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Ausbildungs- und Studienförderungsrecht


Metadaten

Gericht VG Potsdam 7. Kammer Entscheidungsdatum 15.11.2018
Aktenzeichen VG 7 K 6313/17 ECLI ECLI:DE:VGPOTSD:2018:1119.7K6313.17.00
Dokumententyp Gerichtsbescheid Verfahrensgang -
Normen § 11 Abs 2 BAföG, § 36 Abs 1 BAföG, § 47a BAföG

Tenor

Das Verfahren wird, soweit es die von der Klägerin zurückgenommenen Anträge anbelangt - (sinngemäß) den Bescheid des Beklagten vom 24. August 2015 für den Zeitraum Oktober 2014 bis September 2015 sowie alle weiteren nachfolgenden Bescheide, die den Zeitraum Oktober 2014 bis September 2015 betreffen, aufzuheben und die für den Zeitraum Oktober 2014 bis September 2015 zu bewilligende Ausbildungsförderung auf 7.865 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 6 % jährlich festzusetzen - eingestellt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen einen vom Beklagten gegen sie mit Bescheid vom 11. Juli 2017 geltend gemachten Anspruch aus § 47a Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) auf Ersatz von Ausbildungsförderungsleistungen in Höhe von 2.405 €, die dieser der Tochter der Klägerin im Bewilligungszeitraum von Oktober 2014 bis September 2015 bewilligte.

Die am geborene Tochter der Klägerin nahm zum Wintersemester 2014/15 an der Fachhochschule Potsdam ein Studium in der Fachrichtung „Bildung und Erziehung in der Kindheit“ mit dem Abschluss Bachelor auf. Zuvor hatte sie von August 2005 bis Juli 2008 erfolgreich eine Berufsausbildung zur Raumausstatterin und von Oktober 2010 bis Juni 2013 eine weitere Ausbildung an einer Berufsfachschule zur technischen Assistentin für Produktdesign absolviert. Mit der letztgenannten Ausbildung erwarb sie zugleich die Fachhochschulreife.

Am 14. Oktober 2014 beantragte die Tochter der Klägerin die Förderung ihrer Ausbildung an der Fachhochschule. Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 24. August 2015 für den Bewilligungszeitraum Oktober 2014 bis September 2015 eine Förderung von 40 € für den Oktober 2014 sowie von 215 € monatlich für die Monate November 2014 bis September 2015 und zahlte 2.190 € nach. Die Bewilligung erfolgte unter dem Vorbehalt der Rückforderung (§ 24 Abs. 3 BAföG), weil sich das Einkommen der Klägerin im verfahrensgegenständlichen Bewilligungszeitraum noch nicht abschließend hatte feststellen lassen. Die Tochter der Klägerin erhob am 10. November 2015 gegen diesen Bescheid Widerspruch, den sie damit begründete, dass bei der Berechnung der Ausbildungsförderung anrechenbares Einkommen ihrer Mutter, der Klägerin, berücksichtigt worden sei, obwohl ihre Mutter ihr gegenüber nicht mehr unterhaltsverpflichtet sei und sie, die Tochter der Klägerin, eine abgeschlossene Berufsausbildung als Raumausstatterin habe, die in keinem Zusammenhang mit ihrer nunmehr begonnenen Ausbildung zur Erzieherin stehe. Der Beklagte teilte der Tochter der Klägerin mit Schreiben vom 10. Januar 2017 mit, dass das Widerspruchsverfahren durch den Bescheid gleichen Datums, mit dem der Bescheid vom 24. August 2015 aufgehoben werde, beendet sei. Mit dem Bescheid vom 10. Januar 2017 löste der Beklagte aufgrund eines Aktualisierungsantrags der Tochter der Klägerin vom 15. Juni 2015 den Vorbehalt (§ 24 Abs. 3 BAföG) für den Bewilligungszeitraum Oktober 2014 bis September 2015 auf, der wegen des für diesen Bewilligungszeitraum noch nicht abschließend feststellbaren Einkommens der Klägerin gemacht worden war. Dies führte dazu, dass für den verfahrensgegenständlichen Bewilligungszeitraum keine Förderung bewilligt wurde und (von der Tochter der Klägerin) 2.405 € zurückgefordert wurden.

