Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 12. Senat | Entscheidungsdatum | 24.01.2012 | |
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Aktenzeichen | L 12 AL 433/07 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 147a Abs 1 S 2 Nr 4 SGB 3, § 1 Abs 2 KSchG, § 1 Abs 3 KSchG, § 1 TVG, § 103 SGG, § 20 SGB 10, Art 12 Abs 1 GG |
Zur Frage, wann wegen einer unternehmerischen Entscheidung eine betriebsbedingte Kündigung gerechtfertigt sein kann.
Der Befreiungstatbestand einer sozial gerechtfertigten Kündigung gem. § 147 a Abs 1 S 2 Nr 4 SGB 2 ist auch dann erfüllt, wenn dem Arbeitnehmer aufgrund einer tarifvertraglichen Regelung gekündigt wurde, die den tariflichen Kündigungsschutz bei betriebsbedingten Kündigungen einschränkt, soweit "sozialverträgliche Instrumente" zu den "notwendigen Personalanpassungsmaßnahmen" zur Anwendung kommen - wie z. B. Vorruhestandsregelungen. Diese tarifvertragliche Regelung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht insbesondere nicht gegen gesetzliches Kündigungsschutzrecht.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 04. Juli 2007 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Die Beteiligten streiten um die Erstattungspflicht der Klägerin von Arbeitslosengeld sowie Beiträgen zur Kranken-, Pflege und Rentenversicherung nach § 147a des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) in Höhe von insgesamt 9.650,84 € für die Zeiträume vom 27. März 2006 bis zum 31. Mai 2006 und 01. Juni 2006 bis zum 26. August 2006.
Die Klägerin ist als ein führendes Unternehmen im Bereich der Energieversorgung tätig und gehört zum Unternehmensverbund der V E G AG. Von ihr bzw. einem zu ihr gehörenden Konzernunternehmen wurde insbesondere ein Stellwerk in J betrieben. Dieses und andere zum Unternehmen gehörende Stellwerke wurden durch ein modernes zentrales Stellwerk am Standort Sch P ersetzt. Diese unternehmerische Entscheidung zum Bau und zur Inbetriebnahme des zentralen Stellwerks wurde durch die Klägerin, die seinerzeit noch als LAG(fortan: L. AG)firmierte, bereits im Jahre 1996 getroffen. Im Zuge dessen wurde den Mitarbeiter(-n)/-innen in einer Hausmitteilung vom 09. Januar 1996 u.a. von einem geplanten Abbau von insgesamt 80 Stellen in der Funktion als Stellwerkswärter unterrichtet; wegen der Einzelheiten hierzu wird auf Bl. 103 bis 106 der Gerichtsakten verwiesen. Nach einer Regelung zum Interessen- und Nachteilsausgleich (nebst Anlagen und Protokollnotiz vom 13. Mai 1997) zwischen u. a. der L. AG, B T, Z E und dem Betriebsratsvorsitzenden der T vom 30. Mai 1997, wegen dessen Einzelheiten auf Bl. 136 bis 148 der Gerichtsakten verwiesen wird, sollten durch die Inbetriebnahme des Zentralstellwerkes ursprünglich schon bis zum Jahr 2000 alle Stellen der Stellwerkswärter entfallen. Für das Zentralstellwerk wurden 28 neue Stellen Zentralfahrdienstleiter eingerichtet und nach einem Ausschreibungsverfahren besetzt. Da die erforderlichen Bau- und Erprobungsmaßnahmen für das Zentralstellwerk sich über einen längeren Zeitraum hinzogen, konnte das Stellwerk in Jerst im Jahre 2004 stillgelegt werden. Mitarbeiter in einem der von der Umstrukturierung betroffenen Stellwerke, dem Stellwerk in J,war u.a.der am1949geboreneHV (fortan: Arbeitnehmer) von 1975 bis zum 30. Juni 2004 (Arbeitsbescheinigung vom 06. Juli 2004). Für ihn galt eine Kündigungsfrist von vier Monaten zum Monatsende.
Der Vorstand und der Gesamtbetriebsrat der L. AG trafen am 30. Juni 1999 eine Betriebsvereinbarung zur sozialen Flankierung der Belegschaftsanpassungen in den Jahren 1999 bis 2001, mit der im Einzelnen bei vorzeitigem Ausscheiden für Belegschaftsmitarbeiter der Jahrgänge 1947 und älter eine finanzielle Absicherung durch das Unternehmen bis zum frühestmöglichen Zeitpunkt des Bezuges von Altersrente bei Vollendung des 60. Lebensjahres geregelt wurde. Die Betriebsparteien ergänzten am 27. Juni 2000, dass auch Belegschaftsmitglieder mit den Jahrgängen von 1948 bis 1950 von der Betriebsvereinbarung vom 30. Juni 1999 umfasst seien.
Am 24. Juni 2002 wurde zwischen den Arbeitgeberverbänden sowie Arbeitgebervereinigungen Arbeitgeberverband energie- und versorgungswirtschaftlicher Unternehmen e.V.- AVEU-, Wirtschaftsverband Kohle e.V.- WVK-, den Unternehmen V E, B AG, H HE-WAG, L B AG (, V V E AG und den Industriegewerkschaften Bergbau, Chemie, Energie - IG BCE -, Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft- ver.di- und der Industriegewerkschaft Metall – IGM - ein „Tarifvertrag zur sozialpolitischen Begleitung unternehmerischer Entscheidungen im Rahmen der Bildung/Strukturierung des E VE“ geschlossen.
Dieser Tarifvertrag enthielt u. a. folgende Regelungen:
„§ 1 Präambel
Die vertragschließenden Parteien wollen mit den nachstehenden Regelungen die notwendigen unternehmerischen Entscheidungen im Rahmen der Bildung/Strukturierung des Energiekonzerns V E sowie der Umstrukturierung in einzelnen Konzernunternehmen bei Wahrung der berechtigten Arbeitnehmerinteressen mit tarifpolitischen Instrumenten sozial verträglich begleiten und den Arbeitnehmern Sicherheit hinsichtlich der Gesamtheit der materiellen Bedingungen ihrer Arbeit, einschließlich betrieblicher Sozialleistungen, geben.
§ 2 Geltungsbereich
Der Tarifvertrag gilt für alle Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Tarifvertrages in einem Arbeitsverhältnis mit einem der genannten Unternehmen stehen und unter den Manteltarifvertrag des jeweiligen Unternehmens fallen. Dieser Tarifvertrag gilt auch für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis ruht.
§ 3 Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen
1. Im Rahmen aller Maßnahmen zur Bildung/Strukturierung des Energiekonzerns V E durch die Zusammenführung und/oder Umstrukturierung der Unternehmen B AG, Hwerke AG, L B AG (LBAG) und V V E AG werden betriebsbedingte Kündigungen mit einem Beendigungsdatum vor dem 31. Dezember 2007 ausgeschlossen.
2. …
3. Lehnt ein Arbeitnehmer ein zumutbares Angebot eines anderen oder geänderten Arbeitsplatzes - auch in einem anderen Unternehmen oder Tochterunternehmen - ab, sind abweichend von Nr. 1 betriebsbedingte Kündigungen nicht ausgeschlossen. Die Zumutbarkeit ist durch betrieblich zu vereinbarende Regelungen zu konkretisieren…
4. Die im Rahmen der Strukturierung des Energiekonzerns V E bzw. der Umstrukturierung in den Unternehmen notwendigen Personalanpassungsmaßnahmen werden unter Nutzung bewährter sozialverträglicher Instrumente bewältigt. Näheres wird in gesonderten Tarifverträgen bzw. Betriebsvereinbarungen geregelt. Im Rahmen der Anwendung der sozialverträglichen Instrumente im Sinne von Satz 1 können abweichend von Nr. 1 betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden.“
Ausweislich einer „Protokollnotiz zum Tarifvertrag zur sozialpolitischen Begleitung unternehmerischer Entscheidungen im Rahmen der Bildung/Strukturierung des Energiekonzerns V E ebenfalls vom 24. Juni 2002“ wurde zudem Folgendes vereinbart:
„1. Sozialverträgliche Instrumente im Sinne von § 3 Nr. 4 sind die bisher in den einzelnen Unternehmen angewandten Instrumente: z.B. Teilzeit, Altersteilzeit, Vorruhestand und strukturelle Kurzarbeit mit Qualifizierungsmaßnahmen.“
Mit Schreiben vom 02. Oktober 2003 kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis „aus betriebsbedingten Gründen fristgerecht zum 31. März 2004“ und führte zur Begründung aus: „Im Rahmen einer betriebswirtschaftlich notwendigen Neugestaltung von Verwaltungsvorgängen und der damit einhergehenden Rationalisierung komplexer Abläufe wurden Strukturen und Arbeitsplätze neu bewertet und gestaltet. Aufgrund dessen fällt der Arbeitsplatz weg. Es ist leider nicht möglich, Ihnen einen gleichwertigen Ersatzarbeitsplatz anzubieten. Der Betriebsrat wurde zur beabsichtigten Kündigung angehört und hat nicht widersprochen.“ Eine hiergegen vom Arbeitnehmer vor dem ArbG Cottbus zum Geschäftszeichen 5 Ca 2498/03 registrierte Kündigungsschutzklage nahm er auf Grundlage eines außergerichtlichen Vergleichs der Arbeitsvertragsparteien vom 01. Januar 2004 zurück. Beide Parteien trafen die Regelung, dass das Arbeitsverhältnis durch ordentliche arbeitgeberseitige betriebsbedingte Kündigung zum 30. Juni 2004 endete. Zudem erhielt der Arbeitnehmer zum Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile eine zusätzliche Abfindung in Höhe von 7.500 € neben einem Betrag in Höhe von 2.700 € zur Förderung der Altersversorgung, der von der Klägerin in die betriebliche Altersversorgung eingezahlt wurde.
