Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat | Entscheidungsdatum | 02.11.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 10 S 28.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 146 Abs 4 S 6 VwGO, § 80 Abs 2 Nr 4 VwGO, § 2 Abs 1 S 2 BauO BE, § 2 Abs 4 Nr 8 BauO BE, § 2 Abs 9 BauO BE, § 6 Abs 5 BauO BE, § 6 Abs 7 BauO BE, § 8 Abs 1 BauO BE, § 32 Abs 1 BauO BE, § 32 Abs 2 Nr 2 BauO BE, § 61 Abs 1 BauO BE, § 62 Abs 1 Nr 14e BauO BE, § 75 Abs 2 Nr 4 BauO BE, § 79 S 1 BauO BE |
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 5. Juli 2011 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird für die zweite Rechtsstufe auf 2.500 Euro festgesetzt.
I.
Der Antragsteller zu 3. ist Eigentümer des Grundstücks F… Ecke A… in Berlin-K…, auf dem die Antragstellerin zu 1. das Restaurant I… betreibt, deren Geschäftsführer er zusammen mit der Antragstellerin zu 2. ist. Hierbei handelt es sich um ein an der Havel gelegenes Ausflugslokal, dessen Kapazitäten durch das Aufstellen einer Leichtbauhalle mit Kunststoffzeltdach für Familienfeiern mit etwa 30 Gästen und für sonstige Veranstaltungen auf der neben der Gaststätte gelegenen Grundstücksfläche entlang der A… erweitert worden sind. Hierzu gehören auch zwei Partyzelte, die als Raucherzone genutzt werden. Die Leichtbauhalle hat eine Grundfläche von 12 m x 8 m und eine Höhe von 3,50 m. Die Partyzelte haben jeweils eine Grundfläche von 3 m x 3 m und eine Höhe von 2,50 m. Die dadurch bewirkte Betriebserweiterung macht nach Angaben des Antragstellers zu 3. inzwischen ca. 30 % des Gesamtumsatzes aus und ist von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung. Von den Nachbarn wird der Betrieb wegen der Lärmbelästigungen als störend empfunden, was bereits zu zahlreichen Beschwerden geführt hat.
Die Antragsteller wehren sich im vorliegenden Verfahren gegen die Anordnung vom 15. Juli 2009, mit der der Antragsgegner unter Fristsetzung, Androhung der Ersatzvornahme und Anordnung der sofortigen Vollziehung die Beseitigung der Leichtbauhalle und der beiden Partyzelte verlangt, weil die baulichen Anlagen formell und materiell illegal seien. Das Grundstück liege nach den Ausweisungen des Baunutzungsplans von 1958/1960 in einem allgemeinen Wohngebiet der Baustufe II/2 mit förmlich festgesetzten Fluchtlinien. Die Leichtbauhalle stehe auf der bauplanungsrechtlich nicht überbaubaren Grundstücksfläche im Vorgarten und führe zur Überschreitung des Maßes der baulichen Nutzung auf dem Grundstück. Darüber hinaus würden die Abstandsflächen und die Brandschutzbestimmungen der Berliner Bauordnung nicht eingehalten.
Über den hiergegen erhobenen Widerspruch ist noch nicht entschieden worden. Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Juli 2011 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.
II.
Die Beschwerde der Antragsteller ist unbegründet.
Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerde die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Die Prüfung des Oberverwaltungsgerichts ist nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die fristgemäß dargelegten Beschwerdegründe beschränkt. Diese rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses.
Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Anordnung ist § 79 Satz 1 BauOBln. Danach kann von der Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung einer Anlage angeordnet werden, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert wurde und nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Diese Voraussetzungen liegen vor, denn einer Beibehaltung des jetzigen Zustands stehen bauordnungsrechtliche und bauplanungsrechtliche Gründe entgegen.
