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(Gesetzliche Unfallversicherung - Wegeunfall - HWS-Distorsion - Schwindel - morphologisches Verletzungskorrelat - Fraktur - muskuläre Dysbalance - Verkehrsunfall)


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 2. Senat Entscheidungsdatum 29.04.2010
Aktenzeichen L 2 U 314/07 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 8 Abs 2 Nr 1 SGB 7

Leitsatz

1) Die Feststellung von Unfallfolgen hat unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu erfolgen (Anschluss an BSG, Urteil vom 27. Juni 2006, B 2 U 20/04 R). Damit ist die herrschende Meinung in der medizinischen Wissenschaft i. S. eines tragfähigen (Teil-) Konsenses gemeint.

2) Das Unfallereignis muss danach nach herrschender wissenschaftlicher Auffassung generell geeignet gewesen sein, die geltend gemachte Unfallfolge zu verursachen.

3) Auf einzelne abweichende Meinungen eines oder mehrerer Sachverständigen, die die herrschende Meinung der Schulmedizin für unrichtig halten, kann ein Urteil schon aus Gründen der Gleichbehandlung aller Versicherten nicht gestützt werden.

4) Fehlen knöcherne oder ligamentäre Verletzungsfolgen im Zusammenhang mit einer HWS-Distorsion, ist eine Anerkennung von Unfallfolgen über eine Behandlungsbedürftigkeit von wenigen Monaten hinaus nicht möglich.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 02. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 07. November 2002 hinaus.

Am 29. August 2002 erlitt die als Arzthelferin/Gesundheitsberaterin seit August 2002 bei einem Mitgliedsunternehmen der Beklagten Beschäftigte, 1974 geborene Klägerin auf dem Weg zur Arbeit einen Unfall. Wegen eines Rehs kam sie mit einer Geschwindigkeit von etwa 50 km/h von der Straße ab und fuhr mit der linken Pkw-Seite gegen einen Baum.

Sie wurde ins Universitätsklinikum B eingeliefert und bis 30. August 2002 stationär beobachtet und kontrolliert. Im Durchgangsarztbericht des Prof. Dr. E vom 29. August 2002 wurden eine BWS/HWS-Distorsion, eine Prellung der linken Clavicula nach Gurtverletzung und eine Schädelprellung festgestellt. Die Röntgenuntersuchung (HWS in zwei Ebenen) ergab keinen Anhalt für knöcherne Verletzungen. Auch eine CT-Untersuchung am Unfalltag ergab keinen Anhalt für intracranielle Blutungen oder Raumforderungen oder eine Fraktur. Unfallunabhängig ergaben sich ein bekanntes intracranielles Hämangiom mit Verdacht auf Hirnbasisaneurysma und ein Zustand nach Polytrauma 1993. Ein neurologisches Konsil ergab keine weiterführenden Befunde (Epikrise vom 02. September 2002 durch Prof. Dr. B).

In der Folge begab sich die Klägerin in die Behandlung des Facharztes für Orthopädie Dr. D. Dieser veranlasst ein MRT der HWS vom 03. September 2002. Dieses ergab eine deutlich gestreckte Fehlhaltung, wie bei Myogelosen (Gefügelockerung im Rahmen des Schleudertraumas) sowie keine indirekten Frakturzeichen (kein fassbares Marködem). Die Densspitze war geringfügig nach dorsal gerichtet, ließ aber eine Frakturlinie nicht erkennen. Auch indirekte Frakturzeichen waren hier nicht nachweisbar. Es bestanden kein Prolaps und kein Nachweis einer Myelo- oder Wurzelaffektion. Eine intraspinale Einblutung fand sich ebenfalls nicht. Dr. D diagnostizierte ein Schleudertrauma der HWS (H-Arztbericht vom 06. September 2002).

Am 06. September 2002 wurde zusätzlich ein MRT der Nasennebenhöhlen wegen anhaltender Gesichtsbeschwerden durchgeführt, das keinen regelwidrigen Befund ergab.

Unter dem 23. Oktober 2002 berichtete Dr. D, dass die Beschwerden weiterhin vorhanden und ein Arbeitsversuch fehlgeschlagen seien. Nunmehr zusätzlich geklagte LWS-Beschwerden könnten nicht dem Unfall zugeordnet werden. Im Bericht vom 07. November 2002 führte er aus, die durchgeführten paravertebralen Injektionen brächten keinen weiteren Erfolg mehr. Die Behandlung werde abgeschlossen. Es erfolge eine Überweisung zum Neurologen, da das Beschwerdebild auch vor dem Hintergrund des Vorschadens von 1993 (Querfortsatzfrakturen am ersten und zweiten Brustwirbelkörper, Querfortsatzfraktur von HWK 7) nicht mehr dem Unfall zugeordnet werden könne.

