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BK 2108; Konsensempfehlungen; Fallgruppe B2/B3; besonders intensive Belastung; hohe Belastungsspitzen; Unterlassungszwang


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 06.05.2010
Aktenzeichen L 3 U 19/06 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 9 SGB 7

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des

Sozialgerichts Berlin vom 27. Oktober 2005 wird

zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) – bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können –.

Der 1960 geborene Kläger absolvierte vom 01. September 1976 bis zum 13. Juli 1978 eine Lehre zum Maurer. Anschließend war er bis zum 23. April 1980 und vom 16. Mai 1983 bis zum 14. September 1990 (unterbrochen durch den Wehrdienst bei der NVA) als Maurer beim VEB WBK „F H“ B bzw. beim VEB W beschäftigt. In der Folgezeit übte er folgende Beschäftigungen aus:

17. September 1990 bis zum 19. August 1994

        

Trockenbauer bei der Fa. R

22. August 1994 bis zum 31. Dezember 1995

        

Maurer/Trockenbauer bei der
I Baugesellschaft mbH

28. Mai 1996 bis zum 31. August 1996

        

Trockenbauer bei der Fa. R

13. Januar 1997 bis zum 21. Oktober 1997

        

Qualifizierung zum Fliesenleger
22. Oktober 1997 bis zum 30.
September 1999 Fliesenleger
bei der B C GmbH

11. Oktober 1999 bis zum 15. November 1999

        

Fliesenleger bei der U GmbH

01. Mai 2000 bis zum 02. Februar 2001

        

Trockenbauer/Maurer/Fliesen-
leger bei der Fa. Holz- und
Bautenschutz A W

01. August 2001 bis zum 31. Dezember 2004

        

Trockenbauer/Maurer/Fliesen-
leger bei der Fa. Holz- und
Bautenschutz A W

März 2005 bis Februar 2006

        

Umschulung zum kaufmännischen Mitarbeiter

März 2006 bis zum 30. September 2008

        

Maurermeister/Polier bei der Fa.
... & Trockenbau A

Oktober 2008 bis Februar 2010

        

arbeitslos und Qualifizierung zu
Kalkulation und Baurecht sowie
zum Gutachter für Bauschäden

ab dem 01. März 2010

        

Steinmetzgehilfe.

Erstmals 1984 sollen Rückenbeschwerden im Zusammenhang mit der beruflichen Belastung aufgetreten sein. Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Beschwerden der Lendenwirbelsäule bestanden unter anderem vom 26. Oktober 1992 bis zum 03. November 1992, vom 26. September 1994 bis zum 07. Oktober 1994, vom 17. September 1996 bis zum 30. September 1996, vom 17. März 1997 bis zum 18. April 1997, vom 06. Juli 1999 bis zum 13. August 1999, vom 06. Februar 2001 bis zum 22. Februar 2001, vom 17. Oktober 2001 bis zum 19. Oktober 2001, vom 07. Januar 2002 bis zum 30. Januar 2002 sowie vom 08. April 2002 bis zum 22. November 2002. Ein Magnetresonanztomogramm (MRT) der Lendenwirbelsäule vom 28. November 2001 ergab Bandscheibenvorfälle bei L4/5 und L5/S1 bei absoluter spinaler Enge in Höhe L4/5.

Mit Schreiben vom 11. Juli 2002 meldet die Krankenkasse des Klägers – die AOK Berlin – bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch im Hinblick auf einen Verdacht auf eine BK 2108 an. Die Beklagte holte ein Vorerkrankungsverzeichnis von der AOK Berlin sowie Behandlungsberichte von dem praktischen Arzt Dr. N vom 21. Oktober 2002 nebst Befund eines spinalen Computertomogramms (CT) vom 17. Mai 1995, von dem Allgemeinmediziner Dr. M vom 11. November 2002 sowie von dem Neurochirurgen Dr. S vom 08. November 2002 ein, zog den Abschlussbericht der RehaTagesklinik im F P vom 30. Januar 2002 bei und veranlasste eine ärztliche BK-Anzeige durch den Orthopäden Dipl.-Med. M vom 22. August 2002 nebst Röntgenbefund der Lendenwirbelsäule vom 10. Oktober 2002 sowie eine Stellungnahme des Beratungsarztes Dr. R vom 20. Dezember 2002.

Anschließend führte sie Ermittlungen zu den beruflichen Belastungen des Klägers durch und holte eine Auskunft des Rechtsnachfolgers der I GmbH – der B BC B-B GmbH – vom 22. Januar 2003 ein und zog Kopien des Sozialversicherungsausweises bei. Der technische Angestellte der Beklagten Dipl.-Ing. L gelangte dann in seiner Stellungnahme vom 15. April 2003 nach einem Gespräch mit dem Kläger zu dem Schluss, für den Zeitraum vom 01. September 1976 bis zum 14. September 1990 errechne sich nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) eine Gesamtbelastungsdosis von 6,58 x 10 6 Nh (=MNh). In einer weiteren Stellungnahme vom 25. Juli 2003 errechnete Dipl.-Ing. L für den Zeitraum vom 01. September 1976 bis zum 22. Juli 2003 eine Gesamtbelastungsdosisdosis nach dem MDD von 4,45 x 10 6 Nh. Nach Einholung einer Stellungnahme des Gewerbearztes Dr. S lehnte die Beklagte sodann mit Bescheid vom 24. September 2003 – bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2003 - die Gewährung einer Entschädigung wegen einer BK 2108 ab, da nach den durchgeführten arbeitstechnischen Ermittlungen die Voraussetzungen zur Anerkennung einer solchen BK nicht gegeben seien.

Hiergegen hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhoben und vorgetragen, die Beklagte sei von falschen Daten zu seiner beruflichen Belastung ausgegangen. Insbesondere seien die angesetzten Gewichte zu gering und die berücksichtigten unter Last zurückgelegten Wege zu kurz.

Das SG hat zunächst ein orthopädisches Sachverständigengutachten zu den medizinischen Voraussetzungen für eine BK 2108 von Dr. E eingeholt. In seinem Gutachten vom 17. Oktober 2004 ist dieser nach einer Untersuchung des Klägers am 06. Oktober 2004 zu dem Schluss gelangt, bei dem Kläger lägen folgende Gesundheitsstörungen auf seinem Fachgebiet vor:

- Rezidivierendes Halswirbelsäulensyndrom mit belastungsabhängigen Nacken-Schulterschmerzen und Verspannungen auf dem Boden geringgradiger degenerativer Veränderungen
- Belastungsabhängige Sehnenansatzentzündung im Bereich des rechten Ellenbogens
- Brustwirbelsäulensyndrom mit belastungsabhängigen Dorsalgien und Blockierungen
- Lendenwirbelsäulensyndrom mit belastungsabhängigen Lumbalgien auf dem Boden deutlicher degenerativer Veränderungen, im MRT nachgewiesene Bandscheibenvorfälle
- Geringer Verschleißzustand rechtes Kniescheibengleitlager, Achsenfehlform beider Beine im O-Beinsinne
- Geringer Senkspreizfuß.