Am 15. Juni 2004 meldete sich daraufhin der Arbeitnehmer bei der Beklagten arbeitslos (Steuerklasse III/ein Kindermerkmal) und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld. Die Klägerin zeigte der Beklagten an, der Arbeitnehmer, der eine Abfindung erhalten habe, sei betriebsbedingt fristgerecht gekündigt und auf dieser Grundlage am 30. Juni 2004 ausgeschieden.
Die Beklagte gewährte dem Arbeitnehmer ab dem 01. Juli 2004 Arbeitslosengeld nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 635,16 € mit einem wöchentlichen – bis 31. Juli 2005 erhöhten – Leistungssatz von 302,19 € für 780 Tagen. Ab 01. August 2005 betrug das tägliche Arbeitslosengeld nach dem allgemeinen Leistungssatz 38,96 € ausgehend von einem täglichen Bemessungsentgelt von 90,74 €. Im Zeitraum vom 27. März 2006 bis 31. Mai 2006 zahlte sie dem Arbeitnehmer Arbeitslosengeld i.H.v. 2.532,40 € und für diesen Beiträge zur Krankenversicherung i.H.v. 670,02 €, Beiträge zur Pflegeversicherung i.H.v. 80,21 € sowie Beiträge zur Rentenversicherung i.H.v. 920,01 €, insgesamt mithin Leistungen in Höhe von 4.202,64 €.
Die Beklagte wies die Klägerin mit Schreiben vom 02. August 2004 darauf hin, dass sie für den Arbeitnehmer, wenn er das 57. Lebensjahr vollendet habe, das/die Arbeitslosengeld/Arbeitslosenhilfe zu erstatten habe. Denkbar wäre aber, dass sie sich auf einen der Befreiungstatbestände berufen könne. Wörtlich heißt es weiter: „Außerhalb des formellen Anhörungsverfahrens, das ich erst nach Vollendung des 57. Lebensjahres Ihres ehemaligen Arbeitnehmers einleiten kann, möchte ich bereits jetzt über möglicherweise vorhandene Befreiungstatbestände nach § 147a verbindlich entscheiden. … Sollte eine Befreiung nicht möglich sein, so werde ich die Entscheidung über die Erstattungspflicht bis zu deren Eintritt zurückstellen (Ausnahme: § 147a Abs. 7 SGB III). Zuvor werde ich Ihnen aber erneut Gelegenheit zur Stellungnahme geben“.
Mit Bescheid vom 05. Juli 2006 stellte die Beklagte die Erstattungspflicht nach § 147a SGB III fest und machte für die Zeit vom 27. März 2006 bis 31. Mai 2006 Arbeitslosengeld i.H.v. 2.532,40 €, Beiträge zur Krankenversicherung i.H.v. 670,02 €, Beiträge zur Pflegeversicherung i.H.v. 80,21 € sowie Beiträge zur Rentenversicherung i.H.v. 920,01 €, insgesamt mithin Leistungen in Höhe von 4.202,64 € geltend, die die Klägerin zu erstatten habe.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 01. August 2006 den zum Aktenzeichen W registrierten Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers sei ordentlich betriebsbedingt kündbar zum 31. März 2004 gewesen. Diese Kündigung sei auch nicht durch den Tarifvertrag zur sozialpolitischen Begleitung unternehmerischer Entscheidungen im Rahmen der Bildung/Strukturierung des Energiekonzerns V E ausgeschlossen gewesen. In dessen § 3 Abs. 1 sei zwar ein Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen bis 31. Dezember 2007 vorgesehen worden. Hiervon ließe aber § 3 Abs. 4 eine Ausnahme zu. Die Vorruhestandsregelung, wovon der Arbeitnehmer Gebrauch gemacht habe, sei in der Protokollnotiz zum vorgenannten Tarifvertrag geregelt worden. Im Übrigen sei auch die betriebsbedingte Kündigung bei diesem Arbeitnehmer sozial gerechtfertigt gewesen, da sie durch dringende betriebliche Gründe bedingt gewesen sei. Die Zahl der einzusparenden Stellen sei größer gewesen als die Zahl der gemäß § 3 Abs. 4 des genannten Tarifvertrages kündbaren Mitarbeiter, weswegen eine Sozialauswahl nicht zu treffen gewesen sei.
Mit weiterem Bescheid vom 13. September 2006 forderte die Beklagte von der Klägerin die Erstattung von Arbeitslosengeld i.H.v. 3.350,56 €, Beiträge zur Krankenversicherung i.H.v. 774,12 €, Beiträge zur Pflegeversicherung i.H.v. 106,13 € sowie Beiträge zur Rentenversicherung i.H.v. 1.217,39 €, insgesamt mithin Leistungen in Höhe von weiteren 5.448,20 € für die Zeit vom 01. Juni 2006 bis 26. August 2006.
Die Klägerin legte auch gegen diesen Erstattungsbescheid am 13. Oktober 2006 Widerspruch (W) ein.
Mit Widerspruchbescheiden vom 28. November 2006 (W ) sowie 29. November 2006 (W ) wies die Beklagte die Widersprüche der Klägerin zurück. Sie teile nicht die Auffassung der Klägerin, dass die Kündigung des Arbeitnehmers sozial gerechtfertigt gewesen sein könne; die Kündigung habe sich an den Wertungen des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) zu orientieren. Nach dem Tarifvertrag zur sozialpolitischen Begleitung unternehmerischer Entscheidungen im Rahmen der Bildung/Strukturierung des Energiekonzerns V E vom 24. Juni 2002 seien betriebsbedingte Kündigungen im Zusammenhang mit der Konzernstrukturierung bis zum 31. Dezember 2007 ausgeschlossen worden. Ferner sei festgelegt worden, dass betriebsbedingte Kündigungen im Rahmen der Anwendung der sozialverträglichen Personalanpassungsinstrumente hätten ausgesprochen werden dürfen. Auf dieser Grundlage seien 2003 bei den Unternehmen betriebliche Vorruhestandsvereinbarungen geschlossen worden, welche das Ausscheiden der Mitarbeiter auf Grund betriebsbedingter Kündigungen nach Vollendung des 55. Lebensjahres vorgesehen hätten. Soweit die Klägerin geltend mache, dass alle Mitarbeiter, die nicht in den Geltungsbereich von Vereinbarungen zur sozialverträglichen Gestaltung des Personalabbaus fielen, vom tariflichen Kündigungsschutz umfasst würden und daher als unkündbare Mitarbeiter von der Sozialauswahl auszunehmen seien, habe die Konsequenz, dass alle älteren Mitarbeiter erstattungsfrei entlassen werden könnten, da sich der Arbeitgeber auf die soziale Rechtfertigung der ordentlichen Kündigung habe berufen können. Dem stehe die Zielsetzung von § 147 a SGB III entgegen, nämlich die Stabilisierung der Beschäftigungsverhältnisse der älteren Arbeitnehmer und damit zugleich die Vereitelung der Frühverrentung auf Kosten der Versicherungsgemeinschaft. Daher könnten die tarifvertraglichen Regelungen vom 24. Juni 2002 unabhängig von ihrer generellen Zulässigkeit – im Rahmen des nach § 147a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB III zu erbringenden Nachweises für das Vorliegen der sozialen Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung nicht anerkannt werden, da sie sich nicht mit den Wertungen des KSchG orientierten. Im Übrigen seien tarifvertragliche Regelungen unzulässig, die mit dem durch das KSchG gewährleisteten Schutz nicht mehr vereinbar seien (BAG, Urteil vom 27. Februar 2002 – 9 AZR 562/00). Darüber hinaus verstießen tarifvertragliche Regelungen, die es gestatteten, dass allen älteren Arbeitnehmern gekündigt werden dürfe, weil alle übrigen Arbeitnehmer von der Sozialauswahl ausgenommen würden, ohne dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG vorlägen, gegen die individual-rechtliche Konzeption des Kündigungsschutzes (BAG, Urteil vom 18. Oktober 1984 -2 AZR 543/83). Die Klägerin habe auch keine Nachweise belegt, dass die Kündigung des Arbeitnehmers aus sozial gerechtfertigten Gründen habe erfolgen können.
