Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 03.04.2014 | |
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Aktenzeichen | L 3 R 190/13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 93 SGB 6 |
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Februar 2013 wird zurückgewiesen.
Auslagen sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung einer höheren Altersrente ohne Anrechnung der von ihm bezogenen Verletztenrente.
Der 1941 geborene Kläger erlitt während seines Dienstes bei der Nationalen Volksarmee (NVA) vom 01. August 1961 (vgl. Beurteilung der NVA vom 02. Juli 1962) bis zum 25. Mai 1962 (vgl. Entlassungsschein der NVA vom 25. Mai 1962) am 02. November 1961 eine Schädelfraktur mit schwerer Gehirnerschütterung. Dieser Gesundheitsschaden wurde mit Bescheinigung der NVA vom 26. April 1962 als Dienstbeschädigung und als entschädigungspflichtig im Sinne der Sozialversicherung anerkannt. Wegen der Folgen des erlittenen Unfalls erhielt er von der Sozialversicherung der DDR eine Unfallteilrente zunächst nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 vom Hundert (v.H.) im ersten Jahr, von 30 v.H. im zweiten Jahr und von 20 v.H. ab dem dritten Jahr. Diese wurde nach den Vorgaben des Einigungsvertrags (EV) in die gesetzliche Unfallversicherung überführt und als Verletztenrente weitergeleistet, und zwar ab dem 01. Juli 2003 in Höhe von 215,78 € monatlich (vgl. Auskunft der Verwaltungsberufsgenossenschaft <VBG> vom 17. Januar 2006).
Der Kläger holte vor Beginn des eigentlichen Rentenverfahrens bei der Beklagten eine Auskunft vom 15. November 2005 ein, in welcher es u.a. heißt: „Ihr Dienstbeschädigungsausgleich steht einer Verletztenrente nicht gleich.“
Der Kläger stellte am 18. November 2005 einen Antrag auf Versichertenrente. Die Beklagte gewährte dem Kläger nach Einholung der Auskunft der VBG vom 17. Januar 2006 mit Bescheid vom 06. März 2006 für die Zeit ab dem 01. Mai 2006 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Hierbei rechnete sie (vgl. Anlage 1 und 7) die Verletztenrente von 215,78 € nach Abzug von 2/3 der Mindestgrundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Höhe von 146,45 € an.
Der Kläger erhob mit Schreiben vom 10. März 2006 Widerspruch und wandte sich u.a. gegen die Anrechnung der Verletztenrente.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. September 2006 als unbegründet zurück. Die Anrechnung einer Verletztenrente sei gesetzlich vorgesehen. Ein Anspruch auf Dienstbeschädigungsausgleich bestehe nicht.
Der Kläger hat mit der am 19. Oktober 2006 zum Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage sein Begehren weiterverfolgt, ihm die Unfallteilrente als Dienstbeschädigungsausgleich anzuerkennen bzw. als solchen zu behandeln, die Altersrente neu zu berechnen und hiernach ausstehende Beträge nachzuzahlen. Soweit seine Verletztenrente bei der Rentenberechnung nicht wie ein Dienstbeschädigungsausgleich anrechnungsfrei bleibe, liege eine grundrechtswidrige und gegen den rechtsstaatlichen Vertrauensgrundsatz verstoßende Ungleichbehandlung vor. Davon abgesehen sei die Absenkung nach dem BVG verfassungswidrig. Insbesondere liege gegenüber denjenigen NVA-Soldaten eine Ungleichbehandlung vor, die aufgrund der Versorgungsordnung ab 1968 Dienstbeschädigungsrenten bekämen.
