Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 1. Senat | Entscheidungsdatum | 13.06.2014 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | L 1 KR 435/12 KL | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 3 GG, § 11 Abs 6 SGB 5, § 27a SGB 5, § 1 LPartG |
Zur Auslegung eines Schreibens als Verwaltungsakt. § 11 Abs 6 SGB 5 erlaubt keine Leistungsausweitung der Leistungen zur künstlichen Befruchtung (§ 27 a SGB 5) auf Nichtverheiratete.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten, vertreten durch das Bundesversicherungsamt als Aufsichtsbehörde, die Genehmigung einer Satzungsänderung zur Ermöglichung einer Kostenübernahme für Kosten der künstlichen Befruchtung nicht nur für Eheleute, sondern auch für Paare in einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft.
Die Klägerin ist eine bundesweit geöffnete Betriebskrankenkasse und hat über 400.000 Versicherte. Sie hat ihren satzungsmäßigen Sitz in B.
Am 19. April 2012 beschloss der Verwaltungsrat der Klägerin vier Nachträge zur Satzung, u. a. den 7. Nachtrag - § 13 Leistungen IX. Kostenübernahme bei künstlicher Befruchtung
§ 13 Abs. 9 soll danach wie folgt lauten:
Kostenübernahme künstliche Befruchtung
1. Zusätzlich zu dem Zuschuss nach § 27a (3) erhalten bei der BKK VBU versicherte Ehegatten weitere 25 % der mit dem Behandlungsplan genehmigten Kosten der Maßnahmen.
2. Zusätzlich übernimmt die BKK VBU 75 % der mit dem Behandlungsplan genehmigten Kosten der Maßnahmen
a. Bei versicherten Paaren in auf Dauer angelegter Lebensgemeinschaft
b. Ab dem 20. Lebensjahr
Wenn beide Partner/Ehegatten bei der BKK VBU versichert sind.
Die Kostenerstattung kann nur auf der Basis einer spezifizierten Rechnung eines zugelassenen oder nach § 13 Abs. 4 SGB berechtigten Leistungserbringers erfolgen.
Der Satzungsnachtrag sollte vorbehaltlich der Genehmigung am 1. Mai 2012 in Kraft treten.
Mit Bescheid vom 18. Juni 2012 genehmigte die Beklagte den 7. Nachtrag zur Satzung vom 1. Januar 2012 eingeschränkt.
Es bestünden hinsichtlich der Genehmigung von § 13 Abs. 9 Nr. 2a (Kostenübernahme künstlicher Befruchtung bei versicherten Paaren in auf Dauer angelegter Lebensgemeinschaft) Bedenken. Aufgrund der laufenden Kommunikation mit dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) könne eine Genehmigung wegen des nicht vorliegenden Prüfungsergebnisses zum jetzigen Zeitpunkt nicht erfolgen. Beigefügt war folgende Genehmigung selbst:
„Der vom Verwaltungsrat am 19. April 2012 beschlossene 7. Nachtrag zur Satzung wird mit Ausnahme von Artikel I § 13 Abs. 9 Nr. 2a. (Kostenübernahme künstliche Befruchtung bei versicherten Paaren in auf Dauer angelegter Lebensgemeinschaft) und insoweit Art. II (in Krafttreten) gemäß § 195 Abs. 1 Sozialgesetzbuches V i. V. m. § 90 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches IV genehmigt.“
Der Bescheid erhielt eine Rechtsbehelfsbelehrung (Klage innerhalb eines Monats beim hiesigen Gericht).
Mit am 20. September 2012 bei der Klägerin eingegangenen Schreiben vom 17. September 2012 teilte die Beklagte der Klägerin unter Bezugnahme auf ihren Bescheid vom 18. Juni 2012 mit, dass es bei der seinerzeitigen Versagung der Satzungsgenehmigung verbleibe. Mittlerweile liege eine Stellungnahme des BMG vom 1. August 2012 vor. Darin werde daraufhin gewiesen, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf die Regelung des § 27a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) davon ausgehe, dass die Ehe den Belangen des Kindeswohls Rechnung trage und diese typisierende Wertung des Gesetzgebers allenfalls mittelbaren Bezug zum Leistungsumfang habe. Nur der Gesetzgeber selbst könne nach Auffassung des BMG von dem Kriterium der Ehe abrücken. Es werde in diesem Zusammenhang auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 28. Februar 2007 (1 BvL 5/03) verwiesen, wonach es mit dem Grundgesetz vereinbar sei, dass § 28a Abs. 1 Nr. 3 SGB V die Leistungen medizinischer Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft (künstliche Befruchtung) durch die gesetzliche Krankenversicherung auf Personen beschränke, die miteinander verheiratet seien.