Da die Klägerin sich mit dem Abbruch der berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung nicht einverstanden erklärte, erließ die Beklagte den Bescheid vom 25. November 2002, mit dem sie feststellte, dass die Behandlung der HWS-Distorsion und der BWS-Distorsion zu ihren Lasten mit dem 07. November 2002 beendet sei.

Hiergegen wandte sich die Klägerin mit dem Widerspruch vom 02. Dezember 2002. Den Arbeitsversuch vom 14./15. Oktober 2002 habe sie wegen starker Kopfschmerzen, HWS- und Rückenschmerzen, Gesichtsschmerzen und extremem Schwindel abbrechen müssen. Nach erfolglosen Behandlungsversuchen habe sie sich zu Dr. B in R zur Behandlung begeben, der sie nicht gefragt habe, woher die massiven Beschwerden kämen. Er habe sie auch nicht wie andere Behandler binnen zwei Minuten abgewimmelt. Angesichts der erlittenen Verletzungen sei er der Ansicht, die von der Beklagten angenommene Ausheilung binnen acht Wochen sei unrealistisch. Da sie und ihr Lebenspartner die anfallenden Kosten für die Fahrtwege nach R und die Verordnungskosten nicht tragen könnten, bitte sie um Übernahme.

Die Beklagte holte einen Befundbericht des Dr. B vom 18. Dezember 2002 und ein Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse der Klägerin vom 28. Januar 2003 ein und veranlasste ein fachchirurgisches Zusammenhangsgutachten des Dr. H vom 12. Februar 2003. Dieser führte aus, das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse zeige die letzte psychovegetative Störung im Zeitraum vom 10. bis 16. Juli 2002 (Arbeitsunfähigkeit), also in zeitlicher Nähe zum Unfall. Es habe eine akute Belastungsreaktion bestanden. Unfallfolgen seien nicht mehr vorhanden. Die noch bestehenden Beschwerden seien durch die vorbestehenden Leiden ausreichend erklärt (muskuläre Dysbalance bei vorgeschädigter BWS durch früher durchgemachte Verletzung mit zusätzlich haltungsbedingter Kyphose der oberen BWS). Das Unfallereignis habe zu einer befristeten Verschlimmerung eines Vorschadens geführt. Die befristete Verschlimmerung habe in einer HWS- und BWS-Distorsion bestanden. Das Zusammentreffen einer frischen Unfallverletzung der HWS, hier einer HWS-Distorsion, mit einer Schadensanlage führe grundsätzlich zu einer verlängerten Behandlungsbedürftigkeit und Ausheilungszeit. Die Beendigung des Heilverfahrens am 07. November 2002 sei gerechtfertigt gewesen, wenn man davon ausginge, dass die damals verordneten restlichen Physiotherapietermine noch bis zum 15. November 2002 andauerten. Auch die jetzt imponierende Unfallbewältigungsstörung mit Belastungssyndrom sei bei der Versicherten kein Neuereignis. Sie habe sich bereits vor dem Unfall wegen eines psychovegetativen Belastungssyndroms in Behandlung befunden. Die nun geäußerte Beschwerdesymptomatik sei so umfangreich und weitab von den Unfallfolgen, dass hier das Gesamtbild einer groben vegetativen Störung vorzuliegen scheine.

Dem Widerspruch blieb mit zurückweisendem Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 2003 der Erfolg versagt. Bei dem Unfall sei es zu Zerrungen der HWS und BWS sowie zu Prellungen des Schädels und des linken Schlüsselbeins gekommen. Behandlungsbedürftigkeit habe bis zum 07. November 2002, Arbeitsunfähigkeit bis zum 15. November 2002 bestanden.