Ab dem 01. Juli 2011 rechnete die Beklagte bei der Rentengewährung von der zuletzt in Höhe von 228,99 € bezogenen Verletztenrente nach Abzug von 2/3 der Mindestgrundrente nach dem BVG 146,32 € an.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 21. Februar 2013 abgewiesen. Die Beklagte habe die nach § 93 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) gebotene Anrechnung der Verletztenrente unter Berücksichtigung der bis zum 30. Juni 2011 und ab dem 01. Juli 2011 geltenden Freibetragsregelung zutreffend vorgenommen. § 93 SGB VI verstoße auch nicht gegen das Grundgesetz (GG), wofür auf die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), namentlich des 13. Senats des BSG zu verweisen sei. Insbesondere liege im Hinblick auf die Angehörigen des Sonderversorgungssystems der NVA auch kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor, weil der Kläger insoweit nicht benachteiligt sei. Denn der bei der Anrechnung der Verletztenrente zugrunde gelegte Freibetrag entspreche seiner Höhe nach dem Anspruch auf Dienstbeschädigungsausgleich. Verfassungsrechtlich sei ferner nicht zu beanstanden, dass die Beklagte bei der Anrechnung der Verletztenrente auf die Altersrente vom 01. Mai 2006 bis zum 30. Juni 2011 einen besonderen abgesenkten Freibetrag („Ost“) berücksichtigt habe, wofür nochmals auf die höchstrichterliche Rechtsprechung des 13. Senats des BSG zu verweisen sei, nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die von einer anderen Rechtsauffassung getragenen Vorlagen des 4. und 5. Senats des BSG als unzulässig zurückgewiesen habe.
Der Kläger hat gegen das ihm am 04. März 2013 zugestellte Urteil am 26. März 2013 Berufung eingelegt. Er hält an seinem bisherigen Vorbringen fest.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Februar 2013 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 06. März 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 18. September 2006 und den Bescheid über die Rentenanpassung zum 01. Juli 2011 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm ohne Anrechnung seiner Verletztenrente eine höhere Rente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten L 2 U 634/08 verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.
Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und beschweren den Kläger nicht. Er hat keinen Anspruch auf Gewährung einer höheren Altersrente für schwerbehinderte Menschen aus § 236a SGB VI ohne Anrechnung der Verletztenrente.
Die Anrechnung der Verletztenrente beruht auf § 93 SGB VI. Insofern ist zunächst einmal die Anrechnung bis einschließlich 30. Juni 2011 rechtlich nicht zu beanstanden.
Nach § 93 Abs. 1 Nr. 1 VI SGB in der bis zum 30. Juni 2011 geltenden Fassung wird, wenn für denselben Zeitraum Anspruch auf eine Rente aus eigener Versicherung und auf eine Verletztenrente aus der Unfallversicherung besteht, die Rente insoweit nicht geleistet, als die Summe der zusammentreffenden Rentenbeträge vor Einkommensanrechnung den jeweiligen Grenzbetrag übersteigt. Nach § 93 Abs. 2 Nr. 2 lit. a SGB VI bleiben bei der Ermittlung der Summe der zusammentreffenden Rentenbeträge bei der Verletztenrente aus der Unfallversicherung ein der Grundrente nach § 31 i.V.m. § 84a S. 1 und 2 BVG entsprechender Betrag, bei einer MdE um 20 v.H. zwei Drittel der Mindestgrundrente unberücksichtigt. Nach § 31 Abs. 1 BVG in der bis zum 30. Juni 2011 geltenden Fassung erhalten Beschädigte eine monatliche Grundrente ab einem Grad der Schädigungsfolgen von 30 in Höhe von 123 €. Nach § 84a S. 1 BVG erhalten Berechtigte, die am 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet hatten, vom 01. Januar 1991 an Versorgung nach dem BVG mit den für dieses Gebiet nach dem EV geltenden Maßgaben; dies gilt auch vom Zeitpunkt der Verlegung des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts, frühestens vom 01. Januar 1991 an, wenn sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in das Gebiet verlegen, in dem dieses Gesetz schon vor dem Beitritt gegolten hat. Nach Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr. 1 lit. a des EV sind u.a. die in § 31 Abs. 1 und 5 BVG in der jeweils geltenden Fassung genannten Deutsche Mark-Beträge mit dem Vomhundertsatz zu multiplizieren, der sich aus dem jeweiligen Verhältnis der verfügbaren Standardrente (§ 68 Abs. 3 SGB VI) in dem in Artikel 3 des Vertrages genannten Gebiet zur verfügbaren Standardrente in dem Gebiet, in dem das BVG schon vor dem Beitritt gegolten hat, ergibt.