Hiergegenhat die Klägerin am 20. Dezember 2006 Klage bei dem Sozialgericht Cottbus erhoben. Zur Begründung hat sie ergänzend zum Vortrag im Widerspruch ausgeführt, da die Kündigung des Arbeitnehmers unter Nutzung der betrieblichen Vorruhestandsregelung erfolgt sei, sei dieser gerade nicht dem tariflichen Kündigungsschutz unterfallen. Die ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung sei auch nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt gewesen, da sie durch dringende betriebliche Gründe bedingt gewesen sei. Ausgangspunkt sei die unternehmerische Entscheidung gewesen, dass im Rahmen der Strukturierung des V-Konzerns Personalanpassungen hätten erfolgen müssen. In die nach § 1 Abs. 3 KSchG erforderliche Sozialauswahl seien die tariflich unkündbaren Mitarbeiter nicht einzubeziehen gewesen. Da somit die Zahl der kündbaren Mitarbeiter kleiner gewesen sei als die Zahl der einzusparenden Stellen, habe eine Sozialauswahl nicht durchgeführt werden müssen. Diese sei entbehrlich gewesen, weil alle kündbaren Mitarbeiter von der Beendigung der Arbeitsverhältnisse betroffen gewesen seien. Sie (Klägerin) teile die Auffassung der Beklagten nicht, dass die tarifrechtlichen Regelungen vom 24. Juni 2002 nicht im Einklang mit dem Schutz des KSchG stünden. Dieser Tarifvertrag schränke keineswegs diesen Schutz ein, sondern erweitere ihn erheblich. Der Ausschlusstatbestand, der einige wenige Mitarbeiter aus dem Kündigungsschutz entlassen habe, ändere an dieser Wertung nichts. Er sei vielmehr Reflex auf die tarifvertraglichen Bestimmungen. Dem gekündigten Arbeitnehmer sei der Schutz vor Verlust seiner Existenzgrundlage erhalten geblieben, da ihm nur habe gekündigt werden dürfen, wenn dies gemäß § 3 Nr. 4 des benannten Tarifvertrages unter Nutzung sozialverträglicher Instrumente zu geschehen habe. Dieser Schutz sei dem Arbeitnehmer zuteil geworden, in dem er nachhaltig finanziell gesichert worden sei. Der Schutz nach dem KSchG sei nicht höher als der nach dem o.a. Tarifvertrag. Selbst wenn der Tarifvertrag einer gerichtlichen Prüfung nicht standhalten sollte, könne dies den Anwendern nicht zum Nachteil gereichen (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 – B 11 AL 35/03 R). Wenn ein Arbeitnehmer auf die Gültigkeit eines Tarifvertrages vertrauen dürfe, könne nichts anderes für eine Arbeitgeberin gelten, zumal der Tarifvertrag vom 24. Juni 2002 von zwei Arbeitgeberverbänden und drei der größten Gewerkschaften abgeschlossen worden sei. Etwas anderes könne vor allem deshalb nicht gelten, weil sie (Klägerin) aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht nicht einmal Versicherte sei. Ein Nichtversicherter könne deshalb nicht schlechter gestellt werden, als jemand, dem die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften zu Gute kämen. Aus systematischen Gründen sei eine parallele Wertung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten bei der Erstattung nach § 147a SGB III und beim Sperrzeittatbestand des § 144 SGB III zwingend geboten. Das versicherte Risiko könne nicht unterschiedlich definiert werden, je nachdem, ob eine Belastung des Arbeitnehmers oder seines Arbeitgebers in Rede stünde.
Das Sozialgericht Cottbus hat mit Urteil vom 4. Juli 2007 den Bescheid vom 05. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 28. November 2006 sowie den Bescheid vom 13. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2006 aufgehoben und den Streitwert auf 9.650,84 € festgesetzt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei begründet, weil eine Erstattungspflicht der Klägerin nach § 147a Abs.1 S. 2 Nr. 4 SGB III nicht eingetreten sei. Das Arbeitsverhältnis sei durch eine sozial gerechtfertigte Kündigung beendet worden. Der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers sei weggefallen. Eine Sozialauswahl habe nicht durchgeführt werden müssen, weil die Klägerin allen kündbaren Arbeitnehmern gekündigt habe. Tarifvertraglich ordentlich unkündbare Arbeitnehmer seien nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen gewesen. Nach dem Tarifvertrag seien aber betriebsbedingte ordentliche Kündigungen für den überwiegenden Teil der Arbeitnehmer ausgeschlossen gewesen. Von dem tariflichen Kündigungsschutz sei der Arbeitnehmer jedoch nach § 3 Nr. 4 des Tarifvertrages ausgeschlossen gewesen. Dieser Tarifvertrag vom 24. Juni 2002 sei wirksam, es sei dem Arbeitgeber unbenommen gewesen, einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern aus der Sozialauswahl herauszunehmen. Schließlich umgingen die Bestimmungen des Tarifvertrages nicht zwingendes Kündigungsschutzrecht. Zum einen seien die Regelungen des Tarifvertrages weitgehend einer gerichtlichen Inhaltskontrolle in Bezug auf inhaltliche Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit entzogen. Zum anderen seien die Regelungen des Tarifvertrages von „22.“ (richtig: 24.) Juni 2002 sinnvoll und sozial ausgewogen, weil Arbeitnehmern, denen der Schutz entzogen worden sei, eine soziale Absicherung wie beispielsweise der Vorruhestand zugestanden worden sei. Arbeitnehmer, die in den Vorruhestand gehen könnten, seien weniger schutzbedürftig als die Arbeitnehmer, die eine solche Möglichkeit nicht hätten.
Gegen dieses der Beklagten am 20. Juli 2007 zugestellte Urteil hat sie am 06. August 2007 Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt, zu deren Begründung sie vorträgt, entgegen der Ansicht des Sozialgerichts könne durch einen Tarifvertrag nicht der Zweck des § 147a SGB III vereitelt werden. Wenn, wie vorliegend geschehen, alle Arbeitnehmer, die eine Vorruhestandsregelung in Anspruch genommen hätten, vom Kündigungsschutz ausgenommen seien und hätten gekündigt werden dürfen, so werde nicht nur die Regelung des § 1 KSchG ausgehöhlt, sondern auch die Erstattungsregelung des § 147a SGB III. Einen Befreiungstatbestand nach § 147a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB III habe die Klägerin nicht nachgewiesen. Nach dem Tarifvertrag vom 24. Juni 2002 seien betriebsbedingte Kündigungen im Zusammenhang mit der Umstrukturierung des Konzerns bis zum 31. Dezember 2007 ausgeschlossen gewesen. Notwendige Personalanpassungen („Verbesserungen der Altersstruktur“) seien unter Nutzung bewährter sozialverträglicher Instrumente bewältigt worden. In diesem Rahmen seien betriebsbedingte Kündigungen möglich gewesen. Auf dieser Grundlage seien im Jahr 2003 betriebsbedingte Vorruhestandsvereinbarungen abgeschlossen worden, die das Ausscheiden von Arbeitnehmern aufgrund betriebsbedingter Kündigungen nach Vollendung des 55. Lebensjahres vorgesehen hätten (Vorruhestand für alle Jahrgänge bis einschließlich 1951). Alle Arbeitnehmer, die nicht unter diese Regelung fielen (bzw. nicht in Anspruch genommen hätten), seien somit unkündbar und daher aus der Sozialauswahl auszunehmen. Allen älteren Arbeitnehmern, für die die sozialverträglichen Instrumente genutzt worden seien, seien auch gekündigt worden. Daher habe sich eine Sozialauswahl erübrigt. Dieser Betrachtungsweise der Klägerin trete sie entgegen; sie widerspreche der Regelung von § 147a SGB III. Sie habe ihr bereits mit Schreiben vom 31. März 2005 dargelegt, dass die tarifliche Regelung auf Bedenken stieße, da z. B. der kündbare Personenkreis nicht festgelegt worden sei. Die sozialversicherungsverträglichen Anpassungsinstrumente und somit die kündbaren Arbeitnehmer hätten je nach Bedarf ausgewählt werden können. D.h. alle Arbeitnehmer, die die Vorruhestandsregelung in Anspruch hätten nehmen (können oder müssen), seien dadurch zu kündbaren Arbeitnehmern geworden. Die Anhörung zum Erstattungsbescheid vom 28. August 2007 sei nachgeholt worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 4. Juli 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Soweit die Beklagte die Herausnahme von Arbeitnehmern, die tariflichen Kündigungsschutz genossen, aus der sozialen Auswahl nicht mit den Wertungen des § 1 Abs. 3 KSchG für vereinbar halte, verkenne sie, dass der Kündigungsschutz in der Form des Tarifvertrages zur sozialpolitischen Begleitung unternehmerischer Entscheidung im Rahmen der Bildung/Strukturierung des Energiekonzerns V E in einem Aliud-Verhältnis zu dem des Kündigungsschutzgesetzes stehe. Der Tarifvertrag biete unmittelbaren, absoluten Kündigungsschutz, während das Kündigungsschutzgesetz nur indirekten Schutz gewähre, indem es ein Auswahlverfahren zur Verfügung stelle.
Auf Nachfrage der für das Verfahren zuständigen Berichterstatter des Senats hat die Klägerin ergänzend vorgetragen: Das Kraftwerk J habe kein eigenes Stellwerk besessen. Vielmehr hätten die Stellwerke und das dazugehörige Personal zum zentralen Eisenbahnbetrieb gehört. Im Stellwerk seien 5 Mitarbeiter beschäftigt worden. Alle 5 Mitarbeiter seien mit Schließung des Stellwerks in den Vorruhestand gegangen. Im Zentralstellwerk seien keine Arbeitsplätze für Stellwerkswärter geschaffen worden. Dort seien nur Zentralfahrdienstleiter beschäftigt worden. Der Unterschied bestehe darin, dass für die Tätigkeit des Zentraldienstleiters gegenüber der des Stellwerkswärters erhöhte Anforderungen gestellt würden. Dies bedinge eine Zusatzausbildung zu der des Stellwerkswärters. Diese Tätigkeit sei auch höher vergütet als die des Stellwerkswärters; wegen der Einzelheiten hierzu wird auf die tariflichen Tätigkeitsbeschreibungen zur Funktionsbezeichnung eines Stellwerkers I (Bl. 166 der Gerichtsakten) und zur Funktionsbezeichnung des Zentralfahrdienstleiters (Bl. 167 der Gerichtsakten) verwiesen. Zum Zeitpunkt der Kündigung des Arbeitnehmers habe die Klägerin über keinerlei freie Stellen im gesamten Unternehmen verfügt. Für alle Mitarbeiter, die eine Kündigung erhalten hätten, sei anhand des Stellenprofils geprüft worden, ob eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Betrieb bestanden habe. Hierzu sei schriftlich bei allen anderen Betrieben „des Beklagten“ (richtig: von ihr) schriftlich – unter Beifügung des Stellenprofils – angefragt worden, ob eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem freien Arbeitsplatz bestünde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Leistungsakte der Beklagten (Kunden Nr. ) sowie der Gerichtsakte des ArbG Cottbus (Gz.: 5 Ca 2498/03), die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Sie ist ohne weitere Zulassung nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes den zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung geltenden Wert von 500 € übersteigt.
Die Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht der zulässigen (Anfechtungs-) Klage stattgegeben und die Bescheide vom 5. Juli 2006 und 13. September 2006 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 28. und 29. November 2006 aufgehoben. Diese Verwaltungsentscheidungen sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.