Bei dem Kläger sei eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule nachgewiesen. Die Erkrankung sei laut dem Vorerkrankungsverzeichnis erstmals im November 1992 aufgetreten und habe sich kontinuierlich verschlimmert. Objektiviert worden sei die Erkrankung mit einem CT erstmalig im Mai 1995. Es lägen auch belastungsadaptive Reaktionen an den letzten beiden Bewegungssegmenten der unteren Lendenwirbelsäule vor. Entsprechende Veränderungen der unteren Brustwirbelsäule mit Ausdehnung in die obere Lendenwirbelsäule seien nicht nachweisbar. Unter der Annahme, dass die so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt seien, sei diese bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten verursacht worden. Konkurrierende Ursachen z. B. in Form prädiskotischer Deformitäten lägen nicht vor. Als außerberuflicher Faktor, der das Krankheitsbild mitbedinge, bestehe bei dem Kläger eine anlagebedingte Verengung des Spinalkanals auf 8 mm. Die Erkrankung habe nicht zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen, denn der Kläger sei weiterhin als Maurer, Trockenbauer und Fliesenleger tätig. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei mit 10 vom Hundert (v. H.) anzusetzen.

Die Beklagte hat eine weitere Stellungnahme ihres technischen Angestellten Dipl.-Ing. L vom 28. Dezember 2004 vorgelegt, in der dieser die Angaben des Klägers zu den beruflichen Belastungen in der Klagebegründung vom 07. Mai 2004 für teilweise unrealistisch gehalten und seine Berechnungen aufrecht erhalten hat. Außerdem hat die Beklagte eine beratende Stellungnahme des Facharztes für Orthopädie Dr. O vom 01. März 2005 eingereicht, in der dieser das Gutachten des Dr. E insbesondere bezüglich der von diesem behaupteten belastungsadaptiven Reaktionen kritisiert hat. Dr. E ist in einer ergänzenden Stellungnahme vom 10. Mai 2005 dennoch bei seiner Beurteilung geblieben.

Das SG hat die Klage durch Urteil vom 27. Oktober 2005 abgewiesen. Zwar seien nach dem Gutachten des Dr. E die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für eine BK 2108 erfüllt, es fehle aber an den arbeitstechnischen Voraussetzungen, denn die Gesamtdosis nach dem MDD betrage lediglich 4,45 x 10 6 Nh. Die Kammer halte die Berechnungen des technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten für nachvollziehbar und überzeugend. Insbesondere stimme die Kammer mit den Bedenken gegenüber den vom Kläger bemachten Angaben zur beruflichen Belastung überein. Zugunsten des Klägers habe die Kammer unter Heranziehung der in den Stellungnahmen des TAD vom 25. Juli 2003 und 28. Dezember 2004 genannten Druckkräfte für die einzelnen Verrichtungen die Gesamtbelastungsdosis ohne die Begrenzung auf den Tagesdosiswert von 5.500 Nh berechnet. Dabei ergebe sich eine Gesamtbelastungsdosis von 16,86 x 10 6 Nh bis zum Juli 2003. Auch unter Fortführung der Berechnung bis Dezember 2004 läge die Gesamtdosis mit 17,94 x 10 6 Nh immer noch unter dem Orientierungswert von 25 x 10 6 Nh.

Mit seiner hiergegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren fort. Er trägt vor, nach wie vor seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen unzureichend ermittelt worden. Auch das Gutachten des Dr. E sei hinsichtlich der angesetzten MdE zu kritisieren.

Der Senat hat schriftlich die vom Kläger benannten Zeugen J K (Kollege von 1986 bis 1990 sowie von 1990 bis 1996; Antwortschreiben vom Juli 2006), J S (Kollege von Juni 1979 bis August 1990 sowie teilweise von August 1990 bis April 2000; Antwortschreiben vom 23. Juli 2006), K V (Brigadier des Klägers von 1980 bis 1987; Antwortschreiben vom Juli 2006) und A W (Kollege von September 1991 bis August 1994 sowie von Mai bis August 1996, Chef des Klägers von Mai 2000 bis Februar 2001 sowie von August 2001 bis Dezember 2004; Antwortschreiben vom 05. November 2006) zu den beruflichen Belastungen des Klägers im Rahmen seiner versicherten Beschäftigungen als Maurer, Trockenbauer und Fliesenleger befragt. Hinsichtlich des Ergebnisses der schriftlichen Befragung wird auf den Inhalt der Antwortschreiben Bezug genommen.

In einer weiteren Stellungnahme vom 29. November 2006 hat der technische Angestellte Dipl.-Ing. L für die Beklagte ausgeführt, die von den Zeugen genannten pro Arbeitsschicht bewegten Gewichte seien unrealistisch. Eine erneute Berechnung nach dem MDD erübrige sich daher. Hierbei ist der TAD auch unter Berücksichtigung erneuten Vortrags des Klägers zu den Transportwegen sowie zu den Arbeitsbelastungen im Trockenbau (tägliche beidseitige Beplankung einer 20 m 2 großen Wand mit Gipskartonplatten einschließlich Spachtelung; Gewicht der einzelnen Platten jeweils über 31 kg) geblieben (Stellungnahmen des TAD vom 08. August 2007 und 22. Januar 2008).

Anschließend hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens von Dr. W-R vom 19. Mai 2008 nebst ergänzender Stellungnahme vom 16. Juni 2008. In dem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme ist der Sachverständige nach einer Untersuchung des Klägers am 19. Mai 2008 und unter Zugrundelegung der „Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung der auf Anregung des HVBG eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe – Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule (I), Trauma und Berufskrankheit, Springer Medizin Verlag, Heft 3/2005 S. 211ff“ (in Zukunft nur noch: Konsensempfehlungen) zu dem Ergebnis gelangt, bei dem Kläger lägen folgende Veränderungen am Achsenorgan vor:

- Bandscheibenvorfall auf der Etage L4/5

- Bandscheibenvorfall auf der Etage L5/S1

- Osteochondrose auf der Etage L4/5

- Spinale Stenose L4/5.

