Gericht | VG Frankfurt (Oder) 5. Kammer | Entscheidungsdatum | 25.11.2010 | |
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Aktenzeichen | 5 K 617/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 12 Abs 2 AufenthG |
Die der Aufenthaltserlaubnis vom 29. September 2009 beigefügte wohnsitzbeschränkende Auflage sowie der Bescheid des Beklagten vom 22. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2010 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Klägerin erhielt am 29. September 2009 eine Aufenthaltserlaubnis, die mit einer Wohnsitzbeschränkung auf den Landkreis Oder-Spree versehen war. Am 17. November 2009 teilte die Klägerin dem Beklagten bei einer Vorsprache mit, dass sie nach Berlin umziehen wolle. Der Beklagte forderte sie im Hinblick auf die wohnsitzbeschränkende Auflage auf, ein entsprechendes Arbeits- und Wohnungsangebot vorzulegen. Am 16. Dezember 2009 reichte sie ein Arbeitsangebot des in Berlin ansässigen Geschäfts xxx (Arbeitszeit 30 Stunden pro Woche, Lohn 8 Euro pro Stunde) sowie einen Mietvertrag betreffend eine in Berlin belegene Wohnung ein.
Mit Schreiben vom 18. Dezember 2009 bat der Beklagte die Ausländerbehörde Berlin um Mitteilung, ob dem Umzug nach Berlin zugestimmt werde und eine Streichung der wohnsitzbeschränkenden Auflage erfolgen könne. Die Klägerin beziehe keine Leistungen nach dem SGB II. Die Ausländerbehörde Berlin teilte dem Beklagten mit Schreiben vom 11. März 2010 mit, dass im Hinblick auf die Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz der Streichung der wohnsitzbeschränkenden Auflage nicht zugestimmt werde.
Mit Bescheid vom 22. März 2010 lehnte der Beklagte den Antrag auf Aufhebung der wohnsitzbeschränkenden Auflage vom 16. Dezember 2009 ab und führte zur Begründung aus, dass unter Berücksichtigung des von ihr eingereichten Arbeitsangebots und im Hinblick auf ihren Gesamtbedarf von ca. 623 Euro, welcher einem anzurechnenden Einkommen von ca. 490 Euro gegenüberstehe, ihr Lebensunterhalt nicht als gesichert anzusehen sein. Ein Härtefall, welcher die Streichung der wohnsitzbeschränkenden Auflage gestatte, sei nicht ersichtlich. Dagegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 22. April 2010 Widerspruch.
Mit Schreiben vom 13. April 2010 beantragte die Klägerin erneut unter Vorlage eines aktuellen Arbeitsangebot des Geschäfts xxx vom 12. April 2010 (Arbeitszeit 40 Stunden pro Woche, Lohn 8,50 Euro pro Stunde) die Aufhebung der wohnsitzbeschränkenden Auflage.
Mit Schreiben vom 19. April 2010 bat der Beklagte darauf die Ausländerbehörde Berlin erneut um Mitteilung, ob nunmehr dem Umzug zugestimmt werde und eine Streichung der wohnsitzbeschränkenden Auflage erfolgen könne. Mit Schreiben vom 30. April 2010 teilte die Ausländerbehörde Berlin dem Beklagten mit, dass nicht ersichtlich sei, ob bei einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, welche die Klägerin im Hinblick auf ihre Krebserkrankung befristet erhalten habe, die Erteilungsvoraussetzungen weiterhin bestehen würden. Ein weiteres Problem sei, wie die Klägerin bei ihrer schweren Erkrankung ihren Lebensunterhalt dauerhaft sichern könne. An der Ernsthaftigkeit des Arbeitsangebots gebe es „hinsichtlich der Bezahlung bei diesem Gewerbe starke Zweifel“. Der Arbeitsort, ein xxx für vorwiegend xxx Kunden, sei der Ausländerbehörde bekannt. Es bestehe der Verdacht einer Gefälligkeitsbescheinigung. Deshalb werde der Streichung der wohnsitzbeschränkenden Auflage nicht zugestimmt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 2010 wies der Beklagte den Widerspruch vom 22. April 2010 als unbegründet zurück und lehnte den Antrag vom 13. April 2010 auf Aufhebung der wohnsitzbeschränkenden Auflage ab. Zur Begründung führte er aus, dass das dem Antrag vom 13. April 2010 beigefügte Stellenangebot zwar den Anforderungen an die dauerhafte Sicherung des Lebensunterhalts genüge und die Zustimmung zur Streichung der Auflage zu erteilen sei, wenn der Lebensunterhalt am neuen Wohnort für alle Familienangehörigen voraussichtlich dauerhaft ohne die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II oder XII oder dem Asylbewerberleistungsgesetz gesichert sei. Die diesbezüglich von der Ausländerbehörde Berlin mitgeteilten Gründe seien im Hinblick auf das vom Beklagten zu tragende Prozessrisiko weder ausreichend noch nachvollziehbar. Dennoch sei er wegen der fehlenden Zustimmung der Ausländerbehörde Berlin an der Aufhebung der wohnsitzbeschränkenden Auflage gehindert.