1. Die Leichtbauhalle besteht aus einer Rahmenkonstruktion mit herausnehmbaren Wandelementen, einem festen Fußboden, Kunststofffenstern und -türen und einem Dach aus Kunststoffzeltbahnen. Es handelt sich um eine bauliche Anlage im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 BauOBln, denn sie ist aus Bauprodukten hergestellt (§ 2 Abs. 9 BauOBln) und mit dem Erdboden verbunden. Für eine solche Verbindung genügt es, wenn die Anlage aus eigener Schwere auf dem Boden ruht. Darauf, ob sie transportabel im Sinne eines technisch möglichen Ab- und Wiederaufbaus ist, weil sie weder ein Fundament noch eine Verankerung unter der Erdoberfläche aufweist, wie die Antragsteller mit der Beschwerdebegründung vortragen, oder darauf, ob die Leichtbauhalle überwiegend ortsfest benutzt wird, kommt es nicht mehr an, wenn - wie hier - die Merkmale einer baulichen Anlage erfüllt sind. Die beiden Partyzelte bestehen ebenfalls aus Bauprodukten und weisen als Raucherzone einen funktionalen und technischen Bezug zu der als Veranstaltungszelt genutzten Leichtbauhalle auf, so dass hier von einer Mehrheit baulicher Anlagen im Sinne einer baulichen Gesamtanlage auszugehen ist (vgl. hierzu Wilke in: Wilke/Dageförde/Knuth/Meyer/Broy-Bülow, BauOBln, 6. Aufl. 2008, § 2 RNr. 19), die Teil des Gaststättenbetriebs I… geworden ist.
2. Die bauliche Gesamtanlage ist formell illegal, denn sie zählt nicht zu den verfahrensfreien Bauvorhaben im Sinne des § 62 BauOBln. Mit den in § 62 Abs. 1 Nr.14 e) BauOBln genannten anderen unbedeutenden Teilen von Anlagen ist sie nicht zu vergleichen, weil die Leichtbauhalle mit den Partyzelten in ihrer baurechtlichen Bedeutung keiner der Anlagen entspricht, die in dieser Vorschrift beispielhaft aufgezählt sind, soweit diese überhaupt als Vergleichsobjekte in Betracht kommen. Die dort genannten - zumindest ebenfalls dem Witterungsschutz von Menschen dienenden - Hauseingangsüberdachungen oder Markisen zeichnen sich durch mangelnde Geschlossenheit und fehlende Aufenthaltsqualität aus und unterscheiden sich damit deutlich von der sogar mit einer Heizanlage ausgestatteten Leichtbauhalle mit den Partyzelten für Raucher, bei der es sich letztlich um eine Erweiterung des Schankraums durch eine geschlossene Konstruktion handelt, der nur die für das Dach und die Partyzelte verwendeten Zeltbahnen einen weitgehend provisorischen Charakter verleihen (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 15. Juni 2009 - OVG 10 S 9.09 -).
Von einem Fliegenden Bau im Sinne des § 75 Abs. 2 Nr. 4 BauOBln ist - abgesehen von der Überschreitung der hierfür maßgebenden Bruttogrundfläche - nicht auszugehen. Denn ungeachtet der objektiven Eignung der Leichtbauhalle, an verschiedenen Orten wiederholt aufgestellt und zerlegt zu werden, kommt dieser jedenfalls subjektiv diese Bestimmung nicht zu, weil nach der aus der bisherigen Handhabung der Antragsteller abzuleitenden Zweckbestimmung der Anlage jedenfalls kein ständig sich wiederholender Auf- und Abbau an verschiedenen und auch wieder gleichen Orten vorgesehen ist (vgl. hierzu OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 15. Juni 2009, a.a.O.). Das für einen Fliegenden Bau wesentliche Merkmal des Fehlens einer festen Beziehung der Anlage zu einem Grundstück liegt nicht vor, wenn eine Anlage - mag sie auch von Ihrer Konstruktionsweise her als Fliegender Bau in Betracht kommen - dauernd oder langfristig auf demselben Platz aufgestellt wird (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 15. August 2011 - OVG 2 S 54.11 -). Die Antragsteller streben offenbar schon aus wirtschaftlichen Gründen eine nahezu ganzjährige Aufstellung der Leichtbauhalle mit den Partyzelten vor der Gaststätte I… an. Soweit kurzfristige Betriebsunterbrechungen in den Monaten Februar und März 2011 durch einen Teilabbau der Konstruktion stattgefunden haben, waren diese offenbar nur Teil eines vermeintlichen Einlenkens zur Vermeidung eines behördlichen Einschreitens, wie der Wiederaufbau Ende März 2011 belegt. Damit weist der Verwendungszweck der streitgegenständlichen baulichen Gesamtanlage eine feste Beziehung zu der Gaststätte auf, denn sie wird ortsfest auf ein bestimmtes Grundstück bezogen genutzt und hat damit den Charakter einer ortsgebundenen Anlage (vgl. hierzu Knuth in: Wilke/ Dageförde/Knuth/Meyer/Broy-Bülow, a.a.O., § 75 RNr. 4). Einer Klärung der Frage, ob die bauliche Anlage überhaupt dafür geeignet ist, überwiegend ortsfest benutzt zu werden, was die Antragsteller in der Beschwerdebegründung verneinen, bedarf es danach nicht.