Die Klägerin hat am 17. Oktober 2012 Klage erhoben.
Zu deren Begründung hat sie ausgeführt, die beschlossene Satzungsänderung sei nach § 11 Abs. 6 SGB V zulässig und daher zu genehmigen. Nach dieser Vorschrift könnten die Krankenkassen in ihrer Satzung zusätzliche vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) nicht ausgeschlossene Leistungen in der fachlich gebotenen Qualität u.a. im Bereich der künstlichen Befruchtung (§ 27a SGB V) vorsehen. Die von ihr beschlossenen Leistungserweiterungen bei der künstlichen Befruchtung seien von der Beklagten auch teilweise genehmigt worden. Es hätte aber auch die Erweiterung auf nicht verheiratete Paare genehmigt werden müssen.
Nach dem Willen des Gesetzgebers habe die Krankenkasse aufgrund § 11 Abs. 6 SGB V einen weiten Gestaltungsspielraum (Bezugnahme auf BT-Drucksache 17/6906 S. 53). Im Gesetz selber seien außer in § 11 Abs. 6 SGB V keine Einschränkungen der Leistungserweiterungen genannt. Solche zu schaffen sei mit dem Wortlaut nicht vereinbar und widerspräche der Intension des Gesetzgebers. § 11 Abs. 6 SGB V differenziere auch nicht zwischen unmittelbaren und mittelbaren Leistungserweiterungen. Dass es bei der Bedingung der Ehe im § 27a SGB V nur um ein mittelbares Kriterium gehe, sei unrichtig. Das Merkmal sei nämlich nach § 27a Abs. 1 Nr. 3 SGB V eine unmittelbare Voraussetzung für die Leistungsgewährung. Soweit im § 27a Abs. 3 SGB V das Alter der Versicherten -zwischen 25 bis 40 für Frauen bzw. bis 50 Jahre für Männer- geregelt sei, handele es sich auch um eine unmittelbare Voraussetzung.
Das Gesetz selbst nenne in § 11 Abs. 6 SGB V auch nicht nur die Paragraphen, deren Leistungsumfang erweitert werden dürften (z. B. § 27a SGB V), sondern benutze den Begriff „Bereich“. Es solle also den Krankenkassen ermöglicht werden, den gesamten Bereich der künstlichen Befruchtung auszuweiten. Hätte der Gesetzgeber unabdingbar an der Voraussetzung der Ehe festhalten wollen, hätte er dies direkt ausschließen müssen, ähnlich wie im Bereich zahnärztlicher Behandlung den Zahnersatz. Für diesen Bereich sollte die bewährte Systematik von Festbeträgen und Festzuschüssen durch die Ausweitung von Satzungsleistungen nicht gefährdet werden (Bezugnahme auf BT-Drucksache, eben da).
§ 27a SGB V knüpfe nicht an den Versicherungsfall der Krankheit an, vielmehr an die Unfruchtbarkeit zweier Personen (Bezugnahme auf Kassler Kommentar § 27a SGB V Rdnr. 4). Der Familienstand sei ein letztlich für den Umfang der Anspruchsberechtigung beschränkendes Merkmal ähnlich wie das Alter. Während der historische Gesetzgeber in der Begründung zur Aufnahme der künstlichen Befruchtung 1990 einen Anspruch von Ehepaaren beschrieben habe, habe er nunmehr 2012 eine Regelung geschaffen, welche den Krankenkassen Art, Umfang und Dauer der Leistungen zu bestimmen, einräume.
Das Bundesverfassungsgericht habe im Urteil vom 28. Februar 2007 klar festgestellt, dass das Grundgesetz einer künstlichen Befruchtung bei nicht miteinander verheiratete Personen nicht entgegenstehe (Bezugnahme auf BVerfG, a. a. O. Rdnr. 28 und 40).
Dass § 11 Abs. 6 SGB V in weitem Umfang ermächtige, zeige sich zuletzt darin, dass die Aufsichtsbehörde in Baden-Württemberg eine entsprechende Regelung der BKK Scheufelen genehmigt habe.