Der Erfolg der Klage lässt sich nicht sogleich aus dem Umstand rechtfertigen, dass die Klägerin vor Erlass der beiden Erstattungsbescheide nicht nach § 24 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch (SGB X) angehört worden ist. Das Schreiben der Beklagten vom 02. August 2004 lässt sich als Anhörungsschreiben nicht qualifizieren. Die Beklagte wies die Klägerin lediglich mit diesem Schreiben darauf hin, dass sie für den Arbeitnehmer, wenn er das 57. Lebensjahr vollendet habe, das/die Arbeitslosengeld/Arbeitslosenhilfe zu erstatten sei und wollte von ihr Erklärungen zur Prüfung, ob ein Ausnahmetatbestand vorliegen könne. In diesem Schreiben wird vielmehr angekündigt, dass der Klägerin noch Gelegenheit zu Stellungnahmen gegeben werden soll. Es kann offen bleiben, ob die Beklagte hiervon gemäß § 24 Abs. 2 SGB X hat absehen dürfen; denn ein Verfahrensfehler ist jedenfalls nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB X durch Nachholung der unterbliebenen Anhörung im Widerspruchsverfahren geheilt worden.Insofern ist erforderlich, dass die Begründung des mit dem Widerspruch angefochtenen Bescheides selbst alle Tatsachen enthält, auf die es nach der Rechtsansicht der Behörde für den Verfügungssatz objektiv ankommt (BSG SozR 3-1300 § 117 Nr. 11 S. 72 m.w.N.).
Die Erstattungsbescheide vom 05. Juli 2006 und 13. September 2006 erfüllen diese Voraussetzungen, so dass es keiner eigenständigen Nachholungshandlung bedurfte; sie haben im Verhältnis zu den Widerspruchsbescheiden dieselbe rechtliche Qualität wie eine eigenständige Anhörung vor ihren Erlassen. Der Klägerin wurden die entscheidungserheblichen Tatsachen in einer Weise unterbreitet, die sie in die Lage versetzten, diese als entscheidungserheblich zu erkennen und sich zu ihnen sachgerecht zu äußern (vgl. zu dieser Voraussetzung: BSGE 69, 247, 251 ff = SozR 3-1300 § 24 Nr. 4; BSG SozR 1300 § 24 Nr. 6). Entscheidungserheblich sind alle Tatsachen, die zum Ergebnis der Verwaltungsentscheidung beigetragen haben, auf die sich also die Beklagte gestützt hat (BSGE 69, 247, 252 = SozR 3-1300 § 24 Nr. 4; BSG vom 28. Juli 1992 - 5 RJ 31/89 -, HV-Info 1992, 2462, 2463). Dies gilt unabhängig davon, ob die Beklagte von der richtigen materiell-rechtlichen Rechtsauffassung ausgegangen ist (BSGE 69, 247, 252 = SozR 3-1300 § 24 Nr. 4).
Aus den Erstattungsbescheiden der Beklagten konnte die Klägerin alles Wesentliche ersehen, insbesondere den zeitlichen Umfang der Erstattungsforderung, welche Leistungsart dieser zugrunde lag, wie hoch jeweils das tägliche Arbeitsentgelt und der Leistungssatz sowie der Umfang der abgerechneten Leistungstage war. Zu den zu erstattenden Beiträgen in den Sozialversicherungszweigen der Kranken-, Pflege und Rentenversicherung wurde die Klägerin darüber hinaus unter Voranstellung des jeweils maßgeblichen Entgelts informiert wie sich der jeweilige Betrag zusammensetzte/errechnete. Dass die Klägerin nicht auch über die Berechnung des täglichen Bemessungsentgeltes näher aufgeklärt worden ist, ist keiner tieferen Bedeutung beizumessen. Die Beklagte hat der Berechnung die Angaben aus der Arbeitsentgeltbescheinigung, die die Klägerin ausgestellt hatte zu Grunde gelegt. Insoweit beruhten diese Angaben gerade auf denen der Klägerin (in diesem Sinne auch BSG SozR 3 – 4100 § 128 Nr. 5). Schließlich erfährt der Adressat der Erstattungsbescheide in der Begründung, dass der Arbeitnehmer „in Ihrem Unternehmen“ innerhalb der letzten vier Jahre vor dem Tag der Arbeitslosigkeit mindestens 24 Monate versicherungspflichtig beschäftigt war. Im zuvor dargestellten zeitlichen Umfang (Erstattungszeitraum) keine anderen nach § 142 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 SGB III genannten Sozialleistungen oder Rente wegen Berufsunfähigkeit bezog und im Übrigen kein Ausschlusstatbestand von § 147a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB III gegeben gewesen sei. Aus alledem, und weil die Beteiligten bereits vor Erlass der Erstattungsbescheide einen intensiven Schriftwechsel über den Ausschlusstatbestand von § 142 Abs. 1 Nr. 4 SGB III (vgl. Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 31. März 2005, 19. Juli 2005, 22. Dezember 2005, allesamt lose in der Tasche der Leistungsakten) geführt hatten, konnte die Klägerin nicht ernstlich überrascht sein, dass die Beklagte Erstattungsbescheide zu ihren ehemaligen Arbeitnehmern erlassen würde, wenn die Voraussetzungen von § 147a SGB III aus ihrer Sicht geklärt schienen.
Nach § 147a SGB III in der Fassung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2848), in Kraft ab dem 1. Januar 2004, hat der Arbeitgeber, bei dem der Arbeitslose innerhalb der letzten vier Jahre vor dem Tag der Arbeitslosigkeit, durch den nach § 124 Abs. 1 SGB III die Rahmenfrist bestimmt wird, mindestens 24 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat, der Bundesagentur vierteljährlich das Arbeitslosengeld für die Zeit nach Vollendung des 57. Lebensjahres des Arbeitslosen, längstens für 32 Monate, zu erstatten. Die Erstattungspflicht tritt nach § 147a Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB III insbesondere dann nicht ein, wenn der Arbeitgeber darlegt und nachweist, dass er das Arbeitsverhältnis durch sozial gerechtfertigte Kündigung beendet hat; § 7 des Kündigungsschutzgesetzes findet keine Anwendung; die Agentur für Arbeit ist an eine rechtskräftige Entscheidung des Arbeitsgerichts über die soziale Rechtfertigung einer Kündigung gebunden. Die Verpflichtung zur Erstattung des Arbeitslosengeldes schließt die auf diese Leistung entfallenden Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung ein (§ 147a Abs. 4 SGB III).
Nach diesen Regelungen ist die Klägerin nicht verpflichtet, für den hier streitigen Zeitraum das gezahlte Arbeitslosengeld nebst Beiträgen zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung zu erstatten.
Zwar sind die Grundvoraussetzungen nach § 147a Abs. 1 Satz 1 SGB III erfüllt, denn der Arbeitnehmer stand bei der Klägerin in den letzten vier Jahren vor dem Tag der Arbeitslosigkeit mindestens 24 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis. Es bestand durchgängig seit 1975 (nach der Arbeitsbescheinigung der Klägerin) bis zum 30. Juni 2005 ein Arbeitsverhältnis.
Maßgeblicher Zeitpunkt für das Ende der Vierjahresfrist des § 147a Abs. 1 S. 1 SGB III ist der Tag der Arbeitslosigkeit, durch den nach § 124 Abs. 1 SGB III die Rahmenfrist bestimmt wird. Das ist der Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Vorliegend ist dies der 30. Juni 2005, weil sich der Arbeitnehmer am 15. Juni 2005 zum 1. Juli 2005 arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hatte (vgl. §§ 117 Abs. 1, 118 Abs. 1 SGB III jeweils in den hier anzuwendenden ab dem 1. Januar 2005 geltenden Fassungen des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 - BGBl I S. 2848).
Die Vierjahresfrist des § 147a Abs.1 S. 1 SGB III erstreckt sich somit vorliegend auf den Zeitraum vom 1. Juli 2001 bis zum 30. Juni 2005. Innerhalb dieses Zeitraumes bestand über 24 Monate Versicherungspflicht; es lag durchgehend ein Versicherungspflichtverhältnis bei der Klägerin nach § 24 Abs. 1 S. 1 SGB III vor, weil der Arbeitnehmer gegen Arbeitsentgelt beschäftigt war.
Der erste streitige Erstattungszeitraum (27. März 2006 bis 31. Mai 2006), in dem der Arbeitnehmer Arbeitslosengeld erhalten hat, liegt auch nach Vollendung des 57. Lebensjahres (2006) des am 1949 geborenen Arbeitnehmers. Zudem bewegt sich die Erstattungsforderung innerhalb des 32-Monats-Zeitraums des § 147a Abs.1 S. 1 SGB III, es sind lediglich rund 3 Monate im Streit. Für den weiteren Erstattungszeitraum vom 01. Juni 2006 bis 26. August 2006 ist nichts anderes festzustellen, auch hier geht es um rund 2 Monate.
Der Erstattungsbescheid ist jedenfalls mangels entstandener Erstattungspflicht rechtswidrig.
Der Befreiungstatbestand des § 147a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB III findet Anwendung und ist nicht ausgeschlossen.
Das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers war durch die arbeitgeberseitige Kündigung, die mit dem Schreiben vom 02. Oktober 2003 ausgesprochen und ihm am selben Tag zugegangen war, ursprünglich beendet worden. Dass die Arbeitsvertragsparteien am 09. Januar 2004 eine Vereinbarung („Außergerichtlichen Vergleich“) geschlossen hatten, wonach das Arbeitsverhältnis - einverständlich - erst zum 30. Juni 2004 enden sollte, erfordert keine andere rechtliche Beurteilung. Zwar kann trotz formaler Aufspaltung in eine vorausgehende Kündigung und eine nachfolgende vertragliche Regelung ein einheitlicher Rechtsgrund für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses iS eines Aufhebungsvertrages angestrebt worden sein (siehe dazu BSG SozR 3-4100 § 119 Nr. 9). In derartigen Fällen einer einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag oder Ähnliches findet § 147a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB III keine Anwendung (BSG, Urteil vom 16. November 2003 – B 11 AL 1/03 R – in juris: Rnr. 16 m.w.N.). Der am 09. Januar 2004 geschlossene Vergleich führt aber ausdrücklich zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses „durch ordentliche arbeitgeberseitige betriebsbedingte Kündigung“ auf. Damit sind die Arbeitsvertragsparteien aber nicht von einem neuen Rechtsgrund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgegangen und lässt sich dies indes auch nicht als neuer Rechtsgrund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses qualifizieren.
