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AVI - technische Intelligenz - Kombinatsbetrieb


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 27. Senat Entscheidungsdatum 26.08.2010
Aktenzeichen L 27 R 533/07 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 1 Abs 1 ZAVtIVDBest 2, § 1 AAÜG

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 26. Februar 2007 und der Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 2003 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 1. März 1979 bis zum 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz vorzumerken und die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen für das Verfahren in beiden Instanzen zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten zur Vormerkung von Beschäftigungszeiten als Zeiten der fiktiven Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) und zur Feststellung der dabei erzielten Arbeitsentgelte.

Er war nach einem Studium der Fachrichtung Technologie der Bauproduktion berechtigt, die Berufsbezeichnung Hochschulingenieur und den akademischen Grad Diplom-Ingenieur zu führen. Am 1. März 1979 hatte der Kläger eine Tätigkeit beim ehemaligen VEB Wohnungsbaukombinat Cottbus, Kombinatsbetrieb Projektierung, aufgenommen und war dort am 30. Juni 1990 als Abteilungsleiter Elementeprojektierung beschäftigt. Dieser VEB bestand - unter geänderter Bezeichnung - auch noch am 30. Juni 1990. In jenem Kombinatsbetrieb war für das gesamte Kombinat die bautechnische Projektierung zentral zusammengefasst. Dort war die Ingenieurskapazität des Kombinates gebündelt, um die jeweils benötigten Leistungen auf dem Gebiet der Konstruktions- und Ausführungsplanung für die übrigen Kombinatsteile zu erbringen. Für den Kombinatsbetrieb Projektierung war der Kläger in dem nicht betriebszugehörigen Betonwerk des Kombinates tätig und mit der Planung und Konstruktion von Baufertigteilen betraut. Weder war er in das Zusatzversorgungssystem einbezogen worden, noch hatte er eine Versorgungszusage erhalten.

Einen im April 2000 gestellten Antrag auf Anerkennung der Beschäftigungszeiten für die Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Februar 2002 ab und führte zur Begründung aus, der Beschäftigungsbetrieb sei weder Produktionsbetrieb noch einem solchen gleichgestellt. Mit seinem hiergegen gerichteten Widerspruch brachte der Kläger vor, es habe sich bei dem Kombinat um eine Vereinigung solcher Betriebe gehandelt, die die Voraussetzungen der Zusatzversorgung erfüllten. Seines Wissens hätten andere dort beschäftigte Kollegen eine Anerkennung ihrer Beschäftigungszeiten erhalten. Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Mai 2003 hielt die Beklagte an ihrer Entscheidung fest.

Mit seiner am 30. Mai 2003 erhobenen Klage hat der Kläger ein Schreiben des ehemaligen Kombinatsdirektors vorgelegt, in welchem dieser die Zuständigkeit des Kombinatsbetriebs Projektierung wie folgt beschrieben hat: „Planung des Wohnungs-, des Gesellschafts- und des Industriebaus, den das Kombinat an den Standorten innerhalb des damaligen Bezirkes Cottbus, in Berlin und in der damaligen Sowjetunion im Zusammenhang mit dem Erdgasleitungsbau durchzuführen hatte. In Einzelfällen auch Projektierungsleistungen für Angehörige des Unternehmens, die sich unter den damaligen Bedingungen ein Haus bauten.“ Der Kläger hat weiterhin die Aufgabe des Kombinatsbetriebs näher beschrieben als Erstellung der Konstruktionspläne für die einzelnen Bauelemente und die gesamte Ausführungsplanung der Architektur. Er ist der Ansicht, es habe sich bei dem Kombinatsbetrieb jedenfalls um ein Konstruktionsbüro gehandelt.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26. Februar 2007 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Kombinatsbetrieb Projektierung sei weder ein Produktionsbetrieb gewesen noch ihm gleichgestellt. Soweit andere dort Beschäftigte möglicherweise eine Anerkennung ihrer Beschäftigungszeiten erfahren hätten, folge aus dieser fehlerhaften Praxis kein Gleichbehandlungsanspruch für den Kläger. Eine Ausfertigung des Gerichtsbescheides ist an den Kläger am 19. März 2007 mittels Einwurf-Einschreiben abgesandt worden.

Mit seiner am 19. April 2007 eingelegten Berufung bringt der Kläger vor, der Kombinatsbetrieb sei rechtlich nicht selbstständig gewesen, habe aber selbst im Falle einer rechtlichen Selbstständigkeit sein Gepräge durch die Konstruktion erfahren. Eine strikte Trennung zwischen Projektierung und Konstruktion sei in der Verwaltungspraxis der DDR nicht erfolgt. Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 26. Februar 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 22. Februar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 2003 zu verpflichten, die Beschäftigungszeiten vom 1. März 1979 bis zum 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz vorzumerken und die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung vertieft sie ihr Vorbringen aus der 1. Instanz bringt ergänzend vor, in der DDR sei eine Unterscheidung zwischen Konstruktionsbüros einerseits und Projektierungsbetrieben andererseits vorgenommen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorganges Bezug genommen. Diese haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die begehrte Vormerkung seiner Beschäftigungszeiten für die Zusatzaltersversorgung.

