Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 07.12.2011 | |
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Aktenzeichen | L 3 R 908/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 55 SGB 6, § 58 SGB 6, § 250 SGB 6 |
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juli 2011 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
I.
Streitig ist die Anerkennung weiterer rentenrechtlicher Zeiten sowie die Höhe der Regelaltersrente.
Die 1935 geborene Klägerin stellte im Februar 1987 einen Antrag auf Kontenklärung bei der Beklagten, in dem sie darauf hinwies, bisher sei ihre Beschäftigung im Baubetrieb ihres Vaters K N vom 01. April 1952 bis zum 31. Oktober 1957 nicht berücksichtigt worden. Sie habe damals freien Unterhalt (Wohnung, Verpflegung, Bekleidung, Versicherungen) und ein Taschengeld erhalten. Zu diesem Sachverhalt legte sie eidesstattliche Versicherungen von Frau E N vom 15. Januar 1987 sowie von Herrn J F vom 10. Februar 1987 vor. Mit Bescheid vom 17. März 1987 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Zeit vom 01. April 1952 bis zum 31. Oktober 1957 als Beitragszeit ab, weil das Vorliegen einer rentenversicherungsrechtlichen Beschäftigung oder Tätigkeit weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht worden sei. Der Widerspruch, mit dem die Klägerin geltend machte, die Tatsache, dass die damalige schwierige wirtschaftliche Situation ihres Vaters es nicht erlaubt hätte, ihr ein angemessenes Entgelt in bar auszuzahlen und die damit verbundenen Lohnnebenkosten zu entrichten, dürfe ihr nicht zum Nachteil gereichen, zumal sie genau dieselbe Tätigkeit ausgeübt habe wie nach dem 31. Oktober 1957, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 02. September 1987). Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Köln zu dem Aktenzeichen S 6 An 270/87 nahm die Klägerin mit Schriftsatz ihres damaligen Prozessbevollmächtigten vom 22. Januar 1988 zurück.
Mit Bescheid vom 23. Oktober 1998 stellte die Beklagte nach § 149 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegenden Daten im Versicherungsverlauf fest. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein und begehrte unter anderem erneut die Berücksichtigung der Zeit vom 01. April 1952 bis zum 31. Oktober 1957. Ihr seien damals nicht nur Kost und Logis, sondern auch ein monatliches Taschengeld in unterschiedlicher Höhe geleistet sowie die erforderlichen Beiträge für Krankenversicherung, Haftpflichtversicherung usw. bezahlt worden. Diese Beträge seien als monatliches Entgelt anzusehen. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 1999 zurück. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem SG Berlin zu dem Aktenzeichen S 13 RA 2577/99 wies das SG durch Urteil vom 05. April 2000 ab. Die Berufung vor dem Landessozialgericht (LSG) Berlin zu dem Aktenzeichen L 6 RA 50/00 nahm die Klägerin mit Schriftsatz vom 22. August 2000 zurück.
Seit dem 01. Mai 2000 bezieht die Klägerin von der Beklagten Regelaltersrente (Bescheid vom 29. Juni 2000). Mit ihrem Überprüfungsantrag vom 30. Juli 2009 beantragte sie die Neuberechnung ihrer Rente unter Berücksichtigung der Tätigkeit in der Baufirma ihres Vaters in der Zeit vom 01. April 1952 bis zum 31. Oktober 1957 unter Hinweis auf die Ghetto-Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes (GG) erfordere die Anwendung der Entscheidungen des BSG auch auf ihren Fall. Durch die fehlende Anrechnung dieser Zeiten würden auch die vorherigen Schulzeiten keine Berücksichtigung finden.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 29. September 2009 ab. Die Schulausbildung könne nicht als Anrechnungszeit in die Rentenberechnung einfließen, weil sie vor Vollendung des 17. Lebensjahres zurückgelegt worden sei. Die Tätigkeit im Betrieb des Vaters vom 01. April 1952 bis zum 31. Oktober 1957 könne nicht als Beitragszeit anerkannt werden, weil die Beitragszahlung nicht nachgewiesen sei und Beiträge auch nicht als gezahlt gälten. Während der familienhaften Mitarbeit im elterlichen Betrieb habe kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bestanden, weil die Klägerin kein Arbeitsentgelt, sondern nur Sachbezüge und ein Taschengeld erhalten habe, so dass Versicherungsfreiheit bestanden habe. Es könne auch keine Berücksichtigung nach § 259 SGB VI erfolgen, weil dies nur möglich sei, wenn Sachbezüge neben dem Bezug von Bargeld gewährt worden seien. Die Rechtsprechung des BSG beziehe sich nur auf die Anerkennung von Beschäftigungszeiten in Ghettos. Eine analoge Anwendung hinsichtlich der Beschäftigungs- und Anerkennungsvoraussetzungen auf Beschäftigungen außerhalb von Ghettos unter deutscher Besatzung sei nicht zulässig, weil die Entscheidungen des BSG in ihren Urteilen speziell im Hinblick auf die Arbeitsverhältnisse und entsprechende Entlohnung bei den Betroffenen in den damaligen Ghettos getroffen worden seien.
