Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 4. Senat | Entscheidungsdatum | 07.03.2019 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | OVG 4 S 4.19 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2019:0307.OVG4S4.19.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 11 Abs 1 JAG BE, § 6 Abs 1 JVorbDV BB, § 11 Abs 3 S 2 JAG BE |
Es besteht kein Anspruch auf personelle Aufstockung der Justiz zu dem Zweck, die Ausbildungskapazität im juristischen Vorbereitungsdienst zu erhöhen.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. Januar 2019 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerde.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. Januar 2019 auf über 8.000 bis 9.000 Euro festgesetzt.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die vom Beschwerdeführer dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO). Gemessen daran hat es das Verwaltungsgericht zutreffend abgelehnt, den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, den Antragsteller zum 1. Februar 2019 in den juristischen Vorbereitungsdienst aufzunehmen. Das Verwaltungsgericht hat verneint, dass eine außergewöhnliche Härte gemäß § 6 Abs. 1 JKapVVO hinreichend glaubhaft gemacht worden sei. Persönliche oder soziale Umstände, die eine unzumutbare Benachteiligung im Fall der Zurückstellung begründen würden, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Dabei ist es angesichts der Beschwerdebegründung geblieben.
Nach § 11 Abs. 3 Satz 2 JAG werden von den verbleibenden Ausbildungsplätzen bis zu 10 vom Hundert an Bewerberinnen und Bewerber vergeben, für die die Zurückstellung eine außergewöhnliche Härte bedeutet. Das wird in § 5 Abs. 2 Satz 2 JKapVVO wiederholt und in § 6 dieser Verordnung dahingehend präzisiert, dass eine außergewöhnliche Härte gegeben ist, wenn eine Bewerberin oder ein Bewerber nach der Dauer der Wartezeit nicht berücksichtigt werden könnte, die Zurückstellung sie oder ihn jedoch infolge persönlicher oder sozialer Umstände unzumutbar benachteiligen würde (Abs. 1); der Härtefall ist spätestens zwei Monate vor dem Einstellungstermin geltend zu machen und nachzuweisen (Abs. 2).
Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht seinem Beschluss zutreffend die vom Verordnungsgeber vorgenommene Definition der außergewöhnlichen Härte in § 6 Abs. 1 JKapVVO zugrunde gelegt. Das Verwaltungsgericht hat die Härtefallbestimmung in Bezug auf Fälle der vorliegenden Art, in denen ein Bewerber seiner (zukünftigen) Ehefrau und zwei Kindern unterhaltspflichtig ist, dahingehend ausgelegt, dass eine außergewöhnliche Härte nur dann vorliegen könne, wenn dem Bewerber eine Sicherung des Lebensunterhalts für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nur unter unzumutbaren Bedingungen möglich sei.
Der Antragsteller verkennt die vom Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegte Härtefallbestimmung schon im Wortlaut, wenn er von einer ungewöhnlichen Härte ausgeht oder von einer besonderen Härte schreibt oder es für ausreichend erachtet, wenn ein Ausnahmefall und eine Unbilligkeit nach einem strengen Maßstab gegeben seien. Der Austausch der vom Gesetz- und Verordnungsgeber verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe durch andere unbestimmte Rechtsbegriffe führt in der Auslegung nicht weiter, zumal wenn die Ersatzbegriffe zur Ausweitung des Tatbestands tendieren. So versteht das Bundesverwaltungsgericht unter einer außergewöhnlichen Härte (im Aufenthaltsgesetz) seltene Ausnahmefälle, in denen die Verweigerung (des Aufenthaltsrechts und damit der Familieneinheit) grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen widerspräche, also schlechthin unvertretbar wäre, während eine besondere Härte schon bei drohender erheblicher Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange (nach dem Aufenthaltsgesetz) anzunehmen sei (BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 – 1 C 15.12 – BVerwGE 147, 278 Rn. 11, 13). Über diese Definition der außergewöhnlichen Härte durch das Bundesverwaltungsgericht geht die vom Antragsteller für ausreichend erachtete Kombination aus Ausnahmefall und Unbilligkeit nach einem strengen Maßstab weit hinaus. Sie verfehlt auch, was hier entscheidend ist, die Definition der außergewöhnlichen Härte durch den Berliner Verordnungsgeber.
Der Antragsteller vermag es auch ansonsten nicht, eine zu enge Auslegung bzw. Anwendung des § 6 Abs. 1 JKapVVO durch das Verwaltungsgericht aufzuzeigen.
