Gericht | VG Potsdam 1. Kammer | Entscheidungsdatum | 12.02.2021 | |
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Aktenzeichen | VG 1 L 20/21 | ECLI | ECLI:DE:VGPOTSD:2021:0212.VG1L20.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den von ihr gebildeten Hauptausschuss neu zu besetzen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Neubesetzung des Hauptausschusses der Gemeinde R... und die Bestellung der Fraktionsmitglieder zum ordentlichen Mitglied des Hauptausschusses und zu dessen Stellvertreter.
Im November 2020 schlossen sich zwei Gemeindevertreter in der Gemeindevertretung der Gemeinde R..., Herr S... und Herr Dr. v..., zu der Fraktion „Allianz für R... + Unser R...“, der Antragstellerin, zusammen.
Die Antragstellerin stellte mit Schreiben vom 8. Dezember 2020 bei der Gemeindevertretung einen Antrag auf Neubesetzung der freiwilligen Ausschüsse, also der Ausschüsse nach § 43 der Brandenburgischen Kommunalverfassung (BbgKVerf), und des Hauptausschusses.
Unter dem 15. Dezember 2020 erklärte Herr Dr. v... den Verzicht auf sein Mandat als Gemeindevertreter. Für ihn rückte von der Liste „Allianz für R...“ Herr M... als Ersatzperson nach und erklärte unter dem 18. Dezember 2020 die Annahme des Mandats gegenüber dem Wahlleiter, dem Bürgermeister und der Vorsitzenden der Gemeindevertretung. Weiter erklärte er die Fortsetzung der Fraktion und unterschrieb an Stelle von Herrn Dr. v... den genannten Antrag auf Neubesetzung der Ausschüsse. Dieser von ihm unterschriebene Antrag ging am 18. Dezember 2020 in der Gemeindeverwaltung ein. Mit Schreiben vom 3. Janu-ar 2021 legte der Gemeindevertreter Herr M... in einer „Stellungnahme“ an die Gemeindevertreter zu verschiedenen für die Sitzung der Gemeindevertretung am 5. Januar 2021 vorgesehenen Beschlussvorlagen (und zu einer Informationsvorlage) seine Auffassung zum Erfordernis der Neubesetzung der freiwilligen Ausschüsse wie des Hauptausschusses dar. Er schlug für die Antragstellerin u. a. vor, dass für diese er selbst als Mitglied und sein Fraktionskollege Herr S... als Stellvertreter in den Hauptausschuss einrücken solle. In der Sitzung der Gemeindevertretung am 5. Januar 2021 wurde auf entsprechende Beschlussvorlagen des Bürgermeisters die Neubesetzung der freiwilligen Ausschüsse beschlossen. In derselben Sitzung wurde die von Herrn M... beantragte „Neubesetzung des Hauptausschusses in der Mitgliederverteilung laut der eingereichten Aufstellung „Ausschussbesetzungen im <Wandel der Zeit>‘“ mehrheitlich abgelehnt (5 x Ja, 12 x Nein, zwei Enthaltungen). Vorangehend hatte Herr M... nochmals die Position der Antragstellerin dargelegt, dass ein Anspruch auf Neubesetzung auch des Hauptausschusses aus § 41 Abs. 6 Alt. 2 BbgKVerf folge.