Mit ihrem Widerspruch verwies die Klägerin darauf, dass mehrere Versicherungskonten bei der Beklagten und der Rentenversicherung Berlin-Brandenburg geführt würden.
Nachdem die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 26. Februar 2010, 30. April 2010 und 04. Juni 2010 mitgeteilt hatte, dass die beiden anderen von der Klägerin angegebenen Konten zu den Versicherungsnummern 25 080434 S 097 sowie 25 080435 S 098 keine versicherungsrechtlich relevanten Daten enthalten hätten und stillgelegt worden seien, wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08. September 2010 zurück. Es seien keine neuen Tatsachen vorgetragen worden. Die begehrten Zeiten seien weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht worden.
Mit der hiergegen erhobenen Klage vor dem SG Berlin hat die Klägerin ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren vertieft und unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BSG vom 02. Juni 2009 die Auffassung vertreten, ihre Beschäftigungszeit vom 01. April 1952 bis zum 31. Oktober 1957 sei als Ersatzzeit anzurechnen. Weiterhin hat sie unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 15. März 2000 eine Verletzung des Gleichheitssatzes geltend gemacht. Hinsichtlich der tatsächlichen Umstände hat sie sich auf die im früheren Klageverfahren im Rahmen der Kontenklärung S 13 R 2577/99 vorgelegten Unterlagen bezogen. Darüber hinaus hat sie Auskunft darüber verlangt, warum für sie drei Rentenkonten geführt und welche Daten darin gespeichert worden seien.
Das SG hat die Klage – gerichtet auf Berücksichtigung der Zeit vom 01. April 1952 bis zum 31. Oktober 1957 als Beitragszeit sowie der Zeit vom 01. April 1949 bis zum 31. März 1952 als Anrechnungszeit, Neuberechnung der Altersrente und Nachzahlung für die Zeit ab dem 01. Mai 2000 - durch Urteil vom 26. Juli 2011 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Neuberechnung ihrer Rente unter Berücksichtigung der geltend gemachten Zeiten vom 01. April 1949 bis zum 31. März 1952 sowie vom 01. April 1952 bis zum 31. Oktober 1957. Bei Erlass des Rentenbescheides vom 29. Juni 2000 sei weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen worden (§ 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch <SGB X>), insbesondere seien die geltend gemachten Zeiten nicht rentensteigernd zu berücksichtigen.
Die Zeit vom 01. April 1952 bis zum 31. Oktober 1957 sei keine Beitragszeit i. S. v. § 55 Abs. 1 SGB VI, denn es seien – auch nach dem Vortrag der Klägerin und den von ihr bereits früher vorgelegten Zeugenerklärungen – gerade keine Rentenversicherungsbeiträge entrichtet worden.
Beiträge gälten auch nicht nach § 259 SGB VI als gezahlt. Gemäß § 259 Satz 1 SGB VI würden dann, wenn glaubhaft gemacht worden sei, dass Versicherte vor dem 01. Januar 1957 während mindestens fünf Jahren, für die Pflichtbeiträge aufgrund einer versicherten Beschäftigung in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten gezahlt worden seien, neben Barbezügen in wesentlichem Umfang Sachbezüge erhalten hätten, für jeden Kalendermonat solcher Zeiten mindestens Entgeltpunkte aufgrund der Beitragsbemessungsgrundlage oder der Lohn-, Gehalt- oder Beitragsklassen der Anlage 8 zugrunde gelegt. Erste Voraussetzung sei danach, dass Pflichtbeiträge tatsächlich entrichtet worden seien, bei deren Entrichtung Sachbezüge jedoch unberücksichtigt geblieben seien. Eine derartige zusätzliche Bewertung scheide im Falle der Klägerin bereits deshalb aus, weil keine Pflichtbeiträge entrichtet worden seien.