Dies zugrunde gelegt zog die Beklagte bei der gesetzlich vorgeschriebenen Anrechnung der Verletztenrente in Höhe von 215,78 € zutreffend 2/3 der nach Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr. 1 lit. a EV abgesenkten Mindestgrundrente nach § 31 BVG in Höhe von 123 €, d.h. 69,33 € ab und rechnete hiernach 146,45 € auf die Rente des Klägers an.
Auch für die Zeit ab dem 01. Juli 2011 unterliegt die Anrechnung keinen rechtlichen Bedenken. Nach § 93 Abs. 2 Nr. 2 lit. a SGB VI in der ab dem 01. Juli 2011 geltenden Fassung bleiben bei der Ermittlung der Summe der zusammentreffenden Rentenbeträge bei der Verletztenrente aus der Unfallversicherung ein der Grundrente nach dem BVG entsprechender Betrag, bei einer MdE um 20 v.H. zwei Drittel der Mindestgrundrente unberücksichtigt. Nach § 31 Abs. 1 BVG in der ab dem 01. Juli 2011 geltenden Fassung erhalten Beschädigte eine monatliche Grundrente ab einem Grad der Schädigungsfolgen von 30 in Höhe von 124 € und nach der ab dem 01. Juli 2012 geltenden Fassung in Höhe von 127 €.
Dies zugrunde gelegt zog die Beklagte mit Wirkung vom 01. Juli 2011 bei der gesetzlich vorgeschriebenen Anrechnung der Verletztenrente in Höhe von mittlerweile 228,99 € zutreffend 2/3 der Mindestgrundrente gemäß § 31 BVG von zunächst 124 € – nunmehr ohne Herunterrechnung gemäß Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr. 1 lit. a EV -, d.h. 82,67 € ab und rechnete hiernach 146,32 € auf die Rente des Klägers an.Rein vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass, soweit die Beklagte dem Kläger außerhalb des eigentlichen Rentenverfahrens die Auskunft vom 15. November 2005 erteilte, wonach sein Dienstbeschädigungsausgleich einer Verletztenrente nicht gleichstehe, sich eben hieraus von vornherein keine rechtsverbindlich erklärte Zusicherung etwa i.S.v. § 34 Abs. 1 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) dahingehend ergibt, von der Anrechnung der Verletztenrente im Fall der Rentengewährung abzusehen.
Davon abgesehen, dass die rechnerische bzw. betragliche Richtigkeit der Anrechnung vom Kläger nicht gerügt wird, ist die Anrechnung der Verletztenrente auch dem Grunde nach rechtlich nicht zu beanstanden. Sie entspricht – wie gezeigt – den einfachgesetzlichen Vorgaben aus § 93 SGB VI. Der unumstößliche Wortlaut der Vorschrift gebietet eine Anrechnung der Verletztenrente. Die Vorschrift lässt sich bereits angesichts ihres eindeutigen Wortlauts nicht dahingehend auslegen, dass eine Anrechnung der wegen der Folgen eines im Rahmen des NVA-Dienstes erlittenen Unfalls gewährten Verletztenrente unterbleibt. Bei der Auslegung der Norm bildet der aus dem allgemeinen Sprachgebrauch, dem besonderen Sprachgebrauch des Gesetzes und dem allgemeinen juristischen Sprachgebrauch zu entnehmende Wortsinn den Ausgangspunkt und bestimmt zugleich die Grenze der Auslegung (Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Auflage 2007, S. 163 ff.).