Die Klägerin beantragt,
dem Bescheid der Beklagten vom 17. September 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Art. I § 13 Abs. 9 Nr. 2a (Kostenübernahme künstliche Befruchtung bei versicherten Paaren in auf Dauer angelegter Lebensgemeinschaft) in der Fassung des 7. Nachtrags zur Satzung vom 1. Januar 2012 der Klägerin zu genehmigen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die Genehmigung verweigern zu müssen, da die satzungsrechtliche Öffnung eines Anspruches unverheirateter Paare auf Leistungen der künstlichen Befruchtung von § 11 Abs. 6 SGB V nicht gedeckt sei, vielmehr gegen § 27a SGB V verstoße und mit dem Grundsatz des Gesetzesvorbehaltes in § 31 Sozialgesetzbuch Erstes Buch, § 194 Abs. 2 Satz 2 SGB V und Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) unvereinbar sei. Die Auffassung der Klägerin wiederspreche der systematischen, teleologischen und historischen Auslegung des § 11 Abs. 6 SGB V. Die für erweiterte Satzungsregelungen in Betracht kommenden Leistungsbereiche seien dort ausdrücklich und abschließend genannt (Bezugnahme auf BT-Drucksache 17/6906 Seite 53).
Die Bereiche müssten gesetzlich klar umschrieben und abgrenzbar sein und seien daher einer erweiternden Auslegung kaum zugänglich. Nur innerhalb eines bestimmten und schon klar umschriebenen Bereiches gebe es den von § 11 Abs. 6 SGB V eingeräumten Gestaltungsspielraum. Die Vorschrift ermächtige hingegen nicht dazu, den konkreten Leistungsbereich des in der Norm genannten Bereichs eigenmächtig zu definieren. Im konkreten Fall nehme § 11 Abs. 6 SGB V ausdrücklich auf die Definition des Bereiches in § 27a SGB V Bezug. Der von § 27a SGB V festgelegte Bereich umfasse (nur) den Anspruch eines verheirateten Paares. Ihm liege der eigenständige Versicherungsfall der Unfähigkeit der Eheleute, auf natürlichem Weg Kinder zu zeugen, zu Grunde (Bezugnahme auf Kassler/Kommentar/Brands § 27a SGB V Rdnr. 4 sowie auf BT-Drs. 11/6760 S.10). Nach dem Willen des historischen Gesetzgebers sollten Ehepaare einen Anspruch auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung erhalten. Der Ehegattenvorbehalt werde zudem nicht nur in § 27a Abs. 1 Nr. 3 SGB V normiert, sondern in Nr. 4 und 5 des Absatzes bekräftigt. Allein der Gesetzgeber könne den so umfassten Leistungsbereich des § 27a SGB V erweitern. Auch das Bundesverfassungsgericht habe nur ausgeführt, dass es dem Gesetzgeber -nicht aber den Krankenkassen- verfassungsrechtlich nicht verwehrt wäre, den Leistungsbereich auszuweiten.
Der Leistungsbereich der künstlichen Befruchtung könne auch nicht in § 11 Abs. 6 Satz 2 SGB V dadurch erweitert werden, dass Art und Umfang (und Dauer) der Leistung durch die Satzung näher bestimmt würden. Bezüglich der „Art“ der Leistung, welche per Satzung geregelt werden könnten, nenne § 11 Abs. 6 SGB V zunächst die betreffenden Leistungsbereiche und verweise auf die ihnen zugrunde liegenden Normen. Mehrleistungen seien nur dann von § 11 Abs. 6 SGB V erfasst, wenn das SGB V ausdrücklich zu ihrer Leistung ermächtige. Seien Mehrleistungen also gesetzlich in konkreter Form angesprochen – wie zum Beispiel der Zuschuss nach § 23 Abs. 2 Satz 2 SGB V –, so sei auch diese „Art“ in den in § 11 Abs. 6 SGB V genannten „Bereich“ einbezogen und satzungsrechtlich festzuschreiben. Im Übrigen erfolge in der Satzung die Bestimmung über zulässige Abweichungen von den gesetzlichen Anforderungen. Teilweise werde in § 11 Abs. 6 SGB V mit der In-Bezugnahme auf Normen, die ihrerseits Sonderregelungen darstellten, bestehende Möglichkeiten ausgeweitet bzw. festgeschrieben, so etwa im Hinblick auf § 38 SGB V. Entscheidend sei, was in der in Bezug genommenen Norm stehe und wie diese den Bereich definiere. Für den Bereich „Leistungen für künstliche Befruchtung (27a SGB V)“ sei bereits in § 27a SGB V gesetzlich definiert, dass Anspruchsvoraussetzung die Ehe des betroffenen Paares sei. Der nicht krankheitsbezogene Sondertatbestand der Leistungen zur künstlichen Befruchtung werde so in § 11 Abs. 6 SGB V ohne Abweichungsmöglichkeit von den in § 27a Abs. 1 Nr. 3 bis 5 SGB V als Voraussetzung genannten Ehegattenvorbehalt vorgegeben. Insoweit unterscheide sich dieser Bereich auch von den übrigen in § 11 Abs. 6 genannten Bereichen wie etwa der Haushaltshilfe.
