befristungsende an das Ende der Wahlperiode anknüpft. Begründet wurde dies mit der Neuzusammensetzung der Fraktion, die die Möglichkeit erhalten müsse, ihre Schwerpunktsetzung neu zu bestimmen. Umgekehrt hat das Bundesarbeitsgericht jedoch auch ausgeführt, dass Änderungen der politischen Schwerpunkte innerhalb einer Legislaturperiode und damit selbst geschaffene und zu verantwortende Zwänge nicht Anknüpfungspunkt für eine Befristung sein könnten. Dieser Auffassung ist auch die hiesige Kammer. Selbst wenn in einer regelmäßigen Neuwahl des Fraktionsvorstandes eine veränderte Schwerpunktsetzung innerhalb einer Legislaturperiode zu sehen wäre, dann handelt es sich jedoch um selbst geschaffene und zu verantwortende Zwänge, die eine Befristung gerade nicht rechtfertigen können. Zur Halbzeit einer Wahlperiode verändert sich regelmäßig nicht die Zusammensetzung der Fraktion (das Ausscheiden einzelner Mitglieder wäre unerheblich).
2. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin die Beklagte verurteilt, an den Kläger das Arbeitsentgelt für die Monate Mai 2009 bis Februar 2010 zu zahlen. Da das Arbeitsverhältnis der Parteien fortbesteht, war die Beklagte unabhängig von einer nicht erfolgten Arbeitsleistung des Klägers in Annahmeverzug (§ 615 BGB) geraten und musste insofern das Arbeitsentgelt fortzahlen. Der Kläger hat sich hierauf das erhaltene Arbeitslosengeld anrechnen lassen. Die Berechnung ist zwischen den Parteien inzwischen auch nicht mehr streitig. Die Zinszahlung ergibt sich ebenfalls aus dem vorliegenden Verzug der Beklagten.
III.
Die vom Kläger erhobene Anschlussberufung hat in vollem Umfang Erfolg.
Die Anschlussberufung ist form- und fristgerecht beim Landesarbeitsgericht eingelegt und begründet worden. Sie ist insofern zulässig (§ 524 ZPO).
Die Anschlussberufung ist auch begründet. Insofern war die Beklagte zu verurteilen, das ausstehende Gehalt des Klägers für die Zeiträume März bis August 2010 abzgl. der erhaltenen Arbeitslosengeldzahlungen nebst Zinsen an den Kläger zu zahlen. Insofern gelten die gleichen Grundsätze wie zuvor unter II., 2. d. Gr.
IV.
Die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels einschließlich der Kosten der Anschlussberufung hat die Beklagte zu tragen (§ 97 ZPO).
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 72 ArbGG) liegen nicht vor. Von den Kriterien, die das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 26. August 1998 aufgestellt hat, ist nicht abgewichen worden. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird hingewiesen.