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Bauplanungs-, Bauordnungs- und Städtebauförderungsrecht


Metadaten

Gericht VG Potsdam 4. Kammer Entscheidungsdatum 23.02.2012
Aktenzeichen VG 4 K 2197/09 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 19 Abs 2 BauGB, § 4 Abs 3 BauO BB

Leitsatz

Der Teilung von seit langem bebauten Grundstücken, die nicht in Übereinstimmung mit den aktuellen bauordnungsrechtlichen Vorschriften stehen, stehen bauordnungswidrige Zustände nur entgegen, wenn diese durch die Teilung verschärft bzw. verfestigt werden.

Tenor

Der Ablehnungsbescheid vom 11. Februar 2009 und der Widerspruchsbescheid vom 23. September 2009 werden aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die beantragte Teilung des Flurstücks .. zum Zweck der Vereinigung des abgeteilten Teils mit dem Flurstück .., um eine Überbausituation zu beseitigen, rechtlich zulässig ist und keiner Teilungsgenehmigung bedarf.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Teilung eines Grundstücks mit dem Ziel der sachenrechtlichen Bereinigung einer Überbauungssituation.

Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks ... 178 in ... (Gemarkung ..., Flur ..Flurstück ..). Das Grundstück ist bebaut mit einem mehrstöckigen Wohn- und Geschäftsgebäude, das vor dem 1. Weltkrieg gebaut wurde. Zu DDR-Zeiten wurde ein einstöckiger Anbau errichtet, der die Grenze zum Flurstück .. mit 3 m überschreitet und bis an die Grenze des Flurstücks .. heranreicht. Die Flurstücke ..und .. stehen im Eigentum der ... -Stiftung. Diese ist bereit, das ca. 58,20 m² großes Teilstück des Flurstücks .., auf dem sich der Anbau befindet, an den Kläger zu veräußern. Dieser beabsichtigt, dieses Teilstück mit dem Flurstück .. zu vereinen, so dass das Gebäude auf dem Grundstück ... sich insgesamt auf dem klägerischen Flurstück .. befindet.

Sämtliche Flurstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 45 „... “. Dieser setzt für das Grundstück ... 178 eine Baugrenze fest, welche nicht dem baulichen Zustand auf dem Grundstück entspricht. Nach der Textlichen Festsetzung Nr. 3.3 müssen alle baulichen Anlagen mit einer Hauptnutzung einen Mindestabstand von 5 m zur Grundstücksgrenze einhalten.

Am 13. Juni 2008 beantragte der Kläger beim Beklagten zu 1. die Zustimmung zu der beabsichtigten Teilung des Flurstücks ... Mit Bescheid vom 11. Februar 2009 lehnte dieser den Antrag ab mit der Begründung, dass bei der Teilung die Textliche Festsetzung Nr. 3.3. des Bebauungsplans eingehalten werden müsse. Der Teilung könne nur zugestimmt werden, wenn die neue Grundstücksgrenze 5 m Abstand zur baulichen Anlage einhalte.

Den Widerspruch des Klägers vom 20. Februar 2009 wies der Beklagte zu 1. mit Widerspruchsbescheid vom 23. September 2009, der dem Kläger am 30. September 2009 zugestellt wurde, zurück. Zur Begründung führte er aus, bei einer Teilung eines Grundstücks, das bebaut sei, dürften keine Verhältnisse geschaffen werden, die den Vorschriften der Bauordnung oder der aufgrund der Bauordnung erlassenen Gesetze zuwiderliefen. Eine die Teilung vorbereitende Liegenschaftsvermessung dürfe nur vorgenommen werden, wenn die erforderliche Abweichung zugelassen oder die erforderliche Befreiung erteilt worden sei. Beide Voraussetzungen lägen nicht vor. Eine Abweichung von den Abstandsflächenregelungen könne nicht erteilt werden. Auch eine Befreiung von der Textlichen Festsetzung Nr. 3.3 sei nicht möglich.

