Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 21. Senat | Entscheidungsdatum | 16.04.2014 | |
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Aktenzeichen | L 21 R 172/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 31 SGB 10 |
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 18. Januar 2011 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5 000,00 Euro festgesetzt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Kläger wenden sich gegen ein Schreiben der Beklagten vom 18. Mai 2009, mit dem sie gebeten werden, die Anmeldung ihrer Haushaltshilfe mit Haushaltsscheckformular unverzüglich nachzuholen.
Im Januar 2009 teilte das Finanzamt Cottbus der Beklagten mit, dass im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens bekannt geworden sei, dass die Kläger einen Dienstvertrag mit Frau W H geschlossen haben, nach dem diese die Kinder der Kläger im Jahre 2005 zirka sechs Stunden und im Jahre 2006 zirka zehn Stunden pro Woche betreut habe und dafür eine monatliche Vergütung von 260,00 Euro im Jahre 2005 und 500,00 Euro im Jahre 2006 erhalten habe. Beigefügt war der Mitteilung eine Kopie des Dienstvertrages vom 2. August 2007.
Mit Schreiben vom 18. Mai 2009 wandte sich die Beklagte an die Kläger mit folgendem Schreiben:
„Nach den uns zur Verfügung gestellten Unterlagen des Finanzamtes (Az: bzw. ) ist Frau H seit dem 1. Januar 2005 bei Ihnen als private Haushaltshilfe geringfügig beschäftigt.
...
Beiliegend übersenden wir Ihnen einige Informationen und bitten Sie, die erforderliche Anmeldung (auch rückwirkend) für Ihre Haushaltshilfe mit beigefügtem Haushaltsscheckformular unverzüglich nachzuholen.
...
Ihre Anmeldung erwarten wir bis zum 19. Juni 2009.“
Das Schreiben war mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, die da lautete: „Diesen Bescheid können Sie ... innerhalb eines Monats nach seiner Bekanntgabe mit dem Widerspruch anfechten.“
Die Kläger haben am 29. Mai 2009 Widerspruch mit der Begründung eingelegt, dass es sich bei der Tätigkeit von Frau W H um eine freiberufliche Tätigkeit handele und deshalb kein Grund zur Teilnahme am Haushaltsscheckverfahren bestehe.
Die Beklagte hat den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. August 2009 zurückgewiesen. Der Widerspruchsbescheid enthält ausschließlich Ausführungen zum Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung.
Hiergegen haben die Kläger am 24. September 2009 Klage bei dem Sozialgericht Cottbus erhoben. Es liege kein Beschäftigungsverhältnis vor.
Das Sozialgericht hat dem Begehren der Kläger den Antrag entnommen,
den Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2009 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass Gegenstand der Klage der Verwaltungsakt vom 18. Mai 2009 sei, der den Klägern die Handlungspflicht auferlege, die Arbeitnehmer im Haushaltsscheckverfahren ab 1. Januar 2009 anzumelden. Es handele sich nicht um einen Verwaltungsakt, mit dem Pauschalbeträge gefordert würden, da keine Beitragspflicht konkret festgestellt werde, sondern lediglich Informationen über die Höhe der Beitragssätze enthalten seien.
