Gericht | VG Potsdam 8. Kammer | Entscheidungsdatum | 26.02.2014 | |
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Aktenzeichen | 8 K 1031/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 227 AO, § 240 Abs 1 AO, § 12c Abs 2 KAG BB |
1. Unmittelbare Rechtsgrundlage für ein Begehren auf Erlass von Abgabenforderungen (hier: Säumniszuschläge) ist im brandenburgischen Kommunal abgabenrecht § 12c Abs. 2 KAG Bbg, nicht § 227 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 5 lit. b KAG Bbg.
2. Der Umstand, dass die Behörde in einem Eilverfahren gegen einen Abgabenbescheid auf Anfrage des Gerichts die Erklärung abgibt, bis zur Entscheidung des Gerichts im Eilverfahren keine Vollziehung durchzuführen (Zusicherung), lässt die Erhebung der Säumniszuschläge in voller Höhe nicht als unbillig erscheinen (entgegen Sauthoff in Driehaus, KAG, Rz. 79 zu § 12).
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Kläger begehrt den Erlass von Säumniszuschlägen.
Mit zwei Bescheiden vom 24. November 2008 (Nrn. …) zog der Beklagte den Kläger zu Beiträgen für die Herstellung der öffentlichen zentralen Entwässerungsanlage für das Grundstück B., Flur 25, Flurstücke … in J. in Höhe von 10 728,72 € und 1 969,20 € heran. Der Kläger erhob Widerspruch und beantragte, die Vollziehung der Beitragsbescheide auszusetzen. Nachdem der Beklagte die Widersprüche mit Bescheiden vom 29. Januar 2009 zurückgewiesen hatte, erhob der Kläger gegen die Beitragsbescheide Klage (VG 8 K 209/09) und beantragte zugleich, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Diesen Antrag lehnte die Kammer (Einzelrichter) mit Beschluss vom 21. August 2009 (VG 8 L 63/09) ab, weil das nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO vorgeschriebene vorgängige Aussetzungsverfahren noch nicht durchgeführt sei.
Der Kläger beantragte am 2. Oktober 2009 erneut die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Diesen Antrag lehnte der Einzelrichter der Kammer mit Beschluss vom 10. März 2010 (VG 8 L 660/09) mit der Begründung ab, die Rechtmäßigkeit der Beitragsbescheide erscheine nach dem im Eilverfahren anzulegenden Prüfungsmaßstab nicht ernstlich zweifelhaft. Es lasse sich nicht ohne weiteres entscheiden, ob das bebaute Grundstück als beitragspflichtig angesehen werden könne, so dass lediglich offen sei, ob der Antragsteller im Hauptsacheverfahren unterliegen oder obsiegen werde. Rechtsmittel legte der Kläger gegen diesen Beschluss nicht ein. Am 22. März 2010 überwies er die Beiträge von zusammen 12 697,92 € an den Beklagten. Die Beitragsbescheide wurden durch rechtskräftiges Urteil des Einzelrichters der Kammer vom 26. Januar 2011 (VG 8 K 209/09) mit der Begründung aufgehoben, es fehle an einer Vorteilslage, weil kein unbedingtes Anschlussrecht nach der Entwässerungssatzung des Zweckverbandes bestehe.
Mit Abrechnungsbescheiden vom 21. Juni 2011 zog der Beklagte den Kläger hinsichtlich des Beitragsbescheides Nr. 11168-2008 zu Säumniszuschlägen für 16 Monate in Höhe von 1 712 € und hinsichtlich des Beitragsbescheides Nr. … zu Säumniszuschlägen für 16 Monate in Höhe von 312 € heran. Dabei ging der Beklagte davon aus, dass die Beiträge am 27. Dezember 2008 fällig geworden seien. Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch vom 28. Juni 2011 machte der Kläger geltend, die Abrechnungsbescheide seien rechtswidrig; jedenfalls sei ihm ein Erlass gemäß § 227 AO zu gewähren. Die Voraussetzungen für den Erlass der Säumniszuschläge wegen Unbilligkeit lägen vor, weil er gegenüber dem Beklagten alles getan habe, um die Aussetzung der Vollziehung der Bescheide zu erreichen und diese, obwohl an sich möglich und geboten, abgelehnt worden sei. In dem zunächst geführten Eilverfahren VG 8 L 63/09 sei der Beklagte von der Kammer gebeten worden, bis zur Gerichtsentscheidung über den Antrag keine Vollziehung durchzuführen; im Verfahren VG 8 L 660/09 habe der Beklagte dies mit Schreiben vom 18. September (richtig: Dezember) 2009 zugesagt.
