Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 9. Senat | Entscheidungsdatum | 29.09.2011 | |
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Aktenzeichen | L 9 KR 23/11 B ER | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 86b SGG, § 5 Abs 1 Nr 2a SGB 5, § 173 SGB 5, § 175 SGB 5 |
Zu den Folgen der Verletzung der prozessualen Mitwirkungspflichten einer Krankenkasse für die Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts im Rahmen der Gewährung vorläufigen Rechtschutzes.
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 27. Dezember 2010 geändert: Die Antragsgegnerin wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung beginnend mit dem 27. Dezember 2010 bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung über die Krankenkassenwahl der Antragstellerin im Rahmen des Bezuges von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch/Zweites Buch (SGB II) seit dem 11. Oktober 2010 zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 27. Dezember 2010 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin im Wesentlichen rechtsfehlerfrei für verpflichtet gehalten, der Antragstellerin vorläufig Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen. Allerdings ist die Antragsgegnerin im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach der ständigen Rechtsprechung des Senats erst beginnend mit der Entscheidung des Sozialgerichts zu dieser Leistung zu verpflichten, weil erst ab diesem Zeitpunkt ein eiliges Regelungsbedürfnis i.S.d. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG besteht. Denn durch die Versagung von Leistungen für die Vergangenheit können der Antragstellerin grundsätzlich keine wesentlichen Nachteile mehr entstehen, die sich durch den Erlass der auf eine zukünftige Regelung gerichteten einstweiligen Anordnung noch abwenden ließen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. Januar 2008, L 9 B 600/07 KR ER, zitiert nach juris).
Im Übrigen war die Beschwerde allerdings zurückzuweisen. Die Antragstellerin ist mit dem Beginn des Bezuges von Leistungen von Arbeitslosengeld II nach dem SGB II gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2a Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung. Nach § 173 Abs. 1 i.V.m. § 175 Abs. 1 SGB V ist die Antragstellerin nach dem vom Senat im vorliegenden Verfahren festgestellten Sachverhalt Mitglied der Antragsgegnerin geworden. Denn nach ihrem mit einer eidesstattlichen Versicherung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemachten Vorbringen hat sie sich im Zusammenhang mit der Antragstellung und der Bewilligung von Arbeitslosengeld II an die Antragsgegnerin gewandt und bei dieser um Krankenversicherungsschutz nachgesucht. Dies reicht für das vorliegende Verfahren aus, um eine Ausübung des Wahlrechts i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 SGB V feststellen zu können. Zwar hat die Antragsgegnerin diesen Sachverhalt mit ihrem Beschwerdeschriftsatz vom 27. Januar 2011 bestritten und behauptet, eine Kontaktaufnahme der Antragstellerin mit einer Geschäftsstelle der Antragsgegnerin habe im Zusammenhang mit dem Bezug von Arbeitslosengeld II seit dem 11. Oktober 2011 nicht stattgefunden. Sie hat jedoch trotz - mehrfacher - Aufforderung durch den Senat weder einen vollständigen Verwaltungsvorgang zur Mitgliedschaft der Antragstellerin in dem streitigen Zeitraum übersandt, noch ist sie der Aufforderung nachgekommen mitzuteilen, wann sich die Antragstellerin letztmalig mit dem Begehren an sie gewandt hat, ihr Mitglied zu werden, und was sie der Antragstellerin seit der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II hierzu geschrieben hat. Eine von ihr selbst erbetene Verlängerung der Frist zur Erfüllung ihrer Mitwirkungspflichten und einer ergänzenden Stellungnahme zum Vorbringen der Antragstellerin bis zum 02. September 2011 hat sie ungenutzt verstreichen lassen. Deshalb hat der Senat seiner rechtlichen Würdigung maßgeblich das Vorbringen der Antragstellerin zugrunde gelegt. Denn das pauschale, nicht belegte Bestreiten dieses Sachverhaltes durch die Antragsgegnerin muss unbeachtlich bleiben, so lange sie weder ihre Verwaltungsvorgänge vorlegt, noch die vom Senat zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes gestellten Fragen beantwortet; sie trägt insoweit die Last der Versäumnis ihrer prozessualen Mitwirkungspflichten, weil sie dem Senat damit eine umfassende Prüfung des entscheidungserheblichen Sachverhalts unmöglich gemacht hat und der Senat sich die von ihm für entscheidungserheblich gehaltenen Tatsachen nicht auf andere Weise hätte beschaffen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
[Hinweis: Der folgende Berichtigungsbeschluss wurde in den Entscheidungstext eingearbeitet:
Beschluss:
Der Tenor des Beschlusses vom 29. September 2011 wird wie folgt gemäß § 138 SGG berichtigt:
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 27. Dezember 2010 geändert: Die Antragsgegnerin wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung beginnend mit dem 27. Dezember 2010 bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung über die Krankenkassenwahl der Antragstellerin im Rahmen des Bezuges von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch/Zweites Buch (SGB II) seit dem 11. Oktober 2010 zu gewähren.]