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Aufrechnung durch das Finanzamt bei Insolvenz


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 9. Senat Entscheidungsdatum 29.04.2010
Aktenzeichen 9 K 1968/05 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Leitsatz

Das Finanzamt kann mit Umsatzsteuerforderungen aufrechnen, die auf einem vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergangenen Schätzungsbescheid beruhen, den das Finanzamt im Hinblick auf die beantragte Insolvenzeröffnung erlassen hat.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der … GmbH … (im Folgenden: GmbH). Die GmbH befasste sich mit …. Das Stammkapital der GmbH wurde im Juli 2000 von 25.000 € auf 500.000 €, im Dezember 2000 auf 4 Mio. €, im April 2001 auf 4,5 Mio. € und im Juni 2001 auf 5 Mio. € erhöht. Aufgrund überdimensionierter Produktionseinrichtungen waren Modernisierungsmaßnahmen erforderlich, für die eine weitere Kapitalerhöhung und weitere Fremdmittel erforderlich waren. Nachdem weder Eigen- noch Fremdkapital erlangt werden konnten, wurde für die GmbH am 29. August 2001 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt. Das Amtsgericht A ordnete mit Beschluss vom 31. August 2001 die vorläufige Verwaltung des Vermögens gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 Insolvenzverordnung - InsO - an und bestellte den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Aufgrund des Insolvenzgutachtens vom 27. Dezember 2001, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, wurde am 1. Januar 2002 um 8.00 Uhr das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Die GmbH erklärte in den monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen des Jahres 2001 stets höhere Vorsteuerbeträge aus Rechnungen anderer Unternehmer als abzuführende Umsatzsteuer aufgrund eigener Lieferungen und Leistungen. Die GmbH führte außerdem erhebliche steuerfreie Umsätze aus. Nach dem dem Gericht vorliegenden Umsatzsteuerüberwachungsbogen 2001 betrugen die Vorsteuern aus Rechnungen (Kz 66) - ohne entrichtete Einfuhrumsatzsteuer sowie ohne Vorsteuer aus dem innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen (Kz 61 sowie Kz 62) - in den Monaten Januar bis Juli 2001 770.271,96 DM. Der Beklagte erstattete in dieser Zeit 284.571,37 DM. Für die Monate August bis Dezember 2001 ermittelte die GmbH bei Vorsteuern von insgesamt 553.255,03 DM einen Vorsteuerüberschuss von 161.987,79 DM.

Die für die GmbH für den Monat August 2001 am 10. September 2001 eingereichte Umsatzsteuervoranmeldung beinhaltete bei einer Vorsteuer von 106.213,65 DM (Kz 66) einen Erstattungsanspruch der GmbH von 48.920,14 DM (25.012,47 €). Die Voranmeldungen für die Monate September bis Dezember 2001 - Eingang der Voranmeldung für September am 10. Oktober, für Oktober am 9. November, für November am 10. Dezember 2001 und für Dezember 2001 am 8. Februar 2002 - führten insgesamt zu einem Vorsteuerüberschuss in Höhe von 113.067,65 DM bzw. 57.810,58 € (September: 6.202,19 €, Oktober: 22.964,79 €, November: 14.962,97 € und Dezember 13.680,63 €).

Bei Zugrundelegung der Voranmeldungen hätte sich für 2001 insgesamt ein Vorsteuerüberschuss von 446.559,16 DM (228.322,07 €) ergeben. Die erklärten Vorsteuern (Kz 66) betrugen 1.323.526,99 DM.

Mit Bescheid vom 6. November 2001 setzte der Beklagte die Umsatzsteuer für den Monat August 2001 abweichend von der eingereichten Voranmeldung fest. Hierbei korrigierte er gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Umsatzsteuergesetz - UStG - aufgrund des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Schätzwege den Vorsteueranspruch der GmbH. Dabei legte er die angegebenen Vorsteuerbeträge der Umsatzsteuervoranmeldungen der GmbH seit Januar 2001 zugrunde und minderte sie um einen prozentualen Abschlag. Aus der Steuerfestsetzung für August 2001 ergab sich aufgrund einer negativen Vorsteuer von 150.000,- DM eine Zahllast der GmbH in Höhe von 207.293,- DM (105.987,23 €), zu zahlen spätestens am 16. November 2001. Einspruch gegen die Festsetzung wurde nicht eingelegt.