Mit Bescheiden vom 17. November 2011 wies der Beklagte die Widersprüche gegen die Abrechnungsbescheide bestandskräftig zurück.
Mit weiteren Bescheiden vom selben Tage (AB…) lehnte er den Antrag auf Erlass der Nebenforderungen ab. Hiergegen erhob der Kläger jeweils mit der Begründung Widerspruch, die vollständige Ablehnung seines Erlassantrages sei ermessensfehlerhaft. Sie stehe im Widerspruch zu den in der Kommentierung bei Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Rzn. 79, 106 und 108 zu § 12 KAG festgehaltenen Grundsätzen.
Die Widersprüche wies der Beklagte mit Bescheiden vom 18. April 2012 zurück. Es sei nicht geboten gewesen, dem in Bezug auf die Beitragsbescheide vom 24. November 2008 gestellten Aussetzungsantrag stattzugeben, da keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide bestanden hätten und die Vollziehung für den Kläger keine unbillige Härte zur Folge gehabt hätte. Dies sei durch das Verwaltungsgericht bestätigt worden. Gegenüber dem Kläger sei kein Verzicht auf Vollstreckungsmaßnahmen erklärt worden. Die Zusicherung, auf Vollstreckungsmaßnahmen bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu verzichten, erfolge lediglich auf Bitten des Verwaltungsgerichtes im Verfahren und auch nur diesem gegenüber.
Mit der am 14. Mai 2012 erhobenen Klage macht der Kläger geltend, ihm stehe ein Anspruch auf Erlass der Säumniszuschläge, zumindest auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen dahingehenden Antrag zu. Die Entstehung von Säumniszuschlägen sei nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 20. Mai 2010 (V R 42/08) sachlich unbillig, wenn der Steuerpflichtige alles getan habe, um die Aussetzung der Vollziehung der rechtswidrigen Bescheide zu erreichen und die Aussetzung dem Grunde nach auch möglich und geboten gewesen sei. Um eine Aussetzung der Vollziehung der Beitragsbescheide habe er sich, wenn auch im Ergebnis erfolglos, gegenüber dem Beklagten und dem Verwaltungsgericht bemüht. Die Aussetzung der Vollziehung der Beitragsbescheide sei möglich und geboten gewesen. An der Rechtmäßigkeit der Beitragsbescheide hätten ernstliche Zweifel bestanden. Dies zeige das stattgebende Urteil im Verfahren VG 8 K 209/09. Sein Fall sei dem dem Urteil des Bundesfinanzhofes zu Grunde liegenden Sachverhalt vergleichbar. Entgegen der im Erörterungstermin am 29. Mai 2013 geäußerten Einschätzung des Berichterstatters könne es auf die Rechtskraft des ihm ungünstigen Beschlusses im Eilrechtsschutzverfahren VG 8 L 660/09 nicht maßgeblich ankommen.