Die Abnutzung der unteren Lendenwirbelsäule und das regionale klinische Beschwerdebild entsprächen einer bandscheibenbedingten Erkrankung, wobei jedoch berücksichtigt werden müsse, dass gleichzeitig auch anlagebedingte knöcherne Abnutzungen (absolute Spinalkanalstenose) auf das Beschwerdebild einwirkten. Auf den vorliegenden Röntgenaufnahmen aus dem Jahr 1994 ließen sich keine altersüberschreitenden Veränderungen und insbesondere keine belastungsadaptiven Reaktionen nachweisen. Auf den Aufnahmen aus dem Jahr 2004 hingegen zeige sich eine altersuntypische Chondrose im Segment L4/5 nebst einem grenzwertigen Befund im Segment L5/S1. Alle Bereiche oberhalb des Segments L4/5 – auch der thorakolumbale Übergang - seien durchgehend alterstypisch, insbesondere fänden sich keinerlei belastungsadaptiven Veränderungen an den Bandscheibenfächern, Wirbelkörperdeckplatten oder hinteren Wirbelkörperkanten. Im MRT vom 28. November 2001 seien im Übrigen Bandscheibenvorfälle auf den Etagen L4/5 und L5/S1 gesichert worden. Unterstelle man eine ausreichende berufliche Belastung, ergebe sich eine Konstellation der Fallgruppe B nach den Konsensempfehlungen. Für die Konstellation B1 fehle es an einer Begleitspondylose. Die Voraussetzungen für eine Konstellation B2 lägen nicht vor, da sich aus den Stellungnahmen des TAD keine Hinweise für besonders intensive Belastungen (Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren) oder ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen ergäben. Die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule könne daher nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die beruflichen Belastungen zurückgeführt werden. Selbst wenn man hiervon aber ausginge, betrage die MdE lediglich 10 v. H..

Der Senat hat außerdem auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Orthopäden Dr. M mit der Untersuchung des Klägers und Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 23. September 2008 hat dieser nach einer Untersuchung des Klägers am 23. September 2008 folgende Diagnosen gestellt:

- Chronisches Lumbalsyndrom mit Ausstrahlung

- Bandscheibenvorfall L4/5

- Bandscheibenvorfall L5/S1

- Bandscheibenabnutzung (Osteochondrose) L4/5

- Enger Spinalkanal untere Lendenwirbelsäule.

Das chronische Lumbalsyndrom mit pseudoradikulärer Ausstrahlung, verursacht durch eine Bandscheibendegeneration und durch Bandscheibenvorfälle L4/5 sowie L5/S1, stelle eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule i. Sinne der BK 2108 dar. Außerberufliche Faktoren lägen nicht vor. Entscheidend sei die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen. Die festgestellte Erkrankung habe nicht zur Unterlassung der bisherigen Berufstätigkeit geführt. Der Kläger sei seit 2006 wieder als Maurermeister beschäftigt, jedoch ohne Heben und Tragen von Lasten über 15 kg. Die MdE betrage 10 v. H.. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 13. Oktober 2008 hat der Sachverständige die Auffassung vertreten, es liege eine Konstellation B1 nach den Konsensempfehlungen vor.

Der Kläger hält die Beurteilung des Dr. M für zutreffend. Zumindest handele es sich um eine Konstellation B2 der Konsensempfehlungen, da ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen gegeben sei.

Die Beklagte legt eine Stellungnahme ihres TAD vom 23. Dezember 2008 vor, in der die Dipl.-Ing. H unter Zugrundelegung der Maßgaben aus dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. Oktober 2007 für den Zeitraum vom 01. September 1976 bis zum 22. Juli 2003 eine Gesamtbelastungsdosis von 20 x 10 6 Nh errechnet hat. Dies entspreche 80% des Orientierungswertes von 25 x 10 6 Nh für Männer. Eine intensive Belastung i. S. d. Konstellation B2 der Konsensempfehlungen liege nicht vor, denn im Beurteilungszeitraum von ca. 27 Jahren werde eine Dosis von 20 MNh erreicht. Somit sei ausgeschlossen, dass die Lebensdosis von 25 MNh in weniger als 10 Jahren erreicht worden sei. Hohe Belastungsspitzen beim Heben und Tragen von Lasten lägen vor, wenn die Druckkräfte auf L5/S1 größer als 6,0 kN seien und dadurch die Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes erreicht werde. Solch hohe Druckkräfte träten beim Heben und Tragen von Lasten ab 60 kg auf. Aus der neu durchgeführten Berechnung sei ersichtlich, dass diese hohen Belastungsspitzen nicht aufgetreten seien.

Der Kläger geht nach wie vor davon aus, dass die angesetzten Gewichte zu gering seien.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Oktober 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2003 aufzuheben und bei ihm das Vorliegen einer BK Nr. 2108 nach der Anlage zur BKV festzustellen,

hilfsweise festzustellen, dass bei ihm eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung vorliegt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 24. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2003 ist im Ergebnis rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat – wie das Sozialgericht schon zutreffend festgestellt hat - keinen Anspruch auf Feststellung einer BK 2108, da eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, bei ihm nicht vorliegt. Darüber hinaus ist der Kläger auch mit seinem Hilfsantrag nach § 9 Abs. 4 SGB VII nicht erfolgreich, denn eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung i. S. d. BK 2108 liegt bei ihm nicht vor.

Die Klage im Hauptantrag ist als Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG zulässig. Streitgegenstand ist allein die Anerkennung einer BK 2108, denn in dem angefochtenen Bescheid vom 24. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2003 ist die Anerkennung einer BK 2108 abgelehnt, ein Anspruch auf Verletztenrente ist im Einzelnen jedoch nicht geprüft worden. Auch wenn der Antrag auf Gewährung von Verletztenrente bereits vor dem SG gestellt worden ist, kann der Senat über ein solches Begehren zulässigerweise nicht entscheiden, denn die Ablehnung einer Verletztenrente ist mit dem angefochtenen Bescheid nicht erfolgt. Die Beklagte hat vielmehr lediglich unbestimmte Entschädigungsleistungen abgelehnt.

Als Versicherungsfall gilt nach § 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) auch eine BK. BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit erleidet (§ 9 Abs. 1 SGB VII). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann BKen auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten versehen.

Gemäß diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggf. bei einzelnen Listen-BKen einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteile vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R – in SozR 4-2700 § 9 Nr. 7 und vom 09. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG a. a. O.).

Von Nr. 2108 der Anlage zur BKV werden „bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben ursächlich waren oder sein können“, erfasst.