Gleichwohl ist die Klägerin zur Erstattung nicht verpflichtet, weil zumindest die Regelung des § 147a Abs.1 S. 2 Nr. 4 SGB III das Entstehen der Erstattungspflicht ausschließt.
Danach tritt die Erstattungspflicht nicht ein, wenn der Arbeitgeber darlegt und nachweist, dass er das Arbeitsverhältnis durch sozial gerechtfertigte Kündigung beendet hat, wobei § 7 KSchG keine Anwendung findet und eine rechtskräftige Entscheidung des Arbeitsgerichts über die soziale Rechtfertigung einer Kündigung für die Beklagte verbindlich ist.
Dabei verkennt auch der hier erkennende Senat nicht das Spannungsverhältnis (vgl. hiesiges LSG, Urteil vom 18. Mai 2011 – L 29 AL 449/07 – in juris), welches aus der Darlegungs- und Nachweispflicht des § 147a Abs.1 S. 2 SGB III einerseits und dem in § 103 SGG normierten Amtsermittlungsgrundsatz andererseits herrührt.
Der 11. Senat des BSG hat hierzu grundlegend in seinem Urteil vom 21. September 2000 (B 11 AL 7/00 R - u.a. in BSGE 87, 132 sowie SozR 3-4100 § 128 Nr. 10) zur im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorgängerregelung des § 147a SGB III, des § 128 (Arbeitsförderungsgesetz - AFG), ausgeführt, es gelte nicht der Untersuchungs-, sondern der Beibringungsgrundsatz. Zwar habe der 7. Senat des BSG in seinem Urteil vom 15. Juni 2000 (B 7 AL 78/99 R, veröffentlicht in SozR 3- 4100 § 128 Nr. 8) die mögliche Rechtsansicht geäußert, das Merkmal „darlegt und nachweist" mache nicht hinreichend deutlich, dass der Gesetzgeber den Amtsermittlungsgrundsatz zu Gunsten des Beibringungsgrundsatzes durchbrechen wolle, so dass die Vorschrift als bloße Modifizierung des Amtsermittlungsgrundsatzes aufzufassen sei. Der 7. Senat habe in seiner Entscheidung diese Frage jedoch ausdrücklich offen gelassen. Der vom 7. Senat geäußerten Ansicht ist der 11. Senat des BSG nicht gefolgt. Er geht vielmehr in ständiger Rechtsprechung (zuletzt mit Urteil vom 17. Oktober 2007, B 11a AL 7/06 R, zitiert nach juris, dort insbesondere Rnr. 18 m.w.N.) von einem gesetzlich normierten Beibringungsgrundsatz aus.
Dieser Ansicht des 11. Senates des BSG schließt sich der erkennende Senat nach eigener Prüfung als ihn überzeugend an und hält sie auch für den im Wesentlichen inhaltsgleichen § 147a SGB III für anwendbar. Der 7. Senat des BSG hat die geäußerten Bedenken im Wesentlichen damit begründet, gegen eine völlige Durchbrechung des im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Untersuchungsgrundsatzes spreche, dass die materiellrechtliche Regelung des § 128 AFG, ohne dies hinreichend zu verdeutlichen, eine Grundnorm des sozialgerichtlichen Prozessrechts außer Kraft setzen würde. Die Regelung des § 128 AFG über die Darlegungs- und Nachweispflicht des Arbeitgebers dürfte nach dieser Auffassung des 7. Senates des BSG daher als Modifizierung des verfahrensrechtlichen und prozessualen Amtsermittlungsgrundsatzes zu verstehen sein (BSG a.a.O.). Diese Bedenken vermögen bereits deshalb nicht zu überzeugen, weil sie dem eindeutigen Wortlaut der Regelung entgegenstehen. Wie der 11. Senat des BSG in seinem bereits erwähnten Urteil vom 21. September 2000 zur Überzeugung des erkennenden Senats zutreffend ausführt, hat der Gesetzgeber mit den prozesstechnischen Begriffen „darlegt und nachweist" mit aller Deutlichkeit die Durchbrechung des Amtsermittlungsgrundsatzes zu Gunsten des Beibringungsgrundsatzes zum Ausdruck gebracht (BSG a.a.O.). Dies hat auch einen Grund in der Sache, denn es handelt sich bei den Tatbeständen des § 128 AFG um solche, die sich auf betriebsinterne Vorgänge beziehen, zu denen der Arbeitgeber allein Zugang hat. Im Einvernehmen mit dem 11. Senat BSG sieht der erkennende Senat kein Bedürfnis, die prozessuale Last des Arbeitgebers zur Darlegung und zum Nachweis durch amtliche Sachaufklärung zu ergänzen. Denn insoweit besteht zwischen Verfahren, die dem Untersuchungsgrundsatz und solchen, die dem Beibringungsgrundsatz folgen, kein Unterschied, wie § 139 der Zivilprozessordnung (ZPO) zeigt. Für über die Beratungs- und Hinweispflicht hinausgehende Initiativen zur Sachaufklärung besteht im Rahmen des § 128 AFG weder ein Anlass noch eine hinreichende Rechtsgrundlage (BSG a.a.O.). Wie bereits erwähnt, hält der erkennende Senat diese Rechtsprechung ohne weiteres auf den hier streitentscheidenden § 147a SGB III für übertragbar, weil § 147a SGB III insoweit mit § 128 AFG inhaltsgleich ist (vgl. hierzu auch das Urteil des BSG vom 16. Oktober 2003, B 11 AL 1/03 R, in SozR 4-4300 § 147a Nr. 1 sowie NZS 2004, 495 bis 497).
Unter Beachtung dieses Beibringungsgrundsatzes ist der Klägerin der Nachweis gelungen, dass der Tatbestand des § 147a Abs.1 S. 2 Nr. 4 SGB III erfüllt ist.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung des Vorliegens eines solchen wichtigen Grundes ist der Zeitpunkt der Beendigung des leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses, wenn dieser nicht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses übereinstimmt (BSG, Urteil vom 17. Oktober 2007, a.a.O.). Denn der Eintritt der Erstattungspflicht tritt unabhängig davon ein, ob das Arbeitsverhältnis rechtlich beendet wird. Die Erstattungspflicht hängt vielmehr maßgeblich von dem Eintritt der Beschäftigungslosigkeit ab, die im Sozialrecht bereits vorliegt, wenn der Arbeitnehmer vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (BSG, a.a.O., m.w.N.).
Vorliegend ist auf den 1. Juli 2004 abzustellen, weil, wie bereits dargestellt, ab diesem Tag leistungsrechtlich Beschäftigungslosigkeit vorlag. Zu diesem Zeitpunkt ist von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine sozial gerechtfertigte Kündigung auszugehen. Hiervon ist der Senat auch deswegen überzeugt, weil der Arbeitnehmer im außergerichtlichen Vergleich vom 9. Januar 2004 ausdrücklich bestätigte, dass das Arbeitsverhältnis „durch ordentliche arbeitgeberseitige betriebbedingte Kündigung“ endete und noch eine zusätzliche Abfindung („ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“) von der Klägerin erhalten hatte, was durchaus als Arbeitsentgelt zu werten ist (vgl. Niesel, in SGB III, 5. Auflage, zu § 144 Rnr. 19 ), denn der Betrag von 7.500,00 € entsprach in etwa einem Bruttoarbeitsentgelt für drei Monate (ohne Einmalzahlung).
Nach § 1 Abs. 1 KSchG ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.
Nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitgebers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist insbesondere auch dann sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 S. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat (§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 b) KSchG).
Gleiches gilt nach § 1 Abs. 2 S. 3 KSchG, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.
Vorliegend ist die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 KSchG gerechtfertigt.
Mit dem BSG (vgl. Urteil vom 21. September 2000, B 11 AL 5/00 R, zitiert nach juris) geht der hier erkennende Senat ebenfalls davon aus, dass die Frage, ob ein Recht zur Kündigung gegeben ist, insbesondere unter Berücksichtigung der ergangenen Rechtsprechung des BAG zu entscheiden ist.
Zu der entscheidungserheblichen Frage, wann wegen einer unternehmerischen Entscheidung eine betriebsbedingte Kündigung gerechtfertigt sein kann, hat das BAG unter anderem mit Urteil vom 7. Juli 2005 (2 AZR 399/04, veröffentlicht u.a. in Der Betrieb 2006, 341 bis 342 sowie juris m.w.N.) Folgendes ausgeführt:
„…Bei der Beantwortung der Frage, ob eine Kündigung gem. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist, weil dringende betriebliche Erfordernisse einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entgegenstehen, geht es um die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe.
…
Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG können sich aus innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen ergeben. Eine Kündigung ist aus innerbetrieblichen Gründen gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren innerbetrieblicher Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt (vgl. u.a. BAG 7. Dezember 1978 - 2 AZR 155/77 - BAGE 31, 157; 29. März 1990 - 2 AZR 369/89 - BAGE 65, 61) . Von den Arbeitsgerichten voll nachzuprüfen ist, ob eine derartige unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt und durch ihre Umsetzung das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist. Dagegen ist die unternehmerische Entscheidung nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (Senat 17. Juni 1999 - 2 AZR 522/98 - BAGE 92, 61) .