Auf die hiergegen zum Sozialgericht Potsdam erhobene Klage hat das Gericht ein chirurgisches Gutachten des Dr. B vom 10. September 2004 eingeholt. Dieser führte aus, dass nach der durchgeführten Untersuchung bei der Klägerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine direkten oder indirekten Verletzungsfolgen im Bereich des Stütz- und Halteapparates, insbesondere im Bereich der HWS, bestünden, die mit dem Unfallereignis vom 29. August 2002 in Beziehung zu bringen seien. Die Klägerin, die nach eigenen Angaben bereits eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit beziehe, weise einerseits anamnestische Vorschäden im Bereich der HWS und BWS mit Traumafolgen auf, andererseits seien degenerative Veränderungen der Wirbelsäule bereits seit fünf Jahren bekannt. Die sehr zeitnahen Untersuchungen im Rahmen der stationären Behandlung im Klinikum B F belegten, dass eine schwerwiegende Verletzung der HWS mit sekundären Folgezuständen auszuschließen sei. Eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei nicht festzustellen. Hieran hat er in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 29. November 2004 festgehalten.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht ein Gutachten des Facharztes für HNO-Heilkunde, Allergologie/Umweltmedizin Dr. M vom 25. August 2005/04. Oktober 2006 eingeholt. Nach Durchführung von Tests des Gleichgewichtsorgans und einer umfangreichen Darstellung der nicht endenden Auseinandersetzung um die Bewertung des HWS-Weichteiltraumas einschließlich der Veränderungen in der „berühmten“ herrschenden Meinung kam er zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin Funktionsstörungen des Bewegungsapparates vorlägen, die sich mit den von Chirurgen angewandten bildgebenden Verfahren schwerlich nachweisen ließen. Funktionsstörungen des Bewegungsapparates seien im Bereich der Manualmedizin und der Schmerztherapie bestens bekannt, so auch dem Neurootologen. Ihre Pathophysiologie sei in den letzten Jahren weitgehend aufgeklärt worden. Die bei seiner Untersuchung festgestellten neurootologischen Defizite seien sehr gut durch die vormals bei der Erstuntersuchung festgestellten Veränderungen erklärbar. Die geklagten Beschwerden korrelierten mit den von ihm erhobenen Befunden. Die Frage nach Vorerkrankungen sei zwar zu erörtern, fest stehe aber, dass vor dem Unfallereignis kein so genanntes cervico-enzephales Syndrom vorgelegen habe. Die in den chirurgischen Gutachten gemachten Angaben in Korrelation der jetzigen Beschwerden in Bezug auf die Vorerkrankungen seien vage und reichten auf keinen Fall aus, dem Unfall eine Rolle zuzubilligen, die unterhalb der Schwelle im Sinne der so genannten Adäquanztheorie liege. Dass Vorerkrankungen (Unfälle) aufgetreten seien, reiche allein nicht aus, das Unfallereignis derartig zurückzustufen. Vor dem Unfall sei die Klägerin gesund und voll erwerbsfähig gewesen. Der Erstkörperschaden sei gesichert. Langjährige Verläufe seien keine Seltenheit. Es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die heute bestehenden Beschwerden auf das Unfallereignis zurückzuführen seien. Die vorgebrachten Gleichgewichtsstörungen mit Übelkeit, die Sehstörungen, der so genannte Rüttelschmerz und die Einschränkung der Kopfbeweglichkeit seien mit Wahrscheinlichkeit unfallbedingt. Für den objektivierbaren Schwindel ergebe sich eine MdE von 20 v. H.

Mit Urteil vom 02. Oktober 2007 hat das Sozialgericht Potsdam die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Gutachten des Dr. B und des Dr. H seien überzeugend. Die Auffassung des Sachverständigen Dr. M überzeuge demgegenüber nicht. Seine Auffassung sei größtenteils auf Annahmen gestützt. Nach den für die sozialrechtliche Beurteilung maßgeblichen medizinischen Grundlagen sei der Nachweis einer unfallbedingten, konkret fassbaren Körperschädigung bei HWS-Verletzungen zu fordern. Dieser Nachweis sei vorliegend nicht erbracht.

Gegen das ihr am 21. November 2007 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung vom 21. Dezember 2007. Zur Begründung bezieht sie sich im Wesentlichen auf das Gutachten des Dr. M, der beeindruckend und überzeugend herausgearbeitet habe, dass eine unfallchirurgische Betrachtungsweise des Verletzungsmechanismus und der Verletzungsfolgen zu kurz greife. Er habe überzeugend dargelegt, dass langjährige Verläufe nach HWS-Distorsionen keine Seltenheit seien, auch wenn ein morphologisches Verletzungskorrelat nicht gefunden werden könne.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 02. Oktober 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 25. November 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr über den 07. November 2002 hinaus Heilbehandlung und Verletztengeld aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, das Urteil des Sozialgerichts Potsdam sei überzeugend. Dr. B und Dr. H hätten zutreffend herausgearbeitet, dass es an einer morphologisch fassbaren unfallbedingten Strukturschädigung fehle. Dr. M verlasse mit seiner Argumentation die im Unfallversicherungsrecht anzuwendenden Beurteilungskriterien. Er argumentiere, dass die Beschwerden der Klägerin dem HWS-Beschleunigungstrauma zuzuschreiben seien, weil andere Ursachen ausgeschlossen werden könnten und ein langjähriger Erkrankungsverlauf bei dem vorliegenden Beschwerdebild nicht selten zu beobachten sei. Dies sei für die Bejahung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit nicht ausreichend.