Am 11. Januar 2021 hat die Antragstellerin die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt. Ihr Anordnungsanspruch beruhe auf § 41 Abs. 6 Alt. 2 BbgKVerf. Diese Vorschrift begründe einen Anspruch auf Neubesetzung des Hauptausschusses, dessen Erfüllung ihr ebenso verweigert werde wie Herrn M... die Mitarbeit im Hauptausschuss. Die Voraussetzungen der Norm lägen vor, da sich das Stärkeverhältnis der Fraktionen mit der Gründung der neuen Fraktion in einer Weise geändert habe, dass hiervon die Sitzverteilung nach § 41 Abs. 2 BbgKVerf berührt sei. Im Zeitpunkt der Antragstellung am 9. Dezember 2020 sei die Antragstellerin als einzige Fraktion nicht im Hauptausschuss vertreten gewesen. Ihr Mitwirkungsrecht an der politischen Meinungsbildung nach § 32 Abs. 2 BbgKVerf werde durch die Ablehnung ihres Antrages verletzt. Die Ausschussbesetzung müsse das Stärkeverhältnis der Fraktionen in der Gemeindevertretung widerspiegeln. Dies gelte auch für den Hauptausschuss. Dies ergebe sich aus der Verweisung in § 49 Abs. 2 Satz 2 BbgKVerf. Zwar scheine die sprachliche Fassung dieser Vorschrift („für die Dauer der Wahlperiode“) dafür zu sprechen, dass lediglich die Erstbesetzung des Hauptausschusses in der konstituierenden Sitzung der Gemeindevertretung geregelt werden solle. Dann hätte aber, so die Antragstellerin, vom Gesetzgeber der Verweis auf § 41 Abs. 2 bis 5 BbgKVerf beschränkt werden müssen, was nicht der Fall sei. Die Verweisung sei umfassend. Die Entstehungsgeschichte der Norm bestätige dies. Schon nach den Regelungen der vormaligen Gemeindeordnung sei das Neubesetzungsgebot auf den Hauptausschuss anzuwenden gewesen. Daran habe die Brandenburgische Kommunalverfassung nichts ändern wollen. Mit der Formulierung „für die Dauer der Wahlperiode“ werde einzig die Selbstverständlichkeit wiederholt, dass der Hauptausschuss nicht für immer gewählt bzw. bestellt werde, sondern vom Ablauf der Wahlperiode abhängig sei. Der Anordnungsanspruch folge aus der ständigen Sitzungstätigkeit des Hauptausschusses. Was das Vorbringen der Antragsgegnerin angehe, so habe die Antragstellerin durchaus ihre Existenz der Vorsitzenden der Antragsgegnerin angezeigt, nämlich mit Schreiben vom 18. Dezember 2020. Entgegen der Annahme der Antragsgegnerin vertrete jeder der Vorsitzenden der Antragstellerin diese allein. Die Antragsgegnerin habe im Übrigen dem Vorliegen der Voraussetzungen nach § 41 Abs. 6 Alt. 2 BbgKVerf nicht widersprochen und sehe diese ersichtlich als gegeben an. Folge sei nicht etwa eine Ermessensentscheidung; vielmehr sei die Neubesetzung nach dem entsprechenden Antrag der Antragstellerin zwingend vorzunehmen, da insoweit eine Ermessensreduzierung auf Null greife.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten,
den von ihr gebildeten Hauptausschuss neu zu besetzen
und
den Gemeindevertreter Christian M... zum ordentlichen Mitglied und den Gemeindevertreter Oliver S... zu dessen Stellvertreter zu bestellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen,
und verweist zur Begründung zunächst darauf, dass die Antragstellerin eine neue Fraktion sei, von deren Bildung die Vorsitzende der Antragsgegnerin mit erstmalig Eingang des Antrages auf Neubesetzung der Ausschüsse Kenntnis erhalten habe. Anders als die Antragstellerin meine, sei mit der Außerkraftsetzung der Gemeindeordnung im Jahr 2007 und dem Inkrafttreten der Brandenburgischen Kommunalverfassung doch eine maßgebliche Rechtsänderung hinsichtlich der Neubesetzung des Hauptausschusses in der laufenden Wahlperiode erfolgt. Während diese in der Gemeindeordnung ausdrücklich vorgesehen gewesen sei, sei dies nunmehr gerade nicht mehr der Fall. Auch die Gesetzesbegründung spreche nicht entscheidend für die Auslegung der Antragstellerin. Die Möglichkeit einer Neubildung komme eben im Gesetzeswortlaut nicht zum Ausdruck. Würde sich der Verweis tatsächlich auf den kompletten § 41 BbgKVerf beziehen, so könnte die Gemeindevertretung nach § 41 Abs. 7 BbgKVerf auch einzelne Mitglieder aus dem Hauptausschuss abbestellen. Es sei nicht möglich, dass das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin zu einer Bestellung von Herrn M... verpflichte. Denn die Mitglieder des Hauptausschusses würden durch offenen Wahlbeschluss bestellt. Die Gemeindevertretung sei auch bei einer erforderlichen Neubesetzung nicht zu einer Bestellung bestimmter von der Fraktion vorgeschlagener Kandidaten verpflichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verfahrensakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
1) Der Antrag ist zulässig.
