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Sportwetten; Untersagung der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten privater Anbieter; Anordnung der gesetzlich ausgeschlossenen aufschiebenden Wirkung (abgelehnt); Bedenken gegen staatliches Sportwettmonopol; Werbeverhalten der Monopolträger; nicht monopolakzessorischer Erlaubnisvorbehalt; Internetverbot; unzuläs-siger Vertriebskanal; Vermittlung verbotener Internetveranstaltung; Live-Wetten; formelle Illegalität; materielle Illegalität; Folgenabwägung


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 1. Senat Entscheidungsdatum 10.02.2012
Aktenzeichen OVG 1 S 164.11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen Art 12 Abs 1 GG, Art 49 EGVtr, Art 56 AEUV, § 80 Abs 5 S 1 Alt 1 VwGO, § 146 VwGO, § 284 StGB, § 4 Abs 1 GlüStVtr BE, § 4 Abs 4 GlüStVtr BE, § 9 Abs 1 S 3 Nr 3 GlüStVtr BE, § 9 Abs 2 GlüStVtr BE, § 10 Abs 2 GlüStVtr BE, § 10 Abs 5 GlüStVtr BE

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. September 2011 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 8. Juli 2011 anzuordnen, wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 12.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragsgegners hat mit ihrem Vorbringen Erfolg (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Der angefochtene Beschluss ordnet die aufschiebende Wirkung zu Unrecht an. Das Ziel der Antragstellerin kann im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur darin bestehen, die von ihr seinerzeit ohne Erlaubnis betriebene gewerbliche Vermittlung von Sportwetten privater Anbieter bis zur Klärung der Rechtmäßigkeit der auf § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 des Glücksspielstaatsvertrages – GlüStV - (vgl. zur Fortgeltung: Bekanntmachung gemäß Art. I § 2 Abs. 3 Satz 2 des Landesgesetzes über das öffentliche Glücksspiel vom 20. Dezember 2011, GVBl. I 2012, S. 11) gestützten Untersagungsverfügung fortsetzen zu können. Demgegenüber überwiegt das öffentliche Interesse am Vollzug der Maßnahme.

Der Rechtsbehelf in der Hauptsache besitzt bei summarischer Prüfung keine hinreichende Erfolgsaussicht.

Dafür kann dahinstehen, ob sich der Antragsgegner auf das einer Erlaubnisfähigkeit der gewerblichen Vermittlung von Sportwetten des in Malta mit einer Class II Remote Gaming License der Lotteries and Gaming Authority operierenden Internetanbieters T… Co Ltd. entgegenstehende staatliche Veranstaltungsmonopol für Sportwetten nach dem GlüStV berufen kann.