Dabei unterliegt auch die Gestaltung des Anforderungsprofils der jeweiligen Arbeitsplätze der lediglich auf offenbare Unsachlichkeit zu überprüfenden Unternehmerdisposition des Arbeitgebers. Soweit für die sachgerechte Erledigung der Arbeitsaufgabe bestimmte persönliche oder sachliche Voraussetzungen erforderlich sind, kann die unternehmerische Entscheidung, welche Anforderungen an den Stelleninhaber zu stellen sind, nur auf offenbare Unsachlichkeit gerichtlich überprüft werden. Die Entscheidung des Arbeitgebers, bestimmte Tätigkeiten nur von Arbeitnehmern mit bestimmten Qualifikationen ausführen zu lassen, ist von den Arbeitsgerichten grundsätzlich jedenfalls dann zu respektieren, wenn die Qualifikationsmerkmale einen nachvollziehbaren Bezug zur Organisation der auszuführenden Arbeiten haben (zuletzt BAG 24. Juni 2004 - 2 AZR 326/03 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 76 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 132). Auch die Organisationsentscheidung zur Umstrukturierung des gesamten oder von Teilen eines Betriebs oder einzelner Arbeitsplätze, von der das Anforderungsprofil der im Betrieb nach Umstrukturierung verbleibenden Beschäftigungsmöglichkeiten erfasst wird, unterliegt damit nur einer Missbrauchskontrolle.
Wenn allerdings die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss ohne nähere Konkretisierung praktisch deckungsgleich sind, so kann die Vermutung, die Unternehmerentscheidung sei aus sachlichen Gründen erfolgt, nicht in jedem Fall von vornherein greifen. In diesen Fällen muss der Arbeitgeber konkrete Angaben dazu machen, wie sich die Organisationsentscheidung auf die Einsatzmöglichkeiten auswirkt und in welchem Umfang dadurch ein konkreter Änderungsbedarf besteht (BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 141/99 - BAGE 92, 71). Erhöhte Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers sind insbesondere dann zu stellen, wenn der Arbeitgeber durch eine unternehmerische Entscheidung das Anforderungsprofil für Arbeitsplätze ändert, die bereits mit langjährig beschäftigten Arbeitnehmern besetzt sind. Sonst hätte der Arbeitgeber die naheliegende Möglichkeit, unter Berufung auf eine gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Unternehmerentscheidung eine missbräuchliche Umgehung des Kündigungsschutzes des betreffenden Arbeitnehmers dadurch zu erzielen, dass er in sachlich nicht gebotener Weise die Anforderungen an die Vorbildung des betreffenden Arbeitsplatzinhabers verschärft (z.B. perfekte französische Sprachkenntnisse, um mit ein oder zwei Kunden fremdsprachlich zu korrespondieren). Der Arbeitgeber hat insoweit darzulegen, dass es sich bei der zusätzlich geforderten Qualifikation für die Ausführung der Tätigkeit nicht nur um eine “wünschenswerte Voraussetzung”, sondern um ein nachvollziehbares, arbeitsplatzbezogenes Kriterium für eine Stellenprofilierung handelt (vgl. hierzu BAG 24. Juni 2004 - 2 AZR 326/03 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 76 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 132). Außerdem hat der Arbeitgeber bei einer betrieblich erforderlichen Anhebung des Stellenprofils konkret darzulegen, dass die Kündigung nicht durch mildere Mittel, insbesondere Umschulung und Fortbildung des Arbeitnehmers zu vermeiden war. Welche zeitliche Dauer für eine Fortbildung des bisherigen Arbeitsplatzinhabers im Hinblick auf nunmehr gesteigerte Arbeitsplatzanforderungen dem Arbeitgeber zumutbar ist, wird dabei vom Einzelfall abhängen und für Führungspositionen und mehr oder weniger untergeordnete Tätigkeiten ggf. unterschiedlich zu bewerten sein….“
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Senat davon überzeugt, dass dem Arbeitnehmer zu Recht aus betriebsbedingten Gründen gekündigt werden durfte. Zutreffend hat schon das Sozialgericht in seiner Entscheidung die Anwendung des KSchG bejaht, da das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestand (§ 1 Abs. 1 KSchG) und im Übrigen die Anwendung dieses Gesetzes auch nicht ausgeschlossen ist, da mehr als zehn Arbeitnehmer im Beschäftigungsbetrieb der Klägerin arbeiteten (§ 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG). Dass dringende betriebliche Gründe die Kündigung des Arbeitnehmers berechtigten (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG), folgt aus der unternehmerischen Entscheidung, statt einer Vielzahl von einzelnen Stellwerken, darunter das Stellwerk in J, nur noch ein zentrales Stellwerk zu betreiben. Diese Entscheidung ist auch nicht offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich gewesen, sondern entsprach nach den Darlegungen in der mündlichen Verhandlung des Prozessvertreters der Klägerin der technischen Weiterentwicklung und damit der Funktionalität des Streckenbetriebs des Unternehmens. Folge dieser Entscheidung, die bereits 1996 getroffen worden war, war, dass alle fünf Arbeitsplätze bei diesem Stellwerk im Laufe des Jahres 2004 wegfielen, wobei sich der lange Zeitraum zwischen der Unternehmensentscheidung und dem endgültigen Wegfall der Arbeitsplätze daraus erklärt, dass das Zentralstellwerk erst so spät in Betrieb genommen werden konnte.
Der Kündigung des Arbeitnehmers stand auch nicht entgegen, dass diese sozial ungerechtfertigt und damit unwirksam gewesen ist (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 b KSchG). Das ist danach der Fall, wenn der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann. Die Ermittlungen des Senats haben hierzu keine Erkenntnisse verschafft, dies annehmen zu können. Auf die neu zu besetzenden Stellen im Zentralstellwerk konnten und haben sich die gekündigten Arbeitnehmer, u. a. der Arbeitnehmer hier, beworben. Für die Tätigkeit im Zentralstellwerk wurde aber ein anderes Anforderungsprofil an die Arbeitnehmer gestellt, als für die Arbeit in einem dezentralen Stellwerk. Anschaulich hat der Prozessvertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung dargestellt, dass im Zentralstellwerk nur noch mit einer digitalen Technik das gesamte Streckennetz zu beaufsichtigen und zu betreiben ist und diese Technik nicht in den dezentralen Stellwerken vorhanden gewesen ist. Hieraus folgten höhere Anforderungen an die Bewerber für eine Tätigkeit im Zentralstellwerk, wie sich nachvollziehbar aus den Funktionsbeschreibungen der Stellen eines Stellwerkers I und eines Zentralfahrdienstleiters ergibt. Diese Anforderungen führten auch zu einer höheren Vergütung. Letztlich konnten für die Tätigkeit als Zentralfahrdienstleiter nur Bewerber ausgewählt werden, die über ein technisches Vorverständnis verfügten, was sich daraus erklärt, dass die Tätigkeiten nun rechnergestützte Bedienhandlungen enthielt, wozu eine Zusatzausbildung erforderlich war. Zu den ausgewählten Bewerbern gehörte der Arbeitnehmer hier nicht, wie sich aus der Stellwerksbesetzungsliste (Bl. 132 der Gerichtsakten) ergibt. Eine Weiterbeschäftigung hat für den Arbeitnehmer weder bei dem Zentralstellwerk noch in einem anderen Betrieb des Unternehmens bestanden, wie die weiteren Ermittlungen des Senats ergeben haben.
Die Kündigung des Arbeitnehmers ist auch nicht nach § 1 Abs. 3 KSchG sozial ungerechtfertigt gewesen. Eine weitergehende Sozialauswahl hatte die Klägerin nicht vorzunehmen, denn sie hatte allen kündbaren Arbeitnehmern gekündigt. Die Einbeziehung von tarifvertraglich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmern ist nicht in eine Sozialauswahl aufzunehmen, worauf schon das Sozialgericht in seiner Entscheidung hingewiesen hatte.
Die Sozialauswahl dient dem gesetzgeberischen Ziel, unter mehreren in der Erfüllung einer Arbeitsaufgabe funktionell vergleichbaren Arbeitnehmern denjenigen zur Kündigung auszuwählen, den der Verlust des Arbeitsplatzes unter Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte am wenigsten belastet (in diesem Sinne BAG Urteil vom 24. März 1983, Az. 2 AZR 21/82, AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). § 1 Abs. 3 S. 1 Halbs. 1 KSchG ordnet zu diesem Zweck eine betriebsübergreifende Auswahl an (vgl. BAG Urteil vom 26. Februar 1987, Az. 2 AZR 177/86, AP Nr. 15 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl), die eine Einschränkung auf bestimmte Abteilungen oder diejenigen Betriebsteile, in denen der Arbeitskräftebedarf entfallen ist, nicht zulässt (vgl. BAG Urteil vom 15. Juni 1989, Az. 2 AZR 580/88, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl). Der Kreis der in die soziale Auswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer ist in der Regel nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen (vgl. BAG Urteil vom 16. September 1982, Az. 2 AZR 271/80, AP Nr. 4 zu § 22 KO) im Hinblick auf die bisherige Tätigkeit (vgl. BAG Urteil vom 7. Februar 1985, Az. 2 AZR 91/84, AP Nr. 9 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl) und die berufliche Qualifikation (vgl. BAG Urteil vom 29. März 1990, Az. 2 AZR 369/89, AP Nr. 50 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung) zu bestimmen. Die Frage, ob der Arbeitgeber Arbeitnehmer, die einem tarifvertraglichen Kündigungsverbot unterfallen, im Rahmen seiner sozialen Auswahlentscheidung zu berücksichtigen hat, ist – soweit ersichtlich – insbesondere vom Bundesarbeitsgericht (BAG) bislang noch nicht entschieden worden, wobei sich aus dem Urteil des BAGvom 17. Mai 1984 (Az. 2 AZR 161/83 juris Rnr. 56) andeutet, dass den tarifvertraglich (ordentlich) unkündbaren Arbeitnehmern der Vorzug vor den Interessen der anderen Arbeitnehmern gebührt, wobei dies letztlich offen bleiben konnte.
