Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 7. Senat | Entscheidungsdatum | 04.04.2014 | |
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Aktenzeichen | L 7 KA 108/13 B ER | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 75 SGB 5, § 95 SGB 5, Bereitschaftsdienstordnung KV Bln |
Zur Auslegung von § 12 BDO KV Bln.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. November 2013 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26. Juli 2013 angeordnet wird.
Die Antragsgegnerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 11.653,61 € festgesetzt.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. November 2013 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat „die Anordnung des Sofortvollzuges des Bescheides der Antragsgegnerin vom 26. Juli 2013 aufgehoben“; es hätte stattdessen bei der dem Begehren der Antragstellerin entsprechenden Auslegung ihres Antrages die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26. Juli 2013 anordnen müssen, wie dies § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG für Fälle der vorliegenden Art vorsieht, in denen eine Behörde die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 anordnet. Dies konnte der Senat im vorliegenden Beschluss korrigieren, weil die „Aufhebung des Sofortvollzuges“ und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs auf dasselbe Ziel gerichtet sind: Die Antragsgegnerin darf der Antragstellerin bis zum Eintritt der Bestandskraft des Bescheides vom 26. Juli 2013 die (weitere) Teilnahme am Ärztlichen Bereitschaftsdienst nicht versagen.
Die Entscheidung des Sozialgerichts, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtswidrig und deshalb aufzuheben ist, ist in der Sache nicht zu beanstanden. Das Interesse der Antragstellerin an der Herstellung des Suspensiveffekts ihres Widerspruchs überwiegt das Vollziehungsinteresse der Antragsgegnerin; denn der angefochtene Bescheid vom 26. Juli 2013 erweist sich als rechtswidrig. Deshalb besteht kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Ausschlusses der Antragstellerin von der weiteren Teilnahme am ärztlichen Bereitschaftsdienst.
Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin mit dem Bescheid vom 26. Juli 2013 nach § 12 Abs. 1 ihrer Bereitschaftsdienstordnung (BDO) für die Dauer von sechs Monaten vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst ab dem Zugang des Bescheides ausgeschlossen. Sie hat dabei verkannt, dass § 12 Abs. 1 BDO hierfür keine taugliche Rechtsgrundlage bietet.
1.) Nach § 12 Abs. 1 BDO kann der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin einen Arzt von sich aus oder auf Empfehlung der Bereitschaftsdienstkommission, nach vorheriger Anhörung des betreffenden Arztes, von der Teilnahme am Ärztlichen Bereitschaftsdienst allgemein oder für einzelne Dienstarten ausschließen. Dies betrifft insbesondere Ärzte, die nicht mit praxisbezogener Sachkunde den typischen Situationen der entsprechenden Dienste wenigstens mit Sofortmaßnahmen bis zur weiteren Versorgung der Patienten durch stationäre Krankenhausbehandlung oder reguläre vertragsärztliche Behandlung gerecht zu werden vermögen. Die Feststellung einer mangelnden Eignung für die Teilnahme am Ärztlichen Bereitschaftsdienst kann mit der Auflage verbunden werden, diese Eignung innerhalb einer bestimmten Frist durch entsprechende Fortbildung zu erwerben.
Der Wortlaut der Absätze 1 und 2 der Vorschrift zeigt, dass der Ausschluss eines Arztes von der Teilnahme am Ärztlichen Bereitschaftsdienst nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BDO nur dann in Betracht kommt, wenn der betreffende Arzt hierfür ungeeignet ist. Dies ist nach § 12 Abs. 1 Satz 3 BDO in dem Bescheid über den Ausschluss ausdrücklich festzustellen. Ärzte die sich zur Teilnahme am Ärztlichen Bereitschaftsdienst allgemein oder für einzelne Dienstarten als ungeeignet erwiesen haben, dürfen von der Antragsgegnerin nur auf Dauer, zumindest aber bis zum Erwerb der Eignung durch eine entsprechende Fortbildung vom Notfalldienst ausgeschlossen werden. Eine Ungeeignetheit zur Teilnahme am Ärztlichen Bereitschaftsdienst liegt vor allem dann vor, wenn sich der betreffende Arzt durch sein Verhalten im Notdienst den Anforderungen des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes nicht gewachsen gezeigt hat; dies kann ggf. auch aus einem einmaligen Vorfall geschlossen werden, wenn dadurch Leben oder Gesundheit eines Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung erheblich gefährdet oder verletzt worden sind. Kann der Eignungsmangel durch den betreffenden Arzt durch eine Fortbildung - ärztlicher oder sonstiger Art (etwa durch den Erwerb deutscher Sprachkenntnisse) - beseitigt werden, muss die Antragsgegnerin dem Rechnung tragen und den betreffenden Arzt nach der Ausräumung des Eignungsmangels wieder zur Teilnahme am Ärztlichen Bereitschaftsdienst zulassen.
