Gericht | ArbG Brandenburg 3. Kammer | Entscheidungsdatum | 12.03.2014 | |
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Aktenzeichen | 3 Ca 995/13 | ECLI | ECLI:DE:ARBGBRA:2014:0312.3CA995.13.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Es wird festgestellt, dass auf das Arbeitsverhältnis des Klägers über den 31.12.2012 hinaus der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) und des Tarifvertrages zur Überleitung der Beschäftigten der Länder in den TV-L und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-L) in den jeweils geltenden Fassungen Anwendung findet.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 461,50 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB aus 373,95 Euro seit 16.07.2013 zu zahlen
3. Die Kosten des Rechtsstreites hat die Beklagte zu tragen.
4. Der Streitwert wird auf 3.137,95 Euro festgesetzt.
Die Parteien streiten darüber, ob auf ihr Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) oder die Haustarifverträge der Beklagten Anwendung finden.
Der am 18.09.1974 geborene Kläger steht seit dem 01.05.2000 bei der Beklagten bzw. der Rechtsvorgängerin als Pflegehelfer mit einem Bruttomonatsgehalt im Arbeitsverhältnis.
Im Arbeitsvertrag vom 08.03.2002 vereinbarte die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit dem Kläger u.a.:
„§ 2
Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – manteltarifliche Vorschriften – (BAT-Ost) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) jeweils geltenden Fassung. Außerdem finden die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung.
…“
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten, das Land Brandenburg, war Mitglied der Tarifgemeinschaft Deutscher Länder (TdL).
Die Beklagte ist nicht Mitglied im Arbeitgeberverband der Tarifgemeinschaft deutscher Länder.
Der Kläger ist nicht Mitglied in einer Gewerkschaft.
Zum 15. Oktober 2006 übernahm Beklagte im Land Brandenburg drei Kliniken vom Land Brandenburg, u.a. die in der Stadt B., in der der Kläger tätig ist, im Wege des Betriebsübergangs.
Zum 1. November 2006 trat der TV-L in Kraft.
Auf Antrag des Klägers wandte die Beklagte ab März 2011 den TV-L, den TV-Ü sowie die dazu geschlossenen Zusatztarifverträge auf das Arbeitsverhältnis des Klägers an.
Am 5. März 2013 hat die Beklagte, die A. mit dem ver.di Landesbezirk Berlin-Brandenburg diverse Haustarifverträge abgeschlossen, wobei u.a. der Manteltarifvertrag rückwirkend zum 1. Juli 2012 und der Entgelttarifvertrag zum 1. Januar 2013 in Kraft traten.
Die bisherige Entgelthöhe der Arbeitnehmer wurde durch eine - bei zukünftigen Tariferhöhungen abschmelzbare - Besitzstandsklausel gesichert.
Die Beklagte vergütet den Kläger fortan nach den Regelungen der Haustarifverträge.
Im Monat Juni 2013 wurden dem Kläger ausweislich der Lohnabrechnung 461,50 Euro netto durch die Beklagte abgezogen, da dem Kläger in den Monaten zuvor eine Tariferhöhung entsprechend dem TV-L ausgezahlt worden war.
Mit der vorliegenden Klage vom 21.10.2013, die am 24.10.2013 beim Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel einging, begehrt der Kläger die Feststellung, dass auf sein Arbeitsverhältnis auch nach dem 31. Dezember 2012 der TV-L weiterhin Anwendung findet.
Weiterhin begehrt er die Rückzahlung des einbehaltenen Entgeltes, da ihm dies unberechtigt abgezogen worden sei.
Der Kläger trägt vor, dass die Haustarifverträge keine Anwendung auf sein Arbeitsverhältnis finden würden, da sie keine den TV-L ablösenden Tarifverträge darstellen.
Gemäß des Günstigkeitsprinzips nach § 4 TVG sei der TV-L und nicht die ungünstigeren Haustarifverträge anzuwenden. Trotz der Besitzstandsklausel sei der TV-L günstiger, da der Besitzstand nicht dynamisch angewandt wird.
Die Bezugnahmeklausel des Arbeitsvertrages erfasse nicht die Haustarifverträge.
Eine einseitige Vergütungsänderung sei nicht möglich.