Der Senat hat einen Befundbericht der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie W eingeholt, die die Klägerin von 1993 bis 2002 u. a. wegen Schwindels behandelt hat. Der Senat hat weiter zwei Vorerkrankungsverzeichnisse der zuständigen Krankenkassen vom 05. Februar 2004 und 18. Februar 2004 eingeholt, denen u. a. zu entnehmen war, dass vom 19. März 2001 bis 24. August 2001 eine Arbeitsunfähigkeit wegen Schwindels, Taumels und subjektiven Sehstörungen bestanden hatte.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Sachdarstellung und der Rechtsausführungen wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten und auf die Gerichtsakten Bezug genommen. Diese haben im Termin vorgelegten und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet, da die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden zu Recht entschieden hat, dass Unfallfolgen über den 07. bzw. 15. November 2002 hinaus nicht vorgelegen haben. Das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 2. Oktober 2007 ist nicht zu beanstanden.

Anspruchsgrundlage für die Gewährung von Heilbehandlung und Verletztengeld aus der gesetzlichen Unfallversicherung sind die §§ 27, 45 Sozialgesetzbuch/Siebtes Buch (SGB VII).

Für die Gewährung dieser Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist erforderlich, dass sowohl zwischen der unfallbringenden Tätigkeit und dem Unfallereignis als auch zwischen dem Unfallereignis und der Gesundheitsschädigung ein innerer ursächlicher Zusammenhang besteht. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, der Arbeitsunfall und die Gesundheitsschädigung im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung für die Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (ständige Rechtsprechung, vgl. nur Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 02. Mai 2001, Az.: B 2 U 16/00, SozR 3-2200 § 551 Reichsversicherungsordnung - RVO - Nr. 16 m. w. N.). Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn nach vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Faktoren ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass die richterliche Überzeugung hierauf gestützt werden kann (BSG, Urteil vom 06. April 1989, Az.: 2 RU 69/87, zitiert nach juris).

Danach steht für den Senat aufgrund der Gutachten des Dr. B und des Dr. H fest, dass es bei dem Unfall der Klägerin zu einer HWS-Distorsion, einer Schädelprellung und einer Prellung des linken Schlüsselbeines gekommen ist. Aufgrund der zeitnah zum Unfall durchgeführten Röntgen-, CT- und MRT-Untersuchungen ist ausgeschlossen, dass eine knöcherne oder ligamentäre Verletzung der HWS vorgelegen hat. Der neurologischen Epikrise vom 02. September 2002 ist zusätzlich zu entnehmen, dass auch Zielaufnahmen des Dens keinen Nachweis frischer knöcherner Traumafolgen, Luxationen oder Frakturen zeigten. Dies wird auch von Dr. M nicht bestritten. Er hält allerdings die jedenfalls noch herrschende Meinung, dass für dauerhafte Schäden nach einer HWS-Distorsion im Rahmen eines so genannten Beschleunigungstraumas auch ein morphologisches Substrat bestehen muss, für unzutreffend.

Die Feststellung von Unfallfolgen hat unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde nach dem im Entscheidungszeitpunkt aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu erfolgen. Allgemein gilt, dass es nicht Aufgabe der Gerichte ist, durch die Auswahl von Sachverständigen oder die juristische Bewertung von medizinischen Lehrmeinungen für die eine oder andere Position Partei zu ergreifen oder durch Gutachtenaufträge den Fortschritt der medizinischen Erkenntnis voranzutreiben; ausreichend ist, ob ein wissenschaftlicher (Teil-)Konsens festgestellt werden kann, der eine Entscheidung zu tragen geeignet ist, mögen auch einzelne anerkannte Wissenschaftler eine andere Lehrmeinung vertreten (BSG, Urteile vom 27. Juni 2006, Az.: B 2 U 20/04 R, und vom 06. Oktober 1999, Az.: B 1 KR 13/97 R, zitiert nach juris.de). Dies gebietet schon die Berücksichtigung des allgemeinen Gleichstellungsgrundsatzes des Artikels 3 Grundgesetz. Denn der Ausgang eines Rechtsstreites darf nicht davon abhängen, welchen Sachverständigen das Gericht mit der Begutachtung betraut. Denn das Gericht ist mangels eigener Sachkunde regelmäßig nicht in der Lage, eine medizinisch-wissenschaftliche Lehrmeinung zu bewerten. Es hat als Grundlage seiner Entscheidung daher festzustellen, ob die vom Sachverständigen seinem Gutachten zugrunde gelegte wissenschaftliche Auffassung i. S. der herrschenden Meinung tragfähig ist.