Dass ein Anspruch auf Leistungen für verheiratete Paare gegeben sein sollte und es sich hierbei um ein geschlossenes Regelungskonzept handele, habe sich auch durch die Diskussion im Zuge des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes (GKV-VStG) zur Ausdehnung des Finanzierungsanteils an einer künstlichen Befruchtung bestätigt. Zwar sei das „gesamtgesellschaftliche Anliegen“ der Unterstützung von Paaren mit Kinderwunsch seitens des Bundesrates dahingehend hervorgehoben worden, dass eine vollständige Finanzierung erfolgen solle (Bezugnahme auf BT-Drucksache 17/7274 Seite 3f). Eine Ausweitung des Regelungsbereichs auf unverheiratete Paare sei aber weder im Zuge des GKV-VStG noch im Zeichen der Initiative des Bundesrates zum Entwurf eines Kinderwunschförderungsgesetzes (BT-Drucksache 17/9344) erwogen worden. Der Bundesrat habe sogar vorgeschlagen, in § 11 Abs. 6 Satz 1 die Wörter „der künstlichen Befruchtung (§ 27a)“ zu streichen, um sie einer Satzungsregelung zu entziehen. Die Bundesregierung habe ihrerseits im Hinblick auf die Ausdehnung des Finanzierungsanteils im Bereich der künstlichen Befruchtung auf den eingeräumten Gestaltungsspielraum in § 11 Abs. 6 SGB V hingewiesen (BT-Drs. 17/7274 S. 28 und 17/9344 S.7). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers wäre ein Anspruch nicht verheirateter Paare kein die Leistungen in § 27a SGB V ergänzender, sondern ein per se anderer Leistungsanspruch.
Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.
Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, jedoch unbegründet.
I. Die Klage ist zulässig.
Sie ist insbesondere nicht verfristet.
Das Schreiben der Beklagte vom 17. September 2012 stellt einen Verwaltungsakt nach § 31 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) dar. Die handelnde Behörde hat darin nämlich rechtsgestaltend eine Regelung getroffen. Sie hat die Genehmigung des Satzungsnachtrages abgelehnt, soweit dieser die Ausweitung der Leistungen auch für nichtverheiratete Paare vorsieht.
Zwar heißt es im Schreiben vom 17. September 2012, unter Bezugnahme auf den Bescheid vom 18. Juni 2012 werde mitgeteilt, dass es bei der „seinerzeitigen Versagung“ der Satzungsgenehmigung verbleibe.
Eine solche Versagung ist im Bescheid vom 18. Juni 2012 aber nicht tenoriert worden. Vielmehr ist die Genehmigung insoweit nur zurückgestellt worden, da aufgrund der laufenden Kommunikation mit dem BMG die Prüfung noch nicht beendet sei. Das Bundesversicherungsamt hat in jenem Bescheid also nur bestimmt, dass eine positive Genehmigung derzeit nicht erfolgen könne.
Dass dem Schreiben vom 17. September 2012 keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt war, ändert am Verwaltungsaktcharakter nichts. Maßgeblich ist der objektive Erklärungswert des Schreibens.
Hinsichtlich der richtigen Klageart kann offen bleiben, ob die Klage auf Erteilung einer Satzungsgenehmigung als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) oder als Aufsichtsklage nach § 54 Abs. 3 SGG statthaft ist (Bundessozialgericht – BSG – Urteil vom 8. November 2011 – B 1a 1/11 R juris – Rdnr. 9). Wie im dort entschiedenen Fall macht auch hier die Klägerin geltend, einen Anspruch auf Satzungsgenehmigung zu haben.
II. Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Versagung der begehrten Satzungsgenehmigung ist rechtmäßig. Der Bescheid vom 17. September 2012 verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
1. Nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB IV i. V. m. § 195 Abs. 1 SGB V bedarf die Satzung einer Krankenkasse bzw. deren Änderung der Genehmigung der Aufsichtsbehörde.
Aufsichtsbehörde ist hier nach § 90 Abs. 1 Satz 1 SGB IV das Bundesversicherungsamt, da sich der Zuständigkeitsbereich der Klägerin als Versicherungsträger über das Gebiet eines Bundeslandes hinaus erstreckt.
Nach § 194 Abs. 2 Satz 1 SGB V darf die Satzung einer Krankenkasse keine Bestimmungen enthalten, die den Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung widersprechen.
In der Anwendung des § 195 Abs. 1 SGB V ist die Beklagte als Aufsichtsbehörde auf eine Rechtskontrolle beschränkt. Durch den Genehmigungsvorbehalt soll (nur) sichergestellt werden, dass sich die Satzung mit dem Gesetz und dem sonstigen für die Krankenkassen maßgeblichen Recht in Einklang befindet (ständige Rechtsprechung des BSG vgl. Urteil vom 24. April 2002 – B 7/1a 4/00 R – juris-Rdnr. 39 mit weiteren Nachweisen).
Nach § 194 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 SGB V darf die Krankenkasse Satzungsleistungen aber nur einführen, wenn und soweit das SGB V hierzu ausdrücklich ermächtigt (vgl. BSG, a. a. O. Juris Rdnr. 43).
Eine solche Ermächtigung enthält § 11 Abs. 6 SGB V für die dort im Einzelnen aufgezählten Leistungsbereiche. Zu diesen zählt jedoch die begehrte Ausweitung des Personenkreises für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nicht. Die Beklagte musste die Genehmigung deshalb versagen, auch wenn die Aufsichtsbehörde in Baden-Württemberg dies anders gesehen hat.
2. Einer Erweiterung des Leistungsanspruches auf unverheiratete Paare steht allerdings nicht bereits die Vorgabe in § 11 Abs. 6 SGB V entgegen, dass die Satzungsleistungen nicht vom GBA ausgeschlossen seien dürfen.
Diese Einschränkung ist nach dem Ordnungssystem des SGB V sachlich geboten und als Klarstellung zu deuten, weil es andernfalls nicht nur zur formellen Kollisionen, sondern auch zu inhaltlichen Wertungswidersprüchen zwischen der Satzungskompetenz der Kasse einerseits und der Beurteilungs-/Richtlinienkompetenz des GBA andererseits kommen könnte, die bezüglich Qualität, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Leistungen übergreifend angelegt ist (so zutreffend Noftz in Hauck/Noftz SGB V § 11 Rdnr. 77).
Nach § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V beschließt der GBA zur Sicherung der ärztlichen Versorgung auf erforderlichen Richtlinien nicht nur im Hinblick auf medizinische Gesichtspunkte im engeren Sinne (ausreichende Versorgung), sondern auch für eine zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten.
Eine Richtlinie zur Regelung medizinischer Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach § 27a Abs. 1 SGB V ist nach §§ 27a Abs. 4, 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 SGB V explizit vorgesehen. Der GBA ist diesem Regelungsauftrag durch die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung („Richtlinien über künstliche Befruchtung“) in der Fassung vom 14. August 1990, zuletzt geändert am 18. Oktober 2012 mit Wirkung zum 18. Dezember 2012, nachgekommen.
Allerdings muss der entsprechenden Richtlinie selbst ein originärer Regelungscharakter zukommen. Dies ergibt sich aus der Gesetzeswendung, dass kein „Ausschluss“ durch den GBA vorliegen darf. Wiederholt eine Richtlinie des GBA lediglich die Bestimmung des höherrangigen formellen Rechts schließt nicht die Richtlinie die Leistung im Sinne des § 11 Abs. 6 SGB V aus. Dies erfolgt vielmehr bereits durch das höherrangige formelle Recht.
So liegt der Fall hier:
Die Richtlinien über künstliche Befruchtung wiederholt in Nr. 2 lediglich, dass die betreffenden Personen miteinander verheiratet sein müssen.