Mit Schreiben vom 22. Juni 2017 hörte der Beklagte die Klägerin zu der beabsichtigten Geltendmachung eines Ersatzanspruchs nach § 47a BAföG an. Die Klägerin habe in ihrer auf 24. März 2015 datierten Erklärung, die zusammen mit dem Aktualisierungsantrag der Tochter der Klägerin am 11. Juni 2015 eingereicht worden war, angegeben, dass sie im Jahr 2014 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 49.500 € und Krankengeld in Höhe von (netto) 10.350 € gehabt habe, auf die Einkommenssteuer in Höhe von 12.642 € und ein Solidaritätszuschlag in Höhe von 695 € an das Finanzamt abzuführen gewesen seien. Für das Jahr 2015 habe sie Einkünfte in Höhe von 66.000 € prognostiziert, auf die Einkommenssteuer von 16.856 € und ein Solidaritätszuschlag von 927 € zu zahlen seien. Auf der Basis dieser Angaben sei sodann der Bescheid vom 24. August 2015 ergangen. Auf Anfrage des Beklagten habe das zuständige Finanzamt am 9. Dezember 2016 mitgeteilt, dass auf der Grundlage des Einkommenssteuerbescheids vom 30. März 2016 die Klägerin im Jahr 2014 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von 340.012 € und aus Vermietung und Verpachtung von 1.924 € gehabt habe, worauf Einkommenssteuer von 129.043 € und ein Solidaritätszuschlag von 7.097,36 € zu zahlen gewesen seien. Aus dem Einkommenssteuerbescheid vom 20. September 2016 ergebe sich, dass die Klägerin im Jahr 2015 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von 67.252 € und aus Vermietung und Verpachtung von - 2.059 € gehabt habe, worauf Einkommenssteuer von 15.643 € und ein Solidaritätszuschlag von 860,36 € zu zahlen gewesen seien. Die Klägerin teilte mit Schreiben vom 4. Juli 2017 mit, „der gesamte Aufwand“ sei „irrelevant“, weil sie dem Beklagten bereits mehrfach mitgeteilt habe, dass ihre Tochter einen Anspruch auf elternunabhängige Förderung habe. Ein Auskunftsanspruch gegen sie, die Klägerin, bestehe infolgedessen nicht.

Mit Bescheid vom 11. Juli 2017 forderte der Beklagte die Klägerin auf, die ihrer Tochter zu Unrecht geleisteten Förderungsbeträge in Höhe von 2.405 € zuzüglich 6 % Zinsen pro Jahr seit dem 1. September 2015 (seinerzeit aufgrund von Aufrechnungen insgesamt 2.283,32 €) zu ersetzen.

Gegen den ihr am 12. Juli 2017 zugestellten Bescheid vom 11. Juli 2017 legte die Klägerin am 3. August 2017 Widerspruch ein und begründete diesen mit Schreiben vom 17. August 2017. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. November 2017, der Klägerin zugestellt am 16. November 2017, zurück.

Für eine Rechtsberatung bei einem Anwalt im Zusammenhang mit der Rückzahlungsforderung wurden außergerichtliche Kosten in Höhe von 249,90 € aufgewendet.

Die Klägerin hat am 14. Dezember 2017 Klage erhoben.

Sie meint, der Beklagte habe seine Aufklärungs- und Beratungspflichten (§§ 13 und 14 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil -, SGB I) nicht ordnungsgemäß wahrgenommen, was dazu geführt habe, dass ihre Tochter für den Bewilligungszeitraum Oktober 2014 bis September 2015 und die nachfolgenden Bewilligungszeiträume keinen Antrag nach § 36 BAföG auf Vorausleistung von Ausbildungsförderung gestellt habe. Ihre Tochter habe von Anfang an darauf hingewiesen, dass sie meint, einen Anspruch auf elternunabhängige Förderung zu haben. Gleichwohl habe der Beklagte darauf bestanden, Auskünfte zum Einkommen der Eltern zu bekommen. Sie habe diese dann schlussendlich erteilt, um die Bearbeitung nicht weiter zu verzögern. Ihre Tochter hätte für den verfahrensgegenständlichen Bewilligungszeitraum ohne Anrechnung des elterlichen Einkommens Förderleistungen von 7.865 € erhalten. Insoweit stehe ihr ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zu - sie sei so zu stellen, wie sie stünde, wenn sie für den verfahrensgegenständlichen Bewilligungszeitraum elternunabhängige Förderung beantragt hätte.