Die Antragstellerin ist als Fraktion der Antragsgegnerin im verwaltungsgerichtlichen Prozess beteiligtenfähig i. S. d. § 61 Nr. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Sie kann geltend machen, in ihrem eigenen Recht auf Berücksichtigung bei der
Verteilung der Sitze des Hauptausschusses entsprechend der Stärkeverhältnisse in der Gemeindevertretung auf der Grundlage des Grundsatzes der Spiegelbildlichkeit verletzt zu sein. Damit ist die Antragstellerin auch entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist auch im Hinblick auf § 123 Abs. 5 VwGO statthaft. In der Hauptsache ist im Kommunalverfassungsstreitverfahren eine Feststellungsklage oder eine Klage eigener Art statthaft,
vgl. Schumacher in: ders., Kommunalverfassungsrecht Bbg, Stand: Mai 2020, BbgKVerf § 32 Ziff. 13.4.
Der streitgegenständliche Gemeindevertretungsbeschluss zur Besetzung der Ausschüsse stellt mangels Außenwirkung keinen Verwaltungsakt i. S. d. § 35 Satz 1 VwVfG dar.
Obwohl die Antragstellerin die Hauptsache noch nicht im Wege der Klageerhebung beim Verwaltungsgericht anhängig gemacht hat, kann sie den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stellen, § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO („auch schon vor Klageerhebung“). Die mit der begehrten Anordnung einhergehende Vorwegnahme der Hauptsache begegnet keinen durchgreifenden grundsätzlichen Bedenken, sondern ist in der hier im Streit stehenden Konstellation typischerweise mit dem kommunalverfassungsrechtlichen Eilrechtsschutz verbunden.
2) Der Antrag ist, soweit er sich auf die Neubesetzung des Hauptausschusses richtet, begründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung notwendig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind in beiden Fällen (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO), dass einerseits ein Anspruch glaubhaft gemacht wird, dessen vorläufiger Sicherung die begehrte Anordnung dienen soll (Anordnungsanspruch), und dass andererseits die Gründe glaubhaft gemacht werden, die eine gerichtliche Eilentscheidung erforderlich machen (Anordnungsgrund).
Die Antragstellerin hat hinsichtlich der Neubesetzung des Hauptausschusses sowohl einen Anordnungsanspruch (dazu unter a) als auch einen Anordnungsgrund (dazu unter b) glaubhaft gemacht.
a) Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass sie einen Anspruch auf die begehrte Auflösung und Neubildung des Hauptausschusses hat. Dieser Anspruch folgt aus § 49 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 i. V. m. § 41 Abs. 6 BbgKVerf in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Spiegelbildlichkeitsgrundsatz.
aa) Nach § 49 Abs. 2 Satz 2 BbgKVerf legt die Gemeindevertretung in ihrer ersten Sitzung die Anzahl der Gemeindevertreter, die Mitglied des Hauptausschusses sind, fest und bestellt die Mitglieder nach § 41 aus ihrer Mitte für die Dauer der Wahlperiode. Nach § 41 Abs. 6 Alt. 2 BbgKVerf ist auf Antrag einer Fraktion eine Neubesetzung nach den Absätzen 2 bis 5 vorzunehmen, wenn sich nach der Wahl das Stärkeverhältnis der Fraktionen in einer Weise geändert hat, dass hiervon die Sitzverteilung nach Absatz 2 berührt wäre. § 41 Abs. 2 BbgKVerf bestimmt im einzelnen das Berechnungsverfahren für die Bestimmung der Zahl der Sitze, die jede Fraktion im jeweiligen Gremium erhält.
Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig geblieben, dass bei einer Berechnung entsprechend § 41 Abs. 2 BbgKVerf nach der gegenwärtigen Zusammensetzung und Fraktionsbildung innerhalb der Antragsgegnerin der Antragstellerin rechnerisch ein Sitz im Hauptausschuss zustehen würde. Im Streit steht danach allein die Frage, ob die Regelungen in § 41 Abs. 6 BbgKVerf nur für die freiwillig zu bildenden Ausschüsse (nach § 43 BbgKVerf) oder auch für den hier in Rede stehenden Hauptausschuss anzuwenden sind.