Die hiernach auch im vorliegenden Einzelfall gesetzlich gebotene Anrechnung der Verletztenrente ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat ist mithin nicht von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift überzeugt; eine Aussetzung des Verfahrens und Vorlage ans BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG kommt deshalb nicht in Betracht. Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken bestehen weder im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) noch auf die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) noch in rechtsstaatlicher Hinsicht (Art. 20 Abs. 1 und 3 GG) (vgl. BSG, Urteil vom 31. März 1998 – B 4 RA 49/96 R -, zitiert nach juris Rn. 24 ff.). Verfassungsrechtlich ist hierbei auch nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf die Verletztenrente eine Kürzung der Rente vorsieht und nicht umgekehrt eine Kürzung der Verletztenrente (BSG, Urteil vom 27. August 2009 – B 13 R 14/09 R -, zitiert nach juris Rn. 18 ff.).
Der erkennende Senat vermag hier auch keine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes im Hinblick auf die Angehörigen des Sonderversorgungssystems der NVA zu erkennen, die Anspruch auf – nicht nach § 93 SGB VI anrechenbarem – Dienstbeschädigungsausgleich haben. Es liegt insofern – hierauf hat bereits das SG in der angefochtenen Entscheidung zutreffend hingewiesen – gar keine materielle Ungleichbehandlung des Klägers vor, weil nach § 2 Abs. 1 S. 1 und 2 des Dienstbeschädigungsausgleichsgesetzes (DbAG) Dienstbeschädigungsausgleich bei einem Körper- oder Gesundheitsschaden, der nach den Regelungen der Sonderversorgungssysteme zu einem Anspruch auf eine Dienstbeschädigungsrente geführt hat oder führen würde, in Höhe der Grundrente nach § 31 BVG – bis zum 30. Juni 2011 i.V.m. § 84a BVG abgesenkt – geleistet wird, wobei der Grad des Körper- oder Gesundheitsschadens als Grad der Schädigungsfolgen gilt und bei einem Grad der Schädigungsfolgen von 20 zwei Drittel der Mindestgrundrente zugrunde zu legen sind.
Schließlich ist dem SG im angefochtenen Urteil auch darin Recht zu geben, dass verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass die Beklagte bei der Anrechnung der Verletztenrente auf die Altersrente für die Zeit vom 01. Mai 2006 bis zum 30. Juni 2011 einen besonderen, abgesenkten Freibetrag berücksichtigte. Insoweit schließt sich der erkennende Senat der Rechtsprechung des 13. Senats des BSG (vgl. Urteil vom 13. November 2008 – B 13 R 129/08 R -, zitiert nach juris Rn. 89 ff.) sowie aktuell des 5. Senats des BSG (vgl. Urteile vom 23. Oktober 2013 – B 5 RS 6/12 R und B 5 RS 25/12 R -, zitiert nach juris) an, wonach die in § 93 Abs. 2 Nr. 2 lit. a SGB VI i.V.m. § 84a BVG geregelte Differenzierung der Höhe des Freibetrags nach dem Wohnsitz oder ständigen Aufenthaltsort in den alten oder neuen Bundesländern verfassungsgemäß ist und insbesondere weder gegen Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen Art. 14 Abs. 1 GG verstößt, zumal das BVerfG die Regelung bislang nicht für verfassungswidrig erklärt hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04. Juni 2012 – 2 BvL 9/08 u.a. -, zitiert nach juris Rn. 95, wonach die Darlegungen der vorlegenden Senate des BSG zur Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 1 DbAG - soweit sich mittels der Verweisung in § 84a Satz 1 BVG der monatliche Wert des Dienstbeschädigungsausgleichs nach den Maßgaben des EV in Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr. 1 lit. a Abs. 1 S. und Abs. 2 bestimmt - den Begründungsanforderungen nicht genügen).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil kein Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs. 2 SGG vorliegt.