Mit Gerichtsbescheid vom 18. Januar 2011 hat das Sozialgericht Cottbus den „Scheinbescheid“ vom 18. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2009 aufgehoben. Das streitgegenständliche Schreiben vom 18. Mai 2009 stelle keinen Verwaltungsakt dar, es stelle einen Scheinverwaltungsakt dar. Die hier streitgegenständliche Bitte der Beklagten an die Kläger, sich im Haushaltsscheckverfahren anzumelden, reiche nicht aus. Der von dem Scheinverwaltungsakt gesetzte Rechtsschein gebiete jedoch seine Aufhebung. Das Schreiben vom 18. Mai 2009 lege zumindest nach dem Willen der Beklagten den Klägern die Verpflichtung auf, sich im sogenannten Haushaltsscheckverfahren anzumelden. Eine solche Verpflichtung gebe es hingegen nicht. Im Haushaltsscheckverfahren bestehe für keinen Arbeitgeber im Geltungsbereich des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - SGB IV - die Verpflichtung sich anzumelden. Eine nicht vorhandene Verpflichtung könne und dürfe aber auch nicht durch einen Verwaltungsakt erzwungen werden. Die Beklagte könne im Rahmen ihrer Zuständigkeit lediglich auf der Meldung nach § 28 a Abs. 1 SGB IV bestehen und diese im Verwaltungszwangswege durchsetzen. Hierzu bestehe eine Pflicht. Für die Teilnahme am Haushaltsscheckverfahren bestehe hingegen keinerlei Verpflichtung. Die Verpflichtung zur Anmeldung im Haushaltsscheckverfahren könne wegen des ausdrücklichen Wortlauts und des Willens der Beklagten, die Kläger zur Teilnahme am Haushaltsscheckverfahren zu verpflichten, nicht in eine Verpflichtung zur Anmeldung nach § 28 a Abs. 1 SGB IV umgedeutet werden.
Gegen den ihr am 3. Februar 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 24. Februar 2011 Berufung eingelegt. Gerügt werde mit dem Rechtsmittel die unrichtige Anwendung des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -. Ausgehend vom Verständnishorizont eines verständigen Empfängers könne unter Zugrundelegung der Begründung und des Gesamtbildes vorliegend davon ausgegangen werden, dass die Formulierungen im 1. bis 4. Absatz auf der ersten Seite des Bescheides vom 18. Mai 2009 ausreichend seien, um das Vorliegen eines meldepflichtigen geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses darzustellen, dessen Anmeldung nicht erfolgt sei und ein Nachkommen dieser Meldepflicht erwartet werde. In Verbindung mit dem 4. Absatz auf der zweiten Seite des Bescheides vom 18. Mai 2009 ergebe sich durch die Fristsetzung („Ihre Anmeldung erwarten wir bis zum 19. Juni 2009.“) eine eindeutige Aufforderung zur Nachholung der Meldeverpflichtung, also der befehlende Charakter der Regelung.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 18. Januar 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, der vorlag und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus erweist sich als zutreffend.
Zutreffend ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass die Klage gegen das Schreiben vom 18. Mai 2009 als Anfechtungsklage zulässig ist. Dabei kann zunächst dahinstehen, ob es sich bei dem Schreiben vom 18. Mai 2009 um einen Verwaltungsakt gehandelt hat, gegen den der Widerspruch als förmlicher Rechtsbehelf gegeben war. Denn auch wenn eine Behörde eine sich objektiv nicht als Verwaltungsakt darstellende Regelung als Verwaltungsakt erlässt, ist die Anfechtungsklage eröffnet (BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1987, 8 C 21/86, BVerwGE 78, 3). In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung und absolut herrschenden Literaturmeinung ist anerkannt, dass gegen Bescheide, die in ihrer äußeren Form nach Verwaltungsakten entsprechen und den Rechtsschein erwecken, eine abschließende Regelung zu treffen, dieselben Rechtsbehelfe gegeben sind, wie gegen „echte“ Verwaltungsakte (Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungs-streitverfahren, 5. Auflage 2008, Rdnr. 936 m. w. N.; BVerwGE 78, 3; BayVGH, Beschluss vom 15. November 2002 - 3 CS 02.2258; OVG Bremen, Beschluss vom 21. August 2002 - 1 B 143/02; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 12. Mai 1999, 2 L 26/98; OVG Magdeburg, Beschluss vom 12. Januar 1998, B 2 S 432/87; VGH Mannheim, NVwZ 1991, 1195, 1196; LSG Hessen MDR 1986, 790; anderer Ansicht Borchert, NJW 1972, 854 f.). Es wäre unbefriedigend, wenn der Betroffene, der durch den Bescheid zur Erhebung einer Anfechtungsklage veranlasst wird, mit dieser Klage - in Ermangelung eines Verwaltungsaktes - ohne weitere Prüfung abgewiesen werden und angesichts dessen die Kosten tragen müsste (vgl. § 154 Abs. 1 VwGO). Der Empfänger eines Bescheides oder Widerspruchsbescheides braucht, was die weitere Rechtsverfolgung anbelangt, nicht „klüger“ zu sein, als es die (Widerspruchs-)Behörde ist; es kann nicht zu seinen Lasten gehen, wenn er sich so verhält, wie sich zu verhalten ihm der (Widerspruchs-)Bescheid - bei objektiver Würdigung - nahe gelegt hat (BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1987, a. a. O.).