Der Beklagte erließ Umbuchungsmitteilungen, in denen er im Dezember 2001 die Vorsteuerüberschüsse für September bis November und im Februar 2002 den Vorsteuerüberschuss aus Dezember 2001 mit der Umsatzsteuerforderung aus August 2001 verrechnete.

Der in der mündlichen Verhandlung übergebenen Aufstellung ist zu entnehmen, dass die vom Kläger für 2001 eingereichte Jahreserklärung im Wesentlichen nur bei der Vorsteuer aus Rechnungen anderer Unternehmer von den Voranmeldungen abweicht (Kz 66). Die Vorsteuer betrug danach 1.094.576,55 DM statt 1.323.526,99 DM (Differenz: 228.950,44 DM) wie in den Voranmeldungen erklärt. Der Kläger ermittelte danach einen Erstattungsanspruch von 217.608,80 DM (111.261,61 €), der den aufgrund der von der Voranmeldung für August 2001 abweichenden Festsetzung sich ergebenden Jahreserstattungsanspruch von 190.346,02 DM um 27.262,78 DM überstieg. Im Hinblick darauf, dass der Beklagte für den Zeitraum Januar bis Juli 2001 bereits 284.571,37 DM erstattet hatte, errechnete er eine Abschlusszahlung von 66.962,57 DM (284.571,37 DM - 217.608,80 DM). Der Beklagte ging bei seiner Abrechnung vom 13. Juli 2003 betreffend Umsatzsteuer 2001 antragsgemäß von einem Vorsteuerüberschuss von 217.608,80 DM (111.261,61 €) aus, legte aber einen bereits an die GmbH ausgezahlten Betrag von 137.980,12 € (269.865,65 DM statt 284.571,37 DM) zugrunde, weshalb sich eine noch offene Forderung von 26.718,51 € (52.256,85 DM statt 66.962,57 DM) ergab.

Aufgrund von Einwendungen des Klägers gegen die verschiedenen Verrechnungen/Umbuchungen erließ der Beklagte am 19. April 2005 einen Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 Abgabenordnung - AO -, in dem er feststellte, dass der jeweilige Erstattungsanspruch aus den Voranmeldungen zur Umsatzsteuer für September bis Dezember 2001 durch Verrechnung erloschen sei.

Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos. Zur Begründung der Einspruchsentscheidung führte der Beklagte aus, die fällige Umsatzsteuerforderung für August 2001 habe bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens den erfüllbaren Erstattungsansprüchen aus den eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate September bis November 2001 aufrechenbar gegenübergestanden, so dass zum Zeitpunkt der Umbuchungen mit Kontostand vom 18. Dezember 2001 die allgemeinen Voraussetzungen für eine Aufrechnung nach § 226 Abs. 1 AO i. V. m. § 387 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - gegeben gewesen seien.

Ebenso sei er nach § 95 Abs. 1 InsO berechtigt gewesen, mit dem Guthaben aus der Umsatzsteuervoranmeldung für Dezember 2001 aufzurechnen. Der Erstattungsanspruch sei zwar erst mit Eingang der Voranmeldung erfüllbar gewesen. Er sei jedoch gemäß § 38 AO i. V. m. § 16 UStG mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums Dezember 2001, das heißt am 31. Dezember 2001, mithin vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden. Seine, des Beklagten, Gegenforderung sei früher fällig gewesen als der Erstattungsanspruch, so dass die einschränkenden Voraussetzungen des § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO nicht vorgelegen hätten.