Nach dem Tatbestand der BK 2108 muss also der Versicherte auf Grund einer versicherten Tätigkeit langjährig schwer gehoben und getragen bzw. in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet haben. Durch die spezifischen, der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden besonderen Einwirkungen muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS entstanden sein und noch bestehen. Zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen muss ein sachlicher Zusammenhang und zwischen diesen Einwirkungen und der Erkrankung muss ein (wesentlicher) Ursachenzusammenhang bestehen. Der Versicherte muss darüber hinaus gezwungen gewesen sein, alle gefährdenden Tätigkeiten aufzugeben. Als Folge dieses Zwangs muss die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, liegt eine BK Nr. 2108 nicht vor (vgl BSG, Urteile vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 4/06 R – in SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 sowie vom 18. November 2008 - B 2 U 14/07 R – und – B 2 U 14/08 R – jeweils zitiert nach Juris) und ist nicht anzuerkennen.

Der Anspruch des Klägers scheitert hier nicht daran, dass die so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen, d. h. die im Sinne der BK 2108 erforderlichen Einwirkungen durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw. Arbeit in Rumpfbeugehaltung, nicht gegeben wären. Dies ergibt sich aus den vorliegenden Berechnungen des TAD der Beklagten zum Ausmaß der mechanischen Belastung nach dem MDD (vgl. dazu die grundlegende Veröffentlichung von Jäger u. a., ASUMed 1999, 101 ff, 112 ff). Die Beklagte hat im gesamten Verfahrensverlauf drei detaillierte Berechnungen nach dem MDD durch ihren TAD vorgelegt. Daraus ergeben sich folgende Gesamtdosen:

15. April 2003

        

6,58 x 10 6 Nh (=MNh)

25. Juli 2003

        

4,45 x 10 6 Nh (=MNh)

23. Dezember 2008

        

20,0 x 10 6 Nh (=MNh).

Zwar ist danach die nach dem MDD vorgegebene Gesamtdosis von 25 x 10 6 Nh unterschritten. Dennoch sind die so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt, denn das MDD legt selber für die Belastung durch Heben und Tragen keine Mindestwerte fest, die erreicht werden müssen, damit von einem erhöhten Risiko von Bandscheibenschäden durch die berufliche Tätigkeit ausgegangen werden kann. Die auf Grund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis, sind nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge zu verstehen. Von diesem Verständnis geht auch das aktuelle Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung zur BK 2108 aus, das für eine zusammenfassende Bewertung der Wirbelsäulenbelastung auf das MDD verweist (BArbBl 2006, Heft 10 S. 30 ff) Danach sind zwar die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK 2108 zu bejahen, wenn die Richtwerte im Einzelfall erreicht oder überschritten werden; umgekehrt schließt aber ein Unterschreiten dieser Werte das Vorliegen der BK nicht von vornherein aus (vgl. BSG Urteile vom 30. Oktober 2007 a. a. O. sowie vom 18. November 2008 a. a. O.).

Orientierungswerte sind andererseits keine unverbindlichen Größen, die beliebig unterschritten werden können. Ihre Funktion besteht in dem hier interessierenden Zusammenhang darin, zumindest die Größenordnung festzulegen, ab der die Wirbelsäule belastende Tätigkeiten als potentiell gesundheitsschädlich einzustufen sind. Die Mindestbelastungswerte müssen naturgemäß niedriger angesetzt werden, weil sie ihrer Funktion als Ausschlusskriterium auch noch in besonders gelagerten Fällen, etwa beim Zusammenwirken des Hebens und Tragens mit anderen schädlichen Einwirkungen, gerecht werden müssen. Werden die Orientierungswerte jedoch so deutlich unterschritten, dass das Gefährdungsniveau nicht annähernd erreicht wird, so ist das Vorliegen einer BK 2108 zu verneinen, ohne dass es weiterer Feststellungen zum Krankheitsbild und zum medizinischen Kausalzusammenhang im Einzelfall bedarf (vgl. BSG Urteile vom 30. Oktober 2007 a. a. O. sowie vom 18. November 2008 a. a. O.).

Das BSG hat daher in seinen Entscheidungen vom 30. November 2008 – B 2 U 14/07 R und B 2 U 14/08 R - Modifizierungen zur Anwendung des MDD für notwendig erachtet. Danach ist die dem MDD zu Grunde liegende Mindestdruckkraft pro Arbeitsvorgang bei Männern nurmehr mit dem Wert 2.700 N pro Arbeitsvorgang anzusetzen. Auf eine Mindesttagesdosis ist nach dem Ergebnis der Deutschen Wirbelsäulenstudie zu verzichten. Alle Hebe- und Tragebelastungen, die die aufgezeigte Mindestbelastung von 2.700 N bei Männern erreichen, sind entsprechend dem quadratischen Ansatz (Kraft mal Kraft mal Zeit) zu berechnen und aufzuaddieren. Der untere Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der LWS ausgeschlossen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen verzichtet werden kann, ist auf die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis von 25 x 10 6 Nh, also auf 12,5 x 10 6 Nh, herabzusetzen.

Berücksichtigt man dies – so wie es der TAD in seiner letzten Stellungnahme vom 23. Dezember 2008 getan hat -, ist der maßgebliche Orientierungswert von 12,5 x 10 6 Nh allein mit den vom TAD als nachvollziehbar zugrunde gelegten Gewichten und Wegen hier mit 20,0 MNh für den Zeitraum bis zum 22. Juli 2003, d. h. ohne Berücksichtigung der ja zumindest bis zum 30. September 2008 (mit Unterbrechungen) fortgeführten beruflichen Tätigkeit, in jedem Fall erfüllt. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte die Zeit des Wehrdienstes bei der NVA von Mai 1980 bis April 1983 nicht aus der Berechnung herausgenommen, sondern zugunsten des Klägers tatsächlich eine fortdauernde berufliche Belastung auch in diesem Zeitraum (d. h. für 36 Monate) angenommen hat (vgl. Seite 5 der Stellungnahme des TAD vom 23. Dezember 2008). Darüber hinaus hat die Beklagte – wiederum zugunsten des Klägers - weder Arbeitsunfähigkeits- noch Urlaubszeiten herausgerechnet. Insoweit ist die weitere Kritik des Klägers an den von der Beklagten ihrer Berechnung zugrunde gelegten Gewichten und Wegstrecken (vgl. den Schriftsatz vom 10. März 2009), die einer worst-case-Betrachtung entsprechen, nicht von Gewicht. Dies gilt auch deshalb, weil die Angaben des Klägers, wie der TAD in seinen Stellungnahmen vom 28. Dezember 2004, 08. August 2007 und 22. Januar 2008 zu Recht ausgeführt hat, nicht plausibel sind.

Der Anspruch scheitert jedoch an den arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für eine BK 2108.

