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Entscheidung 10 UF 344/11


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 12.06.2012
Aktenzeichen 10 UF 344/11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts Fürstenwalde vom 7. September 2011 abgeändert.

Der Antrag des Antragstellers wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Beschwerdewert wird auf 4.352 € festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Antragsteller macht Kindesunterhalt für die Zeit ab 1. September 2010 geltend.

Der am ….12.2002 geborene Antragsteller ist der eheliche Sohn des Antragsgegners. Er lebt im Haushalt der Mutter und deren Lebensgefährten und bezieht seit dem 1.8.2011 Leistungen der Unterhaltsvorschusskasse in Höhe von monatlich 180 €.

Nach der Ehescheidung der Eltern hat das Amtsgericht Potsdam mit Beschluss vom 26.10.2010 die gemeinsame elterliche Sorge aufgehoben und die alleinige Sorge der Mutter übertragen. Über die hiergegen eingelegte Beschwerde ist bislang noch nicht entschieden.

Der Antragsgegner zahlt keinen Kindesunterhalt. Mit Schreiben vom 3.9.2010 wurde er deshalb zur Auskunft über seine Einkünfte und zur Zahlung aufgefordert.

Der am ….4.1953 geborene Antragsgegner ist von Beruf Buchhändler, war jedoch in diesem Beruf seit rund 30 Jahren nicht mehr tätig. Er hat zusammen mit der Kindesmutter den Pflegedienst L… GmbH B… aufgebaut und ging nach der Trennung verschiedenen Erwerbstätigkeiten als Finanzkaufmann in der Baubranche, Seminarleiter sowie Berater für Baufinanzierungen bzw. Versicherungsagent nach. In der Zeit vom 1.9.2008 bis 28.2.2010 erhielt er Leistungen nach dem ALG I. Seither bezieht er Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende.

Nach dem Bescheid des Landesamtes für Soziales und Versorgung vom 13.11.2008 ist der Antragsgegner schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50. Als Gesundheitsstörungen werden aufgeführt:

- Durchblutungsstörung des Gehirns

- Bluthochdruck

- Brustschlagaderaneurysma

- Funktionsstörung beider Kniegelenke

- Hyperaldosteronimus beidseits

- metabolisches Syndrom

- Knoten auf beiden Schilddrüsen

- Großzehengrundgelenkarthrose;

die vier zuletzt genannten Gesundheitsstörungen wurden als nicht erheblich erachtet, eine erhebliche Gehbehinderung wurde nicht festgestellt.

Die Mutter des Antragstellers ist alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin des Pflegedienstes L… GmbH B…. Sie bezieht ein monatliches Nettogehalt von 5.100 € sowie eine monatliche Pension von 1.400 €.

Der Antragsteller hat geltend gemacht, der Antragsgegner müsse sich, wenn er über kein Erwerbseinkommen verfüge, Einkommen aus vollschichtiger Tätigkeit, etwa als Buchhändler oder Lagerarbeiter zurechnen lassen, und zwar in einem Umfang, der ihm die Zahlung des Mindestunterhalts ermögliche.

Der Antragsteller hat mit dem am 29.12.2010 zugestellten Antrag Zahlung des Mindestunterhalts der 2. Altersstufe abzüglich hälftigen Kindergeldes verlangt.

Der Antragsgegner hat Antragsabweisung beantragt und behauptet, aus gesundheitlichen Gründen keiner Erwerbstätigkeit nachgehen zu können. Er hat die Ansicht vertreten, dass die Mutter als anderweitige leistungsfähige Verwandte für den Unterhalt des Antragstellers aufkommen müsse.

Mit Beschluss vom 7.9.2011 hat das Amtsgericht dem Antrag des Antragstellers stattgegeben.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners, mit der er im Wesentlichen seinen erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und angibt, dass Ende November 2011 eine Krebserkrankung der Nebenniere festgestellt worden sei. Zudem beständen erhebliche Verbindlichkeiten, weshalb er alle drei Jahre auf Veranlassung seiner Gläubiger die eidesstattliche Versicherung abgebe, zuletzt am 27.5.2010 im Verfahren AG Potsdam 49 M 1735/10.