Die Klägerin hat ihre zunächst angekündigten Anträge - (sinngemäß) den Bescheid des Beklagten vom 24. August 2015 für den Zeitraum Oktober 2014 bis September 2015 sowie alle weiteren nachfolgenden Bescheide, die den Zeitraum Oktober 2014 bis September 2015 betreffen, aufzuheben und die für den Zeitraum Oktober 2014 bis September 2015 zu bewilligende Ausbildungsförderung auf 7.865 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 6 % jährlich festzusetzen - zurückgenommen und beantragt (sinngemäß) nunmehr noch,

den Bescheid des Beklagten vom 11. Juli 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. November 2017 - W 169/17 - aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihr außergerichtliche Kosten in Höhe von 249,90 € zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte bestreitet, gegen Aufklärungs- und Beratungspflichten verstoßen zu haben. Grundsätzlich sei eine elternabhängige Förderung nach § 11 Abs. 2 BAföG zu prüfen und nur im Ausnahmefall - wenn der Lebenslauf der Auszubildenden hierfür einen Anhaltspunkt biete - eine elternunabhängige Förderung nach § 11 Abs. 3 BAföG. Die Tochter der Klägerin habe bei Antragstellung am 14. Oktober 2014 nicht mitgeteilt, dass die Klägerin ihr keinen Unterhalt mehr gewährt. Erst aufgrund des Antrags vom 10. November 2015 bestand Veranlassung, zu prüfen, ob Vorausleistungen nach § 36 BAföG zu bewilligen sind.

Die Kammer hat den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) mit Beschluss vom 2. August 2018 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Dieser hat am 23. Juli 2018 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt. Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Gemäß § 84 Abs. 1 VwGO kann das Gericht nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.

Das Verfahren war, soweit die Klägerin die vorstehend dargestellten Anträge zurückgenommen hat, nach § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.

Die nunmehr noch rechtshängige Klage ist zulässig, soweit mit ihr zuletzt nur noch die Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 11. Juli 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. November 2017 sowie die Erstattung außergerichtlicher Kosten verfolgt werden. Sie ist aber unbegründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 11. Juli 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. November 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Eine Verpflichtung des Beklagten, der Klägerin außergerichtliche Kosten in Höhe von 249,90 € zu ersetzen, besteht nicht.

Die Voraussetzungen des § 47a BAföG, unter denen nahe Familienangehörige eine Pflicht zum Ersatz von Leistungen trifft, die nach § 17 Abs. 1 und 2 BAföG für den Auszubildenden als Förderungsbetrag zu Unrecht geleistet worden sind, sind gegeben. Die Klägerin führte die Leistung von Ausbildungsförderung an ihre Tochter dadurch herbei, dass sie vorsätzlich oder zumindest fahrlässig falsche Angaben gegenüber dem Beklagten in dem dort am 11. Juni 2015 eingegangenen Aktualisierungsantrag ihrer Tochter zu ihren, der Klägerin, Einkünften in den Jahren 2014 und 2015 machte - jedenfalls für das Jahr 2014 liegt es nahe, dass die der Klägerin gewährte Abfindungszahlung ihres ehemaligen Arbeitgebers bereits bei der Antragstellung am 11. Juni 2015 bekannt gewesen hätte sein müssen. Auf jeden Fall aber unterließ sie es, eine nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I erforderliche Anzeige zu machen. Dies war ursächlich für die zu Unrecht geleistete Ausbildungsförderung.

