Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen GdB - Bemessung

GdB - Bemessung


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat Entscheidungsdatum 22.11.2012
Aktenzeichen L 13 SB 369/09 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 69 SGB 9

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Oder vom 11. November 2009 geändert sowie der Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 14. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2008 verpflichtet, bei dem Kläger mit Wirkung ab 11. Januar 2007 einen Grad der Behinderung von 90 festzustellen.

Der Beklagte hat dem Kläger dessen außengerichtliche Kosten für das gesamte Verfahren zu 1/3 zu erstatten. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei dem Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).

Bei dem 1965 geborenen Kläger hatte der Beklagte 2006 einen GdB von 80 sowie das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen des Merkmals „G“ festgestellt und hieran auch nach Änderungs- und Überprüfungsanträgen festgehalten. Am 11. Januar 2007 beantragte der Kläger erneut die Heraufsetzung des GdB. Nach versorgungsärztlicher Auswertung der eingeholten medizinischen Unterlagen lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 14. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2008 den Änderungsantrag ab. Dieser Entscheidung legte er folgende (verwaltungsintern mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

a) Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Funktionsbehinderung des Hüftgelenks beidseitig, Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, Funktionsstörung durch Fußfehlform beidseitig, Polyneuropathie, Funktionsbehinderung des unteren Sprunggelenks, (60),

b) Diabetes mellitus (30),

c) Apnoe-Syndrom (20),

d) psychische Störungen (Neurosen) (20),

e) Funktionsbehinderung des Ellenbogengelenks rechts (20),

f) Bluthochdruck (10),

g) Bauchspeicheldrüseneerkrankung (10),

h) Cushing-Syndrom (10),

i) Hämorrhoiden, Stuhlinkontinenz (10),

j) Verlust des Geruchssinns (10).

Mit der beim Sozialgericht Frankfurt/Oder erhobenen Klage hat der Kläger einen GdB von mindestens 90 sowie die Zuerkennung der Merkzeichen „aG“ und – zunächst – „RF“ begehrt, im späteren Klageverfahren jedoch an diesem Merkzeichen nicht mehr festgehalten.

Das Sozialgericht hat neben Befundberichten der behandelnden Ärzte das Gutachten des Internisten Dr. S vom 23. März 2009 sowie der Orthopädin und Chirurgin Dr. T vom 15. Mai 2009 eingeholt, die eine wesentliche Änderung der Behinderungen des Klägers nicht haben feststellen können. Den Gutachten folgend hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 11. November 2009 abgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger bei dem Landessozialgericht Berufung eingelegt, die er hinsichtlich des Merkzeichens „aG“ zurückgenommen hat.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Befundberichts der Psychiatrischen Institutsambulanz vom 25. Januar 2012 und des Gutachtens des Praktischen Arztes M vom 6. August 2012, der für den maßgeblichen Zeitraum einen Gesamt-GdB von 80 mit erheblichem Spielraum nach oben vorgeschlagen hat. Hiergegen hat der Kläger verschiedene Einwände vorgebracht.

Die Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Oder vom 11. November 2009 aufzuheben sowie den Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2008 zu verpflichten, bei ihm mit Wirkung ab 11. Januar 2007 einen Grad der Behinderung von 90 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegen-stand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist begründet.

Das Sozialgericht hat mit der angegriffenen Entscheidung die Klage zu Unrecht abgewiesen, da der Kläger einen Anspruch auf Feststellung eines Gesamt-GdB von 90 hat.

Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind als antizipierte Sachverständigengutachten die vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) heranzuziehen, und zwar entsprechend dem streitgegenständlichen Zeitraum in den Fassungen von 2005 und – zuletzt – 2008. Seit dem 1. Januar 2009 sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ in Form einer Rechtsverordnung in Kraft, welche die AHP – ohne dass hinsichtlich der medizinischen Bewertung eine grundsätzliche Änderung eingetreten wäre – abgelöst haben.

