Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 4. Kammer | Entscheidungsdatum | 17.08.2011 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | 4 Sa 2227/10 und 4 Sa 142/11, 4 Sa 2227/10, 4 Sa 142/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 320 ZPO |
Findet gegen ein Urteil ein Rechtsmittel nicht mehr statt und kommt auch keine Urteilsergänzung nach § 321 ZPO in Betracht, so fehlt für einen Tatbestandsberichtigungsantrag in aller Regel das Rechtsschutzinteresse (im Anschluss an BFH 8. Mai 2003 - IV R 63/99 - NJW 2003, 3340 mwN; LG München 8. Januar 2008 - 1 HK O 4936/07 und 1 HKO 4936/07 - FamRZ 2008, 1200; LAG Berlin 19. Januar 1981 - 9 Sa 79/80 - AP Nr. 3 zu § 320 ZPO; LAG Köln 12. April 1984 - 10 Sa 991/83 - MDR 1985, 171)
Der Antrag der Beklagten auf Berichtigung des Tatbestands des Urteils des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 27. April 2011 wird als unzulässig verworfen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
I.
Die Beklagte betreibt Seniorenheime. Gegen sie wurden allein vor dem Arbeitsgericht Berlin seit dem Jahr 2000 über 1.500 Verfahren angestrengt. Die Beklagte stellt nach verlorenen Verfahren in einer nicht unerheblichen Zahl von Fällen sowohl erst- als auch zweitinstanzlich Tatbestandsberichtigungsanträge.
Vorliegend hat die Beklagte mit bei Gericht am 1. Juni 2011 eingegangenem Schriftsatz einen Tatbestandsberichtigungsantrag hinsichtlich des Urteils vom 27. April 2011 gestellt, dass der Beklagten am 18. Mai 2011 zugestellt worden ist. Das Urteil vom 27. April 2011 ist rechtskräftig.
Mit Schreiben vom 13. Juli 2011 hat die Kammer darauf hingewiesen, dass Bedenken an der Zulässigkeit des Tatbestandsberichtigungsantrags bestehen und der Beklagten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Hinsichtlich der Stellungnahme der Beklagten wird auf den Schriftsatz vom 25. Juli 2011 (Bl. 253 – 256 d. A. verwiesen).
II.
Der an sich statthafte sowie form- und fristgerecht gestellte Tatbestandsberichtigungsantrag ist in Ermangelung eines von Amts wegen zu beachtenden Rechtsschutzinteresses unzulässig. Auch für einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung bedarf es eines Rechtsschutzinteresses (BFH 8. Mai 2003 - IV R 63/99 – NJW 2003, 3340 für § 108 Abs. 1 FGO).
A. Findet gegen eine Urteil ein Rechtsmittel nicht mehr statt und kommt auch keine Urteilsergänzung nach § 321 ZPO in Betracht, so fehlt für einen Tatbestandsberichtigungsantrag in aller Regel das Rechtsschutzinteresse (BFH 8. Mai 2003 - IV R 63/99 – NJW 2003, 3340 mwN; LG München 8. Januar 2008 – 1 HK O 4936/07 und 1 HKO 4936/07 – FamRZ 2008, 1200; LAG Berlin 19. Januar 1981 – 9 Sa 79/80 – AP Nr. 3 zu § 320 ZPO; LAG Köln 12. April 1984 – 10 Sa 991/83 – MDR 1985, 171, wonach ggf. das Verfahren über den Tatbestandsberichtigungsantrag nach § 148 ZPO auszusetzen ist, bis feststeht, ob eine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt ist und Erfolgt hat).
I. Die Tatbestandsberichtigung dient ausschließlich dem Zweck zu verhüten, dass ein unrichtig beurkundeter Parteivortrag infolge der Beweiskraft des §°314 ZPO fehlerhafte Grundlage für die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts wird (st. Rechtsprechung vgl. bereits BGH 27. Juni 1956 - IV ZR 317/55 - NJW 1956, 1480; OLG Karlsruhe 20. November 2008 – 17 U 364/08 – zitiert nach juris; LAG Berlin 19. Januar 1981 – 9 Sa 79/80 – AP Nr. 3 zu § 320 ZPO) oder dass infolge der unrichtigen Beurkundung eine an sich gerechtfertige Urteilsergänzung nach § 321 ZPO versagt bleiben müsste (BGH 27. Juni 1956 - IV ZR 317/55 - NJW 1956, 1480; LAG Berlin 19. Januar 1981 – 9 Sa 79/80 – AP Nr. 3 zu § 320 ZPO). Ist die Entscheidung aber unanfechtbar und auch sonst nicht mehr abänderbar, so entfällt auch der Zweck der Tatbestandsberichtigung (BFH 8. Mai 2003 - IV R 63/99 – NJW 2003, 3340).
1. Vorliegend ist ein Rechtmittel gegen das Urteil nicht mehr gegeben. Die Beklagte hat eine an sich statthafte Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil nicht eingelegt.
2. Für ein Ergänzungsurteil nach § 321 ZPO gab es keinerlei Veranlassung. Die Beklagte hat innerhalb der Frist des § 321 Abs. 2 ZPO auch keinen entsprechenden Antrag gestellt.