Im Übrigen sei bereits von Amts wegen ein Teilerlass auf die Höhe von Aussetzungszinsen auszusprechen, wenn ein Abgabengläubiger zusage, bis zum Abschluss eines Eilverfahrens von Vollstreckungs- oder Beitreibungsmaßnahmen abzusehen (so Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Rz. 108 zu § 12 KAG). Eine solche Zusage habe der Beklagte mit Schreiben vom 18. September (richtig: Dezember) 2009 abgegeben.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 17. November 2011 (AB…) in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 18. April 2012 zu verpflichten, ihm die Säumniszuschläge in Höhe von 1 712 € und von 312 € zu erlassen,
hilfsweise,
den Beklagten unter Aufhebung der genannten Bescheide zu verpflichten, über den Erlassantrag vom 28. Juni 2011 erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die bestandskräftige Festsetzung der Säumniszuschläge beruhe auf § 240 Abs. 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 5 lit. b KAG. Ein Erlassanspruch im Sinne von § 12c Abs. 2, 1. Halbs. KAG stehe dem Kläger nicht zu. Die Erhebung der Säumniszuschläge sei nicht unbillig im Sinne dieser Vorschrift. Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 4 AO blieben verwirkte Säumniszuschläge von der Aufhebung der Abgabenfestsetzung unberührt. Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 14. März 2011 - OVG 9 N 71.10 -) seien die Rechte des zu Säumniszuschlägen Herangezogenen auch dann hinreichend gewahrt, wenn er im Eilverfahren erfolglos geblieben sei, in der Hauptsache indes gegen den Abgabenbescheid obsiegt habe. Es habe in der Entscheidungsfreiheit des Klägers gelegen, mit der Zahlung der Beiträge bis nach Abschluss der verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren abzuwarten. Aus der im Verfahren VG 8 L 660/09 von ihm - dem Beklagten - unter dem 18. Dezember 2009 abgegebenen „Stillhaltezusicherung“ ergebe sich keine sachliche Unbilligkeit, die den Erlass der Säumniszuschläge gegenüber dem Kläger rechtfertigen könnte. Derartige prozessuale Erklärungen würden in der Regel auf ausdrückliche Bitte des Gerichts abgegeben, damit dieses mehr Zeit für die Entscheidung über den nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO sofort vollziehbaren Abgabenbescheid erhalte. So sei es auch in dem Verfahren VG 8 L 660/09 gewesen. Der Kläger sei in den Beitragsbescheiden vom 24. Oktober 2008 im Übrigen unter Angabe der gesetzlichen Grundlagen auf die Rechtsfolgen einer eventuellen Säumnis hingewiesen worden.
Aus der finanzgerichtlichen Rechtsprechung zu § 227 AO könne der Kläger ebenfalls nichts zu seinem Gunsten herleiten. Der Entscheidung des Bundesfinanzhofes vom 20. Mai 2010 (V R 42/08) habe eine höchst spezielle prozessuale und steuerverfahrensrechtliche Problematik zu Grunde gelegen, was zur Folge habe, dass sie auf den Fall des Klägers nicht übertragbar sei. Das vom Kläger mittelbar über seine Hinweise auf die Kommentierung bei Driehaus in Bezug genommene Urteil des Bundesfinanzhofes vom 29. August 1991 (V R 78/86) betreffe einen Sachverhalt, in dem das Finanzamt dem Kläger einen Vollstreckungsaufschub nach § 258 AO gewährt hatte, obwohl nach Auffassung des Bundesfinanzhofes eine Aussetzung der Vollziehung hätte erfolgen müssen. Einen Vollstreckungsaufschub kenne das KAG Brandenburg nicht. Nur in Bezug auf diese spezielle steuerrechtliche Konstellation habe der Bundesfinanzhof ausgeführt, ausnahmsweise sei ein teilweiser Erlass gerechtfertigt, wenn der Vollstreckungsaufschub anstelle einer an sich gebotenen Aussetzung der Vollziehung angeordnet worden sei. Auf Grund des Beschlusses vom 10. März 2010 im Eilrechtsschutzverfahren VG 8 L 660/09 müsse davon ausgegangen werden, dass eine Aussetzung der Vollziehung nach dem Maßstab des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht gerechtfertigt, also nicht geboten gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze verwiesen. Die Verwaltungsvorgänge des Beklagten (2 Hefter, Bl. 1 bis 19 und Bl. 1 bis 29, ferner ein Verwaltungsvorgang zum Klageverfahren, Bl. 1 bis 30) sowie die Gerichtsakten VG 8 K 209/09, VG 8 L 63/09 und VG 8 L 660/09 haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der Entscheidungsfindung gemacht worden.
Über die Klage kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (vgl. § 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage bleibt ohne Erfolg.
Die angefochtenen Bescheide in der Gestalt der Widerspruchsbescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, weil er weder Anspruch auf Erlass der Säumniszuschläge noch auf erneute Bescheidung seines Erlassantrages hat (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO).