Die Beitragsentrichtung könne auch nicht nach § 247 Abs. 2 a SGB VI fingiert werden. Nach dieser Vorschrift seien Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer versicherten Beschäftigung auch solche Zeiten, in denen in der Zeit vom 01. Juni 1945 bis zum 30. Juni 1965 Personen als Lehrling oder sonst zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt gewesen seien und grundsätzlich Versicherungspflicht bestanden habe, eine Zahlung von Pflichtbeiträgen für diese Zeiten jedoch nicht erfolgt sei. Voraussetzung für eine solche Fingierung sei demnach eine Beschäftigung als Lehrling in einem Lehrverhältnis, das von der Klägerin jedoch nicht vorgetragen worden sei. Eine sonstige Beschäftigung zur Berufsausbildung reiche nicht aus, um eine Beitragszeit zu fingieren. Denn Personen, die sonst zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt gewesen seien, seien erst durch § 1227 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung des Art. 1 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl. I S. 45) bzw. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) in der Fassung des Art. 1 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) zum 01. März 1957 in die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung einbezogen worden. Daraus folge, dass die letztgenannten Ausbildungsverhältnisse nicht schon ab dem 01. Juni 1945, sondern erst ab dem 01. März 1957 von der Regelung des § 247 Abs. 2 a SGB VI erfasst würden. Zu diesem Zeitpunkt wäre im Falle der Klägerin jedoch eine regelmäßig zwei Jahre andauernde Berufsausbildung bereits abgeschlossen gewesen.
Soweit die Klägerin eine Pflicht der Beklagten zur Anerkennung der Zeit vom 01. April 1952 bis zum 31. Oktober 1957 aus den Urteilen des BSG vom 02. Juni 2009 zu Ghettozeiten ableite, könne dem wegen der besonderen Anrechnungsvoraussetzungen des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) nicht gefolgt werden. Das BSG habe sich in seiner Entscheidung vom 02. Juni 2009 zu dem Aktenzeichen B 13 R 81/08 R ausdrücklich mit dem Begriff des „Entgelts“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b) des ZRBG auseinandergesetzt und eine vom allgemeinen Rentenrecht abweichende Auslegung dieses Begriffs angewendet. Zur Begründung hierfür habe das BSG darauf abgestellt, dass nur auf dieser Grundlage Sinn und Zweck des ZRBG, nämlich die Ermöglichung einer Rentenzahlung aus der deutschen Rentenversicherung an Verfolgte für deren Beschäftigung während ihres Zwangsaufenthaltes in einem vom Deutschen Reich zu verantwortenden Ghetto, erfüllt werden könne. Abgesehen hiervon enthalte § 2 des ZRBG im Gegensatz zum SGB VI eine ausdrückliche Fiktion der Beitragszahlung für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto.
Soweit die Klägerin hierin eine Ungleichbehandlung zwischen Ghetto-Beschäftigten und ihrer Person sehe, lasse sie außer Betracht, dass nach der von ihr selber zitierten Rechtsprechung des BVerfG Art 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jegliche Differenzierung verwehre. Der Gleichheitssatz solle eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verbieten, weshalb der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung unterliege. Zwar könne er grundsätzlich frei entscheiden, welche Merkmale er als maßgebend für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung ansehe. Eine Grenze sei jedoch dann erreicht, wenn sich für eine Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lasse. Ein Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung sehe die Kammer in Übereinstimmung mit dem BSG (Urteil vom 03. Juni 2009 – B 5 R 26/08 R) in der einmaligen historischen Situation der Zwangsaufenthalte im Ghetto. Eine Vergleichbarkeit des Zwangsaufenthaltes im Ghetto mit der sicherlich schwierigen Nachkriegszeit in Deutschland sei in keinster Weise erkennbar.
Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Anrechnung der Schulzeit vor Vollendung des 17. Lebensjahres als Anrechungszeit. Diese Zeit sei nach dem im Jahr 2000 geltenden Rentenrecht materiell-rechtlich nicht mehr als Anrechnungszeit wegen Schulausbildung zu berücksichtigen (§ 58 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI in der Fassung des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes <WFG> vom 25. September 1996, BGBl. I 2. 1461, in Kraft seit dem 01. Januar 1997). Eine Bindung der Beklagten an einen eventuellen früheren Vormerkungsbescheid habe nicht bestanden, denn die Beklagte habe schon mit dem Vormerkungsbescheid vom 23. Oktober 1998 klargestellt, dass die Schulausbildung vom 08. April 1951 bis zum 31. März 1952 nicht mehr angerechnet werde.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren fort. Sie trägt vor, inzwischen lägen drei Entscheidungen des BSG vom 02. Juni 2009 vor, die von den Vorinstanzen zu beachten seien. Das BSG habe darin erkennbar eindeutig abgestellt auf das bloße Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses. Darüber hinaus liege eine Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG vor, denn die Ungleichbehandlung könne nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass dem Gesetzgeber Differenzierungsmöglichkeiten zustünden. Aus dem Urteil des BSG vom 02. Juni 2009 – B 13 R 139/08 R – ergebe sich außerdem, dass bei Ersatzzeiten eine Lebensaltersuntergrenze von 14 Jahren gelte. 1949 habe sie ihre Schulpflichtzeit bis zum 01. April 1949 beendet. Ihr weiterer Schulbesuch sei versicherungsfrei gewesen. Nicht nachvollziehbar sei im Übrigen, wenn das SG ausführe, die Rentenansprüche der Ghettobewohner beruhten auf dem ZRBG. Vielmehr begründe das BSG die Ansprüche der Betroffenen mit den Vorschriften des SGB VI sowie der RVO. Ein selbständiger Rentenanspruch ergebe sich aus dem ZRBG gerade nicht. Schließlich habe das SG keine Entscheidung über ihren Antrag auf lückenlose Aufklärung bezüglich der drei in ihrem Namen geführten Rentenkonten getroffen. Sie hat Bezug genommen auf einen Artikel von Dr. Rudolf Wassermann „Rückgabeverbot als Bedingung für die Wiedervereinigung?“ in der Zeitschrift MUT Nr. 386 von Oktober 1999, einen Artikel im Bonner Generalanzeiger „Die Kritik eines Richters beschäftigt den Rechtsauschuss“, den Bericht der Europäischen Konferenz für Menschenrechte und Selbstbestimmung (EKMS) „Die Bedrohung der Meinungsfreiheit in Deutschland“, einen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 28. November 1995 „Sollen die Deutschen doch leiden“, einen Artikel in der Berliner Zeitung vom 26./27. Oktober 1996 „Statistik der Zerstörung“ und einen eigenen handschriftlichen Bericht über die von ihr und ihre Familie erlebten Kriegs- und Nachkriegsjahre.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juli 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. September 2010 aufzuheben und die Beklagte unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 29. Juni 2000 zu verurteilen, ihr unter Berücksichtigung der Zeit vom 01. April 1949 bis zum 31. März 1952 als Anrechnungs- bzw. Ersatzzeit sowie der Zeit vom 01. April 1952 bis zum 31. Oktober 1957 als Beitragszeit höhere Regelaltersrente ab dem 01. Mai 2000 zu zahlen sowie die Beklagte zu verurteilen, ihr lückenlose Auskunft darüber zu geben, weshalb drei Rentenkonten geführt wurden und welche Daten auf den Konten gespeichert worden sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Mit Schreiben vom 25. Oktober 2011 ist den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gegeben worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Akte des SG Berlin zu dem Aktenzeichen S 13 RA 2577/99 verwiesen.
II.
Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG entscheiden, denn er hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist insoweit unzulässig, als sie nunmehr die Verpflichtung der Beklagten zur Auskunft über die beiden weiteren – inzwischen stillgelegten – Versicherungskonten anstrebt. Denn insoweit fehlt es einer zu überprüfenden erstinstanzlichen Entscheidung. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem SG Berlin am 26. Juli 2011 explizit keinen solchen Antrag formuliert, weswegen das SG in seinem Urteil über das Bestehen eines solchen Auskunftsanspruchs auch nicht entschieden hat. Darüber hinaus wäre ein solcher Anspruch aber auch spätestens durch die Auskünfte der Beklagten an die Klägerin vom 30. April 2010 und 04. Juni 2010 erfüllt.
Im Übrigen ist die Berufung der Klägerin zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin kann von der Beklagten weder die Feststellung einer weiteren Anrechnungs- oder Ersatzzeit für die Zeit der Schulausbildung vor Vollendung ihres 17. Lebensjahres vom 01. April 1949 bis zum 31. März 1952 bzw. einer weiteren Beitragszeit für die Zeit der Beschäftigung im Betrieb ihres Vaters vom 01. April 1952 bis zum 31. Oktober 1957 im Wege des Zugunstenverfahrens noch die Neufeststellung ihrer Regelaltersrente unter Berücksichtigung solcher weiterer versicherungsrechtlicher Zeiten verlangen.
Der angefochtene Bescheid vom 29. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. September 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf teilweise Rücknahme des Bescheides vom 29. Juni 2000, denn der Bescheid ist nicht rechtswidrig.
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, soweit sich ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Der Senat schließt sich nach eigener Überprüfung den Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen seines Urteils vom 26. Juli 2011 an und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin auch keinen Anspruch auf Berücksichtigung der Zeit ihrer Schulausbildung vom 01. April 1949 bis zum 31. März 1952 als Ersatzzeit nach § 250 SGB VI hat.