Der Antragsgegner beantragt,

den Beschluss des Amtsgerichts Fürstenwalde vom 7.9.2011 abzuändern und den Antrag des Antragstellers zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde des Antragsgegners zurückzuweisen und den angefochtenen Beschluss mit der Maßgabe aufrechtzuerhalten, dass der Antragsgegner verpflichtet wird, an ihn zu Händen seiner Mutter

1. für die Zeit vom 1.9.2010 bis 31.7.2011 einen Unterhaltsrückstand von 2.992 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. beginnend ab 1.8.2011 monatlich im Voraus fälligen Kindesunterhalt in Höhe von 100 % des jeweiligen Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe gemäß § 1612 a BGB, abzüglich der Zahlungen der Unterhaltsvorschusskasse von monatlich 180 €, zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, jeweils ab Fälligkeit zu zahlen. Auf den Unterhalt ist das hälftige staatliche Kindergeld für ein erstes Kind anzurechnen. Derzeit beziffere sich der monatliche Zahlbetrag auf 92 €.

Er verteidigt die angegriffene Entscheidung und wiederholt das erstinstanzliche Vorbringen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts sowie den Sachvortrag der Beteiligten in den gewechselten Schriftsätzen nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 58 FamFG zulässige Beschwerde hat Erfolg. Der Antragsgegner muss dem Antragsteller keinen Kindesunterhalt zahlen, sodass die amtsgerichtliche Entscheidung entsprechend abzuändern ist.

Der Antragsteller hat allerdings dem Grunde nach gegen den Antragsgegner, seinen Vater, einen Anspruch auf Zahlung von Barunterhalt gemäß §§ 1601 ff BGB. Der Antragsteller lebt im Haushalt seiner Mutter, besucht die Schule und ist, was der Antragsgegner auch nicht in Abrede stellt, bedürftig. Gleichwohl kann er vom Antragsgegner keinen Unterhalt verlangen.

Der Antragsgegner bezog im Unterhaltszeitraum durchgehend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zwischen rd. 70 und 374 €. Dieser Betrag erreicht den notwendigen Selbstbehalt des Unterhaltsschuldners nicht, so dass der Antragsgegner ungeachtet der Frage, ob er etwa mietfrei wohnt (vgl. dazu aber Wendl/Gutdeutsch, Das Unterhaltsrecht in der familienrichtlichen Praxis, 8. Aufl., § 5, Rz. 23), nicht leistungsfähig ist. Er muss sich daher grundsätzlich fiktives Einkommen zurechnen lassen, um seiner Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt für seinen minderjährigen Sohn nachzukommen. Es ist jedoch nicht zweifelsfrei, ob der Antragsteller im Hinblick auf seine angegebenen, durch Vorlage von ärztlichen Bescheinigungen belegten Erkrankungen und die Ende des Jahres 2011 weiter diagnostizierte Erkrankung der Nebenniere - vollschichtig - arbeiten kann und welche Tätigkeiten er ausüben könnte, nachdem er in seinem erlernten Beruf als Buchhändler seit rd. 30 Jahren nicht mehr gearbeitet hat und nach der Trennung und dem Verlust seiner Arbeit in dem mit der Mutter des Antragstellers betriebenen Unternehmen wiederholt wechselnden Tätigkeiten nachgegangen war. Selbst wenn man im Hinblick auf die Art dieser Tätigkeiten annimmt, das das erzielbare Einkommen nicht im untersten Einkommensbereich liegt und der Antragsgegner ungeachtet seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen vollschichtig arbeiten könnte, hält der Senat unter Berücksichtigung des Arbeitslebens des Antragsgegners und seines Alters von jetzt 59 Jahren ein Einkommen von allenfalls 1.500 € für erzielbar. Dies liegt im Übrigen auch im Rahmen dessen, was der Antragsteller dem Antragsgegner zurechnen will. Denn er nimmt an, dass der Antragsgegner zwischen 1.100 und 2.700 € brutto verdienen könnte. Sogar das höchste genannte Einkommen von 2.700 € würde unter Beachtung von berufsbedingten Aufwendungen (vgl. dazu BGH FamRZ 2009, 314) zu einem anrechenbaren Nettoeinkommen von nur 1.650 € führen.