1. Als unmittelbare Anspruchsgrundlage für das Begehren auf Erlass der Säumniszuschläge kommt § 12c Abs. 2 KAG in Betracht. Nach dieser Vorschrift können die Gemeinden und Gemeindeverbände Ansprüche aus dem Abgabenschuldverhältnis ganz oder teilweise erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden. Zu den Ansprüchen aus dem Abgabenschuldverhältnis zählen auch Säumniszuschläge im Sinne von § 240 Abs. 1 AO (vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 1 lit. b, Nr. 2 lit. b KAG i.V.m. §§ 3 Abs. 4, 37 Abs. 1 AO). § 12c Abs. 2 KAG ist, was die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass angeht, wortgleich mit § 227 AO, der im Kommunalabgabenrecht des Landes Brandenburg nach § 12 Abs. 1 Nr. 5 lit. a KAG entsprechende Anwendung findet. Wegen der nur entsprechenden Anwendung des § 227 AO tritt diese Vorschrift im vorliegenden Zusammenhang hinter die unmittelbare Vorschrift des § 12c Abs. 2 KAG zurück.
2. Die Einziehung der bestandskräftig festgesetzten Säumniszuschläge ist nicht nach Lage des den Kläger betreffenden Falles unbillig. Für die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes der „Unbilligkeit“ kann auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zu § 227 AO zurückgegriffen werden. Danach ist ein Erlass von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen - um die es hier allein geht - geboten, wenn ihre Einziehung im Einzelfall, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Säumniszuschläge, nicht zu rechtfertigen ist, obwohl der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Erhebung der Säumniszuschläge aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft (BFH, Urteil vom 29. August 1991 - V R 78/86 -, BFHE 165, 178 = juris, Rz. 16; Urteil vom 20. Mai 2010 - V R 42/08 -, BFHE 229, 83 = juris, Rz. 19).
a) Im Bereich des Abgabenrechts kommt den Säumniszuschlägen die Funktion eines „Druckmittels eigener Art“ zu. Daneben werden sie von dem weiteren Rechtfertigungsgrund getragen, diejenigen wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen, die der öffentlichen Hand etwa in Gestalt zusätzlicher Kreditbeträge bei der kurzfristig nötig werdenden Reaktion auf Zahlungsverzögerungen entstehen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. September 2005 - 9 S 10.05 -, juris, Rz. 8 m. w. N.; Beschluss vom 14. März 2011 - OVG 9 N 71.10 -, juris, Rz. 15).
Mit diesen Funktionen laufen die Säumniszuschläge nicht schon dann leer und den Wertungen des Gesetzgebers zuwider, wenn die Abgabenfestsetzung, hinsichtlich derer sie erhoben werden - hier in Gestalt der Beitragsbescheide vom 24. November 2008 - zu einem späteren Zeitpunkt vom Abgabengläubiger oder durch gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird. Denn nach § 12 Abs. 1 Nr. 5 lit. b KAG i.V.m. § 240 Abs. 1 Satz 4 AO bleiben die bis dahin verwirkten Säumniszuschläge unberührt, wenn die Festsetzung einer Abgabe aufgehoben oder geändert wird. Diese Regelung ist im Hinblick auf die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Abgabenfestsetzung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Mai 1995 - 8 B 50.95 -, KStZ 1997, 57; BFH, Urteil vom 20. Mai 2010, a.a.O., Rz. 21; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. März 2011, a.a.O., Rz. 16; jew. m. w. N.; dem folgend Beschluss der Kammer vom 12. August 2013 - VG 8 L 332/13 -, juris, Rz. 10). Mit § 240 Abs. 1 Satz 4 AO ist die Akzessorietät zwischen den Säumniszuschlägen und der abgabenrechtlichen Hauptforderung aufgehoben. Darin gelangt ebenfalls eine gesetzgeberische Wertung zum Ausdruck, die nicht dadurch unterlaufen werden kann, eine sachliche Unbilligkeit hinsichtlich der Erhebung von Säumniszuschlägen regelmäßig dann anzunehmen, wenn die abgabenrechtliche Hauptforderung später aufgehoben wird. Vielmehr müssen noch weitere Umstände hinzutreten, die über die spätere Aufhebung der Abgabenfestsetzung hinaus die Erhebung darauf bezogener Säumniszuschläge als unbillig erscheinen lässt.