So liegt der Fall hier. Durch Aufnahme der Rechtsmittelbelehrung im Ausgangsschreiben, die förmliche Bescheidung mit Widerspruchsbescheid und die sachlichen Ausführungen im gerichtlichen Verfahren macht die Beklagte deutlich, dass es sich bei dem angegriffenen Schreiben um einen Verwaltungsakt handelt, weshalb die hiergegen gerichtete Klage zulässig ist.
Zutreffend hat das Sozialgericht auch entschieden, dass die Klage begründet ist. Das Schreiben der Beklagten vom 18. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2009 erweist sich als rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten.
Das Sozialgericht hat zutreffend festgestellt, dass es sich bei dem Schreiben vom 18. Mai 2009 um einen Scheinbescheid handelt. Es hat dabei - anders als die Beklagte meint - den Verwaltungsaktbegriff nicht verkannt. Von der Prüfung der Handlungsform, also ob vorliegend überhaupt ein Verwaltungsakt vorliegt, ist dabei die Prüfung der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit des behördlichen Handelns strikt zu trennen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. August 2011, 9 C 2/11, BVerwGE 140, 245 ff.). Die Rechtmäßigkeitskontrolle behördlichen Handelns setzt voraus, dass die gewählte Handlungsform bestimmt ist. Aus dieser Unterscheidung zwischen der Bestimmung der Handlungsform und der Rechtmäßigkeitsprüfung der Handlung folgt, dass selbst dann, wenn die Behörde eine rechtmäßige Handlung des von ihr beabsichtigten Inhalts hätte vornehmen dürfen, zunächst erforderlich ist, dass diese konkrete Absicht, wie sie von der Beklagten umgesetzt worden ist, die Begriffsmerkmale des Verwaltungsaktes erfüllt. Schon das ist hier nicht der Fall.
Zutreffend hat das Sozialgericht - allerdings im Rahmen der Zulässigkeit der Klage - ausgeführt, dass das vorliegende Schreiben vom 18. Mai 2009 die Verwaltungsaktqualität nicht erfüllt, da lediglich eine Bitte ausgesprochen wird, die mit einer Befristung versehen worden ist. Damit liegt keine für einen Verwaltungsakt erforderliche „Regelung“ vor. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts (Seite 5 - 6 des Gerichtsbescheidsumdrucks) verwiesen werden. Insbesondere führt das Sozialgericht zutreffend aus, dass durch die Bitte zur Teilnahme am Haushaltsscheckverfahren keine Verpflichtung zu einer hoheitlich veranlassten Handlung zu erkennen ist, die ggf. im Wege der Vollstreckung durchgesetzt werden könnte. Die von der Beklagten in der Berufungsschrift vorgetragene „eindeutige Aufforderung zur Nachholung der Meldeverpflichtung, also der befehlende Charakter der Regelung“, ist bei einer Bitte gerade nicht zu erkennen. Das Schreiben enthält vielmehr diverse Erläuterungen, die dem Verständnis eines Verfügungssatzes – soweit er denn vorläge – dienen könnten. Diese können den Verfügungssatz jedoch nicht ersetzen. Enthält das Schreiben keine positive oder negative Regelung, so fehlt es an einem Tatbestandsmerkmal für die Annahme eines Verwaltungsakts.