II. Soweit die Beklagte zur Begründung ihrer Auffassung, ein Rechtsschutzbedürfnis auf Berichtigung des Tatbestands bestehe auch, wenn ein Urteil zweiter Instanz der Gerichte für Arbeitssachen rechtkräftig geworden sei, „statt vieler“ auf eine nicht veröffentlichte und auch beklagtenseits nicht eingereichte Entscheidung des LAG München (Beschluss vom 27. Juli 2007 – 11 Sa 599/06 -) verweist, so ist zu bemerken, dass sich die entsprechende Entscheidung des LAG München, die der erkennenden Kammer nach Übersendung durch das LAG München vorliegt, zu der Problematik nicht ansatzweise verhält.
III. Allerdings wird durchaus vertreten, dass ein Tatbestandsberichtigungsantrag auch bei rechtskräftig gewordenen Urteilen deswegen stets zulässig sei, weil eine Verfassungsbeschwerde in Betracht komme (OLG Oldenburg 14. Oktober 2002 - 11 UF 208/01NJW 2003, 149; Zöller/Vollkommer ZPO 28. Aufl. § 320 Rn. 10).
1. Dies überzeugt in der Allgemeinheit nicht, da die Voraussetzungen einer zulässigen Verfassungsbeschwerde nicht ausreichend berücksichtigt werden. Eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil ist wegen des in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommenden Grundsatzes der materiellen Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht möglich, wenn ein an sich statthaftes Rechtsmittel nicht eingelegt worden ist. Legt die Partei keine Beschwerde gegen die Nichtzulassung eines Rechtsmittels ein, hat sie den Rechtsweg nicht ausgeschöpft; eine Verfassungsbeschwerde ist damit unzulässig (vgl. zuletzt BVerfG 28.04.2011 - 1 BvR 3007/07 - WM 2011, 1117). Dementsprechend lässt sich die Zulässigkeit eines Tatbestandsberichtigungsantrags mit dem Verweis auf eine Verfassungsbeschwerde dann nicht begründen, wenn gegen ein Urteil ein an sich statthaftes Rechtsmittel nicht eingelegt wurde und deshalb eine Verfassungsbeschwerde wegen fehlender Erschöpfung des Rechtswegs nicht zulässig ist (Musielak ZPO 8. Aufl. § 320 Rn. 4; LG München 8. Januar 2008 – 1 HK O 4936/07 und 1 HKO 4936/07 – FamRZ 2008, 1200).
2. Dies ist vorliegend der Fall. Die Beklagte hat gegen das Urteil keine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Sie hat damit den Rechtsweg nicht ausgeschöpft, so dass eine Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig wäre. Ein Rechtsschutzinteresse für einen Tatbestandsberichtigungsantrag lässt sich damit nicht mit der Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde begründen.
3. Anderweitige Gründe, die eine Rechtskraft des Urteils vom 27. April 2011 beseitigen könnten, sind nicht vorgetragen und im Übrigen auch nicht im Ansatz ersichtlich. Ist die Entscheidung aber unanfechtbar und auch sonst nicht mehr abänderbar, so entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für einen Tatbestandsberichtigungsantrag (BFH 8. Mai 2003 - IV R 63/99 – NJW 2003, 3340; LG München 8. Januar 2008 – 1 HK O 4936/07 und 1 HKO 4936/07 – FamRZ 2008, 1200; LAG Berlin 19. Januar 1981 – 9 Sa 79/80 – AP Nr. 3 zu § 320 ZPO; LAG Köln 12. April 1984 – 10 Sa 991/83 – MDR 1985, 171).
IV. Soweit die Beklagte auf die urkundliche Beweiskraft des Tatbestands nach § 314 ZPO verweist, lässt sich auch hieraus kein Rechtsschutzinteresse herleiten. Die Beweiskraft des § 314 bezieht sich auf den von dem Rechtsmittelgericht im Rahmen eines Rechtsmittels zugrunde zu legenden Sachverhalt. Wird ein Rechtmittel nicht eingelegt, so erlangt die entsprechende Beweiskraft keine weitere Bedeutung.
B. Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst.
C. Die Kammer hat die Rechtsbeschwerde nach § 78 Satz 2, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen. Zwar findet nach § 320 Abs. 4 Satz 4 ZPO eine Anfechtung des Beschlusses, mit dem über die Berichtigung eines Tatbestands entschieden wird, nicht statt. Dies gilt aber nicht, wenn der Tatbestandsberichtigungsantrag einer Partei ohne Sachprüfung als unzulässig zurückgewiesen wird (LAG Hessen 12. August 2003 - 17 Ta 271/03 - NZA-RR 2004, 105 (106), GMPM-G/Müller-Glöge ArbGG § 78 Rn. 16; Musielak ZPO § 320 Rn. 10; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 68. Aufl. § 320 Rn. 14, a. A. allerdings GK/ArbGG-Dörner § 78 Rn. 25). Entscheidet das Rechtmittelgericht über einen Tatbestandsberichtigungsantrag hinsichtlich eines Berufungsurteils, findet allerdings keine sofortige Beschwerde mehr statt. Die Kammer hat deswegen nach §°78 Satz 2 ArbGG die Rechtsbeschwerde zugelassen, um eine Überprüfung ihrer Entscheidung zu ermöglichen.