Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 15. Kammer | Entscheidungsdatum | 08.02.2012 | |
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Aktenzeichen | 15 Sa 2287/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Eine Cutterin, die überwiegend für ein regionales Nachrichtenmagazin beschäftigt wird, ist nicht programmgestaltend tätig.
2. Der Umstand, dass der Dienstplan erst aufgestellt wird, nachdem telefonisch die Dienstbereitschaft abgefragt wurde, steht der Annahme der Arbeitnehmereigenschaft nicht entgegen.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 29.09.2011 - 58 Ca 1155/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen, wobei es im Tenor zu II. heißt:
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin an mindestens 120 Arbeitstagen im Jahr in einem Arbeitsverhältnis als Cutterin zu beschäftigen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Parteien streiten im Kern darüber, ob die Klägerin als Cutterin bei der beklagten Rundfunkanstalt als Arbeitnehmerin oder als freie Mitarbeiterin beschäftigt wird.
Die Klägerin wird zu 90 % ihrer Einsätze als Cutterin für Beiträge der Berliner Abendschau, einem regionalen Nachrichtenmagazin, beschäftigt. Seit dem 1. November 2009 wird sie nicht mehr mit 10, sondern nur noch mit 8 Tagen pro Monat regelmäßig eingesetzt. Hinsichtlich des übrigen Sachverhaltes und des Vorbringens der Parteien in der I. Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
Mit Urteil vom 29. September 2011 hat das Arbeitsgericht Berlin festgestellt, dass zwischen den Parteien seit dem 1. November 2009 ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis besteht. Im Übrigen hat es die Beklagte verurteilt, die Klägerin an mindestens 120 Arbeitstagen im Jahr zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Cutterin zu beschäftigen. Das Arbeitsgericht hat hierbei angenommen, dass die Klägerin nicht programmgestaltend tätig sei. Sie wirke an der Erstellung der Beiträge nur technisch mit. Insofern käme es nicht darauf an, wie Cutterinnen in Kinofilmen eingesetzt werden. Mit dem Bundesarbeitsgericht sei davon auszugehen, dass Personen, die nicht programmgestaltend tätig sind, regelmäßig in einem Arbeitsverhältnis zu beschäftigen seien. Es lägen auch keine Tatsachen dafür vor, ausnahmsweise ein freies Mitarbeiterverhältnis anzunehmen. Die behauptete Einzelabsprache bei Aufstellung der Dienstpläne sei nicht derart für das Vertragsverhältnis bestimmend, dass eine abweichende Beurteilung zu rechtfertigen sei. Faktisch werde eine ständige Dienstbereitschaft erwartet. Die Verpflichtung zur Beschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen an mindestens 120 Arbeitstagen ergebe sich daraus, dass dies der durchschnittlichen Beschäftigung in den letzten drei Jahren entspreche.
Dieses Urteil ist der Beklagten am 14. Oktober 2011 zugestellt worden. Die Berufung ging am 14. November 2011 beim Landesarbeitsgericht ein. Nach Verlängerung bis zum 21. Dezember 2011 erfolgte die Berufungsbegründung an diesem Tag.
Die Beklagte ist weiterhin der Ansicht, dass die Klägerin programmgestaltend tätig sei. Dies ergebe sich schon aus dem Berufsbild des Cutters oder Filmeditors. Insofern verweist sie auf eine Darstellung des Bundesverbandes F. E. e. V. (Bl. 208 d. A.). Aus der Fülle des Materials könne sowohl ein Beitrag für eine seriöse Nachrichtensendung, aber auch ein solcher für ein Boulevardmagazin hergestellt werden. Selbst wenn die Klägerin nicht programmgestaltend tätig sei, sei sie jedenfalls freie Mitarbeiterin. Der Antrag zu 2. sei u. a. unbegründet, da die Klägerin inzwischen im Durchschnitt nur 96 Arbeitstage im Jahr eingesetzt werde.