Er erfüllt zwar nicht die beiden in § 1 Abs. 1 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) genannten Voraussetzungen, denn er war weder bei Inkrafttreten der Norm am 1. August 1991 Inhaber einer Versorgungsberechtigung noch war er in ein Versorgungssystem einbezogen und vor dem 1. Juli 1990 daraus ausgeschieden. Dies steht zwischen den Parteien auch nicht im Streit.

Ein Anspruch des Klägers auf Vormerkung der Beschäftigungszeiten für die Zusatzversorgung ergibt sich aber aus § 1 Abs. 1 AAÜG in der durch das Bundessozialgericht - BSG - vorgenommenen verfassungskonform erweiternden Auslegung. Danach ist anspruchsberechtigt, wer am 1. August 1991 aufgrund der bei Schließung der Zusatzversorgungssysteme am 30. Juni 1990 gegebenen tatsächlichen Umstände einen fiktiven bundesrechtlichen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage erlangt hatte (BSG, Urteil vom 7. September 2006, B 4 RA 41/05 R, Juris, m.w.N.).

Der umschriebene fiktive bundesrechtliche Anspruch hängt im Bereich der AVItech gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (AVTI-VO) vom 17. August 1950 (GBl. S. 844) und § 1 Abs. 1 der 2. Durchführungsbestimmung (2. DB) zur AVTI-VO vom 24. Mai 1951 (GBl. S. 487), soweit diese am 3. Oktober 1990 zu sekundärem Bundesrecht geworden sind, von drei (persönlichen, sachlichen und betrieblichen) Voraussetzungen ab, von denen hier allein die betriebliche im Streit steht. Gem. § 1 Abs. 1 der 2. DB muss die Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem diesen Betrieben gleichgestellten Betrieb ausgeübt worden sein.

Der Betrieb, in dem der Kläger am 30. Juni 1990 beschäftigt war, erfüllte die genannten betrieblichen Voraussetzungen. Zwar ist entgegen der Ansicht des Klägers insofern nicht das gesamte Kombinat in den Blick zu nehmen, sondern einzig der konkrete Beschäftigungsbetrieb (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2007, B 4 RS 2/06 R, Juris, Rdnr. 47), hier der vormalige VEB Wohnungsbaukombinat Cottbus, Kombinatsbetrieb Projektierung, seit dem 1. April 1990 umbenannt in Lausitzer Bauunternehmen (VEB) Niederlassung Projektierung Cottbus - Lausitzprojekt -, denn ein Kombinatsbetrieb war gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe vom 8. November 1979 (GBl. S. 355) eine „ökonomisch und juristisch selbständige Einheit“ und gem. § 6 Abs. 2 Satz 1 jener Verordnung auch rechtsfähig. Dementsprechend führt die Zugehörigkeit eines Betriebes zu einem mit dem Wohnungsbau betrauten Kombinat nicht für sich genommen zum Vorliegen der betrieblichen Voraussetzungen für die Zusatzversorgung. Andererseits schließt die arbeitsteilige Organisation eines mit dem Wohnungsbau betrauten Kombinates in einzelne Kombinatsbetriebe es ebenso wenig aus, auch solche Kombinatsbetriebe als Produktionsbetriebe des Bauwesens zu verstehen, deren Aufgabe nicht die eigentliche Bauwerkserrichtung war.

Es ist insofern eine Abgrenzung zwischen einer integralen, unverzichtbaren Funktion des Kombinatsbetriebes für die Produktion und sonstigen, der Aufgabenerreichung lediglich förderlichen Funktionen vorzunehmen (im Ergebnis ebenso: LSG Stuttgart, Urteil vom 9. September 2004, L 12 RA 5219/03, nicht veröffentlicht). Als ein Produktionsbetrieb im Bereich des Bauwesens ist auch ein solcher Kombinatsbetrieb zu verstehen, dessen Aufgabe elementarer Bestandteil - wenn auch vorgelagert - der eigentlichen Errichtung von Bauwerken im Großserienverfahren ist und bei unterbliebener Ausgliederung von den mit der Bauwerkserrichtung betrauten Kombinatsbetrieben in Eigenregie durchgeführt, also nicht typischerweise durch externe Auftragnehmer erbracht würde. Nur eine solche Auslegung wird dem mit der Einrichtung der Zusatzversorgung verfolgten Zweck gerecht. Nach der AVItech sollte die technische Intelligenz nur in solchen Betrieben privilegiert werden, die durch wissenschaftliche Forschungsarbeit und die Erfüllung technischer Aufgaben in den produzierenden Betrieben einen "schnelleren, planmäßigen Aufbau" der DDR ermöglichen sollten (vgl. Präambel zur VO-AVItech). Im Hinblick hierauf war auch allein die Beschäftigung in einem Betrieb, der die Massenproduktion im Bereich des Bauwesens zum Gegenstand hatte, von besonderer Bedeutung. Denn der Massenausstoß standardisierter Produkte sollte hohe Produktionsgewinne nach den Bedingungen der Planwirtschaft ermöglichen (vgl. BSG, Urteil vom 8. Juni 2004, B 4 RA 57/03 R, Juris, Rdnr. 23). Gerade der zum planmäßigen Aufbau der DDR erstrebte Massenausstoß standardisierter Produkte legte eine arbeitsteilige Organisation der Abläufe und Aufgaben im Interesse einer weitestgehenden Rationalisierung nahe.

