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Abschiebung; Sicherheitsbegleitung; Kostenerstattung; Ermächtigungsgrundlage; Anwendbarkeit alten oder neuen Rechts; abgeschlossener Sachverhalt; echte Rückwirkung; grundsätzliche Bedeutung


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 07.03.2012
Aktenzeichen OVG 3 N 222.11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 83 Abs 1 Nr 3 AuslG, § 67 Abs 1 Nr 3 AufenthG

Tenor

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14. November 2011 wird abgelehnt.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Beklagte.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 738,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Beklagte zog den aus dem Libanon stammenden Kläger mit Bescheid vom 3. März 2011 und Widerspruchsbescheid vom 29. März 2011 zur Erstattung der Kosten für dessen versuchte Abschiebung heran, die für den 16. Mai 2003 geplant worden war. Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg, soweit es um einen Betrag von 738,00 Euro für die Sicherheitsbegleitung durch Mitarbeiter einer Luftverkehrsgesellschaft ging. Das Verwaltungsgericht hielt als Ermächtigungsgrundlage nicht § 67 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, sondern § 83 Abs. 1 Nr. 2 AuslG für anwendbar. Danach könne der Beklagte lediglich die Kosten für eine hier nicht gegebene amtliche Begleitung fordern. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung macht der Beklagte geltend, dass es auf die Rechtslage bei Erlass der angegriffenen Bescheide ankomme. Gemäß dem nunmehr einschlägigen § 67 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG könne Kostenersatz nicht nur für eine amtliche, sondern für jede Begleitung verlangt werden. Außerdem habe die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Unter Zugrundelegung des allein maßgeblichen Zulassungsvorbringens bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Die von dem Beklagten verfügte Heranziehung zu den Kosten der Sicherheitsbegleitung durch Mitarbeiter einer ausländischen Fluggesellschaft lässt sich nicht auf § 67 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG in der Fassung des insoweit am 28. August 2007 in Kraft getretenen Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 18. August 2007 (BGBl I S. 1970, 1983) stützen. Danach ist die Kostenerstattung zwar nicht mehr – wie gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG a.F. bzw. § 83 Abs. 1 Nr. 3 AuslG – auf die Kosten einer amtlichen Begleitung begrenzt, sondern umfasst jede erforderliche Begleitung (zur alten Rechtslage vgl. BVerwG, Urteil vom 14. März 2006 - 1 C 5/05 -, juris = BVerwGE 125, 101 ff.; s. auch BT-Drs 16/5065 S. 189). Diese Rechtsänderung könnte dem Kläger jedoch selbst dann nicht entgegen gehalten werden, wenn man – wie der Beklagte meint – grundsätzlich die bei Bescheiderlass im März 2011 gültige Rechtslage anzuwenden hätte. Ein derartiges Vorgehen erweist sich als verfassungsrechtlich unzulässige „echte“ Rückwirkung. Dadurch, dass der Beklagte die am 28. August 2007 in Kraft getretenen Ermächtigungsgrundlage des § 67 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG für die Erstattung von Kosten der nicht amtlichen Sicherheitsbegleitung aus dem Jahr 2003 herangezogen hat, hat er nachträglich mit für den Kläger belastenden Folgen in einen bereits in der Vergangenheit abgeschlossenen Tatbestand eingegriffen, der seinerzeit mangels gesetzlicher Grundlage keine Kostenerstattungspflicht auslösen konnte (vgl. z.B. BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1981 – 1 BvL 28/77 – u.a., BVerfGE 57, 361, 391, juris Rn. 90; Urteil vom 23. November 1999 - 1 BvF 1/94 -, BVerfGE 101, 239, 263 = juris Rn. 97). Der Kläger durfte auf den Fortbestand der bei seinem Abschiebungsversuch bestehenden Rechtslage, die auch nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes zum 1. Januar 2005 zunächst fortgalt und durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. März 2006 (- 1 C 5/05 -, juris) bestätigt wurde, vertrauen. Er musste nicht damit rechnen, nach mehreren Jahren nachträglich allein infolge einer Gesetzesänderung doch noch zu den in der Vergangenheit entstandenen Kosten der Sicherheitsbegleitung herangezogen zu werden.

Soweit sich der Beklagte auf einen Beschluss des VGH München vom 17. August 2008 (- 19 ZB 07.2362 -, juris) sowie ein Urteil des VG Münster vom 5. Mai 2011 (- 8 K 61/10 -, juris) beruft, verhilft dies dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg. In dem von dem VGH München entschiedenen Fall war der Leistungsbescheid zwar auf das erst nach der Abschiebung in Kraft getretene Aufenthaltsgesetz gestützt worden. Den Feststellungen des VGH zufolge hatten sich im dortigen Verfahren die maßgeblichen Vorschriften jedoch nicht geändert, und der dortige Kläger hatte im Berufungszulassungsverfahren nicht hinreichend dargelegt, dass die neue Rechtslage ungünstiger war (a.a.O., Rn. 6). Das VG Münster (a.a.O., Rn. 35) hat die Frage nach der anwendbaren Rechtsgrundlage (§ 66 Abs. 1 AufenthG oder § 82 Abs. 1 AuslG) letztlich offen gelassen, weil die Voraussetzungen der beiden im Wesentlichen gleichlautenden Vorschriften erfüllt seien. In keinem der Fälle kam es darauf an, ob der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch im Hinblick auf eine verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung rechtswidrig war.

2. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu. Hierzu müsste der Beklagte eine bisher weder höchstrichterlich noch obergerichtlich beantwortete konkrete und zugleich entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwerfen und erläutern, warum sie über den Einzelfall hinaus bedeutsam ist und im Interesse der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung der Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf.

Die Frage, „ob ein nach dem 1. Januar 2005 erlassener Leistungsbescheid als Rechtsgrundlage für die Geltendmachung der Kosten für eine Abschiebung, die vor In-Kraft-Treten des Aufenthaltsgesetzes am 1. Januar 2005 erfolgte, die §§ 82, 83 AuslG (Rechtslage vor dem 1. Januar 2005) oder die §§ 66, 67 AufenthG (Rechtslage nach dem 1. Januar 2005) heranziehen muss,“ ist zu allgemein formuliert und zudem nicht entscheidungserheblich. Der Beklagte zeigt nicht hinreichend deutlich auf, auf welchen Erstattungstatbestand und welche konkrete gesetzliche Regelung es ankommt, und warum hier bereits die Rechtslage bei Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes maßgeblich sein soll. Ferner fehlt es an einer Darlegung, warum sich die aufgeworfene Frage (Anwendbarkeit alten oder neuen Rechts) trotz des bisherigen Zeitablaufs auf einen nicht überschaubaren Personenkreis beziehen und auf nicht absehbare Zeit auch künftig noch Bedeutung haben kann (vgl. dazu Bader, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, Kommentar, 5. Aufl., § 124 Rn. 42).

Unabhängig von alledem wäre die aufgeworfene Frage auch dann nicht grundsätzlich bedeutsam, wenn man sie zu Gunsten des Beklagten umformulierte. Es bedarf keiner obergerichtlichen oder höchstrichterlichen Klärung, ob § 67 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG zum Nachteil Betroffener auf vor Inkrafttreten der Norm abgeschlossene Tatbestände angewandt werden kann. Die Beantwortung ergibt sich eindeutig aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur unzulässigen echten Rückwirkung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).