3. Die Satzungsregelung ist weiter nicht bereits unwirksam, weil die formulierte Voraussetzung einer „auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft“ zu unbestimmt ist.
Das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Bestimmtheitsgebot besagt, dass die Rechtsvorschriften so gefasst sein müssen, dass der Betroffene seine Normunterworfenheit und die Rechtslage konkret erkennen kann. Er muss sein Verhalten danach ausrichten können (vgl. Urt. des Landessozialgericht Berlin-Brandenburg vom 21. Dezember 2011 -L 24 KA 39/08 KL- juris-Rdnr. 23 mit Bezugnahme auf BVerfGE 108, 52, 75 m. w. N.).
Dabei dürfen die Anforderungen an die Klarheit und Bestimmtheit jedoch nicht übersteigert werden. Müsste jeder Tatbestand mit exakt erfassbaren Merkmalen bis ins Letzte beschrieben sein, dann wären die Normen sehr starr und/oder rein kasuistisch und könnten deshalb der Vielgestaltigkeit des Lebens und den Besonderheiten des Einzelfalls nicht mehr gerecht werden. Die Regelungen müssen lediglich so genau gefasst sein, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts und mit Rücksicht auf den Normzweck gerechtfertigt ist (vgl. BVerfGE 110, 371, 396 m. w. N.). Eine Auslegungsbedürftigkeit macht eine Norm nicht unbestimmt. Dem Bestimmtheitserfordernis wird vielmehr genügt, wenn Auslegungsprobleme mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden können (vgl. BVerfGE 82, 209, 224 ff; 110, 370, 396f m. w. N.). So können unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet werden, sofern sie der Konkretisierung durch Auslegung zugänglich sind (vgl. z. B. BVerfGE 82, 209, 224 bis 227 zu Begriffen wie Bedarfsgerechtigkeit, Leistungsfähigkeit und Kostengünstigkeit).
Danach ist der Begriff der auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft ein noch tauglicher und gängiger unbestimmter Rechtsbegriff, gerade in der Abgrenzung zur Ehe und zur eingetragenen Partnerschaft. Da die Satzungsregelung eine Begünstigung auf Antrag einführen soll, sind Unklarheiten hinnehmbar.
4. Die Satzungsregelung verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 und 3 GG.
Danach sind unter anderem Regelungen unzulässig, die Personen aufgrund ihres Geschlechts benachteiligen.
Nach der Satzungsregelung ist zwar theoretisch eine Diskriminierung der Lebenspartner nach dem Gesetz über eingetragene Lebenspartner (LPartSchG) denkbar. Das gleiche Geschlecht im Sinne des § 1 LPartSchG ist nämlich nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit dem biologischen. Es gibt zwar eine einschlägige Vorschrift, nach der auf abstrakt-genereller Gesetzes die Fähigkeit (rechtlich) gleichgeschlechtlicher Partner Kinder zeugen zu können, ausgeschlossen sein sollte, § 8 Transsexuellengesetz. § 8 Transsexuellengesetz setzt nämlich für einen Wechsel des Geschlechts von Gesetzes wegen unter anderem dauerhafte Fortpflanzungsunfähigkeit voraus. Diese Gesetzesregelung ist aber mittlerweile vom Bundesverfassungsgesetz aufgrund ihrer Verfassungswidrigkeit für unanwendbar erklärt worden (BVerfG, B. v. 11. Januar 2011 -1 BvR 3295/07-).
Allerdings werden jedenfalls ein großer Teil der theoretisch denkbaren, von vornherein mutmaßlich seltenen Fälle, biologisch gemeinsamen Kinderwunsches eingetragener Lebenspartner durch ihre Einbeziehung in die Satzungsregelung als nichteheliche Lebensgemeinschaft lösbar sein. Die restlichen theoretisch denkbaren Fälle, in denen die Partner getrennt leben, dürften so selten auftreten, dass sich die Klägerin als Satzungsgeberin nicht zu einer Regelung veranlasst sehen musste.
Die rein formale Benachteiligung solcher Lebenspartner gegenüber Eheleuten, bei denen nicht geprüft wird, ob sie noch zusammenleben und (gemeinsam) das Kind aufziehen werden, ist hinnehmbar.