Das ist erst dann der Fall, wenn - neben dem Erfolg des Rechtsmittels gegen den Abgabenbescheid - der Abgabenpflichtige gegenüber der Behörde alles getan hat, um die Aussetzung der Vollziehung des Abgabenbescheides zu erreichen und diese, obwohl an sich möglich und geboten, von der Behörde abgelehnt worden ist; in einem solchen Fall erscheint zumindest die Erhebung der Säumniszuschläge in voller Höhe als unbillig (vgl. BFH, Urteil vom 20. Mai 2010, a.a.O., Rz. 22; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. November 2013 - OVG 9 N 136.12 u.a. -, juris, Rz. 11; Sauthoff in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand September 2012, Rz. 106 zu § 12 KAG).
b) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers jedoch nicht erfüllt.
aa) Ungeachtet dessen, dass er im Verfahren VG 8 K 209/09 gegen die Beitragsbescheide vom 24. November 2008 ein obsiegendes Urteil erwirkt hat, kann er sich nicht darauf berufen, alles getan zu haben, um eine an sich mögliche und gebotene Aussetzung der Vollziehung zu erreichen. Der Kläger hat allerdings gegenüber dem Beklagten die Aussetzung der Vollziehung der Beitragsbescheide beantragt und, nachdem über diesen Antrag in angemessener Frist nicht entschieden worden ist, ein (erneutes) Eilverfahren (VG 8 L 660/09) auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Beitragsbescheide erhobenen Klage eingeleitet. In diesem Verfahren ist er jedoch ohne Erfolg geblieben und hat den seinen Antrag zurückweisenden Beschluss vom 10. März 2010 nicht mit dem Rechtsmittel der Beschwerde angefochten. Schon deswegen muss er sich entgegenhalten lassen, gerade nicht „alles“ getan zu haben, um die Aussetzung der Vollziehung zu erreichen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. November 2013, a.a.O., Rz. 12). Abgesehen davon ist mit der rechtskräftigen Ablehnung des Eilrechtsschutzantrags im Verfahren VG 8 L 660/09 die Feststellung verbunden, dass bei Anwendung des in einem Eilverfahren gegen einen Abgabenbescheid üblichen Prüfungsmaßstabes eine Aussetzung der Vollziehung der Beitragsbescheide nicht geboten war. Diese Entscheidung wegen eines Erlassbegehrens einer Nachprüfung zu unterziehen, besteht regelmäßig und so auch hier kein Grund. Gegen eine solche Inzidentprüfung der rechtskräftigen Entscheidung im Eilverfahren spricht neben der Überlegung, divergierende gerichtliche Entscheidungen zu vermeiden, vor allem die materielle Bindungswirkung der im Eilverfahren ergangenen Entscheidung (so bereits Beschluss der Kammer vom 12. August 2013, a.a.O., Rz. 12; im Ergebnis a. A.: Sächs. FG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 8 K 1587/12 -, juris, n. rkr. ). Zudem würden sonst die wesensverschiedenen Prüfungsmaßstäbe des Eil- und des Hauptsacheverfahrens verkannt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. März 2011, a.a.O., Rz. 21).
bb) Die Heranziehung des Klägers zu den vollen Säumniszuschlägen erscheint auch nicht deswegen als unbillig, weil sie für einen Zeitraum entstanden wären, währenddessen eine Stundung des Beitrages möglich oder geboten gewesen wäre (vgl. dazu BFH, Urteil vom 29. August 1991, a.a.O., Rz. 27; Sauthoff, a.a.O., Rz. 109). Eine Stundung wird in der Regel nur auf Antrag gewährt (§ 12c Abs. 1 Satz 2 KAG; § 12 Abs. 1 Nr. 5 lit. a KAG i.V.m. § 222 Satz 2 AO). Einen solchen Antrag hat der Kläger, soweit ersichtlich, aus Anlass der damaligen Beitragsfestsetzung nicht gestellt. Er hat auch weder im damaligen Klage- und Eilverfahren noch im vorliegenden Verfahren geltend gemacht, dass für ihn die Einziehung der Beiträge eine erhebliche Härte bedeuten würde. Einer solchen Annahme stünde im Übrigen entgegen, dass der Kläger die fälligen Beiträge noch vor Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung im Eilverfahren VG 8 L 660/09 an den Beklagten überwiesen hat.