Das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten des Praktischen Arztes M hat die Feststellungen des Beklagten im orthopädischen Bereich weitgehend bestätigt. Bei dem Kläger liegen als Behinderungen neben der Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, für die der Sachverständige einen Einzel-GdB von 30 vorschlägt, Funktionsbehinderungen beider Hüft- und Kniegelenke, eine Fußfehlform, Bewegungseinschränkungen der Sprunggelenke und eine Polyneuropathie vor, die der Gutachter mit einen Einzel-GdB von 40 würdigt. Für diesen Komplex ist entsprechend der überzeugenden Bewertung durch den Beklagten im Verwaltungsverfahren ein GdB von 60 angemessen.

Der Kläger leidet daneben an einem Diabetes mellitus. Es kann offen bleiben, ob die Bewertung durch den Beklagten mit einem Einzel-GdB von 30 noch gerechtfertigt ist oder ob nach Teil B 15.1 der Anlage zur VersMedV in der Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 14. Juli 2010 mangels Dokumentation der Blutzuckerüberprüfungen der Einzel-GdB lediglich mit 20 anzusetzen ist. Denn jedenfalls erhöht sich, wie der Sachverständige M dargelegt hat, der Gesamt-GdB mit Rücksicht auf den Diabetes mellitus um 10. Dieser überzeugenden Bewertung schließt der Senat sich an.

Der Einzel-GdB von 20 für das Schlafapnoe-Syndrom mit der Notwendigkeit einer kontinuierlichen nasalen Überdruckbehandlung ist in Übereinstimmung mit Teil B Nr. 8.7 der Anlage zur VersMedV durch den Gutachter bestätigt worden. Dessen Ausführungen sind aber keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, die es entgegen dem in Teil A Nr. 3d der Anlage zur VersMedV normierten Grundsatz, dass es bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt ist, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen, erlaubten, mit Rücksicht auf diesen Einzel-GdB den Gesamt-GdB um weitere 10 anzuheben.

Dasselbe gilt für den orthopädischen Komplex der Funktionsminderung des rechten Ellenbogengelenks und der von dem Sachverständigen festgestellten Bewegungseinschränkung beider Schultergelenke, den er überzeugend ebenfalls mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet.

Das seelische Leiden des Klägers ist durchgängig mit einem Einzel-GdB von 30 zu würdigen. Der Senat folgt hierbei der Einschätzung des Gutachters M, der einen GdB in dieser Höhe vom Medizinischen her für angemessener als einen GdB von 20 gehalten hat. Diese Bewertung entspricht Teil B Nr. 3.7 der Anlage zur VersMedV. Denn auf der Grundlage der Feststellungen des Sachverständigen ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger jedenfalls ab Antragstellung an einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit leidet.

Die übrigen Behinderungen des Klägers, nämlich der Bluthochdruck, die chronische Entzündung der Bauchspeicheldrüse, das Cushing-Syndrom, das Hämorrhoidialleiden und die Minderung des Geruchssinns erhöhen den Gesamt-GdB nicht, da sie jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sind (vgl. Teil A Nr. 3d der Anlage zur VersMedV).

Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zu § 2 VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird. Der GdB für den orthopädischen Komplex, bezogen auf die unteren Gliedmaße einschließlich der Wirbelsäule von 60 erhöht sich – wie bereits ausgeführt – mit Rücksicht auf den Diabetes mellitus auf 70. Er ist weiter auf einen Gesamt-GdB von 90 wegen des seelischen Leidens des Klägers anzuheben. Hierbei ist nach Auffassung des Senats eine Erhöhung um 20 angezeigt. Denn das seelische Leiden zeitigt, wie der Gutachter verdeutlicht hat, besonders nachhaltige Auswirkungen auf die übrigen Behinderungen, da es eine Lupenfunktion auf die organischen Erkrankungen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.