5. § 11 Abs. 6 SGB V erlaubt es jedoch nicht, von den Vorgaben jedenfalls des § 27a SGB V, genauer jedenfalls von dessen Absatz 1, abzuweichen:
Dem reinen Wortlaut des § 11 Abs. 6 SGB V lässt sich jedoch wiederum nichts Eindeutiges entnehmen. Einerseits kann -mit der Beklagten- argumentiert werden, dass § 11 Abs.6 SGB V ausdrücklich auf künstliche Befruchtungen im Sinne des § 27a SGB V verweist. Dem kann die Klägerin entgegenhalten, dass eine ausdrückliche Regelungsausnahme nicht formuliert wurde, obgleich dies für einen anderen Leistungsbereich, dem des Zahnersatzes als Teil der zahnärztlichen Behandlung, ausdrücklich formuliert ist.
Auch ist der Wille des historischen Gesetzgebers hinsichtlich des durch § 11 Abs. 6 SGB V den Kassen eingeräumten Gestaltungsspielraums nicht klar.
Die Klägerin verweist zwar auf die Passage zur Einräumung eines weiten Gestaltungsspielraumes (BT-Drucksache 17/6906 Seite 53, 2. Spalte). Allerdings heißt es dort zuvor, dass die Satzungsleistungs-Ausweitungen ausschließlich Leistungen beträfen, die eine Krankenkasse zusätzlich und im unmittelbaren Zusammenhang zum Leistungskatalog der GKV allen ihren Versicherten gewähren könnte.
Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass ein Gesetzesentwurf der Fraktion der Linken für eine Ausdehnung des § 27a SGB V auf unverheiratete Paare vom Bundestag am 7. März 2008 mit der Mehrheit der Fraktionen von CDU/CSU und SPD abgelehnt worden sei (vgl. BT-Drucksache 16/4808, hierauf bezugnehmend Hauck/Noftz/Gerlach § 27a SGB V Rdnr. 27), erlaubt dies auch keinen zwingenden Rückschluss auf die in § 11 Abs. 6 SGB V normierte Kompetenz der einzelnen Kasse, weitere Leistungen vorzusehen.
Maßgeblich ist aber Folgendes:
§ 11 Abs. 6 SGB V verweist nicht allgemein auf den Bereich der künstlichen Befruchtung. Bezug genommen wird vielmehr auf eine künstliche Befruchtung nach Maßgabe des § 27a SGB V.
Vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung werden nach dieser Vorschrift Leistungen nicht nur zur Behandlung einer bestehenden Krankheit (Fertilisationsstörung) gewährt sondern auch für den/die Ehegatten, der selbst nicht an einer Fertilisationsstörung leidet.
§ 27a SGB V stellt eine Leistungserweiterung dar. Es werden Leistungen nicht nur zur Behandlung einer eigenen Krankheit gewährt, sondern auch dem gesunden Partner. Das BVerfG hat bereits entschieden, dass es verfassungsmäßig nicht zu beanstanden ist, dass das Gesetz die medizinischen Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach § 27a SGB 5 nur den für Krankheiten geltenden Regelungen des SGB V unterstellt (BVerfG, a. a. O. juris-Rdnr. 34).
Der Gesetzgeber hatte bei Einführung des § 27a SGB V diese Leistungserweiterung bewusst auf Eheleute beschränkt.
Dies verletzt die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht in ihrem Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG), obwohl sie finanziell benachteiligt werden.
Denn der Gesetzgeber hatte hinreichende sachliche Gründe, die Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zur Herbeiführung einer Schwangerschaft auf Ehepaare zu beschränken. Da die Ehe nach wie vor die rechtlich verfasste Paarbeziehung von Mann und Frau ist, in der die gegenseitige Solidarität nicht nur faktisch gelebt wird, solange es gefällt, sondern rechtlich eingefordert werden kann, durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass die Ehe auch in einer Situation, in der sich Paare ihren Kinderwunsch im Wege der künstlichen Befruchtung erfüllen wollen, die Grundlage für eine erhöhte Belastbarkeit der Partnerschaft darstellt (BVerfG., a. a. O. Rdnr. 37f).
Es lag im Einschätzungsermessen des Gesetzgebers, wenn er die eheliche Partnerschaft als besonders geeignet ansieht, die mit den in Frage stehenden medizinischen Maßnahmen verbundenen Belastungen und Risiken gemeinsam zu bewältigen. Der Gesetzgeber durfte die Ehe in typisierender Betrachtung auch wegen ihres besonderen rechtlichen Rahmens als eine Lebensbasis für ein Kind ansehen, die den Kindeswohlbelangen mehr Rechnung trägt als eine nichteheliche Partnerschaft. So ist die Ehe auf Lebenszeit angelegt und nur unter den Voraussetzungen der Aufhebung oder Scheidung wieder auflösbar, während nicht-eheliche Partnerschaften jederzeit beendet werden können (BVerfG, a. a. O. Rdnr.38).