Die Schlüsse, die der Antragsteller daraus zieht, dass gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 JAG „bis zu 10 vom Hundert“ der verbleibenden Ausbildungsplätze nach der Härtefallregelung vergeben werden dürfen, überzeugen nicht. Eine Obergrenze („bis zu“) gebietet keine Auslegung der außergewöhnlichen Härte in der Weise, dass das Kontingent gestaffelt nach mehr oder weniger harten Fällen annähernd auszuschöpfen sei.
Die Rüge des Antragstellers, das Verwaltungsgericht beschränke sich in unzulässiger Weise auf einen systemimmanenten Vergleich, trifft in Würdigung der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Subsumtion des Sachverhalts unter den Verordnungstatbestand nicht zu. Das Verwaltungsgericht bezieht sich vielmehr auf die persönlichen und sozialen Umstände, die der Antragsteller geltend gemacht hat, und ist in deren Bewertung – die den größten Teil der gerichtlichen Begründung ausmacht – zum Schluss gekommen, dass die Zurückstellung des Antragstellers ihn nicht unzumutbar benachteilige. Das Verwaltungsgericht hat damit eine individuelle Würdigung der vom Antragsteller zu seinen Gunsten angeführten persönlichen und sozialen Umstände vorgenommen.
Das Vorbringen des Antragstellers, ein Vergleich mit der allgemeinen Berliner Wartezeit setze deren Rechtmäßigkeit voraus, geht an der Argumentation des Verwaltungsgerichts vorbei. Denn es hat die außergewöhnliche Härte nicht in Relation zur allgemeinen Wartezeit gesetzt, sondern unter dem für maßgeblich erklärten Gesichtspunkt geprüft, ob der Antragsteller und seine zukünftige Ehefrau den Lebensunterhalt der Familie in der Wartezeit zumutbar würden sichern können.
Soweit der Antragsteller in seiner Beschwerdebegründung auf zunehmende Wartezeiten in Berlin und auf kürzere Wartezeiten in anderen Bundesländern hinweist, für eine Bevorzugung von „Landeskindern“ und eine Benachteiligung zugezogener Familien plädiert und aus der hohen Zahl von Studienplätzen der Rechtswissenschaft in Berlin ein Recht für sich herleiten will, läuft das auf einen systemimmanenten Vergleich hinaus, den er dem Verwaltungsgericht zu Unrecht vorwirft. Dabei verkennt er, dass das Land Berlin die Stellen im juristischen Vorbereitungsdienst nicht beliebig ausweiten könnte, wie es etwa bei der Schaffung von Studienplätzen denkbar wäre. Gemäß § 11 Abs. 1 JAG hängt das Ausmaß der Aufnahme in den Vorbereitungsdienst von den nach dem Haushaltsplan zum jeweiligen Einstellungstermin zur Verfügung stehenden Stellen oder Mitteln sowie von der Ausbildungskapazität ab. Die Ausbildungskapazität hängt von den personellen, räumlichen und sächlichen Möglichkeiten der Berliner Justiz ab (§ 11 Abs. 2 JAG) und stößt mit der Zahl der bei der Staatsanwaltschaft Berlin tätigen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte an ihre Grenzen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 JKapVVO). Die Größe der Staatsanwaltschaft wird nach den Bedürfnissen der Strafrechtspflege und den weiteren Pflichten des Landes Berlin objektivrechtlich festgelegt, ohne dass es eine einklagbare Pflicht gäbe, eine Vergrößerung zu Ausbildungszwecken vorzunehmen (vgl. zur Maßgeblichkeit der Ausbildungskapazität das Urteil des Senats vom 11. Juni 2009 – OVG 4 B 33.08 – Abschrift S. 7 m.w.N.; Beschluss vom 28. Februar 2012 – OVG 4 S 10.12 – juris Rn. 2). Das Bundesverfassungsgericht hat sogar für die universitäre Ausbildung, der nicht die genannten objektiven Grenzen gesetzt wären, entschieden, dass es keinen individuellen Anspruch darauf gibt, Ausbildungskapazitäten in einem Umfang zu schaffen, welcher der jeweiligen Nachfrage gerecht wird; auch seien Wartezeiten bis zu vier Jahren hinnehmbar (Urteil vom 19. Dezember 2017 – 1 BvL 3/14 u.a. – BVerfGE 147, 253 Rn. 105 und 225). Letztlich folgt die lange Wartezeit aus der Attraktivität eines juristischen Vorbereitungsdienstes in Berlin. Die Attraktivität Berlins hängt von Faktoren ab, die der Berliner Gesetzgeber kaum beeinflussen kann.