Er, der Beklagte, habe die Möglichkeit der Aufrechnung auch nicht durch eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO erlangt. Nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO sei eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewähre oder ermögliche, wenn sie nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden sei und wenn der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag gekannt habe. Die mit Bescheid vom 6. November 2001 nach Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit der GmbH vorgenommene Vorsteuerkorrektur stelle keine anfechtbare Rechtshandlung in diesem Sinne dar, denn nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG habe der Unternehmer den Vorsteuerabzug zu berichtigen, wenn eine gegen ihn gerichtete Forderung uneinbringlich geworden sei. Uneinbringlichkeit sei vorliegend im Monat der Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegeben gewesen. Da die GmbH dieser Verpflichtung nicht nachgekommen sei, sei der Rückforderungsanspruch von Amts wegen festzusetzen gewesen.

Mit seiner hiergegen erhobenen Klage macht der Kläger geltend, der Beklagte habe den Bescheid vom 6. November 2001 in Kenntnis des Insolvenzantrags erlassen, so dass die durch den Bescheid begründete Forderung anfechtbar nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO sei. Die Aufrechnung der Guthaben aus den Umsatzsteuervoranmeldungen für September bis Dezember 2001 mit der durch Bescheid vom 6. November 2001 nachträglich festgestellten Umsatzsteuerforderung für August 2001 sei nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig, weil der Änderungsbescheid eine anfechtbare Rechtshandlung darstelle. Denn er sei eine vom Willen getragene Betätigung der Behörde, die in irgendeiner Weise Rechtswirkungen auslösen könne. Erst durch diesen Bescheid habe der Beklagte die Möglichkeit erlangt, mit den Vorsteuererstattungsansprüchen der GmbH aufzurechnen. Der geänderte Bescheid habe auf den vom Beklagten angestellten Mutmaßungen über die Nichteinbringlichkeit der den Vorsteuerabzug begründenden Forderungen beruht. Die GmbH sei nicht verpflichtet gewesen, aufgrund des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorsorglich die Umsatzsteuervoranmeldung für August 2001 zu berichtigen, denn die Bemessungsgrundlage habe sich nicht geändert. Jedenfalls wirke eine Verschlechterung der Zahlungsfähigkeit der GmbH nicht auf Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung zurück.

Der Kläger beantragt,

den Abrechnungsbescheid vom 19. April 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. November 2005 dahingehend zu ändern, dass der negative Überschuss aus den Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate September bis Dezember 2001 als Guthaben des Klägers festgestellt wird, ohne das Guthaben mit Umsatzsteuerforderungen aus der geänderten Umsatzsteuerfestsetzung für August 2001 vom 6. November 2001 zu verrechnen, bzw. den Abrechnungsbescheid vom 19. April 2005 aufzuheben,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.

Entscheidungsgründe

Der nach § 218 Abs. 2 AO ergangene Abrechnungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Der Beklagte geht zutreffend davon aus, dass die sich aus den Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate September bis Dezember 2001 ergebenden Vorsteuerüberschüsse durch die Aufrechnung mit seiner Umsatzsteuerforderung aus der Umsatzsteuervorauszahlungsfestsetzung für August 2001 vom 6. November 2001 erloschen sind.

Nach § 226 Abs. 1 AO gelten für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche die Vorschriften des BGB sinngemäß, soweit nichts anderes bestimmt ist. Soweit ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, sind zudem §§ 94 - 96 InsO zu beachten.

Gemäß § 226 Abs. 1 AO i. V. m. § 387 BGB kann eine Partei aufrechnen, sofern sich zwei gleichartige Leistungen - wie vorliegend die auf Zahlung bzw. Erstattung gerichteten umsatzsteuerlichen Ansprüche - gegenüberstehen. Unerheblich für die Gegenseitigkeit ist, dass die Umsatzsteuerschuld gem. Art. 106 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz - GG - teilweise dem Bund zusteht - und nicht der aufrechnenden Körperschaft -, da gemäß § 226 Abs. 4 AO für die Aufrechnung als Gläubiger oder Schuldner auch die Körperschaft gilt, die die Steuer verwaltet.