Unter Beachtung dieser Grundsätze liegen hier die betrieblichen Voraussetzungen für die Einbeziehung des Klägers in die Zusatzversorgung vor. Der Beschäftigungsbetrieb des Klägers war am 30. Juni 1990 noch volkseigen und erfüllte nach dem Statut, dem klägerischen Vortrag und auch nach der schriftlichen Auskunft des ehemaligen Kombinatsdirektors gegenüber dem Sozialgericht vom 7. Januar 2004 Planungsaufgaben in so engem Zusammenhang mit der eigentlichen Bauwerkserrichtung, dass sie als deren elementarer Bestandteil anzusehen sind. Die zu erbringende Aufgabe „bautechnische Projektierung“ ist nach § 6 des Statuts des Kombinates als „zentralisierte Aufgabe“ dem Kombinatsbetrieb Projektierung zugewiesen worden. Sie wäre also bei unterbliebener Zentralisierung von den übrigen, unmittelbar mit der Bauwerkserrichtung befassten Kombinatsbetrieben zu erbringen gewesen, um deren Produktionsziel zu erreichen.

Soweit sich die Beklagte darauf beruft, der Kombinatsbetrieb Projektierung sei rechtlich selbstständig gewesen und hätte demzufolge auch Projektierungsleistungen an andere, nicht kombinatsangehörige Auftraggeber erbringen können, mag dies zutreffen und zum Teil auch durch das Schreiben des ehemaligen Kombinatsdirektors bestätigt sein, wonach zum Teil auch Projektierungsleistungen für Arbeitnehmer des Kombinats bei deren privaten Bauvorhaben erbracht worden seien. Dies vermag allerdings nicht die Einordnung des Kombinatsbetriebs Projektierung als integraler Bestandteil des Produktionsbetriebs im Bereich des Bauwesens in Frage zu stellen. Prägend für die rechtliche Einordnung des Kombinatsbetriebes ist dessen Leistungserbringung für die mit der konkreten Bauwerkserrichtung betrauten Kombinatsteile. Demgegenüber haben sonstige Aufträge kein relevantes Gewicht. So hat der ehemalige Kombinatsdirektor die Leistungserbringung an Beschäftigte des Kombinats als Einzelfälle bezeichnet. Das Gepräge durch die Leistungserbringung innerhalb des Kombinates ergab sich auch aus der Rechtsstellung des Kombinatsbetriebes. Zwar war dieser gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe vom 8. November 1979 (GBl. S. 355) eine „ökonomisch und juristisch selbständige Einheit“, doch erfuhr diese Selbstständigkeit bereits in jener Norm die Einschränkung, wonach sie „im Rahmen seiner Einordnung in den Reproduktions- und Leitungsprozess des Kombinats“ bestehe.

Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte auf die Entscheidung des BSG vom 7. September 2006, B 4 RA 39/05 R, denn das BSG hat sich nicht mit der Frage befasst, wann ein mit Projektierungsaufgaben befasster VEB ein Produktionsbetrieb des Bauwesens ist. Vielmehr war der dortige Betrieb zum Stichtag 30. Juni 1990 bereits in eine GmbH umgewandelt und konnte aus diesem Grund nicht dem § 1 Abs. 1 der 2. DB unterfallen. Daher hatte das BSG zu entscheiden, ob ein Projektierungsbüro ebenso wie ein Konstruktionsbüro ein gleichgestellter Betrieb im Sinne von § 1 Abs. 2 der 2. DB war, der auch in der Rechtsform einer GmbH betrieben werden konnte. Vorliegend stellte sich indessen die Frage, ob der Beschäftigungsbetrieb des Klägers als gleichgestellter Betrieb nach § 1 Abs. 2 der 2. DB anzusehen war, schon deswegen nicht, weil es sich bei diesem Betrieb - wie vorstehend ausgeführt - um ein volkseigenen Produktionsbetrieb des Bauwesens gehandelt hat.

Die Revision ist gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, denn die Frage, ob im Falle einer arbeitsteiligen Organisation der Produktion im Bauwesen auch solche Betriebe als Produktionsbetriebe zu gelten haben, deren Leistung im Vorfeld der konkreten Bauwerkserrichtung liegen, für diese aber elementarer Bestandteil sind, besitzt grundsätzliche Bedeutung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.