In der medizinischen Wissenschaft ist anerkannt, dass Bandscheibenschäden und Bandscheibenvorfälle insbesondere der unteren LWS in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen. Sie sind von multifaktorieller Ätiologie. Da diese Bandscheibenerkrankungen ebenso in Berufsgruppen vorkommen, die während ihres Arbeitslebens keiner schweren körperlichen Belastung ausgesetzt waren, genauso wie in solchen, die wie der Kläger auch schwere körperliche Arbeiten geleistet haben, kann allein die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne des MDD die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines wesentlichen Kausalzusammenhanges nicht begründen (vgl. Merkblatt zu der BK 2108 der Anlage zur BKV, BArbBl. 2006, Heft 10 S. 30 ff. ). Im Hinblick auf die Schwierigkeiten der Beurteilung des Ursachenzusammenhanges bei der BK 2108 war die medizinische Wissenschaft gezwungen, weitere Kriterien zu erarbeiten, die zumindest in ihrer Gesamtschau für oder gegen eine berufliche Verursachung sprechen. Diese sind niedergelegt in den medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der LWS, die als Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung auf Anregung der vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe anzusehen sind (vgl. Trauma und Berufskrankheit Heft 3/2005, Springer Medizin Verlag, S. 211 ff). Weder der Sachverständige Dr. W-R noch der vom Kläger benannte Sachverständige Dr. M haben einen neueren, von den Konsensempfehlungen abweichenden Stand der wissenschaftlichen Diskussion zu den bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule aufgezeigt. Es ist daher davon auszugehen, dass diese nach wie vor den aktuellen Stand der nationalen und internationalen Diskussion zur Verursachung von Lendenwirbelsäulenerkrankungen durch körperliche berufliche Belastungen darstellen (vgl. auch BSG, Urteil vom 27. Oktober 2009 – B 2 U 16/08 R -, zitiert nach Juris, und Urteil vom 27. Juni 2006 – B 2 U 13/05 R – in SozR 4-2700 § 9 Nr. 9). Zur Gewährleistung einer im Geltungsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung gleichen und gerechten Behandlung aller Versicherten begegnet es daher keinen Bedenken, wenn die befassten Gutachter und die Sozialgerichtsbarkeit diese Konsensempfehlungen anwenden.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die medizinischen Voraussetzungen für das Vorliegen der BK 2108 nicht gegeben. Das Vorliegen einer durch die berufliche Tätigkeit verursachten bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS ist nicht nachgewiesen. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen des gesamten Gerichtsverfahrens, insbesondere dem am neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft und Forschung ausgerichteten Gutachten des Sachverständigen Dr. W-R vom 19. Mai 2008 nebst ergänzender Stellungnahme vom 16. Juni 2008.

Zwar können die bei dem Kläger durch Dr. W-R festgestellten Veränderungen der Wirbelsäule eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule im Sinne der BK 2108 darstellen. Zu der Frage, was unter einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS zu verstehen sein soll, hat der Verordnungsgeber in der Begründung zur zweiten Änderungsverordnung (2. ÄndVO), durch welche die BK 2108 in die Berufskrankheitenliste aufgenommen worden ist (BR-Druck 773/92 S.8), eingehende Ausführungen gemacht. Danach sind unter bandscheibenbedingten Erkrankungen zu verstehen: Bandscheibendegeneration (Diskose), Instabilität im Bewegungssegment, Bandscheibenvorfall (Prolaps), degenerative Veränderungen der Wirbelkörperabschlussplatten (Osteochondrose), knöcherne Ausziehungen an den vorderen seitlichen Randleisten der Wirbelkörper (Spondylose), degenerative Veränderungen der Wirbelgelenke (Spondylarthrose) mit den durch derartige Befunde bedingten Beschwerden und Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule. Erforderlich ist ein Krankheitsbild, das über einen längeren Zeitraum andauert, also chronisch oder zumindest chronisch wiederkehrend ist, und das zu Funktionseinschränkungen führt, die eben eine Fortsetzung der genannten Tätigkeit unmöglich machen. Erforderlich sind daher ein bestimmtes radiologisches Bild sowie ein damit korrelierendes klinisches Bild (vgl. das aktuelle Merkblatt zur BK 2108 sowie die Konsensempfehlungen Punkt 1.3).

Heranzuziehen wären die der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit zeitlich nächstliegenden Röntgenbilder (vgl. auch Punkt 1.2 der Konsensempfehlungen). Allerdings ist dieser Zeitpunkt hier nicht klar bestimmbar, denn der Kläger hat noch bis zum Dezember 2004 als Maurer/Trockenbauer/Fliesenleger bei Firma des Zeugen A W gearbeitet und erneut ab einem unbekannten Zeitpunkt im Jahr 2006 bis zum 30. September 2008 als Maurermeister (so die Gutachten des Dr. W-R und des Dr. M) bei der Firma Akustik & Trockenbau A W. Nach den Ausführungen des Dr. E und des Dr. W-R stellen sich im Falle des Klägers (siehe Gutachten von Dr. E vom 17. Oktober 2004 und von Dr. W-R vom 19. Mai 2008) bereits vor der Aufgabe sämtlicher wirbelsäulenbelastender Tätigkeiten spätestens im September 2008 im November 2001 morphologisch Bandscheibenschäden der LWS dar, nämlich zwei Bandscheibenvorfälle bei L4/5 und L5/S1 (MRT vom 28. November 2001). Diese sind entsprechend Punkt 1.2 A der Konsensempfehlungen als altersuntypisch zu bewerten (vgl. das Gutachten von Dr. W-R). Die mit spinalem CT vom 17. Mai 1995 nachgewiesene Bandscheibenvorwölbung bei L4/5 war bei dem 35jährigen Kläger ebenfalls altersuntypisch (vgl. Punkt 1.2 A der Konsensempfehlungen). Aus den am 06. Oktober 2004 im Auftrag des Gutachters Dr. E erstellten Röntgenbildern ergibt sich des Weiteren eine bei einem 44jährigen Mann altersuntypische Chondrose Grad II (Höhenminderung um 30 bis 50%) bei L4/5 sowie eine altersuntypische Sklerose Grad I (optisch wahrnehmbare vermehrte Sklerosierung) bei L 5 sowie S1 nebst chondrotischer Höhenminderung (vgl. das Gutachten von Dr. W-R). Die außerdem bei dem Kläger festgestellte spinale Enge ist keine bandscheibenbedingte Erkrankung, sondern Resultat eines primären und anlagebedingten knöchernen Prozesses (vgl. das Gutachten des Dr. W-R).