Der für die Besetzung von Ausschüssen geltende Grundsatz der Spiegelbildlichkeit folgt aus Verfassungsrecht. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) überträgt die Grundentscheidung der Verfassung in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG für die Prinzipien der Volkssouveränität und der Demokratie auf die Ebene der Gemeinden. Daraus folgt, dass die Gemeindevertretung, auch wenn sie kein Parlament, sondern Organ einer Selbstverwaltungskörperschaft ist, die Gemeindebürger repräsentiert. Diese Repräsentation vollzieht sich nicht nur im Plenum, sondern auch in den Ausschüssen der Gemeindevertretung. Deswegen muss grundsätzlich jeder Gemeindeausschuss ein verkleinertes Bild des Plenums der Gemeindevertretung sein und in seiner Zusammensetzung deren Zusammensetzung widerspiegeln. Auch Gemeindeausschüsse dürfen nicht unabhängig von dem Stärkeverhältnis der Fraktionen besetzt werden, über das die Gemeindebürger bei der Wahl der Gemeindevertretung mit entschieden haben. Vielmehr müssen auch diese Ausschüsse grundsätzlich als verkleinerte Abbilder des Plenums dessen Zusammensetzung und das darin wirksame politische Meinungs- und Kräftespektrum widerspiegeln. Der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit soll sicherstellen, dass der Ausschuss die Zusammensetzung des Plenums in seiner konkreten, durch die Fraktionen geprägten organisatorischen Gestalt verkleinernd abbildet. Da der Abgeordnete frei ist, sich in Fraktionen zu organisieren, sind die Fraktionen als politische Kräfte ebenso gleich und entsprechend ihrer Stärke zu behandeln wie die gewählten Gemeindevertreter untereinander.
Vgl. zu alledem BVerwG, Urteile vom 28. April 2010 - 8 C 18.08 -, juris Rn. 20, vom 9. Dezember 2009 - 8 C 17.08 -, juris Rn. 18 ff., und vom 10. Dezember 2003 - 8 C 18.03 -, juris Rn. 12 ff., jeweils unter Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 13. Juni 1989 - 2 BvE 1/88 -, juris Rn. 113; OVG NRW, Urteil vom 30. Januar 2017 - 15 B 1286/16 -, juris Rn. 5; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Dezember 2016 - OVG 12 S 82.16 -, juris Rn. 6 (zum Berliner Landesrecht); OVG für das Land Brandenburg, Beschluss vom 8. Mai 2003 - 1 A 189/00.Z -, juris Rn. 8 (zum alten Recht der Gemeindeordnung).
Die verfassungsrechtliche Fundierung des Spiegelbildlichkeitsgrundsatzes hat zur Konsequenz, dass auch Veränderungen der Kräftekonstellationen in der Zusammensetzung des Gemeinderates während der Wahlperiode grundsätzlich durch eine Anpassung der Ausschussbesetzungen nachvollzogen werden müssen, wenn sie wesentlich sind.
OVG NRW, Urteil vom 30. Januar 2017, a. a. O. Rn. 7; VG Arnsberg, Urteil vom 4. Mai 2017 - 12 L 996/17 -, juris Rn. 28; vgl. für die Brandenburgische Kommunalverfassung Schumacher in: ders., Kommunalverfassungsrecht Bbg, a. a. O. BbgKVerf § 41 Ziff. 14.1, 14.5. und § 49 Ziff. 6.1; Grünewald in: Muth, Potsdamer Kommentar - Kommunalrecht und Kommunales Finanzrecht in Brandenburg, Stand Dez. 2020, BbgKVerf § 49 Rn 19.
Abweichungen vom Spiegelbildlichkeitsgrundsatz sind nur zulässig, wenn sie durch entsprechend gewichtiges kollidierendes Verfassungsrecht – etwa mit Blick auf die Funktionsfähigkeit der Gemeindegremien und die Effektivität der Gremienarbeit – gerechtfertigt sind.
Vgl. insofern BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2009 - 8 C 17.08 -, juris Rn. 23 und 26; OVG NRW, Beschluss vom 27. Mai 2005 - 15 B 673/05 -, juris Rn. 9, Urteile vom 15. September 2004 - 15 A 4544/02 -, juris Rn. 36, und vom 2. März 2004 - 15 A 4168/02 -, juris Rn. 57 (jeweils zu Ausnahmen in sachlich begründeten Fällen).
bb) Nach diesen Grundsätzen steht der Antragstellerin der geltend gemachte Anspruch auf Neubildung des Hauptausschusses mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu.