Ersatzzeiten nach § 250 Abs. 1 SGB VI in der Fassung des Gesetzes zur Ergänzung der Rentenüberleitung (Rü-ErgG) vom 24. Juni 1993 (BGBl. 1 S. 1038) sind Zeiten vor dem 01. Januar 1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat und Versicherte nach vollendetem 14. Lebensjahr
1. militärischen oder militärähnlichen Dienst im Sinne der §§ 2 und 3 des Bundesversorgungsgesetzes aufgrund gesetzlicher Dienstpflicht oder Wehrpflicht oder während eines Krieges geleistet haben oder aufgrund dieses Dienstes kriegsgefangen gewesen sind oder deutschen Minenräumdienst nach dem 8. Mai 1945 geleistet haben oder im Anschluss an solche Zeiten wegen Krankheit arbeitsunfähig oder unverschuldet arbeitslos gewesen sind,
2. interniert oder verschleppt oder im Anschluss an solche Zeiten wegen Krankheit arbeitsunfähig oder unverschuldet arbeitslos gewesen sind, wenn sie als Deutsche wegen ihrer Volks- oder Staatsangehörigkeit oder in ursächlichem Zusammenhang mit den Kriegsereignissen außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland interniert oder in ein ausländisches Staatsgebiet verschleppt waren, nach dem 8. Mai 1945 entlassen wurden und innerhalb von zwei Monaten nach der Entlassung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ständigen Aufenthalt genommen haben, wobei in die Frist von zwei Monaten Zeiten einer unverschuldeten Verzögerung der Rückkehr nicht eingerechnet werden,
3. während oder nach dem Ende eines Krieges, ohne Kriegsteilnehmer zu sein, durch feindliche Maßnahmen bis zum 30. Juni 1945 an der Rückkehr aus Gebieten außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze oder danach aus Gebieten außerhalb des Geltungsbereichs dieser Gesetze, soweit es sich nicht um das Beitrittsgebiet handelt, verhindert gewesen oder dort festgehalten worden sind,
4. in ihrer Freiheit eingeschränkt gewesen oder ihnen die Freiheit entzogen worden ist (§§ 43 und 47 Bundesentschädigungsgesetz) oder im Anschluss an solche Zeiten wegen Krankheit arbeitsunfähig oder unverschuldet arbeitslos gewesen sind oder infolge Verfolgungsmaßnahmen
a) arbeitslos gewesen sind, auch wenn sie der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden haben, längstens aber die Zeit bis zum 31. Dezember 1946, oder
b) bis zum 30. Juni 1945 ihren Aufenthalt in Gebieten außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze oder danach in Gebieten außerhalb des Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze nach dem Stand vom 30. Juni 1945 genommen oder einen solchen beibehalten haben, längstens aber die Zeit bis zum 31. Dezember 1949,
wenn sie zum Personenkreis des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes gehören (Verfolgungszeit),
5. in Gewahrsam genommen worden sind oder im Anschluss daran wegen Krankheit arbeitsunfähig oder unverschuldet arbeitslos gewesen sind, wenn sie zum Personenkreis des § 1 des Häftlingshilfegesetzes gehören oder nur deshalb nicht gehören, weil sie vor dem 3. Oktober 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet genommen haben, oder
5a. im Beitrittsgebiet in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 30. Juni 1990 einen Freiheitsentzug erlitten haben, soweit eine auf Rehabilitierung oder Kassation erkennende Entscheidung ergangen ist, oder im Anschluss an solche Zeiten wegen Krankheit arbeitsunfähig oder unverschuldet arbeitslos gewesen sind,
6. vertrieben, umgesiedelt oder ausgesiedelt worden oder auf der Flucht oder im Anschluss an solche Zeiten wegen Krankheit arbeitsunfähig oder unverschuldet arbeitslos gewesen sind, mindestens aber die Zeit vom 1. Januar 1945 bis zum 31. Dezember 1946, wenn sie zum Personenkreis der §§ 1 bis 4 des Bundesvertriebenengesetzes gehören.
Zu dem von § 250 Abs. 1 SGB VI erfassten Personenkreis gehört die Klägerin erkennbar nicht.
Weiterhin ist im Hinblick auf die für den Zeitraum vom 01. April 1952 bis zum 31. Oktober 1957 geltend gemachte Beitragszeit darauf hinzuweisen, dass für die Feststellung von Beitragszeiten grundsätzlich der Nachweis der tatsächlichen Entrichtung der Beiträge erforderlich ist. Beitragszeiten sind – wie auch das BSG in seinen Entscheidungen vom 02. und 03. Juni 2009 (- B 13 R 139/08 R -, B 13 R 81/08 R -, B 13 R 85/98 R - und - B 5 R 26/08 R -, alle zitiert nach Juris) ausführt - nach § 55 Abs. 1 SGB VI Zeiten, für die nach Bundesrecht (oder früheren Vorschriften) Beiträge wirksam entrichtet sind oder als entrichtet gelten. Für die Klägerin sind unstreitig in dem streitigen Zeitraum keine Beiträge entrichtet worden.