Ferner muss der eine Teil die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken können. Eine Aufrechnung setzt daher voraus, dass die Forderung des Aufrechnenden, mit der aufgerechnet werden soll (so genannte Gegenforderung - vorliegend der Umsatzsteueranspruch für August 2001) entstanden und auch fällig ist.

Weiterhin muss die Forderung des Aufrechnungsgegners, gegen die aufgerechnet werden soll (so genannte Hauptforderung - vorliegend die Vorsteuerüberschüsse für September bis Dezember 2001) bereits entstanden und erfüllbar sein. Erfüllbar ist ein Steueranspruch mit seiner Entstehung. Auf die Fälligkeit oder auf die Festsetzung dieses Anspruchs durch einen Steuerbescheid kommt es bei der Erfüllbarkeit nicht an (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6. Februar 1990, VII R 86/88, Bundessteuerblatt - BStBl. - II 1990, 523, 526 und vom 13. Januar 2000, VII R 91/98, BStBl. II 2000, 246; Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, § 226 AO Tz. 32).

Bei Abgabe der Aufrechnungserklärungen (§ 388 Satz 1 BGB), die keine Verwaltungsakte, sondern rechtsgeschäftliche Ausübungen eines Gestaltungsrechts darstellten (vgl. Urteil des BFH vom 18. Juli 1989, VII R 46/86, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 1991, 69), war die Aufrechnungslage gegeben.

Die Aufrechnungserklärungen erfolgen durch die Umbuchungsmitteilungen vom Dezember 2001 (betreffend die angemeldeten Vorsteuern für September bis November 2001) und (betreffend Dezember 2001) durch Umbuchungsmitteilung vom Februar 2002 (vgl. zur Aufrechnung durch Umbuchungsmitteilung: Urteil des BFH vom 26. Juli 2005, VII R 72/04, BStBl. II 2006, 350; Rüsken in Klein, Kommentar zur AO, 10. Auflage, 2009, Rdnr. 62b).

Die mit dem nicht angefochtenen Bescheid vom 6. November 2001 festgesetzte Hauptforderung (Umsatzsteuer August 2001) war gemäß § 220 Abs. 2 Satz 1 AO am 16. November 2001 fällig (§ 220 Abs. 2 Satz 1 AO - Leistungsgebot).

Die Gegenforderungen (Vorsteuerüberschüsse aufgrund der eingereichten und vom Beklagten nicht beanstandeten Voranmeldungen für September bis Dezember 2001) waren mit Ablauf des jeweiligen Voranmeldungszeitraumes entstanden (§ 38 AO i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a UStG - für Dezember 2001 mit Ablauf des 31. Dezember 2001) und damit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens (am 1. Januar 2002 um 8.00 Uhr) erfüllbar. Für die Erfüllbarkeit kommt es auf den Zeitpunkt der Festsetzung oder Fälligkeit nicht an (vgl. Urteil des BFH vom 3. Mai 1991, V R 105/86, BFH/NV 1992, 77; Loose in Tipke/Kruse, § 226 AO Tz. 32). Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 a UStG entsteht die Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen bei der Berechnung nach vereinbarten Entgelten (§ 16 Abs. 1 Satz 1 UStG) - wie vorliegend - mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind. Entscheidendes Merkmal der Sollbesteuerung ist die Leistungsausführung. Entsprechend kann der Unternehmer grundsätzlich gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind (Vorsteuer) abziehen. Nach den §§ 16 Abs. 2 Satz 1, 18 Abs. 1 UStG sind die nach § 15 UStG abziehbaren Vorsteuerbeträge von den nach § 16 Abs. 1 UStG berechneten Steuern abzusetzen. Da Vorsteuerbeträge lediglich unselbstständige Besteuerungsgrundlagen darstellen, die bei der Berechnung der Umsatzsteuer mitberücksichtigt werden und in die Festsetzung der Umsatzsteuer eingehen (vgl. Urteil des BFH vom 16. Januar 2007, VII R 7/06, BStBl. II 2007,745), ist der Beklagte den im Dezember 2001 begründeten Vorsteuerüberschuss nicht erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens schuldig geworden.