Nachdem die Klägerin hinsichtlich des Antrages zu 2. zuletzt beantragte, die Beklagte zu verurteilen, sie an mindestens 120 Arbeitstagen im Jahr in einem Arbeitsverhältnis als Cutterin zu beschäftigten beantragt die Beklagte,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin betont weiterhin, sie habe keinen Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung der Beiträge. Sie berate nur den jeweiligen Redakteur. Insofern sei es ein deutlicher Unterschied, ob eine Cutterin für die Abendschau oder einen Spielfilm tätig werde. Die Berichterstattung über regionale Nachrichten werde nicht durch den Schnitt beeinflusst. Die Klägerin behauptet nunmehr, Frau R. erstelle gemeinsam einen Dienstplan für fest angestellte und freie Mitarbeiter. Danach könnten diese angeben, ob sie hiermit einverstanden seien. Für freie Mitarbeiter habe dies zur Folge, dass eine solche Absage von dem Kontingent der jährlichen Einsätze abgezogen werde. Bei Arbeitnehmern wirke sich eine Absage dahingehend aus, dass es zu einem negativen Arbeitszeitkonto komme. Nur wenn dieses innerhalb von drei Monaten nicht ausgeglichen werde, komme es zu einem Abzug.
Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass zwischen den Parteien seit dem 1. November 2009 ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis besteht. Die Beklagte war auch zu verurteilen, die Klägerin an mindestens 120 Arbeitstagen im Jahr als Cutterin zu beschäftigen.
I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
II.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Mit zutreffenden Erwägungen hat das Arbeitsgericht Berlin der Klage stattgegeben. Hierauf wird Bezug genommen (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist folgendes zu ergänzen bzw. zu vertiefen:
1. Zwischen den Parteien besteht seit dem 1. November 2009 ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis.
1.1 Eine Cutterin, die - wie die Klägerin - überwiegend für ein regionales Nachrichtenmagazin beschäftigt wird, ist nicht programmgestaltend tätig.
Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren auf eine Darstellung des Bundesverbandes F. E. e. V. (Bl. 208 d. A.) und erstinstanzlich auf eine Darstellung in Wikipedia (Kopie Bl. 161 d. A.) verwiesen hat, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Insofern geht auch die hiesige Kammer davon aus, dass die Tätigkeit einer Cutterin insbesondere bei der Produktion von Filmwerken diese maßgeblich in schöpferischer, eigenverantwortlicher oder künstlerischer Hinsicht maßgeblich beeinflussen kann. Insofern hat das Sozialgericht Berlin (17.03.2011 - S 36 KR 142/10 - juris) angenommen, dass eine Cutterin im Rahmen einer Filmproduktion eine selbständige Tätigkeit ausübe. Das Sozialgericht hat insofern festgestellt, dass der Klägerin bei der Auswahl und Zusammenstellung der einzelnen Szenen ein erheblicher künstlerisch-eigenschöpferischer Gestaltungsspielraum zugestanden habe. Sie sei teilweise vom Drehbuch abgewichen und habe auch einen Nachdreh für Szenen anregen können (a. a. O. Rn. 35). Das Sozialgericht hat ferner darauf hingewiesen, dass nach dem Abgrenzungskatalog der Spitzenorganisation der Sozialversicherungsträge für den Bereich Theater, Orchester, Rundfunk und Fernsehanbieter Cutter selbständig tätig sind, wenn sie für eine Produktion einzelvertraglich verpflichtet werden und der eigenschöpferische Teil der Leistung überwiegt (a. a. O. Rn. 39).