Dass der § 27a SGB V durch § 11 Abs. 6 SGB V nicht allgemein zur Disposition steht, ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass der Bereich nicht allgemein als der der künstlichen Befruchtung bezeichnet ist, sondern dass nur die künstliche Befruchtung nach Maßgabe des § 27a SGB V in Bezug genommen wird.
Denkbar wäre auch die bloße Bezeichnung des Bereiches „künstliche Befruchtung“ gewesen.
Das Embryonenschutzgesetz definiert nämlich im Einzelnen, was in Deutschland unternommen werden darf, um auf nicht-natürlichem Wege ein Kind zu zeugen. Das allgemein danach allgemein Erlaubte ist für die gesetzliche Krankenversicherung also von vornherein weiter eingeschränkt auf künstliche Befruchtungen nach Maßgabe des § 27a SGB V.
§ 11 Abs. 6 SGB V erlaubt keine Leistungsausweitungen auf dem Gebiet der künstlichen Befruchtung im Sinne des nach dem Embryonenschutzgesetz Möglichen.
Bezugspunkt ist von vornherein der beschränkte Leistungsumfang des § 27a SGB V.
Zu diesen Beschränkungen gehören insbesondere die nach § 27a Abs. 1 SGB V.
Die Maßnahmen künstlicher Befruchtung müssen kumulativ
aufgrund ärztlicher Feststellung (überhaupt) erforderlich sein,
es muss aufgrund ärztlicher Feststellung eine (näher definierte) Erfolgsaussicht bestehen,
die Partner müssen beide aktuell noch leben
und miteinander verheiratet sein,
und es dürfen nur Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden (vgl. auch die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 11/3760 S. 14: „Absatz 1 regelt den Leistungsanspruch im einzelnen.“).
Nur in diesem Rahmen, der lediglich noch durch § 27a Abs. 2 SGB V näher ausgestaltet wird, gibt es einen Leistungsbereich künstlicher Befruchtung nach dem SGB V, auf den § 11 Abs. 6 SGB V Bezug nehmen kann.
§ 11 Abs. 6 SGB V ermöglicht es nicht, von diesen Grundvoraussetzungen abzuweichen (Im Ergebnis ähnlich ausweislich der bislang veröffentlichen Presseinformation: Hessisches LSG, Urt. v. 15. Mai 2014 -L 1 KR 56/13 KL- zur Versagung einer Satzungsgenehmigung, nach der ein Zuschuss für Brillen gewährt werden sollte, weil im Bereich der Sehhilfen für Erwachsene ein grundsätzlicher Leistungsausschluss bestehe).
§ 11 Abs. 6 SGB V ermöglicht es einen Leistungsbereich um Mehrleistungen zu erweitern. Die Satzungsermächtigung erlaubt jedoch nicht -wie hier- die Leistungen auf einen nicht anspruchsberechtigten Personenkreis zu erweitern.
Ob aufgrund dieser gesetzlichen Vorgaben danach die Satzungsregelung zur Erweiterung der Altersgrenzen rechtmäßig ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Die Beklagte hat die Satzungsänderung in diesem Punkt genehmigt.
Die gesetzliche Altersregelung für Frauen ist allerdings nach dem Willen des Gesetzgebers primär wirtschaftlichen Aspekten geschuldet. Das Mindestalter soll möglichst sicherstellen, dass eine künstliche Befruchtung wirklich erforderlich ist. Das Höchstalter dient der Begrenzung im Hinblick auf die abnehmende Fertilität. Gleiches lässt sich auch für das Höchstalter beim Mann feststellen. Der weitere Aspekt, dass die Eltern nicht zu alt sein sollen, tritt zudem beim Höchstalter für Männer hinzu. Es spricht also einiges dafür, dass auch die Altersregelung die gesetzliche Leistung selbst definiert und deshalb der Disposition im Rahmen des § 11 Abs. 6 SGB V entzogen ist.
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Revision war nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG (grundsätzliche Bedeutung) zuzulassen.