Der Kläger beantragt zuletzt:
1. Es wird festgestellt, dass auf das Arbeitsverhältnis des Klägers über den 31.12.2012 hinaus der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) und des Tarifvertrages zur Überleitung der Beschäftigten der Länder in den TV-L und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-L) in den jeweiligen geltenden Fassungen Anwendung findet.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 461,50 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 16.07.2013 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, dass aufgrund des Grundsatzes der Spezialität der Haustarifvertrag vor dem Branchentarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden sollte. Außerdem hätten die Parteien im Arbeitsvertrag vereinbart, dass die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung finden und somit die Haustarifverträge.
Die Parteien des Haustarifvertrages seien sich gemäß § 8 Abs. 9 des Überleitungstarifvertrages darüber einig gewesen, dass die Haustarifverträge alle bisher angewandten geltenden oder nachwirkenden Tarifregelungen ersetzen sollten.
Ggf. bestehe eine Tarifkonkurrenz, wenn diese nicht bestehe gelte der Grundsatz der Spezialität.
Das Günstigkeitsprinzip fände jedenfalls keine Anwendung, da dieses nur das Verhältnis von tarifvertraglichen zu arbeitsvertraglichen Regelungen betreffe.
Die Beklagte könne auf die weitere Anwendung des TV-L keinen Einfluss nehmen, da sie nicht Mitglied der TdL werden könne.
Zum weiteren Vorbringen der Prozessparteien und zur Verfahrensgeschichte wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
I.
Der Klageantrag zu 1) ist zulässig.
Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Eine Feststellungsklage kann sich auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken, sogenannte Elementenfeststellungsklage.
Auch die Anwendbarkeit eines bestimmten Tarifvertrages oder Tarifwerkes auf ein Arbeitsverhältnis kann Gegenstand einer Feststellungsklage sein (BAG, Urteil vom 22. Oktober 2008 - AZ: 4 AZR 784/07; BAG, Urteil vom 15. März 2006 - 4 AZR 75/05).
Der Kläger hat ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Anwendbarkeit eines Tarifvertrages, dem TV-L, auf sein Arbeitsverhältnis.
II.
Der Klageantrag zu 1) ist begründet.
Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.
1.
Die Parteien haben im § 2 des Arbeitsvertrags vereinbart, dass auf das Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts - manteltarifliche Vorschriften - (BAT-O) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) jeweils geltenden Fassung Anwendung findet. Außerdem sollen die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass auf das Arbeitsverhältnis nicht mehr der BAT-O, sondern seit dem Inkrafttreten des TV-L dieser in der jeweils geltenden Fassung Anwendung fand.
Für sogenannte Neuverträge, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts ab dem 1. Januar 2002 abgeschlossen wurden gilt, dass bei Bezugnahmeklauseln eine sogenannte unbedingte zeitdynamische Verweisung auch dann gilt, wenn die Tarifbindung des Arbeitgebers später wieder entfällt (vgl. BAG vom 18.04.2007, 4 AZR 652/05).
2.
Die Anwendbarkeit des TV-L auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch das Inkrafttreten des Haustarifvertrages der Beklagten beendet worden.
a. Die Haustarifverträge sind keine in der Klausel benannten „ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der für den Bereich der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) jeweils geltenden Fassung“.
Die arbeitgeberseitigen Tarifvertragsparteien des TV-L einerseits und der Haustarifverträge andererseits sind nicht identisch.
Die Beklagte hat die Haustarifverträge nur für ihr Unternehmen und somit nicht für die Tarifgemeinschaft deutscher Länder abgeschlossen. Weil die Haustarifverträge von anderen Tarifvertragsparteien als von denjenigen, die den TV-L vereinbart haben, abgeschlossen wurden, stellen die Haustarifverträge keine Tarifverträge dar, die die in Bezug genommenen Tarifverträge hätten ersetzen können. ( Vgl. BAG vom 16.05.2012, 4 AZR 290/12 Rn.28 ).
b. Die Haustarifverträge der Beklagten werden auch nicht durch den zweiten Satz der Bezugnahmeklausel erfasst, der lautet: „Außerdem finden die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung“. Dieser Passus bedarf der Auslegung.
Gemäß §§ 133, 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen. Zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind aber auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Vorformulierte Arbeitsvertragsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind (BAG, Urteil vom 4. Juni 2008 – 4 AZR 308/07).