cc) Unbillig erscheint die Erhebung der vollen Säumniszuschläge von dem Kläger auch nicht im Hinblick darauf, dass der Beklagte in dem Eilverfahren VG 8 L 660/09 mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2009 mitgeteilt hat, er werde bis zu einer Entscheidung des Gerichts über den Eilantrag keine Vollziehung durchführen. Diese Erklärung ging auf eine entsprechende, in einem solchen Verfahren üblicherweise geäußerte Bitte des Gerichts zurück. Nach wohl einhelliger, zumindest überwiegender Ansicht in Literatur und Rechtsprechung hindert eine solche Zusicherung ebenso wenig wie ein Vollstreckungsaufschub im Sinne von § 258 AO das Entstehen von Säumniszuschlägen (vgl. BFH, Urteil vom 15. März 1979 - IV R 174/78 -, juris, Rz. 15; OVG Koblenz, Urteil vom 8. November 1988 - 6 A 118/87 -, NVwZ-RR 1989, 324; VGH Kassel, Urteil vom 18. Mai 1988 - 5 UE 2212/84 -, NVwZ-RR 1989, 324, 325; OVG Lüneburg, Urteil vom 9. November 1987 - 1 A 144/86 -, NVwZ-RR 1989, 327; Höllig in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl. 1996, Rz. 38/1 zu § 240; Sauthoff, a.a.O., Rz. 79). Denn diese Zusicherung lässt die Fälligkeit der Abgabe unberührt und betrifft nur das Verhältnis zwischen Gericht und Verwaltung. Sie soll sicherstellen, dass das gerichtliche Eilverfahren nicht mit zeitgleich stattfindenden Vollstreckungsmaßnahmen belastet wird und dem Gericht eine angemessene Zeit zur Entscheidung verbleibt (so ausdrücklich OVG Koblenz, a.a.O.).
Eine solche Zusicherung hat auch nicht zur Folge, dass der Abgabenschuldner so gestellt werden müsste, als habe der Abgabengläubiger ihm gegenüber die Vollziehung des Abgabenbescheides ausgesetzt, so dass Säumniszuschläge billigerweise nur in Höhe von Aussetzungszinsen, also in hälftiger Höhe (vgl. §§ 237, 238 Abs.1 Satz 1 AO) erhoben werden dürften (so aber Sauthoff, a.a.O., unter Berufung auf OVG Münster, Beschluss vom 27. Juni 1984 - 3 B 2178/83 -, n.v., laut Mitteilung des OVG Münster ist diese Entscheidung nicht mehr verfügbar). Dies wird mit der Erwägung begründet, auf Grund seiner Erklärung dürfe der Abgabengläubiger nicht vollstrecken (so Sauthoff, a.a.O.). Das überzeugt nicht. Denn der Abgabengläubiger ist an seine Zusicherung, insbesondere bei Vorliegen eines wichtigen Grundes, wie etwa dem drohenden Vermögensverfall des Abgabenschuldners, gerade nicht gebunden. Vielmehr handelt es sich um eine, wie gezeigt, informelle Erklärung gegenüber dem Gericht.
Im Übrigen verkennt die genannte Auffassung auch die prozessuale Risikoverteilung zwischen den Beteiligten eines abgabenrechtlichen Eilverfahrens. Der Abgabenschuldner, sofern er nicht im Sinne von § 80 Abs. 4 Satz 3, 2. Halbs. VwGO zahlungsunfähig ist, trifft in eigener Verantwortung die Entscheidung, ob überwiegende Erfolgsaussichten schon bei der überschlägigen Prüfung in einem Eilverfahren gegen den Abgabenbescheid bestehen oder ob es sicherer erscheint, die geforderte Abgabe zunächst zu entrichten und für den Fall eines Obsiegens im Klageverfahren den gezahlten Betrag zuzüglich Prozesszinsen zurückzuerhalten. Entscheidet er sich für die „Risikovariante“, muss er deren mögliche Konsequenzen tragen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. März 2011, a.a.O., Rz. 18). Auch bei dieser Betrachtungsweise erscheint es nicht als unbillig, den Abgabenschuldner mit den vollen Säumniszuschlägen zu belasten. Vielmehr besteht kein Grund, den Abgabengläubiger, der mit dem Eilrechtsschutzverfahren gewissermaßen angegriffen wird, und einer Bitte des Gerichts, vorläufig keine Vollstreckungsmaßnahmen zu ergreifen, nachkommt, durch den Verlust der Hälfte der Säumniszuschläge zu benachteiligen.