Dass der Arbeitnehmer nach § 3 Nr. 4 des Tarifvertrages zur sozialpolitischen Begleitung unternehmerischer Entscheidungen im Rahmen der Bildung/Strukturierung des Energiekonzerns V E vom 24. Juni 2002 kündbar gewesen ist, während andere Arbeitnehmer der Klägerin hiervon ausgenommen waren, ist zwischen den Beteiligten unstreitig, und es ergibt sich für den Senat nichts anderes. Der Arbeitnehmer konnte die von der Klägerin weitergehenden Vorruhestandsregelungen (s. Protokollnotiz zum vorgenannten Tarifvertrag vom 24. Juni 2002 sowie im Zuge dessen weiter im Unternehmen der Klägerin vorhandene Betriebsvereinbarungen bzw. Ergänzung zur sozialen Flankierung der Belegschaftsanpassungen in den Jahren 1999 bis 2001 vom 30. Juni 1999 bzw. 27. Juni 2000) für sich in Anspruch nehmen, was zwischen den Beteiligten auch außer Streit steht.
Der Streit wird im Wesentlichen um die Frage geführt, ob eine derartige tarifvertragliche Regelung im Rahmen der Anwendung von § 147a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB III vorrangige Bedeutung vor § 1 Abs. 3 KSchG erlangen kann.
Der Senat gelangt nicht zu der Auffassung, dass der Tarifvertrag vom 24. Juni 2002 gemessen an einem Rangverhältnis der Normen unwirksam ist. Zur Begründung macht sich der Senat die Ausführungen des Sozialgerichts in der angefochtenen Entscheidung zu Eigen, die er nach eigener Prüfung für zutreffend und überzeugend hält und deswegen hierauf verweist; § 153 Abs. 2 SGG.
Ergänzend weist der Senat daraufhin, dass vergleichbar, wie im vom 29. Senat des Hauses entschiedenen Fall – Urteil vom 18. Mai 2011 (a.a.O.) – aufgrund der tariflichen Regelung und sich daran anschließenden Vorruhestandsregelungen gerade nur ältere Arbeitnehmer, wie auch hier der 1949 geborene Arbeitnehmer, vom Kündigungsschutz ausgeschlossen waren. Er wurde – wie bereits ausgeführt – von § 3 Nr. 4 des Tarifvertrages vom 24. Juni 2002 erfasst, denn er nahm die Vorruhestandsregelung für sich in Anspruch.
Gleichwohl ist diese tarifvertragliche Regelung auch nach Ansicht des hier erkennenden Senats unter Berücksichtigung der Rechsprechung des BAG zulässig, wirksam und damit anwendbar, wie bereits der 29. Senat (a.aO.) ausgeführt hat. Diesen Erwägungen schließt sich der Senat nach eigener Überzeugungsbildung an. Der 29. Senat hat hierzu ausgeführt hat:
„Insbesondere verstößt die Regelung des § 3 Nr. 4 des Tarifvertrages nicht gegen höherrangiges Recht.
Das BAG lässt in seiner ständigen Rechtsprechung den Tarifvertragsparteien grundsätzlich einen weiten Gestaltungsspielraum, der gegebenenfalls auch zu Auswirkungen im Kündigungsschutz führen kann. So hat beispielsweise der 9. Senat des BAG zu den Grenzen der Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien in seinem Urteil vom 27. Februar 2002 (9 AZR 562/00, u.a. in BAGE 100, 339 sowie NZA 2002, 1099 bis 1105) folgendes ausgeführt:
'….Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG garantiert die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Diese bezieht sich sowohl auf die Entscheidung für eine konkrete Beschäftigung als auch auf den Willen des Arbeitnehmers, diese beizubehalten oder aufzugeben. Das Grundrecht verleiht zwar keine Bestandsgarantie für den einmal gewählten Arbeitsplatz. Dem Staat obliegt aber eine aus Art. 12 Abs. 1 GG folgende Schutzpflicht. Diese hat der Gesetzgeber mit dem geltenden Kündigungsschutzrecht erfüllt (BVerfG 24. April 1991 - 1 BvR 1341/90 - BVerfGE 84, 133). Ein gesetzlicher Mindeststandard ist danach grundgesetzlich gewährleistet. Ihn dürfen auch die Tarifvertragsparteien bei der Schaffung von Rechtsnormen nach § 1 TVG nicht unterschreiten. Regelungen, die den Kündigungsschutz beschränken, müssen deshalb die ihm zugrunde liegenden Wertentscheidungen respektieren und sachlich begründet sein. Dieser erfasst nach Maßgabe von § 2 KSchG auch den Schutz vor einseitig vom Arbeitgeber verfügten inhaltlichen Änderungen. Verboten sind Regelungen, die mit dem durch das KSchG gewährleisteten Schutz nicht mehr vereinbar sind. Die Kontrolle, ob der Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG durch die Tarifvertragsparteien in Ausübung ihres kollektiven Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG gerechtfertigt ist, obliegt den Gerichten für Arbeitssachen (vgl. zu tarifvertraglichen Altersgrenzen BAG 25. Februar 1998 - 7 AZR 641/96 - BAGE 88, 118 und 11. März 1998 - 7 AZR 700/96 - BAGE 88, 162).
c) Ob die Tarifvertragsparteien wegen des in dem Verbandsbeitritt oder wegen des in der einzelvertraglichen Übernahme des Tarifvertrags liegenden Grundrechtsverzichts bis zur Grenze des "Unerträglichen" (Erfk/Dieterich 2. Aufl. Einl. GG Rn. 47, 64, 67) in die Berufsfreiheit eingreifen dürfen oder ob die Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfolgen muss und es dann ausreicht, wenn die Tarifvertragsparteien einem Grundrechtseingriff eine "Gegenleistung" des hierdurch Begünstigten gegenüber gestellt haben (so BAG 25. Oktober 2000 - 4 AZR 438/99 - BAGE 96, 168) ist nicht abschließend zu entscheiden (vgl. auch BAG 28. Juni 2001 - 6 AZR 114/00- aaO). Die Regelung erweist sich unter Berücksichtigung der Wertentscheidungen des Kündigungsschutzes als rechtswirksam.
aa) Der in § 8 a Abs. 7 TV Vorruhestand verlangte Wegfall des Arbeitsplatzes ist ein Grund, der regelmäßig zum Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung oder einer Änderungskündigung nach § 1 und § 2 KSchG berechtigt. Die soziale Rechtfertigung hängt nicht davon ab, ob der Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses durch eine vom Arbeitgeber getroffene Rationalisierung veranlasst ist. Ihm steht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bis zur Willkürgrenze frei, unternehmerische Entscheidungen zu treffen, die den Bedarf an Beschäftigung entfallen lassen (vgl. nur BAG 7. Dezember 2000 - 2 AZR 391/99 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 113). Auch lange Betriebszugehörigkeit oder fortgeschrittenes Alter allein schützen entgegen der Auffassung des Klägers regelmäßig nicht vor einem Verlust des Arbeitsplatzes auf Grund betriebsbedingter Kündigung.
bb) … Die Tarifvertragsparteien können bestehende tarifliche Regelungen auch zum Nachteil der Arbeitnehmer verändern oder - wie hier - für einen bestimmten Zeitraum modifizieren. Das vom Kläger in diesem Zusammenhang bemühte Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG greift nicht.
cc) Die Tarifvertragsparteien haben durch die Bindung der Freistellungsbefugnis des Beklagten an billiges Ermessen auch den nach § 1 Abs. 3 KSchG zu berücksichtigenden sozialen Gesichtspunkten ausreichend Rechnung getragen. Der Beklagte ist zwar bei seiner Entscheidung, ob er bei Wegfall von Arbeitsplätzen und gleichzeitiger Neueinrichtung in ihrer tariflichen Wertigkeit vergleichbarer Arbeitsplätze und deren Besetzung in seiner Auswahlentscheidung nicht an den dort bestimmten Katalog gebunden. Er darf aber soziale Gesichtspunkte nicht gänzlich unberücksichtigt lassen…'
Nach dieser Rechtsprechung ist die Regelung des § 3 Nr. 4 des Tarifvertrages wegen eines Verstoßes gegen höherrangiges Recht nicht zu beanstanden. Sie verstößt insbesondere nicht gegen zwingendes gesetzliches Kündigungsschutzrecht.
Zwar verbieten die §§ 1 und 2 KSchG, durch Tarifvertrag dem Arbeitgeber Rechte einzuräumen, die mit dem Schutz des Arbeitnehmers vor einseitiger Änderung des Arbeitsvertrags, wie er durch das KSchG gewährleistet wird, nicht mehr vereinbar sind (BAG, Urteil vom 28. Juni 2001,6 AZR 114/00, u.a. in BAGE 98, 175 sowie NZA 2002, 331 bis 336). So wurden beispielsweise tarifvertragliche Regelungen als unwirksam angesehen, die die Einführung von Kurzarbeit durch den Arbeitgeber für zulässig erklärt hatten, ohne die dafür erforderlichen Voraussetzungen im Tarifvertrag zu regeln (BAG, a.a.O, m.w.N.). Auch hat das BAG entschieden, dass eine tarifvertragliche Regelung zu Ergebnissen führen kann, „die die gesetzliche Wertung des §§ 1 Abs. 3 S. 1 KSchG auf den Kopf stellen, so etwa wenn ein 53-jähriger seit drei Jahren beschäftigter Arbeitnehmer ohne Unterhaltspflichten aufgrund der tarifvertraglichen Regelung aus der Sozialauswahl ausscheiden soll, während ein 52-jähriger seit 35 Jahren im Betrieb beschäftigter Arbeitnehmer mit mehrfachen Unterhaltspflichten zur Kündigung ansteht“ (BAG, Urteil vom 5. Juni 2006, 2 AZR 907/06, u.a. in NZA 2008,1120 bis 1124). Letztlich hat das BAG so genannte Unkündbarkeitsvereinbarungen jedoch grundsätzlich als zulässig angesehen und die gebotene Grenze dort gezogen, wo die Fehlgewichtung durch den durch die ordentliche Unkündbarkeit eingeschränkten Auswahlpool zu einer grob fehlerhaften Auswahl führen würde (BAG, a. a. O., m.w.N.).