Für die Feststellung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS ist neben dem morphologischen Bild der Nachweis eines mit diesem korrelierenden chronischen klinischen Beschwerdebildes nebst Funktionseinschränkungen erforderlich. Dabei kann es sich nach dem derzeit geltenden Merkblatt zur BK 2108 um folgende Krankheitsbilder handeln: ein lokales Lumbalsyndrom (chronisch rezidivierende Beschwerden in der Kreuz-Lendengegend mit möglicher pseudoradikulärer Schmerzausstrahlung in die Oberschenkelmuskulatur), mono- und polyradikuläre Wurzelreizsyndrome (ein- oder beidseitig segmental ins Bein ausstrahlende, dem Verlauf des Ischiasnervs folgende Schmerzen, meist in Verbindung mit Zeichen eines lokalen Lumbalsyndroms) oder ein Kaudasyndrom (Sonderform der polyradikulären lumbalen Wurzelreizsyndrome).

Ein solches (chronisches) klinisches Beschwerdebild, welches einer Chondrose Grad II bei L4/5, einer Sklerose Grad I bei L5/S1 bzw. Bandscheibenvorfällen in den Segmenten L4/5 und L5/S1 und nicht anderen Veränderungen an der Wirbelsäule - insbesondere der absoluten Spinalkanalenge bei L4/5 - oder einem Trainingsmangel der Muskulatur entsprechen müsste, ist vorliegend fraglich. Hierauf weist auch der Sachverständige Dr. W-R in seinem Gutachten vom 19. Mai 2008 hin. Wie dieser in seinem Gutachten hervorhebt, konnte zu keinem Zeitpunkt das klassische Krankheitsbild einer Bandscheibenerkrankung aufgedeckt werden. So fehlt es insbesondere an segmentbezogenen neurologischen Störungen. Weder Dr. E noch Dr. W-R oder Dr. M haben etwa Sensibilitätsstörungen oder auch nur ein positives Lasègue-Zeichen feststellen können. Gleiches gilt für den Abschlussbericht der RehaTagesklinik im F P vom 30. Januar 2002. Auch aus den vorliegenden Berichten der behandelnden Ärzte Dr. N vom 21. Oktober 2002, Dr. M vom 11. November 2002 und Dr. S vom 08. November 2002 gehen derartige Störungen bzw. Zeichen nicht hervor. Der Kläger selber schildert sie ebenfalls nicht (vgl. die jeweiligen Anamnesen in den Gutachten von Dr. E, Dr. W-R und Dr. M). Dr. W-R weist in seinem Gutachten allerdings darauf hin, dass ein Bandscheibenvorfall nicht immer ein nach außen erfassbares eindeutiges Erscheinungsbild biete, weshalb die Literatur sich mit dem Nachweis von segmentbezogenen Bewegungsstörungen, reaktiven Umgebungsmyogelosen und auf den betroffenen Wirbelsäulenabschnitt lokalisierten Schmerzen begnüge. Solche Veränderungen sind von dem Sachverständigen Dr. W-R letztlich bejaht worden, wenngleich dies als großzügige Auslegung erscheint. Denn sowohl bei dem Gutachter Dr. E als auch bei den Gutachtern Dr. W-R und Dr. M war die Funktion der Lendenwirbelsäule altersgemäß. Auch die Entfaltbarkeit der Lendenwirbelsäule war physiologisch (Zeichen nach Schober und Ott), der Finger-Boden-Abstand war bei guter Entfaltbarkeit gering (bei Dr. E 5 cm, bei Dr. W-R wenige Zentimeter, bei Dr. M 8 cm), Bewegungsschmerzen wurden nicht geäußert. Laut den klägerischen Angaben bei Dr. W-R im Jahr 2008 sei seit Jahren wegen der Lendenwirbelsäulenbeschwerden keine Therapie mehr erforderlich gewesen. Bei Dr. W-R berichtete er lediglich von einem tieflumbalen Druckgefühl, bei Dr. M gab er in der Vergangenheit ausstrahlende Schmerzen in den Hodenbereich an. Im Jahr 2004 stellte Dr. E deutliche lumbale Muskelverspannungen fest, eine Klopf- und Druckempfindlichkeit im Wirbelsäulenbereich fand sich jedoch – wie auch in den späteren Gutachten – nicht.

Selbst wenn man hier ein dem morphologischen Befund entsprechendes klinisches Beschwerdebild bejahen würde, d. h. eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS als erwiesen ansehen würde, so wäre deren berufliche Verursachung nicht hinreichend wahrscheinlich.

Denn unter Zugrundelegung der Konsensempfehlungen (Punkt 1.4) handelt es sich im Falle des Klägers bei einer ausreichenden beruflichen Belastung (Exposition) nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. W-R in seinem Gutachten vom 19. Mai 2008 um die Konstellation B3, d. h.

- es liegt eine gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vor,
- es besteht eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung (z. B. ausreichende Exposition muss der Erkrankung vorausgehen; Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs nimmt mit der Länge des Zeitraums zwischen Ende der Exposition und erstmaliger Diagnose der Erkrankung ab),
- die bandscheibenbedingte Erkrankung betrifft L5/S1 und/oder L4/5,
- Chondrose Grad II oder höher und/oder Vorfall,
- wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren (wie z. B. eine relevante Skoliose) liegen nicht vor,
- eine Begleitspondylose liegt nicht vor.

Als Begleitspondylose wird nach den Konsensempfehlungen Punkt 1.4 definiert eine Spondylose in/im nicht von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en) bzw. in/im von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en), die nachgewiesenermaßen vor dem Eintritt der bandscheibenbedingten Erkrankung im Sinne einer Chondrose oder eines Vorfalls aufgetreten ist. Um eine positive Indizwirkung für eine berufsbedingte Verursachung zu haben, muss die Begleitspondylose über das Altersmaß (s. Punkt 1.2 der Konsensempfehlungen) hinausgehen und mindestens zwei Segmente betreffen. Bei dem Kläger sind nach der Beurteilung des Dr. W-R in seinem Gutachten vom 19. Mai 2008 keine Begleitspondylosen in den über L4/5 gelegenen Segmenten der LWS und BWS nachgewiesen. Dies steht auch in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Dr. E. Die von Dr. E in den Röntgenaufnahmen vom 06. Oktober 2004 in den Segmenten L4/5 und L5/S1 festgestellten beginnenden Randzackenanbauten an den Wirbelkörpern (Spondylosen) stellen keine Begleitspondylosen i. S. d. Konsensempfehlungen dar, denn diese sind nicht nachweisbar vor dem Eintritt der bandscheibenbedingten Erkrankung in diesen Segmenten aufgetreten. So waren derartige Erscheinungen beispielsweise in den Röntgenbildern vom 24. März 1994 laut den Feststellungen des Sachverständigen Dr. W-R noch nicht nachweisbar. Auf welcher Grundlage der nach § 109 SGG gehörte Sachverständige Dr. M ohne jegliche Auseinandersetzung mit dem Vorgutachten des Dr. W-R zu der Behauptung gelangt ist, Begleitspondylosen lägen hier vor, ist nicht nachvollziehbar.