Die Vorschrift des § 41 Abs. 6 Alt. 2 BbgKVerf, nach der eine Neubesetzung des Gremiums nach den Absätzen 2 bis 5 auf Antrag einer Fraktion vorzunehmen ist, wenn sich nach der Wahl das Stärkeverhältnis der Fraktionen in einer Weise geändert hat, dass hiervon die Sitzverteilung berührt wäre, ist auch auf den Hauptausschuss anwendbar; ihre Voraussetzungen liegen vor.
Zunächst ist die Vorschrift des § 41 Abs. 6 Alt. 2 BbgKVerf auch auf den nach
§ 49 BbgKVerf gebildeten Hauptausschuss anzuwenden. Dies folgt bereits aus der allgemeinen Formulierung des § 41 Abs. 1 Satz 1 BbgKVerf, nach der dieser die Fälle betrifft, in denen „die Gemeindevertretung mehrere Mitglieder eines Gremiums zu bestellen oder vorzuschlagen“ hat, und der zufolge diese Mitglieder (und Stellvertreter) „nach dieser Vorschrift“ gewählt werden. Der Hauptausschuss ist ein Gremium, für das die Gemeindevertretung nach § 49 Abs. 2 BbgKVerf die Mitglieder bestellt; er fällt damit in den von § 41 BbgKVerf betroffenen Bereich.
Aus § 49 Abs. 2 Satz 2 BbgKVerf und dessen Formulierung, dass die Gemeindevertretung „in ihrer ersten Sitzung“ die Mitglieder „für die Dauer der Wahlperiode“ bestellt, folgt – anders als die Antragsgegnerin meint – nichts anderes. Dies lässt sich bereits – wie die Antragstellerseite zu Recht hervorgehoben hat – aus den Gesetzgebungsmaterialien entnehmen. Dort wird hinsichtlich der Änderung von der Gemeindeordnung zur Kommunalverfassung darauf hingewiesen, dass das alte Recht eine Neubildung zwingend (allein) vorgesehen habe, wenn die Zusammensetzung des Hauptausschusses nicht mehr den Verhältnissen der Stärke der Fraktionen in der Gemeindevertretung entsprach und ein Antrag auf Neubildung gestellt wurde (LT-Drs. 4/5056, Gesetzentwurf der Landesregierung zum Kommunalrechtsreformgesetz, S. 209). Eine Änderung an dieser – im vorliegenden Fall gegebenen Konstellation – sollte nicht vorgenommen werden, vielmehr sollte dem die weitere Möglichkeit der jederzeitigen Neubesetzung im Fall eines entsprechenden Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder der Gemeindevertretung hinzugefügt werden. Insoweit heißt es, dass diese Möglichkeit nunmehr durch den Verweis auf § 41 geschaffen werde. Damit wird hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der Verweis in § 49 Abs. 2 BbgKVerf auf § 41 auch dessen Absatz 6 (über die Neubesetzung) umfassen soll. Der Verweis gilt ersichtlich nicht allein für die erste Alternative des Absatz 6, sondern er erfasst den Absatz 6 insgesamt.
Schumacher in: ders., Kommunalverfassungsrecht Bbg, a. a. O. § 49 Ziff. 6.1; Grünewald in: Muth, Potsdamer Kommentar, a. a. O. BbgKVerf § 49 Rn 19; Lechleitner in: Muth, Potsdamer Kommentar, a. a. O., BbgKVerf § 41 Rn. 62.
Auch ein Vergleich mit dem Wortlaut der außer Kraft getretenen Gemeindeordnung, nach der, wie auch die Antragsgegnerin zugesteht, eine Neubesetzung im Falle der Änderung des Stärkeverhältnisses der Fraktionen ausdrücklich zu erfolgen hatte (§ 56 Abs. 3 Satz 1 und 2 i. V. m. § 50 Abs. 9 Satz 2 der Gemeindeordnung für das Land Brandenburg - GO), führt zu dem gleichen Ergebnis. Auch dort bereits war die Formulierung enthalten, dass die die Gemeindevertretung „in ihrer ersten Sitzung“ aus ihrer Mitte die Mitglieder des Hauptausschusses „für die Dauer der Wahlperiode“ bestimmt (§ 56 Abs. 3 Satz 1 GO). Daraus lässt sich schließen, dass diese Wortwahl allein darauf verweist, dass es sich beim Hauptausschuss – vor dem Hintergrund seiner Kompetenzen – um einen auf Dauer angelegten und nicht einen nur zeitweise bestehenden Ausschuss handelt. Ein Ausschluss der Neubesetzung nach § 41 Abs. 6 BbgKVerf liegt darin nicht.