Für die hier einschlägige Ermittlung des Umfangs der Ausbildungsförderung nach § 11 Abs. 2 BAföG und die darin vorgesehene Berücksichtigung des Elterneinkommens ist es unerheblich, ob die Eltern dem Auszubildenden gegenüber zivilrechtlich zum Unterhalt verpflichtet sind (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. März 2017 - OVG 6 N 6.17 -, juris Rn. 4). Nach der Systematik des Gesetzes wird elternunabhängiges BAföG nur unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. 2a und 3 BAföG gewährt. Der Gefahr einer ausnahmsweise entstehenden Förderungslücke begegnet das Gesetz auf andere Weise: Sofern trotz angerechneten Einkommens der Eltern ein entsprechender Unterhaltsbetrag tatsächlich nicht erbracht wird, werden unter den Voraussetzungen des § 36 BAföG Vorausleistungen gewährt. Wenn und soweit also die Eltern den förderungsrechtlich ermittelten Unterhaltsbetrag nicht leisten, hat das Förderungsamt unter Beachtung der sonstigen Voraussetzungen, aber ohne Prüfung der zivilrechtlichen Rechtslage, Ausbildungsförderung zu bewilligen und in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob und bejahendenfalls in welcher Höhe ein Unterhaltsanspruch des Auszubildenden gegenüber den Eltern auf das Land übergegangen ist und geltend gemacht werden kann (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. März 2017 - OVG 6 N 6.17 -, juris Rn. 4). In dem Fall, dass zivilrechtlich kein Unterhaltsanspruch gegen die Eltern besteht, kann dies faktisch zwar zu elternunabhängigenLeistungen führen (OVG Berlin-Brandenburg, a.a.O., unter Hinweis auf Bayerischer VGH, Beschluss vom 4. Dezember 2008 - 12 ZB 07.458 -, juris Rn.5). Dies setzt indes voraus, dass ein Antrag nach § 36 BAföG entweder ausdrücklich gestellt wird oder zumindest der Ausbildungsförderungsbehörde mitgeteilt wird, dass die Eltern den förderungsrechtlich ermittelten Unterhaltsbetrag nicht leisten.

Das OVG Berlin-Brandenburg hat in seinem Beschluss vom 1. März 2017 - OVG 6 N 6.17 - (Rn. 5) weiter folgendes ausgeführt:

 „Ungeachtet des Umstands, dass es insoweit an die Berufungszulassung rechtfertigende Darlegungen fehlt, nimmt der Senat den Fall zum Anlass, auf Folgendes hinzuweisen: Dass sich die Pflicht zum Ersatz von Ausbildungsförderungsleistung nach § 47a Abs. 1 BAföG nicht auf Leistungen erstreckt, die auch bei wahrheitsgemäßen und vollständigen Angaben gegenüber dem Auszubildenden hätten erbracht werden müssen (BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2016 - 5 C 55/15 -, Rn. 18 ff. bei juris zu § 24 BAföG), ändert an dem dargelegten Befund nichts. Denn als solche Leistungen kommen Vorausleistungen nach § 36 BAföG vorliegend nicht in Betracht. Zwar hängt die Frage der Vorausleistungen als faktisch elternunabhängige Leistungen u.a. davon ab, ob der Kläger seiner Tochter gegenüber im maßgeblichen Zeitraum zivilrechtlich zum Unterhalt verpflichtet war. Zudem mag ein Anspruch auf Vorausleistungen im Bewilligungszeitraum entstanden sein, zumal die in § 36 Abs. 1 BAföG vorgesehene Antragstellung keine Voraussetzung für das Entstehen des Anspruchs, sondern nur eine Bewilligungsvoraussetzung ist (Lackner, a.a.O., Rn. 15 a.E. m.w.N.). Ein etwaiger Anspruch könnte indessen nach Ablauf des Bewilligungszeitraums gemäß § 36 Abs. 1, 2. Halbsatz BAföG nicht mehr berücksichtigt werden. Die Vorschrift steht einer „Vorausleistungseinrede“ entgegen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht für den Fall der Rückforderung überzahlter Ausbildungsförderungsleistungen von dem Auszubildenden nach § 20 BAföG ausdrücklich entschieden (Urteil vom 23. Februar 2010 - 5 C 2/09 -, BVerwGE 136, 109 ff., Rn. 15 ff. bei juris), es gilt aber gleichermaßen für die Ersatzpflicht der Eltern des Auszubildenden nach § 47a BAföG, die gesamtschuldnerisch neben den Rückforderungsanspruch gegenüber dem Auszubildenden tritt“.

Danach kann sich die Klägerin nicht auf eine „Vorausleistungseinrede“ berufen, weil der Bewilligungszeitraum im September 2015 ablief.

Der Beklagte hat auch nicht gegen Aufklärungs- und Beratungspflichten (§§ 13 und 14 SGB I) verstoßen. Er hatte bis zum 10. November 2015 keine Anhaltspunkte dafür, dass die Tochter der Klägerin dahingehend zu beraten gewesen wäre, einen Antrag nach § 36 BAföG auf Vorausleistung von Ausbildungsförderung zu stellen.