Die Klägerin hat am 01. Juli 2010 die vorliegende Klage erhoben. Sie nimmt zur Begründung Bezug auf das über die Bundesagentur für Arbeit in Berlin vermittelte Stellenangebot des Geschäfts xxx Bezug. Damit wäre ihr Lebensunterhalt gesichert.
Die Klägerin beantragt,
die der Aufenthaltserlaubnis vom 29. September 2009 beigefügte wohnsitzbeschränkende Auflage sowie den Bescheid des Beklagten vom 22. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Er verteidigt die angefochtenen Bescheide.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
Die Klage ist als die isolierte Anfechtungsklage zulässig (vgl. BVerwGE, 100, 335) und begründet. Die der Aufenthaltserlaubnis vom 29. September 2009 beigefügte wohnsitzbeschränkende Auflage sowie der diese bestätigende Bescheid des Beklagten vom 22. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2010 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die wohnsitzbeschränkende Auflage ist § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Grundsätzlich umfasst allerdings der räumliche Geltungsbereich eines Aufenthaltstitels das gesamte Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. Räumliche Beschränkungen sind nur aus besonderen öffentlichen Interessen gerechtfertigt, welche aus dem Verhalten des Ausländers oder aus äußeren Umständen herrühren, die eine Aufenthaltsbegrenzung erfordern (Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, § 12 AufenthG, Rdn. 9). Im Einzelfall angeordnet werden können sie immer nur bei einem wichtigen öffentlichen Interesse unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit, weshalb das öffentliche Interesse vor allem bei Rechtsansprüchen auf Aufenthalt ein überragendes Gewicht aufweisen muss, um die räumliche Beschränkung rechtfertigen zu können. Vorausgesetzt sind immer Zweckmäßigkeit und Geeignetheit, die z.B. bei dem Versuch, die vermehrte Ansiedlung von Ausländern in städtischen Ballungsgebieten oder an sozialen Brennpunkten zu verhindern, in der Regel fehlen (zu Vorstehendem: Renner a. a. O., Rdn. 10). Gemäß Ziff. 12.2.5.2.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (AVwV) stellt die wohnsitzbeschränkende Auflage ein geeignetes Mittel dar, um mittels einer regionalen Bindung die überproportionale fiskalische Belastung einzelner Länder und Kommunen durch ausländische Empfänger sozialer Leistungen zu verhindern. Entsprechende Auflagen können auch dazu beitragen, einer Konzentrierung sozialhilfeabhängiger Ausländer in bestimmten Gebieten und der damit einhergehenden Entstehung von sozialen Brennpunkten mit ihren negativen Auswirkungen auf die Integration von Ausländern vorzubeugen. Entsprechende Maßnahmen sind auch gerechtfertigt, um Ausländer mit einem besonderen Integrationsbedarf an einen bestimmten Wohnort zu binden, damit sie von dort von den Integrationsangeboten Gebrauch machen können. Vor diesem Hintergrund werden gemäß Ziff. 12.2.5.2.2. AVwV wohnsitzbeschränkende Auflagen erteilt und aufrechterhalten bei Inhabern von Aufenthaltserlaubnissen u.a. nach Kapitel 2 Abschnitt 5 AufenthG, soweit und solange sie Leistungen nach dem SGB II oder XII oder dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen. Gemäß Ziff. 12.2.5.2.4 AVwV bedarf die Streichung oder Änderung der wohnsitzbeschränkenden Auflage zur Ermöglichung eines dem Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde überschreitenden Wohnortwechsels der vorherigen Zustimmung durch die Ausländerbehörde des Zuzugsorts. Nach Ziff. 12.2.5.2.4.1 AVwV ist die Zustimmung zu erteilen, wenn der Lebensunterhalt am neuen Wohnort auch für alle Familienangehörigen voraussichtlich dauerhaft ohne die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II oder XII oder dem Asylbewerberleistungsgesetz gesichert ist. Bei beabsichtigter Aufnahme einer Erwerbstätigkeit genügt die Vorlage eines entsprechenden Arbeitsvertrages. Die Zustimmung ist auch zu erteilen, wenn das für die Sicherung des Lebensunterhaltes erforderliche Einkommen um bis zu 10 % unterschritten wird.
Nach den vorstehenden Grundsätzen hätte die Ausländerbehörde Berlin die Zustimmung zur Streichung der wohnsitzbeschränkenden Auflage erteilen müssen, da die Klägerin keine Sozialleistungen bezieht und ihr Lebensbedarf im Hinblick auf das aktuelle Arbeitsangebot als gesichert anzusehen ist. Der Beklagte hat in dem Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 2010 selbst eingeräumt, dass die von der Ausländerbehörde Berlin mitgeteilten Gründe zur Beibehaltung der Auflage weder ausreichend noch nachvollziehbar sind. Dem ist nichts hinzuzufügen. Das Gericht ist hingegen an Ziff. 12.2.5.2.4.3 AVwV betreffend die Zustimmung der Ausländerbehörde des Zuzugsortes nicht gebunden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.