Der Kläger hat am 26. Oktober 2009 Klage erhoben. Er trägt vor, die Entscheidung des Beklagten zu 1. sei ermessensfehlerhaft. Es sei zu berücksichtigen, dass sich durch die begehrte Teilung und Vereinigung von Flurstücken die Situation des vorhandenen Bebauungszustandes nicht verändere. Auch nach Teilung komme eine weitergehende Bebauung nicht in Betracht. Es entspreche den Gründen des Gemeinwohls, der beabsichtigten Teilung zuzustimmen. Es liege im öffentlichen Interesse, Überbauungssituationen sachenrechtlich zu bereinigen. Die Versagung der Abweichungsgenehmigung führe für ihn zu einer unbeabsichtigten Härte. Auch die nachbarlichen Interessen seien ausreichend berücksichtigt. Gleiches gelte für die Erteilung einer Abweichung von den Abstandsvorschriften. Im Übrigen habe sich der Beklagte zu 1. bereits gebunden, da er der Pfandfreigabe hinsichtlich einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit für das Flurstück ... zugestimmt habe.

Der Kläger beantragt,

1. den Ablehnungsbescheid vom 11. Februar 2009 und den Widerspruchsbescheid vom 23. September 2009 aufzuheben.

2. festzustellen, dass die beantragte Teilung rechtlich zulässig ist und keiner Genehmigung bedarf.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholen sie die Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden.

Hinsichtlich des Vortrags im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der von dem Beklagten zu 1. überreichten Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte vorliegend durch die Einzelrichterin entscheiden, da die Kammer ihr den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zur Entscheidung übertragen hat.

Die von dem Kläger vorgenommene Klagehäufung ist nach § 44 VwGO statthaft, da sich die Klagen, ungeachtet des Umstandes, dass zum einen die Behörde und zum anderen die Körperschaft auf der Beklagtenseite auftaucht, letztendlich gegen den gleichen Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und das gleiche Gericht zuständig ist.

1. Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Die Ablehnung der Teilungsgenehmigung in den angegriffenen Bescheiden ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Vorliegend bedurfte der Kläger keiner Teilungsgenehmigung. Bereits mit der Baurechtsnovelle 1998 war nach Wegfall der generellen bauplanungsrechtlichen Genehmigung von Grundstücksteilungen auch die präventive bauaufsichtliche Kontrolle aller Teilungen bebauter Grundstücke entfallen. Es gibt daher keine Rechtsgrundlage für die Ablehnung der beantragten Teilungsgenehmigung in den angegriffenen Bescheiden und diese sind wegen des verursachten Rechtsscheins aufzuheben.

2. Auch die Feststellungsklage hat Erfolg.

Sie ist zulässig. Insbesondere hat der Kläger ein Feststellungsinteresse nach § 43 Abs. 1 VwGO. Ein solches berechtigtes Interesse ist immer dann gegeben, wenn die begehrte Feststellung geeignet ist, die Position des Klägers in rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Hinsicht zu verbessern (ständige Rspr. BVerwG, u.a. Urteil vom 26. Januar 1996 - 8 C 19/94 -, BVerwGE 100, 262 m.w.N.). Ein berechtigtes Interesse ist insbesondere gegeben, wenn die Rechtslage unklar ist, z.B. wenn der Kläger der Auffassung ist, dass er für eine bestimmte Tätigkeit keiner behördlichen Erlaubnis bedarf (BVerwG, Beschluss vom 22. Oktober 1981 - 7 C 77/80 -, NJW 1983, 2584 m.w.N.). Hier vertritt die Beklagte zu 2. die Auffassung, dass die von dem Kläger beabsichtigte Teilung des Flurstückes 78 nach § 4 Abs. 3 Satz 2 der brandenburgischen Bauordnung (BbgBO) der Zulassung einer Abweichung nach § 60 BbgBO und der Befreiung nach § 31 Abs. 2 des Baugesetzbuches (BauGB) bedarf. Der Kläger hat mithin ein berechtigtes rechtliches Interesse an der Feststellung, dass diese Auffassung nicht zutrifft.

Die Feststellungsklage ist auch begründet. Entgegen der Auffassung der Beklagten zu 2. bedurfte die von dem Kläger beabsichtigte Teilung des Grundstücks weder der Zulassung einer Abweichung nach § 60 BbgBO noch einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB.

Nach § 4 Abs. 3 Satz 2 BbgBO darf eine die Teilung vorbereitende Liegenschaftsvermessung in dem Fall, dass die Teilung eines bebauten Grundstücks nicht den Anforderungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 BbgBO oder des § 19 Abs. 2 BauGB entspricht, nur vorgenommen werden, wenn die erforderliche Abweichung nach § 60 BbgBO zugelassen oder die erforderliche Befreiung erteilt ist. Die Voraussetzungen zur Anwendung des § 4 Abs. 3 Satz 2 BbgBO liegen nicht vor, denn es ist vorliegend weder § 4 Abs. 3 Satz 1 BbgBO noch § 19 Abs. 2 BauGB einschlägig.

Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BbgBO dürfen durch die Teilung eines bebauten Grundstücks keine Verhältnisse geschaffen werden, die den Vorschriften dieses Gesetzes oder den aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften zuwiderlaufen. Die Teilung muss also kausal für das (erstmalige) Entstehen eines baurechtswidrigen Zustandes sein. Der Teilung von seit langem bebauten Grundstücken, die nicht in Übereinstimmung mit den aktuellen bauordnungsrechtlichen Vorschriften stehen, stehen daher bauordnungswidrige Zustände nur entgegen, wenn diese durch die Teilung verschärft bzw. verfestigt werden (vgl. Reimus/Semtner/Langer, Die neue Brandenburgische Bauordnung, 3. Auflage, § 4 Rdnr. 13; Gädtke/Temme/Heintz, Landesbauordnung Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 10. Auflage, § 8 Rnr. 28). Dieser Auffassung schließt sich die Kammer an. Sowohl der Wortwahl „geschaffen werden“ als auch der Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen für diese Auslegung. Die Vorschrift will nämlich nur das Schaffen bauordnungsrechtswidriger Zustände verhindern, nicht jedoch bestehende bestandsgeschützte Gebäude den derzeitigen Rechtsvorschriften anzupassen.

Danach ist hier § 4 Abs. 3 Satz 1 BbgBO nicht anwendbar, da sich an dem Abstandsflächenverstoß des Gebäudes auf dem Grundstück ... 178 durch die Teilung nichts ändert. Es bedarf also auch keiner Abweichung nach § 60 BbgBO.

Gleiches gilt für § 19 Abs. 2 BauGB. Danach dürfen durch die Teilung eines Grundstückes im Geltungsbereich eines Bebauungsplans keine Verhältnisse entstehen, die den Festsetzungen des Bebauungsplans widersprechen. Das „Widersprechen“ bedeutet, dass ein Widerspruch zu den Festsetzungen des Bebauungsplans selbst entsteht oder die Durchführung des Bebauungsplans in bestimmter Weise unmöglich machen oder wesentlich erschweren würde (Ernst-Zinkahn-Bielenberg, BauGB, Band II, Kommentar, § 19 Rdnr. 32). § 19 Abs. 2 BauGB steht daher der Teilung nicht entgegen, da vorliegend vor und nach der Teilung die Textliche Festsetzung 3.3 des Bebauungsplans Nr. 45 nicht eingehalten ist. Da das abzutrennende Teilstück bereits mit einem formell legalen Gebäude bebaut und eine weitere Bebauung nicht möglich ist, kann es zu keiner Verdichtung der Bebauung kommen, die mit der Textlichen Festsetzung Nr. 3.3 verhindert werden soll. Hinsichtlich der Durchsetzbarkeit der Ziele des Bebauungsplans Nr. 45 kommt es mithin zu keiner Veränderung. Der Regelungszweck des § 19 Abs. 2 BauGB wird durch die begehrte Teilung nicht berührt.

Im Gegenteil – wie der Kläger zutreffend vorgetragen hat, besteht ein öffentliches Interesse an der sachenrechtlichen Bereinigung einer Überbauungssituation. Daher wäre nach Auffassung des Gerichts in der vorliegenden Konstellation, auch wenn dies hier notwendig wäre, bei ermessensfehlerfreier Entscheidung eine Befreiung nach § 60 BbgBO von den Abstandsflächenregelungen und eine Abweichung nach § 31 Abs. 2 BauGB von der Textlichen Festsetzung Nr. 3.3 zu erteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 167 VwGO.

Die Berufung ist nicht zuzulassen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO), da die Kammer in ihrer Entscheidung nicht von einer Entscheidung des BVerwG oder des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes und des Bundesverfassungsgerichts abweicht und die Sache keiner grundsätzliche Bedeutung hat.

B e s c h l u s s

Der Streitwert wird auf 10.000 € festgesetzt.

Gründe

Die Streitwertfestsetzung entspricht in beiden Klagen dem gesetzlichen Auffangstreitwert (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz).