Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 1. Senat | Entscheidungsdatum | 02.02.2012 | |
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Aktenzeichen | L 1 KR 387/11 RG | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Anhörungsrüge gegen den Beschluss des Senats vom 06. Dezember 2012 (Aktenzeichen L 1 KR 184/11 ER) wird als unzulässig verworfen.
Der Beigeladene trägt die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens mit Ausnahme der Kosten des Antragsgegners, welche dieser selbst zu tragen hat.
Eine Anhörungsrüge ist nur zulässig, wenn eine entscheidungserhebliche Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Gericht dargelegt wird (§ 178 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 5 Sozialgerichtsgesetz - SGG - in der ab dem 1.7.2008 geltenden Fassung von Art 12 Nr. 8 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12.12.2007, BGBl I 2840).
Die Umstände, aus denen sich die entscheidungserhebliche Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Gericht ergibt, müssen schlüssig aufgezeigt werden (vgl. Bundessozialgericht - BSG - B. v. 07.4.2005 - B 7 a AL 38/05 R, SozR 4-1500 § 178 a Nr. 2; B. v.23.10.2009 - B 1 KR 2/09 C -). Dazu ist insbesondere auch darzulegen, weshalb ohne den Gehörsverstoß eine günstigere Entscheidung nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. Leitherer in Meyer Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 178 a RdNr. 6b).
Mit dem Erfordernis der Darlegung bürdet das Gesetz dem Rügeführer die Substantiierungs- und Darlegungslast auf. Dieser muss schlüssig ausführen, inwiefern sich der behauptete Verstoß des Gerichts auf dessen Entscheidung ausgewirkt hat, er also (rechtlich) kausal geworden ist. Die Begründung muss daher zunächst angeben, welches Vorbringen nicht berücksichtigt worden ist bzw. bei Verhinderung eines Vorbringens darlegen, was der Beteiligte bei Beachtung von Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz - GG - vorgetragen hätte. Darüber hinaus muss grundsätzlich aufgezeigt werden, in welcher Weise und inwieweit sich das übergangene bzw. verhinderte Vorbringen des Rügeführers auf die angegriffene Entscheidung ausgewirkt hat. Nur wenn schließlich dargelegt werden kann, dass die Entscheidung durch den Anhörungsfehler zu Lasten des Rügeführers beeinflusst worden ist, er also beschwert ist, sind alle inhaltlichen Begründungserfordernisse erfüllt. Ob die behaupteten Umstände vorliegen und tatsächlich entscheidungserheblich geworden sind, ist dagegen eine Frage der Begründetheit (vgl. Berchtold in Hennig, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 13. Ergänzungslieferung, § 178 a Rdnr. 127).
Die Darlegungsanforderungen können nur innerhalb der Einlegungsfrist nach § 178 a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGG wirksam erfüllt werden. Dies folgt aus § 178 a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGG i.V.m. § 178 a Abs. 2 Satz 5 SGG. Demgemäß ist "die Rüge" innerhalb der Frist nach § 178 a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGG zu erheben und "muss" u. a. das "Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen". Danach ist die Angabe der maßgeblichen Gründe schon dem Wortlaut nach integraler Teil der Rüge selbst und deshalb mit ihr dem Fristenlauf nach § 178 a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGG unterworfen. Dies wird auch durch die Regelungssystematik bestätigt, die für die Anhörungsrüge - anders als etwa § 160 a Abs. 2 Satz 1 SGG für die Nichtzulassungsbeschwerde - keine eigene Begründungsfrist vorsieht. Daraus wird deutlich, dass die Anhörungsrüge innerhalb der kurzen Frist des § 178 a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGG nicht nur bei Gericht einzulegen, sondern auch zu begründen ist. Schließlich belegt dies auch die Entstehungsgeschichte der mit dem Anhörungsrügengesetz vom 9.12.2004 (BGBl I 3220) eingeführten Norm, die an der ursprünglichen Fassung von § 321a ZPO orientiert war und trotz des leicht unterschiedlichen Wortlauts - "Rügeschrift" anstelle von "Die Rüge ist schriftlich … zu erheben" - insoweit nicht auf eine Änderung der Rechtslage abzielte (vgl. § 321a Abs. 2 Satz 1 ZPO in der am 1.1.2002 in Kraft getretenen Fassung des ZPO-Reformgesetzes vom 27.7.2001, BGBl I 1887 und BT-Drucks 15/3706 S 13, 16). Bezweckt ist damit ein Ausgleich zwischen dem Interesse an der Durchbrechung der Rechtskraft zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art 103 Abs. 1 GG einerseits und dem Interesse der anderen Verfahrensbeteiligten an einem zügigen Eintritt der Rechtskraft andererseits (vgl. BT-Drucks 15/3706 S 13). Diesem Interessenausgleich wird durch Fristen und andere Anforderungen an die Gehörsrüge Rechnung getragen (vgl. BVerfGE 107, 395, 412). Ohne fristgerechte Darlegung der Rügegründe entspricht die Gehörsrüge den gesetzlichen Anforderungen des § 178 a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGG deshalb nicht (ebenso Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O. RdNr. 7c; Berchtold in: Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2009 § 7 RdNr. 234; Zeihe, SGG, Stand: 1.11.2008, § 178 a RdNr. 31b; für die gleich lautende Bestimmung des § 152 a Abs. 2 Satz 6 Verwaltungsgerichtsordnung <VwGO> bereits: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 4.7.2007, 8 PKH 5/07, 8 PKH 3/07 - juris - inzident Rudisile in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand März 2008, § 152 a RdNr. 26 a. E.; für die entsprechende Bestimmung des § 133 a Abs. 2 Satz 5 Finanzgerichtsordnung vgl. BFH, Beschluss vom 26.11.2008, BFH/NV 2009, 409; für § 321 a ZPO n. F. mittelbar Vollkommer in: Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 321 a RdNr. 13 a. E.).