Die der Erweiterung des Betriebs dienende bauliche Gesamtanlage (Leichtbauhalle mit Partyzelten) erfüllt zusammen mit der Gaststätte im Haupthaus die Voraussetzungen eines Sonderbaus im Sinne des § 2 Abs. 4 Nr. 8 BauOBln und ist damit baugenehmigungspflichtig im Sinne des § 65 BauOBln. Sie ist formell illegal, weil für sie weder eine Baugenehmigung vor der Errichtung beantragt noch erteilt worden ist. Die Notwendigkeit einer behördlichen Aufforderung zu der entsprechenden Antragstellung sieht das Gesetz entgegen der Auffassung der Antragsteller in der Beschwerdebegründung nicht vor.
3. Die bauliche Gesamtanlage steht auch materiell-rechtlich im Widerspruch zu den öffentlich-rechtlichen Vorschriften.
a) Soweit die Antragsteller mit der Beschwerdebegründung vortragen, dass ein Verstoß gegen § 32 Abs. 7 Satz 1 BauOBln nicht mehr gegeben sein könne, weil die Zeltkonstruktion inzwischen versetzt und der bisherige überdachte Verbindungsgang mit dem Hauptgebäude abgebaut worden sei, kann dahinstehen, ob die Vorschrift mangels Anbau an das Gebäude überhaupt noch greift. Jedenfalls sind die übrigen brandschutzrechtlichen Anforderungen der Berliner Bauordnung dadurch nicht erfüllt. Denn das aus Kunststoffzeltbahnen bestehenden Dach der Leichtbauhalle stellt keine harte Bedachung im Sinne des § 32 Abs. 1 dar und erfüllt auch nicht die Abstandsanforderungen des § 32 Abs. 2 Nr. 2 BauOBln. Zudem hält die Leichtbauhalle aufgrund ihrer Größe vom 8 m x 12 m keine eigenen Mindestabstandsflächen von 3 m (§ 6 Abs. 5 Satz 1 BauOBln) ein und würde selbst bei einer Verschiebung in Richtung F… noch stets in den Abstandsflächen des Hauptgebäudes liegen, was gemäß § 6 Abs. 7 BauOBln nur den dort genannten privilegierten Bauten vorbehalten ist.
b) Die bauliche Gesamtanlage befindet sich zudem auf den bauplanungsrechtlich nicht überbaubaren Grundstücksflächen, was auch in bauordnungsrechtlicher Hinsicht (§ 8 Abs. 1 BauOBln) nicht zulässig ist. Soweit die Antragsteller im Beschwerdeverfahren vortragen, dass der Bereich der Rasenfläche als Schankterrasse mit Kaffeetischen und Stühlen zugelassen und konzessioniert worden sei, so dass in früheren Zeiten dort Gartenveranstaltungen stattgefunden hätten, dürfte es sich hierbei - wenn überhaupt - um eine gaststättenrechtliche Erlaubnis gehandelt haben. Diese ersetzt jedoch nicht die erforderliche Baugenehmigung, weil § 61 Abs. 1 BauOBln eine Verfahrenskonzentration im gaststättenrechtlichen Verfahren nicht vorsieht. Die von den Antragstellern unter kompensatorischen Gesichtspunkten angeführte „Abschirmungswirkung“ der Leichtbauhalle und der Partyzelte gegen den Lärm der Gäste ist nicht von Belang. Schließlich sind es gerade die nachträglich errichteten baulichen Anlagen, die die Kapazitäten des Gaststättenbetriebs erheblich erweitert und nach außen verlagert haben, so dass die dort stattfindenden Veranstaltungen ganz wesentlich zu den Beschwerden aus der Nachbarschaft beigetragen haben.
c) Es können auch nicht auf andere Weise im Sinne des § 79 Satz 1 BauOBln rechtmäßige Zustände hergestellt werden. Die von den Antragstellern behauptete Genehmigungsfähigkeit der baulichen Gesamtanlage aufgrund einer beabsichtigten bauplanungsrechtlichen Änderung zu ihren Gunsten im Wege eines Bebauungsplanverfahrens ist weder dem Verwaltungsvorgang zu entnehmen noch wird sie durch die Ausführungen des Antragsgegners in der Beschwerdeerwiderung gestützt.
4. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) in der angefochtenen Verfügung ist entgegen der Auffassung der Antragsteller in der Beschwerdebegründung nicht zu beanstanden. Diese ist ganz wesentlich auf die durch die zusätzlichen baulichen Anlagen auf dem Grundstück entstandenen Brandgefahren und die damit verbundene Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gestützt, an der sich nichts geändert hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG, wobei der Senat der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung folgt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).