Gemäß § 94 InsO wird das Recht zur Aufrechnung grundsätzlich durch die InsO nicht berührt, sofern ein Insolvenzgläubiger zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kraft Gesetzes oder aufgrund einer Vereinbarung zur Aufrechnung berechtigt war.

Die Aufrechnung ist im Streitfall nicht durch § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung scheidet die Aufrechnung aus, wenn bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine der oder beide Forderungen noch nicht fällig waren und nach Verfahrenseröffnung zuerst die Forderung des Insolvenzschuldners fällig wird. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, da sowohl die Forderung des Beklagten als auch die Erstattungsansprüche der GmbH vor der Insolvenzeröffnung fällig wurden (vgl. Urteile des BFH vom 29. Januar 2009, V R 64/07, BStBl. II 2009, 682 und vom 12. August 2009, XI R 4/08, BFH/NV 2010, 393, Stadie, Kommentar zur Umsatzsteuer § 18 Rdnr. 828; Rüsken in Klein, Kommentar zur AO, 10. Aufl. 2009, § 226 Rdnr. 55 c).

Die Aufrechnung ist vorliegend auch nicht gemäß dem gegenüber § 95 Abs. 1 InsO nachrangigen § 96 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 130 InsO unzulässig (vgl. hierzu Urteil des BFH vom 16. November 2004, VII R 75/03, BStBl. II 2006, 193), da der Beklagte als Insolvenzgläubiger nicht erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist.

Die Aufrechnung ist auch nicht nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 130 InsO unzulässig.

Gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Nach § 130 Abs. 1 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, wenn sie in den letzten drei Monaten vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, sofern zur Zeit der Handlung der Schuldner zahlungsunfähig war und wenn der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte (Nr. 1) oder wenn sie nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist und wenn der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte (Nr. 2).

Der Begriff der Rechtshandlung ist weit auszulegen. Rechtshandlung ist hiernach jedes von einem Willen getragene Handeln, das in irgendeiner Weise Rechtswirkungen auslösen und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann (vgl. Urteil des BFH vom 16. November 2004, VII R 75/03, BStBl. II 2006, 193 und Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 22.10.2009, IX ZR 147/06, Wertpapiermitteilungen 2009, 2394).

Zu den Rechtshandlungen zählen daher nicht nur Willenserklärungen als Bestandteil von Rechtsgeschäften aller Art und rechtsgeschäftsähnliche Handlungen, sondern auch Realakte, denen das Gesetz Rechtswirkungen beimisst, wie das Einbringen einer Sache, das zu einem Vermieterpfandrecht führt. Als Rechtshandlung kommt danach jede Handlung in Betracht, die zum (anfechtbaren) Erwerb einer Gläubiger- oder Schuldnerstellung führt (vgl. BGH a.a.O. sowie Urteil des BFH vom 16. November 2004, VII R 75/03, BStBl. II 2006, 193 betreffend Zustimmung nach § 168 Satz 2 AO).

Der Beklagte hat die Aufrechnung auf seinen Bescheid vom 6. November 2001 gestützt, mit dem er die für August 2001 vorangemeldete Vorsteuer nicht anerkannte und stattdessen im Hinblick auf § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG auch den Vorsteuerabzug der Vormonate berichtigte. Wegen der dadurch ermittelten negativen Vorsteuer von 150.000,- DM ergab sich die Gegenforderung von 207.293,- DM (105.987,- €). Die erklärten Vorsteuern der Folgemonate prüfte der Beklagte nicht, sondern stimmte den Voranmeldungen gemäß § 168 Satz 2 AO zu.