Die Rechtsauffassung des Antragstellers, die hohe Zahl von Studienplätzen der Rechtswissenschaft in Berlin verlange nach einer entsprechend hohen Zahl von Stellen im juristischen Vorbereitungsdienst, bleibt ohne normativen Beleg. Der Antragsteller, der in F… geboren und laut eigenem Lebenslauf erst im Oktober 2013 zum Studium nach Berlin gekommen ist, belegt auch nicht die von ihm verlangte Privilegierung von „Landeskindern“, was immer darunter zu verstehen sei. Eine solche Privilegierung mag begründbar sein, ist aber wegen Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 33 Abs. 2 GG, der jedem Deutschen die freie Wahl der Ausbildungsstätte und gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte garantiert, begründungspflichtig. Auch Art. 19 Abs. 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 VvB begünstigt nicht Berlinerinnen und Berliner beim Zugang zu öffentlichen Ämtern. Der Senat hält deswegen eine über § 11 Abs. 4 Satz 1 JAG hinausgehende Privilegierung nicht für geboten. Auch eine Bevorzugung von Eltern muss von Verfassungs wegen nicht über die Regelung des § 5 Abs. 3 Sätze 4 und 5 JKapVVO hinausgehen. Die Gesetz- und Verordnungsgeber haben, soweit eine Familie im Einzelfall des weitergehenden Schutzes bedarf, mit der Härtefallbestimmung hinreichend Vorsorge getroffen. Eine von den persönlichen und sozialen Umständen im Einzelfall abgelöste prinzipielle Aufweichung der Härtefallbestimmung zugunsten von Familien, „Landeskindern“ usw. ist nicht geboten. Der Verordnungsgeber hätte es in der Hand, auf die zunehmende Wartezeit mit einer Veränderung des § 6 Abs. 1 JKapVVO zu reagieren. Das Gericht setzt sich nicht an dessen Stelle.
Soweit sich der Antragsteller speziell gegen die Möglichkeit und Zumutbarkeit einer eigenen Erwerbstätigkeit während der Wartezeit wendet, verfehlt er den vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Maßstab, dass eine außergewöhnliche Härte nur dann vorliegen könne, wenn dem Bewerber eine Sicherung des Lebensunterhalts für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nur unter unzumutbaren Bedingungen möglich sei. Bei diesem Maßstab kommt es auf ein besonders großes Einkommen nicht an. Der Antragsteller räumt selbst ein, dass er Arbeit fände, mit der er seine Familie über Wasser halten könnte.
Der Antragsteller führt als Angriff speziell gegen diesen verwaltungsgerichtlichen Maßstab lediglich die Behauptung an, die Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit gelte für alle Bewerberinnen und Bewerber; wem die Arbeit nicht möglich sei, der brauche sich nicht für das Referendariat zu bewerben. Die Behauptung, dass jeder Arbeit fände, ist indes nicht glaubhaft gemacht und versteht sich auch nicht von selbst. Selbst der Antragsteller beruft sich darauf, dass private Arbeitsverhältnisse weniger Flexibilität in der Kinderbetreuung ermöglichen könnten als der juristische Vorbereitungsdienst. Je nach Konstellation in einer Familie, Bedürfnissen der Kinder, Finanzbedarf und der nicht zuletzt von der Examensnote und persönlichen Merkmalen abhängigen Vermittelbarkeit des geprüften Rechtskandidaten bzw. der geprüften Rechtskandidatin ist es möglich, dass eine Sicherung des Lebensunterhalts gefährdet erscheint. Die Behauptung des Antragstellers, seine Verlobte, die mit acht Wochenstunden als Musiklehrerin tätig sei, würde ihre eigene Erwerbstätigkeit nur einschränken wollen, um ihm die Beendigung seiner Ausbildung zu ermöglichen, hingegen nicht für eine sinnlose Betätigung, ist unverständlich. Denn die erwerbswirtschaftliche Betätigung des Antragstellers würde das Familieneinkommen mehren und insoweit sinnvoll sein. Zudem ist nicht glaubhaft gemacht, dass es dem Antragsteller wegen der Kinderbetreuung unmöglich wäre, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 (angelehnt an Abs. 6 Satz 1 Nr. 2) und § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).