Die Frage der Vereinbarkeit des innerstaatlichen Glücksspielmonopols mit den unionsrechtlichen Grundfreiheiten ist mit den vorliegenden Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. November 2010 und 1. Juni 2011 nicht abschließend geklärt. Eine Verwerfung des staatlichen Monopols auf Sportwetten durch das Bundesverwaltungsgericht ist damit nicht erfolgt; die Revisionsentscheidungen verweisen die Rechtssachen vielmehr an die jeweiligen Berufungsgerichte zur weiteren Sachaufklärung zurück. Das Bundesverwaltungsgericht hat lediglich die Maßstäbe des revisiblen Rechts verdeutlicht, an denen sich das staatliche Veranstaltungsmonopol rechtlich und auch hinsichtlich seiner tatsächlichen Ausgestaltung messen lassen muss. Zwar spricht nach inzwischen vorliegenden oberverwaltungsgerichtlichen Entscheidungen (zuletzt BayVGH, Urteile vom 13. Januar 2012 – 10 BV 10.2271 u. 10 BV 10.2505 – juris Nachrichten vom 13.01.2012; OVG NW, Urteile vom 8. Dezember 2011 – 4 A 250/08 – juris Rn. 35 ff., vom 29. September 2011 – 4 A 17/08 – GewArch 2012, 25, juris Rn. 37 ff.) einiges dafür, dass das Veranstaltungsmonopol in seiner tatsächlichen Ausgestaltung eine unverhältnismäßige Beschränkung der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) darstellt und auf europäischer Ebene mit der Dienstleistungsfreiheit nicht vereinbar ist, weil sowohl das Werbeverhalten der staatlichen Veranstalter einer konsequenten Verfolgung der Ziele der Eindämmung des Glücksspiele und der Bekämpfung und Vermeidung der Entstehung von Spiel- und Wettsucht nicht ausreichend Rechnung trägt und in anderen nicht monopolisierten Bereichen des Glücksspielsektors, insbesondere in dem Bereich des gegenüber dem monopolisierten staatlichen Glücksspiel möglicherweise suchtintensiveren Bereich des gewerblichen Automatenspielangebots eine Ausweitung des Spielangebots ermöglicht wird, so dass von einer kohärenten Verfolgung der vorgegebenen Ziele nicht gesprochen werden kann. Der Senat hat dementsprechend insbesondere zum Werbeverhalten des Berliner Veranstalters im staatlich monopolisierten Bereich, der Deutschen Klassenlotterie Berlin, aber auch bundesweit zum Werbeverhalten der staatlichen Veranstalter und ihrer Kontrolle durch die Glücksspielaufsichtsbehörden intensive Sachaufklärung betrieben; die abschließende Bewertung in einem Berufungsverfahren ist aber noch nicht erfolgt. Die vom Verwaltungsgericht angeführten Beispiele für vermeintlich unzulässiges Werbeverhalten weisen aber wohl auf einen Maßstab hin, der über die vom Bundesverwaltungsgericht in den angesprochenen Urteilen vorgenommenen Klarstellungen zur Zulässigkeit des Werbeverhaltens für das Monopolangebot hinausgeht. Der zitierten Presseerklärung des Deutschen Lotto- und Totoblocks vom 7. Januar 2011 vermag der Senat auch weiterhin keinen werbenden Charakter und keine unzulässigen Inhalte, insbesondere aus der Sicht eines durchschnittlichen Empfängers keinen Anreiz zur Teilnahme an den im Rahmen des Deutschen Lotto- und Totoblocks angebotenen Glücksspielen zu entnehmen. Sog. Sponsoring- oder Imagewerbung hat die Berliner Aufsichtsbehörde ebenso wie – mittlerweile – die Ausspielung der sog. Berlin-Prämie untersagt (Bescheide der Senatsverwaltung für Inneres vom 11. November 2010 bzw. 4. Mai 2011). Dass der Senat die Werbung für die Ausspielung sog. Jackpots im Rahmen des Zahlenlottos 6 aus 49 im Hörfunk – wie alle Werbeformen für bestimmte Glücksspiele, die in der Öffentlichkeit für jedermann wahrnehmbar sind, ebenso wie solche, die, etwa auch in den Annahmestellen, über die bloße Kundeninformation hinausgehen – ebenfalls kritisch bewertet, hat er bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht; dies braucht indes für die Entscheidung über die vorliegende Beschwerde nicht vertieft zu werden.