Das Wort „außerdem“ bedeutet nach dem allgemeinen Sprachgebrauch „darüber hinaus“ oder „überdies“ (Duden online 11.03.2014, www.duden.de). In diesem Zusammenhang beinhaltet das Wort „außerdem“ am Satzanfang für einen verständigen Vertragspartner, dass zusätzlich zu den im ersten Satz zuvor genannten Tarifverträgen weitere Tarifverträge mit einem anderen Regelungsinhalt gelten sollen. Die weiteren Tarifverträge können demnach nur Regelungen enthalten, die der BAT-O damals nicht geregelt hatte. Sowohl der Haustarifvertrag-MTV als auch der Haustarifvertrag-Entgelt enthalten die gleichen Regelungsbereiche wie der BAT-O damals geregelt hatte bzw. der TV-L heute regelt. Insbesondere werden in beiden Tarifvertragswerken die Höhe des Entgeltes geregelt.
Bestätigt wird dieses Satzverständnis auch dadurch, dass im zweiten Satz das Wort „sonstige“ für den Arbeitgeber einschlägige Tarifverträge‘, aufgenommen worden ist. Also werden noch weitere vorhandene Tarifverträge, die über die im BAT-O/TdL getroffenen Regelungen hinausgehen, hiervon erfasst.
Hingegen werden hiervon nicht Tarifverträge erfasst, die über den gleichen Regelungsbereich abgeschlossen worden sind (ebenso BAG, Urteil vom 22. Oktober 2008 - 4 AZR 784/07).
c. Schließlich kann sich die Beklagte auch nicht darauf berufen, dass der Grundsatz der Tarifspezialität dazu führt, dass sich aus der Auslegung der Bezugnahmeklausel ergibt, dass der Haustarifvertrag den TV-L verdrängt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts führt der Grundsatz der Spezialität als tarifrechtlicher Kollisionsregel bei einer Tarifkonkurrenz dazu, dass der speziellere den allgemeineren Tarifvertrag verdrängt (BAG, Urteil vom 9. Dezember 2009 - 4 AZR 190/08).
Das bedeutet, dass ein Haustarifvertrag, der nur für ein Unternehmen gilt, der speziellere gegenüber einem Flächentarifvertrag ist, der für eine Reihe von Unternehmen gilt.
Der Grundsatz der Spezialität findet aber nur dann Anwendung, wenn eine beiderseitige Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien aufgrund einer Organisationszugehörigkeit zu einer Tarifvertragspartei der betreffenden Tarifverträge besteht (BAG vom 16.05.2012 – 4 AZR 290/10 – Rn. 33; BAG, Urteil vom 29. August 2007 - 4 AZR 767/06 ; BAG, Urteil vom 4. Juli 2007 - 4 AZR 491/06).
Daran fehlt es vorliegend, weil beide Parteien mangels Organisationszugehörigkeit nicht an das Tarifwerk für den öffentlichen Dienst der Länder gebunden ist. Die Beklagte ist nicht Mitglied in der Tarifgemeinschaft deutscher Länder und die Klägerin ist nicht Mitglied in der Gewerkschaft. Infolgedessen kann eine Tarifkonkurrenz allein aufgrund der Vereinbarung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel auf einen Tarifvertrag nicht entstehen (BAG, Urteil vom 29. August 2007 - 4 AZR 767/06).
Dem Antrag zu 1. war daher vollumfänglich stattzugeben.
III.
Der zulässige Klageantrag zu 2) ist begründet.
Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten gemäß § 611 BGB geltend gemachte Zahlungsanspruch zu, welchen die Beklagte auf der Gehaltsabrechnung für den Monat Juni 2013 dem Kläger abgezogen hatte. Den Gehaltsabzug begründet die Beklagte damit, dass an den Kläger versehentlich zuvor eine Tariferhöhung nach dem TV-L ausgezahlt worden war.
Wie bereits zuvor ausführlich dargelegt wurde, findet auf das Arbeitsverhältnis der TV-L Anwendung, so dass dem Kläger auch die Zahlung der Tariferhöhung zusteht.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, wonach die unterliegende Partei, hier die Beklagte, die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 61 Abs. 1 ArbGG, § 3 ZPO, wobei das Rechtschutzinteresse auf Feststellung der Anwendbarkeit eines Tarifvertrages mit einem Bruttomonatsgehalt zu bewerten war. Der Zahlungsantrag war entsprechend der geltend gemachten Höhe zu berücksichtigen.