Danach gilt, dass der Senat die Unfallfolgen nicht nach den Auffassungen eines einzelnen Sachverständigen zum Kausalverlauf in einem Einzelfall festzustellen, sondern zu prüfen hat, ob dessen Auffassungen einer tragfähigen herrschenden Meinung in der medizinischen Wissenschaft entsprechen. Danach hat die Kausalitätsbeurteilung auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen (BSG, Urteil vom 09. Mai 2006, Az.: B 2 U 1/05 R). Danach kann nicht in Zweifel gezogen werden, dass die Beurteilung medizinischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge auf dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand aufbauen muss.

Diesem Erkenntnisstand entsprechen nur die Gutachten des Dr. B und des Dr. H. Dr. M hat in der umfangreichen Darstellung des Streitstandes in seinem Gutachten selbst eingeräumt, dass die von ihm so genannte „berühmte“ herrschende Meinung seine Auffassung nicht teilt, dass Beschwerden langjährig persistieren können, ohne dass unfallnah ein morphologisches Korrelat für eine Verletzung gefunden worden ist. Der Senat hat hier nicht zu beurteilen, ob die herrschende Meinung zutreffend ist, oder sich in Zukunft erweisen könnte, dass die Auffassung des Dr. M richtig ist. Dies kann schon deshalb nicht Aufgabe des Gerichts sein, weil ihm dazu der medizinische Sachverstand fehlt. Die Infragestellung bisheriger medizinischer Erkenntnisse ist Aufgabe des medizinischen Diskurses in der Wissenschaft. Ein Sozialgerichtsverfahren hat hierzu nichts beizutragen. Steht selbst nach den Ausführungen des Dr. M fest, dass die von ihm dargelegte wissenschaftliche Auffassung nicht der herrschenden Meinung entspricht, so kann sein Gutachten der Bewertung des Kausalzusammenhanges nicht zugrunde gelegt werden. Daran ändert auch sein Hinweis nichts, dass epidemiologisch belegbar ist, dass langwierige und langjährige Verläufe nach HWS-Distorsionen keine Seltenheit sind. Bereits dem Gutachten selbst ist nicht zu entnehmen, worin die Ursachen für diesen epidemiologischen Befund liegen. So kommt es durchaus in Betracht, dass ein langwieriger und langjähriger Verlauf gerade dann zu beobachten ist, wenn erhebliche Vorschäden mit Unfallschäden zusammentreffen. Zu dieser Möglichkeit schweigt das Gutachten. Nicht weiterführend ist auch der Hinweis des Dr. M, dass etwa 30 % der Rückenbeschwerden psychisch überlagert seien. Auch dieser Befund an sich sagt nichts über die Ursachen der psychischen Überlagerung aus, auf die es aber im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ankommt.

Soweit der Gutachter postuliert hat, dass die Klägerin vor dem Unfall gesund und voll arbeitsfähig gewesen sei, so ist dies nachweislich falsch. Bereits dem Vorerkrankungsverzeichnis auf Seite 73 der Verwaltungsakte war zu entnehmen, dass die Klägerin vom 19. März bis 24. August 2001 u. a. wegen Schwindels und Taumels arbeitsunfähig geschrieben worden war. Warum dieser Schwindel, den der Gutachter Dr. M mit einer MdE von 20 v. H. bewertet hat, ab dem Unfalltag unfallbedingt gewesen sein soll, obwohl er bereits vor dem Unfall zu einer fünfmonatigen Zeit der Arbeitsunfähigkeit geführt hat, ist nicht nachvollziehbar. Der Gutachter hat auch darauf verzichtet, diesen Befund überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, er hat vielmehr postuliert, die Klägerin sei vor dem Unfall gesund und voll arbeitsfähig gewesen. Dagegen ist im Berufungsverfahren nachgewiesen, dass sie unter dem von ihm im Gutachten in den Vordergrund gestellten Schwindel bereits vor dem Unfall gelitten hat. Dies ergibt sich auch aus dem vom Senat eingeholten Befundbericht der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie W, die die Klägerin von 1993 bis 2002 behandelt hat.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG lagen nicht vor.