Den oben skizzierten Darlegungsanforderungen wird der Beigeladene nicht gerecht. Die Rüge war deshalb als unzulässig zu verwerfen (§ 178 a Abs. 4 Satz 1 SGG).
Unabhängig davon wäre eine ordnungsgemäß erhobene Anhörungsrüge überdies unbegründet, weil jedenfalls der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt worden ist:
Der Beigeladene vertritt die Auffassung, der Senat habe seinen Rechtsvortrag zu den Voraussetzungen einer gerichtlichen Aufhebung einer Festbetragsfestsetzung übergangen. Selbst bei einem Abwägungsausfall müsse ihm im Gerichtsverfahren die Möglichkeit verbleiben, darzulegen, dass er einen unter Berücksichtigung der medizinischen Theorie und Praxis vertretbaren Standpunkt eingenommen habe. Es stelle eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG dar, dass der Senat meine, etwaige Nachvollziehbarkeitsmängel der begleitenden Beschlussdokumente führten automatisch zur Aufhebung, ohne dass der Beigeladene (jetzt noch) etwas dagegen unternehmen könne.
Konkret habe der Senat die Auffassung des Beigeladenen unberücksichtigt gelassen, die Ergebnisse der Studie Yevtushenko et. al. 2007 seien „nicht auf den deutschen Versorgungskontext übertragbar, da unklar bliebe, ob eine Validierung des Fragebogens als zentrales Instrumentarium zur Erhebung des Depressions-Skalen-Wertes erfolgt“ sei. Der Senat sei davon ausgegangen, dass der Beigeladene nicht auf die Annahme der Antragstellerin eingegangen sei, die Limitationen wirkten sich auf beide Behandlungsarme gleichermaßen aus. Dem sei der Beigeladenen jedoch im Schriftsatz vom 14. Oktober 2011 entgegengetreten.
Gleiches gelte für den Maximaldosenvergleich. Hier habe er dargelegt, dass „unter Berücksichtigung methodischer Grundsätze bei unbekannter Äquipotenz die maximal zugelassene Dosis der Komparatoren gegeneinander zu untersuchen“ seien.
Angeblich habe der Senat auf Seite 40 seines Beschlusses die Ausführungen der Antragstellerin für „unbestritten geblieben“ bezeichnet und habe so das Beigeladenenvorbringen weder zur Kenntnis genommen, noch erwogen.
Er habe sich auch nicht mit der bereits in der zusammenfassenden Dokumentation getroffenen Aussage auseinander gesetzt, dass jedenfalls das Ausmaß des Zusatznutzens von Escitalopram gegenüber Citalopram zu gering für einen therapeutischen Zusatznutzen sei.
Zur Kausalität dieser Versäumnisse führt der Beigeladene aus, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Senat zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre. Der Beschluss lasse (nämlich) eine Auseinandersetzung „mit diesen Aspekten und überhaupt mit dem rechtlichen und methodisch wie pharmakologisch-fachlich umfangreichen Vortrag des Beigeladenen im Gerichtsverfahren“ vermissen. Der Senat sei im angegriffenen Beschluss nur auf das außergerichtliche Vorbringen eingegangen und habe rechtliches Gehör auch dadurch verletzt, dass nicht mündlich verhandelt worden sei.
Damit ist weder aufgezeigt, dass der Senat relevantes Vorbringen übergangen hat, noch wird schlüssig dargelegt, inwieweit dies möglicherweise rechtlich zu einem anderen Ergebnis geführt haben könnte:
Der Senat hat seine Entscheidung, die aufschiebende Wirkung der Klage in der Hauptsache anzuordnen, nicht nur auf die aus seiner Sicht mutmaßliche (derzeitige) Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Festbetragsfestsetzung gestützt. Im Rahmen seiner gerichtlichen Abwägungsentscheidung ist er zusätzlich in einer reinen Folgenabwägung zum Ergebnis gelangt, dass hier das Interesse der Antragstellerin die gegenläufigen Interessen des Antragsgegners und des Beigeladenen überwiegen.
Dass die angeblichen Versäumnisse des Senats Auswirkungen auf die von der Rechtslage losgelösten Folgeabwägungen gehabt haben könnten, trägt der Beigeladene nicht vor.
Entgegen der Auffassung der Beigeladenen hat sich der Senat in dem angegriffenen Beschluss ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Voraussetzungen eine Festbetragsfestsetzung aufzuheben ist. Er hat dargestellt, dass dies nach seiner Rechtsauffassung bei jedem relevanten und noch nicht bereinigten Beurteilungsfehler der Fall ist, insbesondere bei fehlender Nachvollziehbarkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 b S. 5 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V), wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch bei einer Fehlervermeidung exakt das gleiche Beurteilungsergebnis die zwingende Folge wäre (BA S. 27f = Juris Rdnr. 118ff). Dass der Beigeladene dies anders sieht (vgl. zur Darstellung seiner Position in der Sachverhaltswiedergabe des Beschlusses BA S. 13 am Anfang = Juris-Rdnr. 57), zeigt eine Missachtung seines Vortrages nicht auf.
Der Senat hat - entgegen der Interpretation des Beigeladenen - keine sinngemäße Aussage getroffen, dass es dem Beigeladenen unmöglich sei, im bzw. während des Hauptsacheverfahrens die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes festgestellten Beurteilungsdefizite zu heilen. Dies obliegt aber - so der Senat im kritisierten Beschluss - einem erneuten Beschluss des (Plenums des) Beigeladenen, also nicht Schriftsätzen seines Justiziariats. Dass es dem Beigeladenen verboten sein soll, die im Gruppenbildungsverfahren bzw. im Beschluss über die Gruppenbildung getroffenen Aussagen zu erläutern - etwa im Hinblick auf im Beschluss als selbstverständlich nicht näher erwähnte unumstrittene medizinische oder statistische Zusammenhänge - hat der Senat auch nicht geäußert.
Soweit der Beigeladene jetzt vorträgt, dem Wirkstoff Escitalopram gegenüber Citalopram nie keinerlei therapeutischen Vorteil im Sinne des Gesetzes zugebilligt zu haben, sondern immer nur einen zu geringen, ist dies bereits deshalb unerheblich, weil es für das Ergebnis des Senats nach soeben nochmals Ausgeführtem nicht ankommt. Der Beigeladene hat auch jetzt nicht aufgezeigt, dass bei Heilung der Beurteilungsdefizite ausschließlich erneut die getroffene Gruppenbildung vorgenommen werden kann.
Soweit der Beigeladene dem Senat speziell bei der Aufarbeitung der Studie Yevtushenko et. al. 2007 mangelnde Berücksichtigung seines Vortrages vorwirft, fehlt es - auch abgesehen von der Folgenabwägung - bereits aus dem Grund an der erforderlichen Kausalität, weil der Senat im angegriffenen Beschluss jeden von ihm angenommenen Beurteilungsfehler für sich alleine für relevant gehalten hat.
Auch wenn insoweit der einzige Beurteilungsfehler vorläge, zeigte dies eine mögliche Verletzung rechtlichen Gehörs nicht schlüssig auf. Der Sache nach will der Beigeladene wohl die Ausführungen des Senats auf S. 38 BA (Juris-Randnr. 181) kritisieren, der Beigeladene habe die Studie nicht wegen der Methodik ausgesondert, und einwenden, zumindest im gerichtlichen Verfahren seien auch methodische Defizite der Studie angeführt worden. Unklar bleibt aber, weshalb speziell das Vorbringen zu einem fehlenden „(Placebo-)Arm“ der Studie diese für den hier relevanten Vergleich zweier Wirkstoffe im Verhältnis zueinander von vornherein ungeeignet machen soll. Der Einwand einer möglicherweise fehlenden Validierung ist nicht erst im gerichtlichen Verfahren erhoben worden. Zu dem aus Beigeladenensicht fehlenden Maximaldosenvergleich hat sich der Senat geäußert.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§§ 177, 178 a Abs. 4 S. 3 SGG).