Die streitige Zeit ist auch keine Zeit, für die nach § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Dies bezieht sich auf Kindererziehungszeiten (§§ 56 Abs. 1, 249, 249 a SGB VI), Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege eines Pflegebedürftigen (§ 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB VI), Zeiten des Bezugs von Übergangsgeld während einer Rehabilitationsmaßnahme des Rentenversicherungsträgers (§ 176 Abs. 3 SGB VI), Zeiten der Nachversicherung (§ 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VI), Zeiten, für die freiwillige Beiträge von Pflegepersonen nach Maßgabe des § 279 e SGB VI gezahlt wurden, Zeiten für die aufgrund einer unschuldig erlittenen Strafverfolgung freiwillige Beiträge nachentrichtet wurden (§ 205 Abs. 1 Satz 3 SGB VI) sowie Wehrdienstzeiten gemäß § 248 Abs. 1 SGB VI. Keine dieser Fallgruppen trifft für den streitigen Zeitraum auf die Klägerin zu.
Zutreffend hat das SG auch eine Anwendung der §§ 259 und 247 Abs. 2 a SGB VI ausgeschlossen.
Soweit die Klägerin nach wie vor meint, die Auslegung des Entgeltbegriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b des ZRBG durch das BSG in seinen oben genannten Entscheidungen vom 02. und 03. Juni 2009 müsse auch im allgemeinen Rentenversicherungsrecht angewandt werden, kann dem nicht gefolgt werden.
Zunächst ist klar zu stellen, dass die Klägerin nicht unter den Anwendungsbereich des ZRBG fällt, denn sie ist keine Verfolgte, auch war sie in der streitigen Zeit nicht in einem Ghetto beschäftigt (§ 1 Abs. 1 ZRBG).
Die Klägerin verkennt darüber hinaus, dass alleine eine andere Auslegung des Entgeltbegriffs aus §§ 1227 Abs. 1 Nr. 1, 1228 Abs. 1 Nr. 2 RVO bzw. §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 4 Abs. 1 Nr. 3 AVG nicht zur Feststellung von Beitragszeiten führen würde, denn es fehlt ja unstreitig an einer Entrichtung von Beiträgen. Um dennoch zur Feststellung von Beitragszeiten zu gelangen, enthält das ZRBG in § 2 Abs. 1 eine Sonderregelung, nach der für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto Beiträge als gezahlt gelten (Ghetto-Beitragszeiten). An einer ähnlich gearteten Fiktion fehlt es im SGB VI.
Aus den o. g. Entscheidungen kann auch nicht gefolgert werden, dass das BSG nunmehr eine grundsätzlich andere Auslegung des Entgeltbegriffs – auch im allgemeinen Rentenversicherungsrecht – beabsichtigt. Vielmehr betont das BSG in den o. g. Entscheidungen die Besonderheiten der im ZRBG zur Anwendung kommenden Auslegung und die Unterschiede zum Entgeltbegriff i. S. d. Vorschriften der RVO, des AVG sowie des SGB VI. Hierzu führt das BSG in seiner Entscheidung vom 03. Juni 2009 - B 5 R 26/08 R – in aller Deutlichkeit aus (Hervorhebungen durch den hier erkennenden Senat):
„Entgelt" i. S. von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst b ZRBG ist jegliche Entlohnung, gerade auch in Form von Nahrungsmitteln oder entsprechenden Lebensmittelkarten und Gutscheinen (Coupons). Weitergehende Erfordernisse (z. B. Einhaltung einer Mindesthöhe oder die Miternährung einer anderen Person) müssen nicht erfüllt werden. Unerheblich ist, ob das Entgelt nur „geringfügig" war oder zum Umfang der geleisteten Arbeit in keinem angemessenen Verhältnis stand, ob als Entgelt nur Sachbezüge in Form freien Unterhalts (oder eines Teils davon) gewährt wurden und ob das Entgelt unmittelbar von der Beschäftigungsstelle („Arbeitgeber") oder von einer anderen Instanz (z. B. dem Judenrat) gewährt wurde
Nur auf dieser Grundlage können Sinn und Zweck des ZRBG erfüllt werden. Das Gesetz soll Verfolgten für deren Beschäftigung während ihres Zwangsaufenthalts in einem vom Deutschen Reich zu verantwortenden Ghetto eine Rente aus der deutschen Rentenversicherung ermöglichen. Wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, ist es zwar ausdrücklich in Reaktion auf die Ghetto-Rechtsprechung des BSG und in deren Akzeptanz verabschiedet worden; es erweitert jedoch in mehrfacher Hinsicht deren Reichweite. (…)