Zu Recht hat das Arbeitsgericht angenommen, dass ein ähnlicher Sachverhalt hier nicht vorliegt. Die Klägerin ist zu 90 % ihrer Arbeitszeit für die Abendschau tätig. Dort werden nicht abendfüllende Spielfilme mit künstlerischem Anspruch erstellt, sondern Nachrichtenbeiträge im Umfang von 2 - 3 Minuten oder die Unterlegung von gesprochenen Nachrichten im Umfang von 20 - 30 Sekunden. Im Vordergrund steht der Transport einer Nachricht, nicht die Herstellung eines künstlerischen Werks. Die künstlerische Handschrift eines Regisseurs muss nicht transportiert werden. Bei einzelnen Reportern haben die Cutter unstreitig keinerlei Einflussmöglichkeit, was die Beklagte mit dem Ausnahmecharakter von Herrn Z. und Herrn S. begründet hat. Doch auch soweit bei den anderen Beiträgen ein mehr oder minder großer Gestaltungsspielraum für die Cutter verbleibt, ist dieser gering. Durch das Format der Sendung (seriöse Nachrichtensendung) wird der Gestaltungsspielraum weiter eingeschränkt. Auch die Beklagte verweist darauf, dass insofern keine Nachrichten für ein Boulevardmagazin erstellt werden. All dies spricht dafür, dass eine Cutterin bei dem hiesigen Sendeformat nicht in ähnlicher Weise programmgestaltend tätig wird wie die vom Bundesverfassungsgericht aufgeführten Regisseure, Moderatoren, Kommentatoren, Wissenschaftler oder Künstler. Hierfür spricht auch, dass die Beklagte erstinstanzlich in ihrem Schriftsatz vom 19. April 2011 auf den handwerklichen Charakter der Tätigkeit hingewiesen hat. Dort wird ausgeführt, dass „der Reporter das Handwerk des Schnitts nicht beherrsche“ oder die Klägerin „im Rahmen ihres Handwerks einen Fernsehbeitrag dahingehend gestalte, dass sie u. a. geeignete Bilder auswähle“.
1.2 Zu Recht hat das Arbeitsgericht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BAG (11.03.1998 - 5 AZR 522/96 - NZA 1998, 705, zitiert nach juris Rn. 16) darauf hingewiesen, dass nicht programmgestaltend tätige Mitarbeiter in der Regel nur im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt werden können (so auch LAG München 11.06.2010 - 5 Sa 582/09 - juris, Rn. 42).
1.3 Es liegen auch nicht genügend Anhaltspunkte dafür vor, dass trotz der nicht programmgestaltenden Tätigkeit der Klägerin ausnahmsweise ein freies Mitarbeiterverhältnis gegeben ist. Die insofern vom Arbeitsgericht vorgenommene Gesamtwürdigung ist zutreffend.
Zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin darauf hingewiesen, dass die Klägerin in örtlicher Hinsicht weisungsgebunden ist. Gleiches gilt für fachliche Weisungen, die ihr jederzeit von dem entsprechenden Reporter erteilt werden können. Soweit die Klägerin bestimmte Dienste wahrzunehmen hat, unterliegt sie auch in zeitlicher Hinsicht Weisungen. So kann ihr nicht nur vorgegeben werden, welche Beiträge sie zu schneiden, sondern auch in welcher zeitlichen Reihenfolge dies zu erfolgen hat. Bei entsprechendem Termindruck ist auch nicht anzunehmen, dass die Klägerin z. B. die Lage der Pause einseitig bestimmen könnte. Hinzu kommt, dass die Klägerin über die ursprünglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus auch zu Mehrarbeit herangezogen wurde. Diese Mehrarbeit ist auch gesondert vergütet worden. Nach dem von der Beklagten eingereichten Interimstarifvertrag für auf Produktionsdauer Beschäftigte (Anlage B5 = Bl. 128 f. d. A.) erfolgt eine Vergütung der Mehrarbeit „für jede angeordnete“ Arbeitsstunde. Auch insofern bestand ein Weisungsrecht.