Die Uneinbringlichkeit eines vereinbarten Entgelts und die darauf zurückzuführende Korrektur der umsatzsteuerlichen Bemessungsgrundlage nach § 17 UStG beruhen nicht auf bewussten Willensbetätigungen des Gemeinschuldners, des Insolvenzverwalters oder eines Insolvenzgläubigers. Die Möglichkeit der Aufrechnung wird daher nicht durch eine anfechtbare Rechtshandlung i.S.d. § 129 InsO erlangt (vgl. Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 4. Dezember 2007, 5 K 1103/04, bestätigt durch BFH-Beschluss vom 16. Oktober 2008, VII B 17/08, BFH/NV 2009, 123).

Vorliegend beruht der Anspruch des Beklagten (Bescheid vom 6. November 2001) und damit die Aufrechenbarkeit seines Anspruchs auf der Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 17 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG, wobei die einzelnen zu korrigierenden Vorsteuerbeträge unselbständige Besteuerungsgrundlagen darstellen, die bei der Berechnung der Umsatzsteuer mitberücksichtigt werden.

Gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 2 UStG hat der Unternehmer, an den ein Umsatz ausgeführt worden ist, den dafür in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug entsprechend zu berichtigen, sofern sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz geändert hat. Nach Abs. 2 Nr. 1 UStG gilt dies sinngemäß, wenn das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Lieferung, sonstige Leistung oder einen innergemeinschaftlichen Erwerb uneinbringlich geworden ist.

Für den Anspruch auf Korrektur der Vorsteuer gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 UStG ist maßgeblich, wann das vereinbarte Entgelt uneinbringlich geworden ist. Der Vorrang insolvenzrechtlicher Bewertung vor der steuerverfahrensrechtlichen Beurteilung besteht hier nicht (vgl. Rüsken, Aufrechnung von Steuern im Insolvenzverfahren in der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, ZIP 2007,2053, 2056). Das Prinzip der Umsatzsteuerneutralität, gebietet, dass nach Abtretung und Auszahlung einer Umsatzsteuervergütung und nachfolgender Insolvenz des Vorsteuerabzugsberechtigten die berichtigte Vorsteuer dem Fiskus unabhängig davon zurückerstattet wird, in welchem Voranmeldungszeitraum die Berichtigung vorgenommen ist, soweit der abgetretene Vergütungsanspruch im zeitlichen Zusammenhang mit dem zu berichtigenden Voranmeldungszeitraum steht (vgl. Urteile des BFH vom 27. Oktober 2009, VII R 4/08, DStR 2010, 161 und vom 19. August 2008, VII R 36/07, BStBl II 2009, 90). Denn es gilt, so umfassend wie möglich zu verhindern, dass zwar der leistende Unternehmer die bereits an das FA abgeführte Umsatzsteuer im Wege der Berichtigung, nicht aber das Finanzamt die seinerzeit berücksichtigte Vorsteuer - mangels Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen - zurückbekommt.

Gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. Abs. 1 Nr. 2 UStG muss der Schuldner seinen Vorsteuerabzug bereits dann berichtigen, wenn sich aus den Gesamtumständen, insbesondere aus einem längeren Zeitablauf nach Eingehung der Verbindlichkeit ergibt, dass er seiner Zahlungsverpflichtung gegenüber seinem Gläubiger nicht mehr nachkommen wird. Die Berichtigung ist gemäß § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist. Gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG gilt Abs. 1 u. a. dann sinngemäß, wenn das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Lieferung oder sonstige Leistung uneinbringlich geworden ist.