Insoweit führt der Hinweis der Klägerin nicht weiter, bereits aus den dem Beklagten am 14. Oktober 2014 vorgelegten Angaben zum schulischen und beruflichen Werdegang ihrer Tochter ergebe sich, dass keine Unterhaltspflicht der Eltern mehr besteht. Das Nichtbestehen einer Unterhaltspflicht begründet nämlich kein rechtliches Hindernis nach § 11 Abs. 2a BAföG, Unterhalt zu leisten (VG Mainz, Urteil vom 6. Februar 2014 - 1 K 1489/13.MZ -, juris). Selbst das offensichtliche Nichtbestehen einer Unterhaltspflicht würde nicht automatisch einen Anspruch auf elternunabhängige Förderung begründen. Ausgehend vom Grundsatz der Nachrangigkeit der öffentlich-rechtlichen Ausbildungsförderung knüpft das Gesetz nicht an Bestehen und Umfang einer Unterhaltspflicht im jeweils zu entscheidenden Fall an, sondern rechnet in § 11 Abs. 2 BAföG nach Maßgabe der dort genannten Vorschriften auf den Bedarf des Auszubildenden einen nach dem Einkommen der Eltern pauschalierten Betrag als deren zumutbaren Beitrag zu den Ausbildungskosten an, ohne dabei auf das Bestehen und die Höhe eines privatrechtlichen Unterhaltsanspruchs abzustellen. Die Leistungen nach dem BAföG werden nach dem Prinzip der Bedürftigkeit erbracht und sind nicht in Abhängigkeit davon zu gewähren, ob gegenüber einem Dritten gegebenenfalls ein Anspruch besteht, den Bedarf nach § 11 Abs. 1 BAföG zu decken. Es kommt vielmehr allein darauf an, ob dieser Bedarf tatsächlich gedeckt werden kann oder nicht (BVerfG, Urteil vom 6. November 1985 - 1 BvL 47/83 -, juris Rn. 33; BVerwG, Beschluss vom 5. Juli 1994 - 11 B63.94 -, juris Rn. 5; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 23. September 2009 - 4 PA 201/09 -, juris Rn. 2; VG Mainz, a.a.O., Rn. 19). Die teilweise durch Förderungsämter geübte Praxis, gemäß Tz. 36.1.17 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum BAföG bei offensichtlichem Nichtbestehen einer Unterhaltspflicht elternunabhängig Ausbildungsförderung zu gewähren, findet im Gesetz keine Grundlage - im Fall einer „Negativevidenz“ entfällt nur die Auskunftspflicht der Eltern (OVG NRW, Beschluss vom 21. April 2015 - 12 A 388/14 -, juris Rn. 10). Die Voraussetzungen einer Analogie zu § 11 Abs. 2a BAföG liegen insoweit bereits mangels Regelungslücke nicht vor, da in § 36 BAföG eine Regelung für den Fall getroffen ist, dass der angerechnete Betrag von den Eltern tatsächlich nicht geleistet wird (Sächsisches OVG, Urteil vom 5. Juli 2013 - 1 A 86/13 -, juris Rn. 25).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Tochter der Klägerin dem Beklagten per E-Mail am 21. Mai 2015 mitteilte, es solle nun elternunabhängige Förderung für sie berechnet werden. Dies ist keine Mitteilung, dass die Eltern keinen Unterhalt leisten. Gleichwohl hat dies der Beklagte zum Anlass genommen, nach Anforderung weiterer Unterlagen zu prüfen, ob eine (elternunabhängige) Förderung auf der Grundlage des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 und Satz 2 BAföG in Betracht kommt und dies - zutreffend - verneint, weil die Tochter der Klägerin zwar die erforderlichen Zeiten erreichte, sich jedoch nicht durchgehend selbst durch ihre Erwerbstätigkeit unterhalten konnte - sie erhielt im relevanten Zeitraum vielmehr auch zeitweise Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II), nämlich Arbeitslosengeld II in der Zeit vom 1. Januar 2014 bis zum 30. September 2014.