dd) Schließlich liegt eine zumindest einen Teilerlass rechtfertigende Unbilligkeit auch nicht deswegen vor, weil der Beklagte die Säumniszuschläge gegen den Kläger zu Unrecht für 16 Monate festgesetzt hat. Nach § 12 Abs. 1 Nr. 5 lit. b KAG i.V.m. § 240 Abs. 1 Satz 1 AO ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1% des auf den nächsten durch 50,- € teilbaren Abgabenbetrages zu entrichten, wenn die Abgabe nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet worden ist. Die mit den Bescheiden vom 24. November 2008 festgesetzten Beiträge wurden innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Bescheide fällig. In den Abrechnungsbescheiden ist der Beklagte, ohne dass der Kläger dies beanstandet hätte, vom Eintritt der Fälligkeit am 27. Dezember 2008 ausgegangen. Zwischen diesem Tag und dem Tag, an dem die Überweisung der Beiträge bei dem Beklagten eingegangen war, dem 22. März 2010, liegen nicht 16, sondern lediglich 15 (angefangene) Monate. Die daraus folgende Teilrechtswidrigkeit der Abrechnungsbescheide vom 21. Juni 2011 begründet jedoch nicht die Annahme einer Unbilligkeit in entsprechendem Umfang. Ein Erlassantrag wegen sachlicher Unbilligkeit führt nur ausnahmsweise zu einer sachlichen Überprüfung der Abgabenfestsetzung, wenn diese offensichtlich und eindeutig falsch ist und es dem Abgabenpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar gewesen ist, sich gegen diese Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. August 1990 - 8 C 42.88 -, juris, Rz. 29 m. w. N.; Aussprung in derselbe und andere, KAG Mecklenburg-Vorpommern, Stand: April 2013, Anm. 75.6.1 zu § 12 KAG; Sauthoff, a.a.O., Rz. 105). Dem Kläger war es jedoch ohne weiteres möglich, gegen die Abrechnungsbescheide in der Gestalt der dazu ergangenen Widerspruchsbescheide vom 17. November 2011 im Wege der (Teil-)Anfechtung vorzugehen. Dass er dies unterlassen und die Abrechnungsbescheide hat bestandskräftig werden lassen, kann nicht nachträglich im Erlassverfahren korrigiert werden.
3. Soweit neben § 12c Abs. 2 KAG noch Raum für eine entsprechende Anwendung von § 227 AO (i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 5 lit. a KAG) verbleiben sollte, könnte sich daraus für den Kläger etwas Günstigeres nicht ergeben. Wie bereits gezeigt, sind die tatbestandlichen Voraussetzungen beider Normen deckungsgleich, so dass ein Erlass oder Teilerlass der Säumniszuschläge auf der Grundlage von § 227 AO nicht in Betracht käme.
4. Da bereits der Tatbestand für einen Erlass nicht eröffnet ist, erweisen sich die angefochtenen Bescheide nicht als ermessensfehlerhaft. Damit ist für die vom Kläger hilfsweise begehrte Aufhebung der Bescheide, verbunden mit der Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung, kein Raum. Nichts anderes ergibt sich, wenn man wegen der engen Verzahnung von Voraussetzung und Rechtsfolge in § 12c Abs. 2 KAG von einer einheitlichen Ermessensentscheidung auszugehen hätte (vgl. dazu GmSOBG, Beschluss vom 19. Oktober 1971 - GmS-OBG 3/70 -, BVerwGE 39, 355 = juris, Rzn. 25 ff.; BVerwG, Urteil vom 13. März 1997 - 3 C 2/97 -, BVerwGE 104, 154 = juris, Rzn. 26 f.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung ist nicht zuzulassen, weil die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO nicht vorliegen (vgl. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2 024 € festgesetzt.
Gründe
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.