Für die Fallkonstellation B3 hat die interdisziplinäre Arbeitsgruppe keinen Konsens erzielt. Die Frage, ob Begleitspondylosen erforderlich sind, ist in der Wissenschaft ganz offensichtlich umstritten (vgl. J. Schürmann in Ludolph, Lehmann, Schürmann, Kursbuch der ärztlichen Begutachtung, 11. Erg-Lieferung 9/08, III-2.13.2108 S. 13; Mehrtens/Brandenburg, Kommentar zur BKV, Lfg. 2/07, M 2108 6.2.4; Konsensempfehlungen, Anmerkungen zu den nicht im Konsens beurteilten Fallkonstellationen, Anhänge 1 und 2).

Hinweise für das Vorliegen der Fallkonstellation B2 bestehen nicht. Diese Fallkonstellation ist (die ausreichende Exposition abermals unterstellt) wie folgt definiert:

- gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule,
- es besteht eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung (z. B. ausreichende Exposition muss der Erkrankung vorausgehen; Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs nimmt mit der Länge des Zeitraums zwischen Ende der Exposition und erstmaliger Diagnose der Erkrankung ab),
- die bandscheibenbedingte Erkrankung betrifft L5/S1 und/oder L4/5,
- Chondrose Grad II oder höher und/oder Vorfall,
- keine wesentlichen konkurrierenden Ursachenfaktoren,
- keine Begleitspondylose sowie
- zusätzlich mindestens eines der folgenden Kriterien,
- Höhenminderung und/oder Vorfall an mehreren Bandscheiben oder „black disc“ im MRT an mindestens zwei angrenzenden Segmenten,
- besonders intensive Belastung,
- besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen.

Hinweise auf eine so genannte „black disc“ liegen nicht vor.

Von einer besonders intensiven Belastung kann nur bei Erreichen des Lebensrichtwertes der Gesamtbelastungsdosis in weniger als 10 Jahren beruflicher Belastung ausgegangen werden (vgl. Punkt 1.4 der Konsensempfehlungen zu B2 ). Hierbei kann nicht von dem nach der Rechtsprechung des BSG modifizierten Lebensrichtwert von 12,5 MNh ausgegangen werden, denn Grundlage des Konsenses war das nicht modifizierte MDD mit einem Lebensrichtwert von 25 MNh. Nur auf dieser Basis ist hier zu B2 ein wissenschaftlicher Konsens erzielt worden. Eine Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh wird im vorliegenden Fall aber auch unter Anwendung des nach der BSG-Rechtsprechung modifizierten MDD, bei dem insbesondere auch geringere Gewichte bei der Berechnung berücksichtigt werden, bezogen auf eine Belastungsdauer von circa 26 Jahren nicht erreicht, und erst recht nicht bezogen auf eine Belastungsdauer von weniger als 10 Jahren. Es ist zudem nicht erkennbar, dass eine Berechnung der Gesamtbelastungsdosis allein anhand der Angaben des Klägers zu den von ihm bewegten Gewichten und den zurückgelegten Wegstrecken auf der Grundlage des nicht modifizierten MDD zum Erreichen der Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh innerhalb eines Zeitraums von weniger als 10 Jahren führen könnte.

Anhaltspunkte für ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen, d. h. das Erreichen mindestens der Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes durch hohe Belastungsspitzen, die bei Männern ab 6.000 N gesehen werden (vgl. Punkt 1.4 der Konsensempfehlungen zu B2 ), sind ebenfalls nicht erkennbar. Auch der Vortrag des Klägers gibt keine Anhaltspunkte für derartige Belastungsspitzen, denn es wird nicht geltend gemacht, alleine Gewichte von 60 kg und mehr bewegt zu haben. Hierzu hat auch der TAD in seiner Stellungnahme vom 23. Dezember 2008 explizit Stellung genommen.

Der allgemeine beweisrechtliche Grundsatz, dass die Beurteilung medizinischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge auf dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand aufbauen muss (vgl. BSG in SozR 3850 § 51 Nr. 9; BSG in SozR 1500 § 128 Nr. 31; BSG in SozR 3-3850 § 52 Nr. 1; Rauschelbach, MedSach 2001, 97; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2009, Kapitel 3.3.4.3), erfordert nach dem BSG, dass es zu jedem Ursachenzusammenhang statistisch-epidemiologische Forschungen geben muss, weil dies nur eine Methode zur Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist und sie im Übrigen nicht auf alle denkbaren Ursachenzusammenhänge angewandt werden kann und braucht. Gibt es keinen aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu einer bestimmten Fragestellung, kann daher in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung gefolgt werden (vgl. Urteil des BSG vom 09. Mai 2006, - B 2 U 1/05 R - in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 m. w. N.).