Auch in der Widerspruchsbegründung der Tochter der Klägerin in dem am 10. November 2015 beim Beklagten eingegangenen Schriftsatz vom 6. November 2015 ist weiterhin nur davon die Rede, dass die Klägerin ihrer Tochter nicht mehr unterhaltsverpflichtet ist, nicht aber davon, dass sie keinen Unterhalt zahlt. Bis zum Erlass des Bescheids vom 24. August 2015 hatten die Klägerin und ihre Tochter zwar zu vielen Umständen Angaben gemacht, u.a. auch auf die nicht mehr bestehende Unterhaltsverpflichtung der Klägerin gegenüber ihrer Tochter hingewiesen, jedoch nie gegenüber dem Beklagten angegeben, dass tatsächlich kein Unterhalt gezahlt wird.

Soweit die Klägerin letztlich geltend macht, ihrer Tochter sei zu Unrecht zur Stellung eines Aktualisierungsantrags nach § 24 Abs. 3 BAföG geraten worden, der Beklagte hätte gegebenenfalls eine Vorgehensweise gemäß §§ 36, 37 BAföG anraten müssen, rechtfertigt das keine andere Entscheidung. Die Klägerin kann sich nicht auf einen damit letztlich sinngemäß geltend gemachten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch berufen. Es kann dahinstehen, ob ein solcher Anspruch im Ausbildungsförderungsrecht überhaupt Anwendung findet (BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2010 - 5 C 13/09 -, juris Rn. 16; OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 31. Januar 2013 - OVG 6 M 171.12 - und vom 18. Dezember 2015 - OVG 6 N 33.14). Ihm steht jedenfalls entgegen, dass dem Beklagten ein hier allein in Betracht zu ziehender Beratungs- oder Aufklärungsfehler nicht unterlaufen ist. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch hat auch und gerade zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 SGB I), verletzt hat (BVerwG, a.a.O., m.w.N.; OVG Berlin-Brandenburg, a.a.O.). An einer solchen Pflichtverletzung fehlt es hier.

Das OVG Berlin-Brandenburg führt in dem Beschluss vom 31. Januar 2013 - OVG 6 M 171.12 - hierzu folgendes aus:

„Für den Beklagten bestand keine Verpflichtung dazu, die Klägerin rechtlich dahin zu beraten, einen solchen (vorsorglichen) Vorausleistungsantrag zu stellen. Er musste sie nicht allein deshalb, weil sie einen Aktualisierungsantrag gestellt hatte, auf die rechtliche Gestaltungsmöglichkeit der Inanspruchnahme von Vorausleistungen hinweisen. Der Zweck der Aktualisierung liegt nach § 24 Abs. 3 BAföG darin, einer Gefährdung der Ausbildung entgegenzuwirken, die dadurch entsteht, dass die - an sich zahlungswilligen - Eltern den Anrechnungsbetrag, der sich nach ihrem Einkommen aus dem Regelberechnungszeitraum des § 24 Abs. 1 BAföG ergibt, wegen einer zwischenzeitlichen Verschlechterung der Einkommensverhältnisse im aktuellen Bewilligungszeitraum nicht (mehr) als Unterhalt leisten können. Demgegenüber dienen Vorausleistungen nach § 36 Abs. 1 BAföG dem Zweck, insbesondere im Falle fehlender Zahlungsbereitschaft der unterhaltspflichtigen Eltern eine Gefährdung der Ausbildung zu verhindern und befreien den Auszubildenden als „außerordentliche Zusatzleistungen“ davon, während des Bewilligungszeitraums gegen seine Eltern vorgehen und von ihnen bestrittene Unterhaltsansprüche durchsetzen zu müssen. Ein Anlass für die Behörde, den Auszubildenden dahin zu beraten, einen Vorausleistungsantrag zu stellen, kann daher - auch im Falle eines Aktualisierungsantrags (§ 24 Abs. 3 BAföG) - nur bestehen, wenn schon bei der Beantragung von Ausbildungsförderung oder jedenfalls während des laufenden Bewilligungszeitraums erkennbar ist, dass die Eltern nicht bereit sein werden, die in der endgültigen Abrechnung (nach Auflösung des Vorbehalts) festgesetzten Anrechnungsbeträge als Unterhalt zu leisten und dadurch eine Ausbildungsgefährdung verursacht werden kann (BVerwG, a.a.O., Rn. 20 bei juris). Dass es hier so gelegen hätte, ist jedoch weder ersichtlich noch geltend gemacht“.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 3 und 154 Abs. 1 VwGO

Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 VwGO.

Die Vollstreckbarkeitsentscheidung beruht auf §§ 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 und 711 Satz 1 Zivilprozessordnung.