Unabhängig von dem Bestand des staatlichen Veranstaltungsmonopols wird nämlich dem Erfolg des in der Hauptsache erhobenen Rechtsbehelfs entgegenstehen, dass die Vermittlungstätigkeit der Antragstellerin ein über das Internet vertriebenes Wettangebot zum Gegenstand hat und Glücksspiele in Deutschland allgemein, d.h. gleichviel von wem und von welchem Ort auch immer, nicht im Internet veranstaltet oder vermittelt werden dürfen (§ 4 Abs. 4 GlüStV, vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 – 8 C 5.10 - juris Rn. 11 ff.). Für dieses materielle Verbot eines bestimmten Vertriebsweges, das anders als möglicherweise das staatliche Veranstaltungsmonopol voraussichtlich mit Unionsrecht vereinbar sein dürfte (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 a.a.O., Rn.30 ff.), gelten auch der Erlaubnisvorbehalt und die Strafbewehrung in § 284 StGB, sie sind insoweit nicht „monopolakzessorisch“ (vgl. für das Trennungsgebot zwischen der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten und der Organisation von Sportereignissen und dem Betrieb von Sportstätten in § 21 Abs. 2 Satz 1 GlüStV: BVerwG, Urteil vom 24. November 2010 – 8 C 13.09 – juris Rn. 77 ff.). Die Nutzung eines unerlaubten und verbotenen Vertriebsweges durch den Wettveranstalter steht auch der gewerblichen Vermittlung in einem Wettbüro entgegen; ein solcher Kanal des Vertriebs von Sportwetten ist als Folge des allgemeinen Veranstaltungsverbots im Internet nicht eröffnet, weil er ohne den Verstoß des Wettveranstalters gegen das Internetvertriebsverbot nicht praktiziert werden kann. In Anbetracht dessen steht einer vollumfänglichen Untersagung bis zur Erteilung einer Erlaubnis nicht entgegen, dass die Vermittlungstätigkeit auch noch voraussichtlich gegen ein weiteres materielles Verbot verstößt, soweit nämlich davon auch Live-Wetten im Sinne des § 21 Abs. 2 Satz 3 GlüStV umfasst sind. Es fällt grundsätzlich in die Risikosphäre desjenigen, der eine erlaubnispflichtige Tätigkeit aufnimmt, ohne die erforderliche Erlaubnis beantragt und erhalten, ggf. gerichtlich erstritten, zu haben, dass die Tätigkeit als solche erlaubnisfähig – materiell legal – ist. Ist dies in Teilbereichen (hier: Vermittlung von Live-Wetten) bereits eindeutig nicht der Fall und im Übrigen auch nicht frei von Zweifeln oder – wie hier – sogar ernstlich zweifelhaft, rechtfertigt dies, die Antragstellerin an der formellen Illegalität ihres Tuns festzuhalten und ihr die Fortsetzung der Tätigkeit insgesamt zu untersagen. Dies gilt jedenfalls, wenn der Bundesgesetzgeber die unkontrolliert aufgenommene Betätigung für so sozialschädlich hält, dass er sie unter Strafe gestellt hat, mithin durch die Tatbestandsverwirklichung eine Störung der öffentlichen Sicherheit eintritt. Solche Störungen sind in der Regel zum Schutz der betroffenen Rechtsgüter abzustellen, was auch den – hier bereits in § 9 Abs. 2 GlüStV gesetzlich angeordneten - Ausschluss der aufschiebenden Wirkung hierzu erlassener Verfügungen rechtfertigt. Der Betroffene kann bei solcher Ausgangslage auf die Durchführung eines Erlaubnisverfahrens verwiesen werden. Erst in diesem Verfahren könnte gegebenenfalls – wenn nur der Verstoß gegen das Verbot von Live-Wetten zu vermeiden oder die Einhaltung anderer materieller Anforderungen sicherzustellen wäre – eine vollumfängliche Ablehnung unverhältnismäßig sein.