Mit Rücksicht auf die gebotene Einheitlichkeit der Beurteilung von Ghetto-Beschäftigungen im Sinne des ZRBG kann ebenso wenig verlangt werden, dass diese gegen ein Entgelt verrichtet wurden, das nach den Bestimmungen der Reichsversicherungsgesetze zu einer Rentenversicherungspflicht geführt hätte; das mag das Gesetz bereits dadurch andeuten, dass es eine „Beschäftigung" voraussetzt, ohne diese als „versicherungspflichtig" zu bezeichnen. (…)
Entscheidender Gesichtspunkt für die Annahme eines von der Versicherungspflicht gelösten Entgeltbegriffs nach dem ZRBG ist dessen Sinn und Zweck, Verfolgten für deren Beschäftigung während ihres Zwangsaufenthalts in einem vom Deutschen Reich zu verantwortenden Ghetto eine Rente aus der deutschen Rentenversicherung zu ermöglichen, weil die verrichteten Arbeiten unter anderen Umständen im Rahmen von rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungen geleistet worden wären und somit nach den damals geltenden Vorschriften in aller Regel Rentenanwartschaften begründet hätten. Bei der Konzeption des Gesetzes kann dem Gesetzgeber nicht entgangen sein, dass sowohl die damaligen als auch die heutigen Regeln für die Abgrenzung einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung von einer versicherungsfreien Tätigkeit - etwa unter dem Gesichtspunkt des unbedeutenden bzw. unregelmäßigen Nebenerwerbs oder des freien Unterhalts - den typischerweise im Ghetto herrschenden Verhältnissen in keiner Weise gerecht werden können.
Ebenso wie damals muss heute eine Beschäftigung ein Entgelt in Form von Geld oder von Sachbezügen abwerfen, um rentenversicherungspflichtig zu sein (§ 1227 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i. V. m. § 160 RVO a. F.; § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI); andernfalls könnte nicht angenommen werden, dass die Beschäftigung die Lebensgrundlage des Beschäftigten bildet und Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit regelmäßig seinen Lebensunterhalt in Frage stellen, für dessen Ausfall die Versicherung eintreten soll. Ähnlich wie beim gänzlichen Fehlen von Entgelt kann bei dessen Geringfügigkeit oder bei nur gelegentlichen Dienstleistungen nicht von einer Sicherung des Lebensunterhalts durch Beschäftigung ausgegangen werden, sodass bereits zu Beginn der Sozialgesetzgebung entsprechende Ausnahmen von der Rentenversicherungspflicht geschaffen wurden. (…) Während danach über die Versicherungspflichtgrenze individuell von Fall zu Fall zu entscheiden war, legt der heutige § 8 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch konkrete Betrags- und Zeitgrenzen fest, was aber am Grundgedanken letztlich nichts ändert. Daneben wurden früher Tätigkeiten gegen freien Unterhalt aus der Rentenversicherungspflicht ausgeschlossen. Außerhalb von Überlegungen zu praktischen Schwierigkeiten des Beitragseinbehalts und der Nachweisbarkeit derartiger „Beschäftigungen" dürfte sich nach den damaligen Vorstellungen auch dieser Ausschlussgrund in das Konzept einer Versicherung eingefügt haben, die vor allem das Arbeitsentgelt absichern sollte, auf das der Beschäftigte für seinen Lebensunterhalt angewiesen war. Denn beim Ausschluss des freien Unterhalts aus dem versicherungspflichtigen Entgelt dachte man offenbar vor allem an die Gewährung von Kost und Logis im Rahmen familiärer oder familienähnlicher Beziehungen, bei denen - jedenfalls ursprünglich - die Mitarbeit „in Haus und Hof" zwar als Selbstverständlichkeit, aber nicht als Bedingung für den Erhalt einer „Gegenleistung" in einem synallagmatischen Verhältnis angesehen wurde. Unabhängig vom gesetzlich angeordneten Ausschluss erfüllten diese besonderen „Formen des Zusammenlebens" unter dem aufgezeigten Blickwinkel auch nicht die generellen Voraussetzungen für eine rentenversicherungspflichtige berufsmäßige Lohnarbeit, bei der „jemand durch eine einzelne oder mehrere gelohnte Tätigkeiten seinen Lebensunterhalt überwiegend oder doch in solchem Umfang erwirbt, dass seine wirtschaftliche Stellung zu einem erheblichen Teile auf der Lohnarbeit beruht.