Selbst wenn man ein fiktives Einkommen von 1.500 € berücksichtigt, entfällt die Unterhaltsverpflichtung des Antragsgegners. Denn die Mutter des Antragstellers steht im Hinblick auf ihr außerordentlich gutes Einkommen als andere unterhaltspflichtige Verwandte zur Verfügung.

Die gesteigerte Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern entfällt ganz oder teilweise nach § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB, wenn ein anderer leistungsfähiger Verwandter vorhanden ist, dem auch bei einer Unterhaltsleistung sein eigener angemessener Unterhalt verbleibt. Als solcher kommt auch der nicht barunterhaltspflichtige Elternteil in Betracht. Denn der Grundsatz der Gleichwertigkeit von Barunterhalt und Betreuung gilt nicht uneingeschränkt, insbesondere dann nicht, wenn die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des betreuenden Elternteils deutlich günstiger sind als die des anderen Elternteils. Eine andere Regelung ist somit angezeigt, wenn die - auch fiktiven (MünchKomm,/Born, BGB, 5. Aufl., § 1603, Rz. 114) - Einkünfte der Eltern derart voneinander abweichen, dass die Inanspruchnahme des grundsätzlich barunterhaltspflichtigen Elternteils zu einem erheblichen finanziellen Ungleichgewicht führen würde (vgl. BGH, FamRZ 1991, 182; Palandt/Brudermüller, 71. Aufl., § 1606, Rz. 16; Johannsen/Henrich/Graba, Familienrecht, 5. Aufl., § 1606 BGB, Rz. 8). Im Hinblick auf die außerordentlich guten finanziellen Verhältnisse der Mutter hält es der Senat vorliegend für gerechtfertigt, dass die Unterhaltspflicht des Antragsgegners nicht nur in Höhe des angemessenen Selbstbehaltes (vgl. BGH, FamRZ 2011, 1041 in einem Fall, in dem die Einkünfte der Eltern den angemessenen Selbstbehalt nicht bzw. nur um rd. 700 € übersteigen; Wendl/Klinkhammer, a.a.O., § 2, Rz. 394, 398), sondern vollständig entfällt (Senat, FamFR 2011, 176; vgl. auch Wendl/Klinkhammer, a.a.O., § 2, Rz. 434).

Die Mutter des Antragstellers verfügt nach ihrem eigenen Vortrag über ein monatliches Nettoeinkommen von 6.500 € (5.100 € als Geschäftsführerin der Pflegedienst L… GmbH B… + 1.400 € Pension), von dem nach Abzug der Beiträge zur Alters- und Krankenvorsorge von 800 € noch 5.700 € verbleiben. Der in Ansatz gebrachte Hauskredit von 2.000 € kann nicht abgezogen werden. Denn das Haus gehört, wie die Mutter bei ihrer Anhörung durch den Senat angegeben hat, ihrem Lebenspartner. Gründe, aus denen sie gleichwohl verpflichtet wäre, die insoweit bestehenden Kredite zu bedienen, hat sie nicht genannt. Damit stehen nach Abzug des angemessenen Selbstbehalts von 1.150 € auf Seiten der Mutter 4.550 € (=5.700 € - 1.150 €), auf Seiten des Antragsgegners nur 350 € (=1.500 € fiktives Einkommen - 1.150 €) für den Kindesunterhalt zur Verfügung. Dem Antragsgegner verbliebe etwa 1/10 des Betrages, der der Mutter verbleibt. Mithin besteht ein so gravierendes Ungleichgewicht zwischen den Einkünften der Mutter und dem fiktiven Einkommen des Antragsgegners, dass nicht nur die gesteigerte Erwerbspflicht entfällt bzw. der Unterhaltsanspruch auf das den angemessenen Selbstbehalt übersteigende Einkommen beschränkt ist, sondern die Barunterhaltspflicht des Antragsgegners sogar vollständig entfällt.

Die Entscheidung beruht nicht auf den Schriftsätzen des Antragsgegners vom 9. und 10.5.2012, sondern allein auf dem zuvor dargestellten Vorbringen der Beteiligten, sodass dem Antrag des Antragstellers auf Schriftsatzfrist (§ 283 ZPO) nicht zu entsprechen war.

Der nicht nachgelassene Schriftsatz des Antragstellers vom 4.6.2012 gibt keine Veranlassung für eine andere Beurteilung.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 243 FamFG, 40, 51 FamGKG.