Diese Grenze ist durch die tarifvertraglichen Regelungen nach Ansicht des Senats vorliegend nicht überschritten.
Mit § 3 Nr. 1 des Tarifvertrages wurde ein befristeter Kündigungsschutz gegen betriebsbedingte Kündigungen geschaffen, der schon deshalb im Hinblick auf das KSchG keinen rechtlichen Bedenken begegnet, weil er den gesetzlich vorgesehenen Kündigungsschutz der Arbeitnehmer nicht einschränkt, sondern sogar noch ausweitet.
Auch die Einschränkung dieses Kündigungsschutzes aus § 3 Nr. 1 des Tarifvertrages im § 3 Nr. 4 des Tarifvertrages führt nicht zur unzulässigen Aushöhlung der Wertentscheidungen des KSchG.
Zum einen ergibt sich dies daraus, dass durch die Regelung des § 3 Nr. 4 des Tarifvertrages nicht direkt, sondern allenfalls indirekt in die Regelungen des KSchG eingegriffen werden. Direkt schränkt die Regelung des § 3 Nr. 4 des Tarifvertrages lediglich den erweiterten Kündigungsschutz nach § 3 Nr. 1 des Tarifvertrages ein. Auch wenn faktisch dadurch, wie oben bereits dargestellt, die grundsätzlich nach § 1 Abs. 3 KSchG gebotene Sozialauswahl letztlich vereitelt wird, so stellt sich dies nur als mittelbare Folge der tarifvertraglichen Regelungen dar.
Zum anderen haben die Tarifvertragsparteien entsprechend der Rechtsprechung des B die Zulässigkeit dieses mittelbaren Eingriffes durch eine entsprechende Definition der erforderlichen Voraussetzungen selbst geregelt. Denn in der Protokollnotiz zum Tarifvertrag wurde durch die Tarifvertragsparteien ausdrücklich klargestellt, dass als sozialverträgliches Instrument im Sinne von § 3 Nr. 4 des Tarifvertrages insbesondere der Vorruhestand anzusehen ist. Dies genügt nach Ansicht des Senats auch, um die Regelungen des Tarifvertrages als bestimmt genug erscheinen zu lassen. Wie ein Gesetz kann auch eine kollektivrechtliche Tarifvertragsregelung als abstrakt generelle Vorschrift kaum im Einzelnen regeln, welche Arbeitsplätze konkret von ihr betroffen sind.
Schließlich ist auch nicht erkennbar, dass die Tarifvertragsparteien den der Wertung des § 1 Abs. 3 KSchG zu Grunde liegenden sozialen Gesichtspunkten nicht ausreichend Rechnung getragen haben.
Zwar sieht das KSchG insbesondere das Lebensalter als Indiz für einen Schutz aus sozialen Gesichtspunkten an (vergleiche § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG). Diese Wertung wurde auch letztlich mittelbar durch § 3 Nr. 4 des Tarifvertrages relativiert. Zur Kompensation dieses teilweisen Verlustes des Kündigungsschutzes haben die Tarifvertragsparteien jedoch eine Kündigung von der Gewährung „sozialverträglicher Instrumente“ und der Gewährung entsprechender Leistungen abhängig gemacht. Das Sozialgericht hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass die Regelung des Tarifvertrages danach insgesamt als sinnvoll und ausgewogen erscheint.
Insofern ist zudem anzumerken, dass die nach § 1 Abs. 3 KSchG notwendige Sozialauswahl dazu führen soll, dass allgemein die Arbeitnehmer, die von einem Verlust des Arbeitsplatzes am härtesten betroffen wären, grundsätzlich den größten Schutz genießen sollen. Die Beachtung dieses Zieles ist den Tarifvertragsparteien auch im Hinblick auf die Besonderheiten der Umstände der zu treffenden Regelungen nicht abzusprechen. So liegt beispielsweise der Betrieb des hier betroffenen Arbeitnehmers in einer Region, in der zum damaligen Zeitpunkt gerichtsbekannt eine sehr hohe Arbeitslosigkeit herrschte. Der dem § 1 KSchG erkennbar innewohnende Gedanke, dass ein jüngerer Arbeitnehmer nach einer Kündigung regelmäßig schneller wieder in Arbeit ist, galt in dieser Region deshalb nur bedingt. Eine andere Wertung der sozialen Schutzbedürftigkeit durch die Tarifvertragsparteien ist daher durchaus nachvollziehbar.
Sowohl die tarifvertraglichen Regelungen als auch die Kündigung vom 1. Dezember 2003 verstoßen auch nicht gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897), weil dieses Gesetz erst nach der erfolgten Kündigung am 18. August 2006 in Kraft trat. Es kann daher dahinstehen, ob in den Regelungen und/oder der Kündigung eine (mittelbare) Diskriminierung wegen Alters zu sehen wäre. Insoweit ist allerdings anzumerken, dass von der Regelung des § 3 Nr. 4 des Tarifvertrages nicht nur ältere Arbeitnehmer betroffen waren, weil die „sozialverträglichen Instrumente“ (z.B. die strukturelle Kurzarbeit mit Qualifizierungsmaßnahmen) nicht nur für ältere Arbeitnehmer galten.
Die hier maßgeblichen Regelungen des Tarifvertrages zur sozialpolitischen Begleitung unternehmerischer Entscheidungen im Rahmen der Bildung/Strukturierung des Energiekonzerns V E verstoßen auch nicht gegen § 147a SGB III.
Zwar führen die tarifvertraglichen Regelungen letztlich auch hier zu einer erheblichen Einschränkung des Anwendungsbereiches. Dies stellt sich jedoch lediglich als Reflex der Auswirkungen auf das KSchG dar. Wie bereits dargestellt, wirkt sich die Regelung des § 3 Nr. 4 des Tarifvertrages direkt lediglich auf den besonderen Kündigungsschutz nach § 3 Nr. 1 des Tarifvertrages aus; die Auswirkung auf das KSchG ist nur mittelbar. Weil § 147a Abs. 1 Nr. 4 SGB III letztlich auf § 1 KSchG abstellt, kann sich deshalb auch hier die Regelung des § 3 Nr. 4 des Tarifvertrages allenfalls noch mittelbar auswirken. In den Regelungsbereich des § 147a Abs. 1 Nr. 4 SGB III wird nicht direkt eingegriffen. Stellt sich aber, wie vorliegend der Fall, die tarifvertragliche Regelung arbeitsrechtlich als zulässig heraus und führt sie zu einer sozial gerechtfertigten Kündigung im Sinne des Arbeitsrechts, so liegt die Voraussetzung des § 147a Abs. 1 Nr. 4 SGB III vor; die Erstattungspflicht tritt nicht ein. Anders ausgedrückt, hängt das Schicksal der sozialrechtlichen Erstattungsforderung an dem Schicksal der arbeitsrechtlich zu prüfenden sozialen Rechtfertigung der Kündigung.
Zu einer anderen Wertung führt auch nicht die unterschiedliche gesetzliche Zielsetzung. Während durch das KSchG den Interessen der geschützten Arbeitnehmer Rechnung getragen werden soll, soll durch die Regelung des § 147a SGB III daneben auch der Übung von Unternehmen entgegengewirkt werden, Leistungen der Arbeitslosenversicherung und der Rentenversicherung zur Verbesserung der betrieblichen Personalstruktur zu nutzen (Brand in Niesel/Brand, SGB III, 5. Auflage 2010, § 147a Rn. 3 m.w.N.). Dieser Zweck der Regelung wird jedoch nicht vereitelt, wenn eine der vom Gesetzgeber selbst normierten Ausnahmeregelungen für die Erstattungspflicht (hier § 147a Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB III) eingreift. Denn in einem solchen Fall hat der Gesetzgeber selbst die Wertung getroffen, dass eine Erstattungspflicht nicht eintreten soll. Dementsprechend sieht sich der Senat auch an einer einschränkenden Auslegung des Ausnahmetatbestandes des § 147a Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB III gehindert.
Schließlich ist auch hier festzustellen, dass von den tarifvertraglichen Regelungen nicht nur ältere Arbeitnehmer betroffen worden sind, sondern alle, die „sozialverträgliche Instrumente“ in Anspruch genommen haben. Ein Abstellen auf die Regelung des § 147a SGB III, der nur Arbeitnehmer ab dem 55. Lebensjahr betrifft, liegt deshalb auch aus diesem Grund nicht auf der Hand.“
Insgesamt bleibt damit auch in diesem Rechtsstreit festzuhalten, dass das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers durch eine sozial gerechtfertigte Kündigung beendet worden ist und damit der Ausnahmetatbestand des § 147a Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB III vorliegt. Der Berufung der Beklagten bleibt der Erfolg versagt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und folgt dem Ergebnis zur Hauptsache.
Die Revision war zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG vorliegen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, da die entscheidende Rechtsfrage der Berücksichtigung von tarifvertraglichem Kündigungsschutz einerseits und der nach § 1 Abs. 3 KSchG vorzunehmenden Sozialauswahl im Rahmen einer Entscheidung nach § 147a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB III andererseits nicht höchstrichterlich geklärt ist und über den zu entscheidenden Fall hinaus Bedeutung hat.