Ein beschränkt wortwörtliches Verständnis des Verweises, bezogen allein auf die erste Sitzung der Gemeindevertretung und auf eine gewissermaßen unabänderliche Bestellung der Mitglieder des Hauptausschusses in dieser ersten Sitzung „für die Dauer der Wahlperiode“ stünde im Widerspruch zu den dargestellten Maßgaben des Spiegelbildlichkeitsgrundsatzes. Denn die Wirkung dieses Grundsatzes beschränkt sich nicht auf eine punktuelle Situation im Zeitpunkt der ersten Sitzung der Gemeindevertretung und will diese gewissermaßen „einfrieren“. Vielmehr verlangt er eine dynamische Anpassung an die Veränderungen der Fraktionsverhältnisse in der Gemeindevertretung. Die aktuelle Zusammensetzung des – aus zehn Mitglieder bestehenden – Hauptausschusses verstößt nunmehr aber gegen den Spielbildlichkeitsgrundsatz. Jedenfalls durch die Gründung der Gemeindevertretungsfraktion „Allianz für R... + Unser R...“, die, ebenso wie andere Fraktionen der Gemeindevertretung, die indes im Hauptausschuss vertreten sind, aus zwei der insgesamt 23 Gemeindevertreter besteht, ist eine wesentliche Änderung des Stärkeverhältnisses der Fraktionen in der Antragsgegnerin eingetreten. Besondere Umstände des Einzelfalls, die die Wesentlichkeit dieser Änderung des Stärkeverhältnisses in Frage stellen könnten, sind nicht ersichtlich oder geltend gemacht.
Diese Auslegung von § 49 Abs. 2 BbgKVerf entspricht auch der bisherigen Kammerrechtsprechung, die sich – nach dem Inkrafttreten der Gemeindeverfassung – bereits mit der Frage der Neubesetzung eines Hauptausschusses in einer laufenden Wahlperiode auseinandergesetzt hat und der – eine andere Konstellation betreffenden – Entscheidung dabei die Auffassung zugrunde gelegt hat, dass ungeachtet des Umstandes, dass der Hauptausschuss grundsätzlich auf Kontinuität angelegt ist, jedenfalls im Falle einer Änderung des Stärkeverhältnisses der Fraktionen das Recht zur Neubesetzung besteht. Aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ergibt sich danach, dass für den Hauptausschuss sowohl hinsichtlich der Anzahl der Mitglieder als auch hinsichtlich der Person der Mitglieder die Entscheidung am Anfang der Wahlperiode getroffen wird und für deren Dauer weitgehend unabänderlich ist. Jedoch können besondere Umstände gebieten, von dieser grundsätzlich gebotenen Kontinuität abzuweichen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Hauptausschuss nicht mehr ausreichend das Kräfteverhältnis in der Gemeindevertretung widerspiegelt.
Vgl. Kammerurteil vom 15. November 2012 - VG 1 K 1764/11 -, Entscheidungsabdruck S. 6 f. (bezogen auf die Neubesetzung des Hauptausschusses durch eine Stadtverordnetenversammlung nach Entstehung mehrerer neuer Fraktionen aufgrund der Herabsetzung der Mindestzahl der Fraktionsmitglieder).
Eine Abweichung vom Spiegelbildlichkeitsgrundsatz trotz der wesentlichen Änderung des Stärkeverhältnisses der Gemeindevertretungsfraktionen ist hier auch nicht etwa durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt. Es ist nicht ersichtlich, dass die Funktionsfähigkeit des Hauptausschusses der Gemeinde R... oder die Gewährleistung einer effektiven Ausschussarbeit beeinträchtigt wird, wenn die Antragsgegnerin der Pflicht zur Neubesetzung nachkommt. Die Gefahr einer völligen Zersplitterung dieses kommunalen Gremiums und seine dadurch verursachte Funktionsunfähigkeit zeichnet sich ebenso wenig konkret ab wie eine dauerhafte Gefährdung der Entscheidungsfindung innerhalb der kommunalen Selbstverwaltung. Auch die Antragsgegnerin selbst hat keinerlei Bedenken in diese Richtung formuliert.