Der Umstand, dass - nach Angaben der Beklagten - der Dienstplan selbst erst aufgestellt wird, nachdem telefonisch die Dienstbereitschaft abgefragt wurde, steht der Annahme der Arbeitnehmereigenschaft nicht entgegen. Insofern wird zu Gunsten der Beklagten unterstellt, dass ihre Version der Erstellung von Dienstplänen zutreffend ist. Allerdings spricht eine vorherige Erkundigung des Dienstgebers über die Bereitschaft des Dienstnehmers zur Übernahme von bestimmten Diensten grundsätzlich für ein freies Mitarbeiterverhältnis. Ein derartiger Umstand allein ist jedoch nicht geeignet, die Arbeitnehmereigenschaft zu verneinen (LAG München a. a. O. Rn. 59 ff.). Vorliegend ist insbesondere zu berücksichtigen, dass derartige Absprachen auch in einem Arbeitsverhältnis nicht ungewöhnlich sind. Die Klägerin war nur in einem Umfang bei der Beklagten tätig, der jedenfalls knapp unter der Hälfte der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von fest angestellten Arbeitnehmern lag. Bei einer derartigen Arbeitszeitgestaltung hat der Arbeitgeber im Rahmen der Ausübung des billigen Ermessens hinsichtlich des Direktionsrechts (§ 106 GewO i. V. m. § 315 Abs. 3 BGB) auch die gegenläufigen Interessen des Arbeitnehmers angemessen zu berücksichtigen. Dies kann das Interesse des Arbeitnehmers an der Verwertung der Arbeitskraft in der übrigen Zeit oder dessen Interesse an einer bestimmten Lage der Arbeitszeit sein. Dies macht vorangehende Absprachen erforderlich und sinnvoll.
Im Übrigen trägt die Beklagte nichts dazu vor, dass die Klägerin bestimmte Arbeitseinsätze in nennenswertem Umfang abgelehnt hätte. Dies spricht dafür, dass die Klägerin trotz ihrer Behandlung als „freie Mitarbeiterin“ wie eine Arbeitnehmerin tatsächlich zur Verfügung stand.
2. Der Antrag zu 2. ist ebenfalls begründet. Die Beklagte ist insofern verpflichtet, die Klägerin an mindestens 120 Arbeitstagen im Jahr in einem Arbeitsverhältnis als Cutterin zu beschäftigen.
Der in dieser Form erstmals in der Berufungsverhandlung gestellte Antrag ist zulässig. Er stellt keine Klageänderung dar, denn die Klägerin hat mit dieser Antragsfassung nur ihr Begehren auf Beschäftigung konkret gefasst. Im Übrigen hat die Beklagte sich hierauf rügelos eingelassen.
Da nach den obigen Ausführungen zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht, ist die Beklagte auch zu einer entsprechenden Beschäftigung verpflichtet. Hinsichtlich des Umfangs hat die Beschäftigung mindestens an 120 Arbeitstagen zu erfolgen. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Beklagte selbst vorgetragen hat, dass die Klägerin ab November 2009 nicht mehr im Umfang von 10 Arbeitstagen pro Monat, sondern nur noch im Umfang von 8 Arbeitstagen beschäftigt wird. Der Beklagten stand jedoch im Bezug auf das Arbeitsverhältnis keine Kürzungsmöglichkeit hinsichtlich der Arbeitszeit zu. Insofern war sie weiterhin verpflichtet, die Klägerin auch ab dem 1. November 2009 im Umfang von 10 Arbeitstagen pro Monat zu beschäftigen, was 120 Arbeitstage ergibt.
Soweit die Klägerin im Jahre 2007 an 118 Tagen, im Jahre 2008 an 117 Tagen und im Jahre 2009 an 119 Tagen gearbeitet hat, rechtfertigt dies kein anderes Ergebnis. Im Durchschnitt ergibt sich somit eine Beschäftigung hinsichtlich der letzten drei Jahre an 118 Tagen. Zu berücksichtigen ist jedoch auch, dass der Klägerin als Arbeitnehmerin Urlaubsansprüche zustehen. Schon bei Berücksichtigung des gesetzlichen Mindesturlaubs ergibt sich somit ein Beschäftigungsumfang für das hier im Streit befindliche Arbeitsverhältnis von weit mehr als 120 Arbeitstagen.
III.
Die Beklagte hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 ZPO).
Die Revision ist nicht zuzulassen (§ 72 ArbGG), da es sich um eine Einzelfallentscheidung handelt. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72 a ArbGG) wird hingewiesen.