Hiernach kann auf das Zusatzkriterium einer Begleitspondylose bei der Fallkonstellation B3 zur Überzeugung des Senats nicht verzichtet werden. Die Konstellation B3 entspricht der häufigsten Manifestationsform eigenständiger Bandscheibenerkrankungen innerer Ursache an der LWS (vgl. V. Grosser und F. Schröter im Anhang 1 der Anmerkungen zu den nicht im Konsens beurteilten Fallkonstellationen der Konsensempfehlungen). Betroffen sind bei dieser Konstellation lediglich die Segmente L4/5 und/oder L5/S1. Bandscheibenschäden in den übrigen LWS-Segmenten liegen bei dieser Konstellation definitionsgemäß nicht vor. Selbst geringgradige Bandscheibendegenerationen im Sinne einer nur magnetresonanztomographisch nachweisbaren so genannten „black disc“ sind bei dieser Konstellation in keinem der oberhalb L4/5 gelegenen Segmente nachweisbar. Auch eine Begleitspondylose als positives Indiz für eine Auswirkung der beruflichen Belastungen liegt nicht vor. Biomechanische Besonderheiten der beruflichen Einwirkung, welche das Fehlen von Spuren der beruflichen Belastung in den Segmenten der mittleren und oberen LWS plausibel machen könnten, sind bei der Konstellation B3 nicht gegeben. Da sich die biologisch-anatomische Schadensentwicklung zwingend durch dokumentierbare (radiologische) Belege nachweisen lassen muss, fehlt es hier überhaupt am belastungstypischen Schadensbild, da ein altersuntypischer Befund nicht vorliegt (vgl. J. Schürmann in Ludolph, Lehmann, Schürmann, Kursbuch der ärztlichen Begutachtung, 11. Erg-Lieferung 9/08, III-2.13.2108 S. 13). Epidemiologische Arbeiten, welche nachweisen, dass bei Schadensbildern, die der Konstellation B3 entsprechen, bei beruflich Exponierten im Vergleich zur Normalbevölkerung statistisch eine relevante Risikoerhöhung besteht, existieren nicht (vgl. V. Grosser und F. Schröter a. a. O.). Ein derartiger Nachweis wird gemäß den Ausführungen von V. Grosser und F. Schröter auch durch die Fallkontrollstudie von Seidler et al. nicht geführt. Sie räumten ein, dass in ihrer Studie Patienten mit Chondrose und Spondylose ein höheres berufliches Erkrankungsrisiko aufwiesen als Patienten mit Chondrose ohne zusätzliche Spondylose. Sie machten aber geltend, dass ihre Studie dennoch eine relevante Risikoerhöhung auch für Schadensbilder, welche der Konstellation B3 entsprechen, nachweise. Dies hält einer kritischen methodischen Überprüfung jedoch nicht Stand. Die beruflichen Belastungen wurden in der Studie lediglich durch eine Befragung der Probanden ermittelt. Die in der Studie verwendeten medizinischen Einschlusskriterien erlauben keine Differenzierung, ob die errechneten Erkrankungsrisiken tatsächlich durch eine berufsbedingte Häufung von Bandscheibenschäden verursacht sind oder ob sie lediglich eine höhere Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung aufgrund einer berufsbedingten Beschwerdeauslösung bei berufsunabhängigentstandenen Bandscheibenschäden widerspiegeln. Im Ergebnis führt dies zu einer erheblichen Überschätzung des Risikos, berufsbedingt Bandscheibenschäden zu entwickeln. In der Studie wird bei Erreichen der Richtdosis nach dem MDD (berechnet ohne Schwellenwert auf der Basis der Befragung der Probanden) eine Erhöhung des Erkrankungsrisikos auf etwa das 10fache errechnet, wenn man die belastete Gruppe insgesamt betrachtet. Nach den methodisch aussagekräftigsten epidemiologischen Arbeiten ist das relative Risiko, berufsbedingt Bandscheibenschäden zu entwickeln, bei vergleichbaren bzw. eher höheren Belastungen jedoch nur auf etwa das 2fache erhöht.

Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass die interdisziplinäre Arbeitsgruppe hinsichtlich der Grundvoraussetzung „ausreichende berufliche Belastung“ (vgl. Punkt 1.4 der Konsensempfehlungen) von den Maßgaben des – nicht modifizierten – MDD ausgegangen ist. Schon unter Zugrundelegung eines Orientierungswertes zur Gesamtbelastungsdosis von 25 x 10 6 Nh für Männer bzw. 17 x 10 6 Nh für Frauen und einer Mindestdruckkraft von 3.200 N für Männer bzw. 2.500 N für Frauen ist in der interdisziplinären Arbeitsgruppe kein Konsens erzielt worden. Bei nunmehr weiter herunter geschraubten Anforderungen, die eine Verschiebung der Lastgewichte weg von „schweren“ Gewichten hin in die Region alltäglicher Gewichte zur Folge hat (vgl. hierzu z. B. das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 25. September 2008 a. a. O., Römer/Brandenburg/Woltjen, a. a. O., S. 192 ff), kann erst recht nicht von einem gesicherten aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Konsens zur vorliegenden Konstellation ausgegangen werden.

Darüber hinaus dürfte hier fraglich sein, ob die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hat, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Der bei der hier umstrittenen BK 2108 geforderte Unterlassungszwang setzt laut dem BSG in der Regel voraus, dass die Tätigkeiten, die zu der Erkrankung geführt haben, aus arbeitsmedizinischen Gründen nicht mehr ausgeübt werden sollen und der Versicherte die schädigende Tätigkeit und solche Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich sein können, tatsächlich aufgegeben hat, wobei es auf das Motiv des Versicherten nicht ankommt (ständige Rspr. vgl. Urteil des BSG vom 19. August 2003 – B 2 U 27/02 R -, zitiert nach Juris; BSG in SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2 m. w. N). Eine bloße Verminderung der Gefährdung genügt nicht (BSG a. a. O.; BSG in SozR 5670 Anl. 1 Nr. 4301 Nr. 2). Hier muss davon ausgegangen werden, dass der Kläger zwar bis zum 30. September 2008 als Meister nur noch geringere Gewichte bewegt hat, aber auch die von ihm zuletzt bei der Begutachtung bei Dr. M angegebenen Lasten von bis zu 15 kg sind nach dem modifizierten MDD als Lendenwirbelsäulenbelastungen zu würdigen. Eine Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten hat vor dem 30. September 2008 also nicht stattgefunden. Ob eine Unterlassung nunmehr angenommen werden kann, da der Kläger als Steinmetzgehilfe tätig ist, dürfte fraglich sein.

Letztlich kann der Kläger auch mit seinem Hilfsantrag nicht durchdringen. Gemäß § 9 Abs. 4 SGB VII ist, sofern die Anerkennung einer Krankheit als BK – wie hier - die Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten voraussetzt, vor Unterlassung einer noch verrichteten gefährdenden Tätigkeit darüber zu entscheiden, ob die übrigen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK erfüllt sind. Wie bereits ausgeführt, liegt bei dem Kläger jedoch unabhängig vom Unterlassungszwang keine beruflich bedingte bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule i. S. d. BK 2108 vor.

Dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag, zur Feststellung des Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen ein Sachverständigengutachten einzuholen, musste der Senat nicht nachkommen, denn es handelt sich nicht um einen zulässigen Beweisantrag i. S. d. § 403 Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 118 Abs. 1 SGG. Ein zulässiger Beweisantrag muss in prozessordnungsgerechter Weise formuliert sein, sich regelmäßig auf ein Beweismittel der ZPO beziehen, das Beweisthema möglichst konkret angeben und insoweit auch wenigstens umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben soll (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Aufl., Randnr. 18 a zu § 160 m. w. N.). Der Kläger hat kein Beweisthema bekannt gegeben, denn hierzu ist die Bezeichnung der zu beweisenden Tatsachen erforderlich. Bei den „arbeitstechnischen Voraussetzungen“ handelt es nicht um klar umrissene Tatsachen.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.