Ist die Vorschrift des § 41 Abs. 6 Alt. 2 BbgKVerf danach vorliegend anwendbar, so liegen ersichtlich auch die in ihr vorgesehenen Voraussetzungen vor. Nach der Wahl hat sich – wie dargelegt – (jedenfalls) durch die Gründung der Antragstellerin das Stärkeverhältnis der Fraktionen in einer Weise geändert, dass hiervon die Sitzverteilung nach Absatz 2 berührt ist. Die Antragstellerin stellte auch am 8. Dezember 2020 und bekräftigend in der neuen Fraktionszusammensetzung am 18. Dezember 2020 den erforderlichen Antrag auf Neubesetzung.
Als Rechtsfolge ergibt sich, dass die Neubesetzung nach den Absätzen 2 bis 5 vorzunehmen ist; ein Ermessen der Antragsgegnerin besteht nicht,
vgl. Lechleitner in: Muth, Potsdamer Kommentar, a. a. O., BbgKVerf § 41 Rn. 65.
b) Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
In einem Kommunalverfassungsstreit ist insoweit zu berücksichtigen, dass es grundsätzlich nicht auf die subjektive Betroffenheit des jeweiligen Antragstellers ankommt, sondern darauf, ob die einstweilige Anordnung im Interesse der Körperschaft, der er angehört, objektiv notwendig bzw. – wie hier bei einer Vorwegnahme der Hauptsache – unabweisbar erscheint. Ob eine solche Situation gegeben ist, richtet sich nach den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalles.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. September 2002 - 15 B 855/02 -, juris Rn. 20.
Ausgehend davon ist die beantragte Neubesetzung des Hauptausschusses nach Lage der Dinge unabweisbar. Sie ist nach zur Durchsetzung des verfassungsrechtlichen Spiegelbildlichkeitsgrundsatzes geboten. Das aus diesem abzuleitende Recht auf gleiche Repräsentation und gleichberechtigte Mitwirkung würde für die Dauer eines Hauptsacheverfahrens vereitelt, wenn die beantragte einstweilige Anordnung nicht erginge. Eine derartige auch nur vorübergehende Verletzung demokratischer Grundprinzipien, die das Mitgliedschaftsrecht im Ausschuss als Ganzes und nicht nur dessen Ausgestaltung beträfe, kann insbesondere bei der Besetzung beschließender Ausschüsse nicht hingenommen werden.
3) Soweit sich der Antrag indes auf eine unmittelbar durch gerichtliche Anordnung erfolgende Bestellung der Fraktionsmitglieder zum Mitglied und stellvertretenden Mitglied des Hauptausschusses richtet, ist er unbegründet.
Insoweit mangelt es der Antragstellerin sowohl an einem Anordnungsanspruch als auch an einem Anordnungsgrund. Der oben behandelte Anspruch auf Neubesetzung nach § 41 Abs. 6 i. V. m. Abs. 2 bis 5 BbgKVerf ist – worauf die Antragsgegnerin zu Recht hingewiesen hat – beschränkt auf die Durchführung des durch diese Vorschriften bestimmten Bestellungsverfahrens. Am Ende entscheidet die Gemeindevertretung nach § 41 Abs. 4 BbgKVerf über die Mitglieder der Gremien (hier also des Hauptausschusses) einschließlich ihrer Stellvertreter durch offenen Wahlbeschluss, wobei sie an die Vorschläge der Fraktionen gebunden ist, und bei wiederholter Ablehnung nach § 41 Abs. 5 BbgKVerf durch Listenwahl. Dieses demokratisch legitimierte Verfahren ist für den Hauptausschuss (anders bei den weiteren Ausschüssen nach § 43 BbgKVerf, vgl. § 43 Abs. 2 BbgKVerf: Benennung durch die Fraktionen ohne konstitutiven Wahlakt der Gemeindevertretung) auch vorliegend zu durchlaufen und kann nicht vom Gericht durch eine einstweilige Anordnung abgekürzt oder ersetzt werden. Dazu fehlt dem Gericht – auch mit Blick auf die Gewaltenteilung – die Kompetenz.