Der Ansicht des Verwaltungsgerichts zu der Bewertung des Senats zu den Auswirkungen des Internetverbots auf das auch von der Antragstellerin betriebene Geschäftsmodell kann (weiterhin) nicht gefolgt werden. Hierbei liegt nämlich kein bloßes Übermitteln auf dem Wege des Internets vor, sondern es wird ein vom Veranstalter (Wettanbieter) in das Internet eingestelltes Wettangebot in einem Wettbüro vermittelt, auf das die Antragstellerin hinsichtlich der Sportereignisse und der Quoten keinerlei Einfluss hat. Die von der Antragstellerin verteidigte Sichtweise des Verwaltungsgerichts verkürzt die Betrachtung auf den Vorgang, durch den die vom Kunden abgegebenen Tipps dem Anbieter übermittelt werden. Das blendet aus, dass der Kunde damit Sportwetten abschließt, die es ohne die Nutzung des Internets als Vertriebskanal des Wettanbieters so nicht geben würde. Dem praktizierten Geschäftsmodell der Antragstellerin würde ohne die online angebotenen Sportwetten das Substrat entzogen sein. Lediglich die Abgabe des Tipps erfolgt nicht automatisiert, sondern über die Antragstellerin als Medium anstelle des heimischen Computers (vgl. bereits ausführlich Senatsbeschluss vom 19. November 2010 – OVG 1 S 204.10 – juris Rn. 13). Dass die Antragstellerin nach dem einschlägigen Landesrecht in diesem Modell möglicherweise nur als Vermittlerin, nach den einschlägigen Strafnormen aber in dieser Funktion bereits als Veranstalterin anzusehen sein dürfte, ist für die materiell-rechtliche Beurteilung des von der Antragstellerin betriebenen Geschäftsmodells ebenso wenig ausschlaggebend wie der Umstand, dass der Glücksspielort nach § 3 Abs. 4 GlüStV im Wettbüro der Antragstellerin liegt, weil dem Spieler die Möglichkeit zur Teilnahme dort eröffnet wird. Auch ist für die Vereinbarkeit der vom Senat zugrunde gelegten rechtlichen Beurteilung mit höherrangigem Recht und Unionsrecht nicht von durchschlagender Bedeutung, dass bei der hier vorliegenden Wettvermittlung zentrale Gesichtspunkte für die Begründung des allgemeinen Ausschlusses des Internets als Vertriebskanal - nämlich der bequeme, ständige und ubiquitäre Zugang zu entsprechenden Angeboten ohne soziale Kontrolle - nicht eingreifen. Denn zum einen tragen sie jedenfalls das den Wettveranstalter treffende allgemeine Verbot jeglicher Online-Wettabschlussmöglichkeiten und zum anderen erschöpft sich das Internetverbot nicht in den suchtbezogenen Gefahrenaspekten des Online-Spiels (vgl. auch dazu bereits ausführlich Senatsbeschluss vom 19. November 2010, a.a.O. Rn. 12). Das Verbot dient auch dem Schutz der Verbraucher vor im Internetvertrieb einfacher möglichen und ungleich schwerer verfolgbaren betrügerischen Machenschaften der Wettanbieter, die – wie etwa im Bereich des Fußballsports b… bei Real Madrid, der portugiesischen Liga und der italienischen Liga - Serie B - oder T… in der hiesigen Ersten Fußballbundesliga bei der TSG Hoffenheim und dem SC Freiburg - nicht selten als Sponsoren des Profisports auftreten und in dieser Rolle auch Einfluss auf den Ausgang der Sportereignisse nehmen könnten (vgl. dazu etwa EuGH, Urteile vom 30. Juni 2011 – Rs. C-212/08 Zeturf – Rn. 78 ff.; vom 8. September 2010 – Rs. C-46/08 Carmen Media Group - Rn. 102; vom 8. September 2009 – Rs. C-42/07 Liga Portuguesa - Rn. 69 ff., sämtlich veröffentlicht in juris, wobei die Urteile vom 30. Juni 2011 und 8. September 2009 nationale Ausgestaltungen einer Monopolisierung des Internetvertriebs betreffen). Abgesehen davon dürfte sich die soziale Kontrolle der Wettteilnehmer in Wettbüros des „grauen“ Sportwettenmarktes in erster Linie darauf beschränken, dass Interessen des Wettbürobetreibers und der hinter ihm stehenden Wettveranstalter gewahrt werden, so dass von einer Übereinstimmung mit den spielerschutzbezogenen Zielsetzungen des Glücksspielstaatsvertrages nicht ausgegangen werden kann.

Bei der dargestellten Sachlage ist für den vorläufigen Rechtsschutz auch daran festzuhalten, dass eine reine Folgenabwägung zu Lasten der Antragstellerin ausginge. Denn eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs hätte zur Folge, dass die nicht zu beanstandenden Schutzzwecke des Glücksspielstaatsvertrages bis zur endgültigen Klärung der Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung vereitelt würden und sich entgegen der gesetzgeberischen Absicht, das Angebot an Sportwetten zu überwachen und zu begrenzen, außerhalb jeglicher staatlichen Kontrolle private Sportwettangebote entwickeln und in ihren Strukturen verfestigen. Dem gegenüber steht ggf. allein das Erwerbsinteresse der Antragstellerin, das auch unter Berücksichtigung berührter grundrechtlicher Positionen nicht vergleichbar schutzwürdig ist, sondern im Interesse der Ziele gemäß § 1 Nr. 1 bis 4 GlüStV verhältnismäßigen Einschränkungen unterworfen werden darf. Die Antragstellerin übt die Tätigkeit in Kenntnis und unter Negation dessen aus, dass die Rechtsordnung hierfür Beschränkungen vorsieht. Ein Vertrauen darauf, dass die Beschränkungen unanwendbar oder unwirksam sind, ist nicht geschützt. Die Rechtsordnung ermöglicht insoweit bei Unklarheiten die gerichtliche Klärung vor Aufnahme entsprechender Tätigkeiten durch eine Feststellungsklage.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs.1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).