Zwar spricht demgegenüber das Vorliegen einer Rechtsmittelbelehrung in dem Schreiben für das Vorliegen einer verbindlichen Regelung, jedoch ist – wenn es um die Verpflichtung des Bürgers gegenüber dem Staat geht – im Hinblick auf die Nachteile, die sich für den Betroffenen aus der Bejahung eines Verwaltungsakts ergeben können, im Zweifelsfalle lediglich von einem unverbindlichen Hinweis auszugehen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl., Anhang zu § 42 Rn. 27). Der Inhalt des Schreibens spricht rechtliche Pflichten nicht aus, weshalb allein aus der Beifügung einer Rechtsmittelbelehrung nicht auf eine verbindliche Regelung geschlossen werden kann.
Zwar kann die Widerspruchsbehörde – nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 12. Februar 1980 – 7 Rar 26/79, BSGE 49, 291) – der schlichten unverbindlichen Erklärung der Ausgangsbehörde die Gestalt eines Verwaltungsakts geben, dies ist vorliegend jedoch nicht erfolgt. Der Widerspruchsbescheid beschäftigt sich allein mit den materiellrechtlichen Voraussetzungen des Vorliegens einer abhängigen Beschäftigung. Ausdrückliche oder auch nur konkludente Rechtsfolgen leitet auch der Widerspruchsbescheid hieraus nicht ab.
Kleidet die Verwaltungsbehörde - wie hier - ein schlichtes Verwaltungshandeln in die Form eines Verwaltungsaktes, ist dieser unabhängig von seiner inhaltlichen Rechtmäßigkeit ohne weitere Sachprüfung aufzuheben (OVG Bremen, Beschluss vom 21. August 2002, a. a. O.; LSG Hessen, MDR 1986, 790). Auf die Prüfung der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit des behördlichen Handelns kommt es deshalb vorliegend nicht an. Insbesondere auf die Frage, ob die Beklagte rechtmäßigerweise eine Verpflichtung hätte aussprechen können, sich im sogenannten Haushaltsscheckverfahren anzumelden.
Es spricht insoweit einiges dafür, dass dem Sozialgericht dahingehend zu folgen ist, dass eine solche Verpflichtung nicht durch einen Verwaltungsakt erzwungen werden dürfte. Durch eine derartige Verpflichtung würde die Entscheidung über die Versicherungs- und Beitragspflicht, die die Beklagte hier ausdrücklich nicht treffen wollte, in das Verfahren über die Teilnahme am Haushaltscheckverfahren vorverlegt. Die Entscheidung, ob Versicherungspflicht vorliegt und in welcher Höhe Gesamtsozialversicherungsbeiträge zu zahlen sind, obliegt außerhalb von Betriebsprüfungen allein den Einzugsstellen und erfolgt in der Gestalt eines Verwaltungsaktes nach § 31 SGB X (vgl. Mette in BeckOK, § 28 h Rdnr. 5). Zuständige Einzugsstelle für geringfügige Beschäftigungen, wie sie hier von der Beklagten angenommen wird, ist nach § 28 i Satz 5 SGB IV die Beklagte als Minijob-Zentrale. Warum die Beklagte diese von ihr zu treffende Entscheidung in ein Verfahren über die Verpflichtung zur Teilnahme am Haushaltsscheck-verfahren vorverlegen will, erschließt sich dem Senat nicht.
Dies kann letztlich jedoch dahingestellt bleiben, da es sich bei dem Ausgangsschreiben nicht um einen Verwaltungsakt handelte, den das Sozialgericht zutreffend aufgehoben hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Hs 1 SGG iVm §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 2, 47 Gerichtskostengesetz. Insoweit ist, da die Beklagte ausdrücklich keine Entscheidung zur Versicherungspflicht und zur Höhe der Beiträge treffen wollte, wie auch das Sozialgericht es getan hat, vom Auffangstreitwert auszugehen.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.