Die Ausführungen der Antragstellerin, nach denen für § 41 Abs. 6 Alt. 2 BbgKVerf kein „Ermessen“ der Gemeindevertretung hinsichtlich der konkreten personellen Umsetzung der Neubesetzung bestehen soll, vermögen nicht zu überzeugen. Aus der bezeichneten Vorschrift des § 41 Abs. 6 BbgKVerf ergibt sich klar, dass auf Antrag einer Fraktion eine Neubesetzung „nach Absatz 2 bis 5 vorzunehmen“ ist, wenn die im zweiten Teil des Satzes in zwei Alternativen genannten Voraussetzungen vorliegen.
Es ist im Übrigen nicht ersichtlich, warum die Antragstellerin bei der hier in Rede stehenden Neubesetzung während der Wahlperiode besser stehen sollte, als wenn sie am Anfang der Wahlperiode bereits bestanden hätte und dann nach § 49 Abs. 2 Satz 2 in der ersten Sitzung der Gemeindevertretung (auch) nur einen Anspruch auf Bestellung „nach § 41“ gehabt hätte, also was das Verfahren angeht nach dessen Absätzen 2 bis 5. Denn die Vorschrift des § 41 BbgKVerf gilt, wie bereits ausgeführt, nach ihrem Absatz 1 ohnehin allgemein für die Bestellung der Mitglieder für ein Gremium durch die Gemeindevertretung, gleich ob zu Beginn der Wahlperiode oder eben später im Rahmen einer Neubesetzung. Die Antragstellerin profitiert vorliegend mit der Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Durchführung der Neubesetzung von Absatz 6 der Norm und kann sich nicht gleichzeitig deren sonstigen Maßgaben entziehen. Ein „Ermessen“ der Antragsgegnerin, wie die Antragstellerin formuliert, ist damit indes nicht verbunden. Vielmehr erfolgt die Bestellung der Ausschussmitglieder eben nach den einzelnen verfahrensmäßigen (u. a Wahl-) Maßgaben der Vorschrift.
Der zuletzt mit Schriftsatz vom 26. Januar 2021 vorgetragene Verweis der Antragstellerin auf die Kommentierung zu § 41 BbgKVerf,
vgl. Lechleitner in: Muth, Potsdamer Kommentar, a. a. O., BbgKVerf § 41 Rn. 64,
geht fehl. Eine Ermessensreduzierung wird dort allein für die Frage der Neubesetzung an sich, nicht aber für die Bestellung konkreter Personen diskutiert und befürwortet. Dies verdeutlicht auch die weitere Kommentierung in der sich anschließenden Randnummer, in der für die – hier in Rede stehende – Konstellation der Veränderung der Stärkeverhältnisse der Fraktionen in der Gemeindevertretung – wie auch oben unter 2) – ein Anspruch auf Neubesetzung angenommen wird, nicht aber ein Anspruch auf Durchsetzung konkreter Personen als Hauptausschussmitglieder.
Es ist auch nicht ersichtlich, woraus sich für die Anordnung der konkreten Bestellung der Fraktionsmitglieder zum Mitglied bzw. stellvertretenden Mitglied des Hauptausschusses ein Anordnungsgrund ergeben soll. Auf die obigen Ausführungen, nach denen es insoweit grundsätzlich nicht auf die subjektive Betroffenheit des jeweiligen Antragstellers, sondern darauf ankommt, ob die einstweilige Anordnung im Interesse der Körperschaft, der er angehört, unabweisbar erscheint, wird verwiesen. Ein über die Anordnung der Durchführung der Neubesetzung hinausgehendes Interesse an einer kurzfristigen Entscheidung über die Bestellung eines konkreten Gemeindevertreters als Ausschussmitglied (sowie seines Stellvertreters) ist nicht dargelegt worden und auch nicht ersichtlich.
4) Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO, wonach bei teilweisem Obsiegen und Unterliegen die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen sind. Die Bestimmung des Streitwertes folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG), wobei das Gericht für den Antrag auf Verpflichtung zur Vornahme einer Neubesetzung und für den Antrag auf Bestellung der konkreten Mitglieder des Hauptausschusses jeweils den Auffangwert zugrunde legt und wegen der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache von einer Halbierung dieser Beträge im Eilverfahren absieht.