"Uneinbringlich" ist eine Forderung nicht schon dann, wenn der Leistungsempfänger die Zahlung nach Fälligkeit verzögert, sondern erst, wenn der Anspruch auf Entrichtung des Entgelts nicht erfüllt wird und bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltsforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit nicht durchsetzen kann (BFH-Urteil vom 20. Juli 2006, V R 13/04, BStBl. II 2007, 22 m. w. N.). Hauptfälle mangelnder Durchsetzbarkeit aus tatsächlichen Gründen sind die Zahlungsunfähigkeit und der mangelnde Zahlungswille des Schuldners (vgl. BFH-Urteil vom 16. Juli 1987, V R 80/82, BStBl. II 1987, 691). Spätestens wenn über das Vermögen eines Unternehmers das Insolvenzverfahren eröffnet wird, werden die gegen ihn gerichteten Forderungen in diesem Zeitpunkt unbeschadet einer möglichen Insolvenzquote in voller Höhe uneinbringlich. Die Uneinbringlichkeit kann jedoch schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nämlich mit dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit beziehungsweise der Zahlungseinstellung vorliegen (vgl. Übersicht im Urteil des BGH vom 19. Juli 2007, IX ZR 81/06, in Juris; BFH-Urteil vom 8. Oktober 1997, XI R 25/97, BStBl. II 1998, 69).

Vorliegend sind unstreitig erhebliche Verbindlichkeiten der GmbH vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. Januar 2002 uneinbringlich geworden, da der Kläger die vorangemeldeten Vorsteuern im Rahmen seiner Jahreserklärung um 228.950,44 DM minderte und dadurch - wie bereits ausgeführt - zu einer Abschlusszahlung gelangte. In seinem Gutachten zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH vom 27. Dezember 2001 geht auch der Gutachter unter B III Nr. 3.2.2. davon aus, dass auch bei Bestehen der buchmäßig vorhandenen Forderungen gegenüber dem Beklagten in Höhe von 98.186,- € diese mit Verbindlichkeiten des Beklagten verrechnet werden und hat deshalb die Forderungen der GmbH gegenüber dem Beklagten mit 0 € angesetzt. Ferner stellt er unter B V fest, dass die GmbH zahlungsunfähig und überschuldet war, da sie nicht in der Lage war, die fälligen Zahlungsverpflichtungen in Höhe von mindestens 3.168.697,- € aus den ihr zur Verfügung stehenden Zahlungsmitteln (Aktivvermögen ca. 2,8 Mio. €) zu erfüllen.

Die dem bestandskräftigen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für August 2001 vom 6. November 2001 zugrundeliegende Schätzung der Vorsteuerkorrektur war mithin auch nicht willkürlich.

Insofern kann dahinstehen, ob der Beklagte der Höhe nach zutreffend die Umsatzsteuer für August 2001 korrigiert hat, weil bereits im August Vorsteuerkorrekturen in dem vom Beklagten vorgenommenen Umfang vorzunehmen waren und ob der Insolvenzverwalter zutreffende Umsatzsteuervoranmeldungen für den Zeitraum September bis Dezember 2001 mit Vorsteuerüberschüssen abgegeben hat, gegen die der Beklagte aufrechnen konnte.

Wenn die für die GmbH Verantwortlichen die Schätzung der Vorsteuerkorrektur für fehlerhaft gehalten hätten, wäre die Einlegung eines Einspruchs naheliegend gewesen. Im Übrigen hätte sich trotz Aufrechnung mit Ablauf des Jahres 2001 wieder ein Erstattungsanspruch der GmbH ergeben, wenn die Vorsteuern nach der Einschätzung des Klägers in seiner Jahreserklärung nur in einem geringen Umfang hätten gemindert werden müssen.

Der Beklagte hat somit durch seine nicht anfechtbare Aufrechnungserklärung die (mögliche) Forderung der GmbH aus den Umsatzsteuer-Voranmeldungen für September bis Dezember 2001 zum Erlöschen gebracht.

Die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, der verhindern will, dass Insolvenzgläubiger die Aufrechnungslage in anfechtbarer Weise erlangen (vgl. Hofmann in Graf-Schlicker Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2010, § 96 Rdnr.15; Brandes in Münchner Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2007, § 96 Rdnr. 28) sind nach Überzeugung des Senats somit nicht erfüllt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Der Senat hat die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.