Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 24.05.2012 | |
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Aktenzeichen | OVG 2 S 109.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 80 Abs 2 S 1 Nr 3 VwGO, § 80 Abs 2 S 1 Nr 4 VwGO, § 123 VwGO, § 146 Abs 4 S 3 VwGO, § 146 Abs 4 S 6 VwGO, § 81 Abs 4 AufenthG, § 84 Abs 1 Nr 1 AufenthG, Ziff 16.1.0 VAB |
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 24. November 2011 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist aus den von der Antragstellerin geltend gemachten Gründen, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Beschwerdeverfahren allein zu überprüfen sind, nicht zu beanstanden.
1. Von vornherein unstatthaft ist der erstmals im Beschwerdeverfahren gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen. Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kommt nur in Betracht, wenn die gesetzlich angeordnete aufschiebende Wirkung durch eine behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) entfallen ist. Hier hat die Klage jedoch schon kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bzw. – hinsichtlich der Abschiebungsandrohung – § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 4 Abs. 1 AGVwGO Bln). Davon abgesehen ist eine Antragserweiterung im Beschwerdeverfahren nicht zulässig (vgl. m.w.N. Beschluss des Senats vom 6. Dezember 2010 – OVG 2 S 37.10 –).
2. Ohne Erfolg wendet sich die Antragstellerin gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage sei bereits unzulässig.
Das Verwaltungsgericht hat dies damit begründet, die Antragstellerin habe die Aufenthaltserlaubnis erst am 29. Juni 2011 beantragt, nachdem die ihr zuvor erteilte Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitssuche bereits am 28. Juni 2011 abgelaufen sei. Eine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG habe deshalb nicht eintreten können. Aus Gründen der Rechtssicherheit komme es nicht darauf an, wieviel Zeit zwischen Ablauf und Neuantrag vergangen sei. Dazu hat das Verwaltungsgericht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 22. Juni 2011 – 1 C 5.10 – (juris Rn. 15) Bezug genommen. Danach tritt die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG bei einem verspäteten Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis selbst dann nicht ein, wenn der Verlängerungsantrag noch in einem „zeitlichen Zusammenhang“ mit dem Ende der Geltungsdauer des bisherigen Aufenthaltstitels bzw. nur mit „leichter Verspätung“ gestellt wurde. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht zum einen mit dem Verlust an Rechtssicherheit begründet, zu dem derartige wertende Kriterien führten. Zum anderen liege der Sinn und Zweck der Fiktionswirkung darin, den Ausländer davor zu schützen, dass sich die Dauer des Verwaltungsverfahrens zu seinen Lasten auswirke. Er solle deshalb nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt werden, als wenn die Behörde sofort über seinen Antrag entschieden hätte.
Dieses Verständnis der gesetzlichen Regelung entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschlüsse vom 11. August 2011 – OVG 2 S 56.11 –, juris, und vom 11. Mai 2012 – OVG 2 S 31.12 –), wobei es keinen Unterschied macht, ob eine Fiktionswirkung aufgrund eines Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder – wie hier – aufgrund eines Antrags auf Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels in Rede steht. Vorläufiger Rechtsschutz kommt daher in Fällen einer Antragstellung nach dem Auslaufen der zuvor gültigen Aufenthaltserlaubnis – wie regelmäßig bei Verpflichtungsbegehren – nur im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO in Betracht. Einen solchen Antrag hat die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren jedoch nicht (mehr) gestellt.
Ohne Erfolg macht die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde geltend, die Verneinung einer Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG sei unverhältnismäßig, denn aufgrund der bei der Ausländerbehörde des Antragsgegners praktizierten Regelung, für die Vorsprachen Termine zu vergeben und dabei geringe Überschreitungen der Aufenthaltsdauer in Kauf zu nehmen, habe sie darauf vertraut, dass eine geringe Überschreitung der Geltungsdauer ihres Aufenthaltstitels unschädlich sei. Dazu beruft sie sich auf die Verfahrenshinweise der Ausländerbehörde Berlin, wonach auch bei einer abgelaufenen Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 1 oder Abs. 6 AufenthG nicht zwingend eine bevorzugte Bedienung erfolgen müsse, sondern die Betroffenen einen Termin erhielten, verbunden mit einer Fiktionsbescheinigung, um sich damit immatrikulieren zu können (Ziff. 16.1.0). Ferner hat sie auf die Homepage der Ausländerbehörde verwiesen, wo zum Stichwort „Terminvereinbarung“ ausgeführt sei: „Wenn Ihr Aufenthaltstitel (…) zum Zeitpunkt der Terminanfrage/Terminbuchung noch gültig oder nicht länger als 14 Tage abgelaufen ist, bleibt Ihr Aufenthaltstitel mindestens bis zum vereinbarten Termin bestehen“. Hinzu komme, dass ihr Abschlusszeugnis vom 29. Juni 2010 datiere und sie den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis am 29. Juli 2011 gestellt habe. Den Fall eines unverschuldet verspäteten Antrags habe das Bundesverwaltungsgericht in der Entscheidung vom 22. Juni 2011 nicht entschieden.
Aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juni 2011 kann die Antragstellerin jedoch für den Eintritt der Fortgeltungsfiktion nichts herleiten. Sie zitiert eine Urteilspassage (a.a.O., juris Rn. 19), in der das Bundesverwaltungsgericht zu dem von ihm bei einem verspäteten Verlängerungsantrag angenommenen Verlust des materiellen Anspruchs auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 AufenthG ausführt, diese Folge sei jedenfalls dann nicht unverhältnismäßig und unzumutbar, wenn der Betreffende die verspätete Antragstellung zu vertreten habe. Ob in Fällen einer unverschuldeten Verspätung etwas anderes gelte, brauche nicht entschieden zu werden. Diese Ausführungen beziehen sich indes nicht auf die Verneinung einer Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG und die damit verbundene verfahrensrechtliche Konsequenz für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Darin kann auch keine ebenso schwerwiegende Beeinträchtigung wie in dem Verlust eines materiellen Anspruchs auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis gesehen werden. Die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts sind deshalb hierauf nicht ohne weiteres übertragbar.
Auch sonst hat die Antragstellerin nicht den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt, weshalb sie durch die mit der Verneinung einer Fortgeltungsfiktion verbundene Folge, dass vorläufiger Rechtsschutz nicht über § 80 Abs. 5 VwGO, sondern ausschließlich über einen Antrag nach § 123 VwGO gewährt werden kann, unverhältnismäßig betroffen sein sollte, oder aus welchen anderen Gründen ein verspäteter Antrag bei fehlendem Verschulden oder Vertretenmüssen des Betroffenen eine Fortgeltungsfiktion auslösen sollte. Ihr Vorbringen, sie trage an der verspäteten Antragstellung zudem deshalb kein Verschulden, weil sie ihren Studienabschluss, von dem ab die zuvor erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 4 AufenthG berechnet worden sei, am 29. Juni 2010 erworben habe und sie den Neuantrag ein Jahr später gestellt habe, führt deshalb ebenfalls nicht weiter.
2. Die übrigen Einwendungen der Antragstellerin betreffen nicht die vom Verwaltungsgericht verneinte Zulässigkeit des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, sondern allein die möglichen Erfolgsaussichten des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
So macht die Antragstellerin u.a. geltend, die Gerichte seien verpflichtet, den Grundrechten tatsächliche Wirksamkeit zu verschaffen, wobei eine Aufenthaltsbeendigung bzw. die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in das Recht auf Privatleben (Art. 8 EMRK) darstellen könne, ferner seien im Klageverfahren auch nachträglich eingetretene Umstände zu berücksichtigen, dazu habe sie ihre Bemühungen um Erlangung eines qualifizierten Arbeitsplatzes vorgetragen, die erste positive Ergebnisse wie etwa das Angebot, an einer Online-Zeitschrift als Redakteurin mitzuarbeiten, gehabt hätten; zudem verfüge sie inzwischen über eine ihr mit Arbeitsvertrag vom 10. November 2011 erteilte Arbeitsplatzzusage für eine Beschäftigung als Erzieherin in einem Kindergarten, die mit der Durchführung eines Forschungsprojekts verbunden sei.
Hierüber muss im vorliegenden Verfahren nicht entschieden werden, denn auf die weitere Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, wonach der Rechtsschutzantrag abgesehen von seiner Unzulässigkeit auch unbegründet sei, kommt es im Ergebnis schon deshalb nicht an, weil bereits die Einwendungen gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Antrag sei unzulässig, nicht durchgreifen.
Erheblich ist das weitere Beschwerdevorbringen auch nicht im Hinblick auf den erstinstanzlichen Hilfsantrag der Antragstellerin, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, bis zur unanfechtbaren Entscheidung im Hauptsacheverfahren von Abschiebemaßnahmen abzusehen bzw. eine Duldung für die Dauer von sechs Monaten zu erteilen. Wie bereits ausgeführt, hat die Antragstellerin diesen Antrag im Beschwerdeverfahren nicht aufrechterhalten. Einer dahingehenden Auslegung ihres Rechtsschutzbegehrens steht bereits der in der Beschwerdebegründung enthaltene, insoweit eindeutige Antrag entgegen; zudem lässt auch die den Umfang der gerichtlichen Überprüfung bestimmende Beschwerdebegründung (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), die lediglich auf die Entscheidungsmaßstäbe im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO Bezug nimmt, dafür keinen Anhaltspunkt erkennen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).