Diese unter normalen Lebens- und Arbeitsbedingungen sinnvollen Einschränkungen des rentenversicherungsrechtlichen Entgeltbegriffs verloren unter den im Ghetto herrschenden Bedingungen ihren Sinn. Denn im Ghetto konnte auch eine ganz geringfügige Entlohnung eine Überlebenschance bieten; vor allem Lebensmittel - selbst in kleinsten Mengen - waren im Ghetto, das die Bewohner nicht verlassen durften und in dem sie ständig von Hunger bedroht waren, überlebenswichtig und konnten eher als Lebensgrundlage angesehen werden als Geld oder geldwertes Vermögen. Würde man insoweit dennoch ein Entgelt im überkommenen rentenversicherungsrechtlichen Sinn verlangen, könnten Ghetto-Beitragszeiten nur in extremen Ausnahmefällen angerechnet werden und würden gerade für diejenigen Verfolgten an erschwerte Voraussetzungen geknüpft, die damals in Form von Lebensmitteln die begehrteste Art von Entgelt erhielten. Infolgedessen kann trotz der Entstehungsgeschichte und der rentenversicherungsrechtlichen Bezüge des ZRBG nicht davon ausgegangen werden, dass dieses Gesetz in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst b auf das rentenversicherungspflichtige Entgelt Bezug nimmt, wie es durch die Praxis des Reichsversicherungsamtes definiert wurde oder sich in den aktuellen Vorschriften über die geringfügige Beschäftigung niederschlägt. Diese Abweichung ist umso eher gerechtfertigt, als die Regeln über das sozialversicherungsrechtliche Entgelt zwar ihrem Buchstaben nach für zwangsweise im Ghetto lebende Verfolgte durchbrochen werden, die diesen Regeln zugrunde liegende Wertung aber gerade beachtet wird. Denn ähnlich wie die Versicherungspflicht nach damaligem oder heutigem Recht setzen Ghetto-Beitragszeiten nach diesem Verständnis eine Tätigkeit voraus, die - nach objektiv erkennbaren Maßstäben - eine wesentliche Lebensgrundlage des Versicherten darstellt.
Vor diesem Hintergrund ist für die Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst b ZRBG nicht erforderlich, dass das Entgelt im Einzelnen den Voraussetzungen der Rentenversicherungspflicht entsprach. Entgelt i. S. des ZRBG ist vielmehr jegliche Gegenleistung für die vom Ghettobewohner verrichtete Arbeit ohne Rücksicht auf deren Höhe oder deren Form. Eine wie auch immer geartete Abgrenzung „ordentlich" entlohnter Beschäftigungen von nur mit Lebensmitteln als „freiem Unterhalt" oder nur geringfügig vergüteten entbehrt im Ghetto aus den angeführten Gründen der inneren Rechtfertigung.“
Hieraus folgt auch entgegen der Auffassung der Klägerin kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet zwar, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jegliche Differenzierung verwehrt. Der Gleichheitssatz will in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern. Daher unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung. Grundsätzlich kann er frei entscheiden, welche Merkmale er als maßgebend für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung ansieht. Eine Grenze ist jedoch dann erreicht, wenn sich für eine Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lässt (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. den Beschluss vom 15. März 2000 – 1 BvL 16/96, 1 BvL 17/96, 1 BvL 18/96, 1 BvL 19/96, 1 BvL 20/96, 1 BvL 18/97 -, zitiert nach Juris). Zwar ist es richtig, dass aufgrund der vom BSG in den o. g. Entscheidungen vom 02. und 03. Juni 2009 vorgenommenen Grenzziehung zwischen dem Entgeltbegriff des ZRBG und der Rentenversicherungspflicht nach allgemeinen Regeln möglicherweise Personen vom Schutz der Rentenversicherung ausgeschlossen bleiben, die ebenso wie Beschäftigte in einem Ghetto für ein Entgelt gearbeitet haben, das den bisherigen Kriterien des Rentenversicherungsrechts nicht entspricht. Die einmalige historische Situation von Zwangsaufenthalten im Ghetto mit der Ausbeutung der Arbeitskraft der Verfolgten, ohne welche die Mehrzahl der Arbeitsverhältnisse im Ghetto rentenversicherungspflichtig gewesen wäre, ist jedoch ein hinreichend sachbezogenes Differenzierungsmerkmal, um dem Einwand einer willkürlichen Unterscheidung zu begegnen (so das BSG in seiner Entscheidung vom 03. Juni 2009 – B 5 R 26/08 R – zitiert nach Juris).
Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.