Die Antragsgegnerin hat in dem angegriffenen Bescheid weder die Ungeeignetheit der Antragstellerin festgestellt noch ihre Entscheidung mit einem völligen oder teilweisen Fehlen der Eignung der Antragstellerin begründet. Mit einem befristeten Ausschluss der Antragstellerin von der Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst hätte sie im Übrigen auch ihr Ermessen aus § 12 Abs. 1 Satz 1 BDO verletzt, der eine solche Entscheidung ebenso wenig vorsieht wie § 12 Abs. 1 Satz 3 BDO.
2.) Zu Recht hat das Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung darauf hingewiesen, dass die Antragsgegnerin die Antragstellerin auch nach § 12 Abs. 2 BDO nicht von der Teilnahme am Ärztlichen Bereitschaftsdienst hätte ausschließen dürfen. Der Senat musste sich deshalb nicht mit der Frage auseinandersetzen, ob der von der Antragsgegnerin (rechtswidrig) ausgesprochene befristete Ausschluss von der Teilnahme am Ärztlichen Bereitschaftsdienst nach § 12 Abs. 1 BDO in einen zeitweisen Widerruf der Teilnahmeberechtigung nach § 12 Abs. 2 BDO hätte umgedeutet werden können.
Nach § 12 Abs. 2 BDO kann die Teilnahmeberechtigung (am Notfalldienst) auf Dauer oder zeitweise widerrufen werden, wenn ein Arzt zu begründeten Beschwerden Anlass gegeben hat. Dies betrifft begründete Beschwerden u.a. wegen unärztlichen Verhaltens gegenüber Patienten und deren Angehörigen oder Verstößen gegen Bestimmungen und Anweisungen, die den geordneten Ablauf des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes beeinträchtigen.
Unbeschadet der zwischen den Beteiligten streitigen Frage, ob hier eine „begründete Beschwerde“ im Sinne der zitierten Vorschrift vorlag, berechtigt § 12 Abs. 2 BDO die Antragsgegnerin ausdrücklich nach seinem eindeutigen Wortlaut nur dann zum Widerruf der Teilnahmeberechtigung am Ärztlichen Bereitschaftsdienst, wenn (mehrere) begründete Beschwerden vorliegen und nicht nur eine Beschwerde wie im vorliegenden Fall. Eine teleologische Auslegung der Vorschrift gegen ihren Wortlaut im dem Sinne, dass auch nur eine begründete Beschwerde ausreiche, um die Teilnahmeberechtigung eines Arztes am Ärztlichen Notfalldienst zu widerrufen, wenn der Beschwerde nur ein (ggf. erstmaliges) hinreichend schwerwiegendes Fehlverhalten zu Grunde liege, das eine schwerwiegende Gesundheitsgefährdung eines Versicherten verwirkliche, wie die Antragsgegnerin mit der Beschwerde meint, kommt nicht in Betracht. Dafür besteht auch kein Bedarf: Verletzt ein Arzt in besonders schwerwiegender Weise seine ärztlichen Pflichten bei der Ausübung des Notfalldienstes, fehlt ihm entweder die Eignung zur Teilnahme am Notfalldienst (Folge: Ausschluss nach § 12 Abs. 1 BDO möglich) oder aber er verletzt damit seine vertragsärztlichen Pflichten in gröblicher Weise, so dass ihm sogar seine Zulassung gemäß § 95 Abs. 6 Satz 1 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) zu entziehen ist. Geht es hingegen um weniger schwerwiegende Verletzungen der vertragsärztlichen Pflichten, kommt ein Widerruf der Teilnahme am ärztlichen Bereitschaftsdienst (auf Dauer oder zeitweise) nur bei Vorliegen von Verstößen in mehreren Fällen in Betracht.
3.) Nur mit dieser Auslegung der zitierten Vorschriften wird dem Spannungsverhältnis zwischen dem auf Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) beruhenden Anspruch des Vertragsarztes auf Teilnahme am Notfalldienst einerseits und dem Anspruch der Versicherten auf eine ordnungsgemäße ärztliche Behandlung aus Art. 2 Abs. 1 und 2 GG andererseits (Patientensicherheit) Rechnung getragen: Die zur verfassungsrechtlich geschützten Berufsausübung des Vertragsarztes gehörende Möglichkeit zur Teilnahme am ärztlichen Bereitschaftsdienst kann und darf nur dann dauerhaft ausgeschlossen oder zeitweise beschränkt werden, wenn die Sicherheit der Behandlung der Versicherten die jeweilige Maßnahme im Sinne der Gefahrenabwehr unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gebietet. Geht es hingegen wie im vorliegenden Fall darum, auf den Vertragsarzt wegen eines einzelnen Vorfalles während des Notfalldienstes einzuwirken, seine vertragsärztlichen Pflichten (hier: Pflicht zur körperlichen Untersuchung als Routinemaßnahme) zum Schutze der Versicherten in Zukunft ordnungsgemäß auszuüben (der Bescheid bezeichnet die Maßnahme selbst als Warnsignal), steht ggf. das Disziplinarrecht der Antragsgegnerin als ausreichender Sanktionsmechanismus zur Verfügung, der eine verhältnismäßige Reaktion auf ein Fehlverhalten eines Vertragsarztes ermöglicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG, 154 Abs. 2 VwGO und entspricht dem Ausgang in der Sache. Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 52, 53 GKG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).