Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 5. Senat | Entscheidungsdatum | 22.07.2014 | |
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Aktenzeichen | OVG 5 S 28.13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 80 Abs 5 VwGO, § 146 Abs 4 S 6 VwGO, § 13 Abs 1 OBG BB, § 1 Abs 2 S 3 HuHV BB, § 8 Abs 2 Nr 1 HuHV BB, § 8 Abs 2 Nr 2 HuHV BB, § 8 Abs 2 Nr 3 HuHV BB, § 8 Abs 2 Nr 4 HuHV BB |
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 30. August 2013 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Die Anträge des Antragstellers werden abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.550,- € festgesetzt.
I.
Der Antragsteller ist Eigentümer und Halter der Hündin „B...“, die er bei einem Thüringer Züchter erworben hat. Bei der steuerlichen Anmeldung der Hündin im November 2012 gab er gegenüber der ... als Rasse „Irish Bulldog Terrier“ und bei der ordnungsbehördlichen Anmeldung im Februar 2013 „Irish Bulldog Terrier Mix“ an. Diese Rassebezeichnungen werden, ebenso wie die Bezeichnung „Irish Staffordshire Bullterrier“, in Deutschland nicht geführt und sind von der Fédération Cynologique Internationale (FCI) nicht als solche anerkannt. Auf einen Hinweis aus der Bevölkerung hinsichtlich einer möglichen Gefährlichkeit von „B...“ bemühte sich der Antragsgegner um eine persönliche Inaugenscheinnahme der Hündin am 17. April 2013 unter der Anschrift des Antragstellers zwecks Bestimmung ihrer Rasse; eine solche scheiterte an der fehlenden Kooperation des Antragstellers. Am 25. April 2013 erblickte der zuständige Sachbearbeiter des Ordnungsamtes den Antragsteller mitsamt seiner Hündin aus dem Auto heraus und hatte, im Schritttempo fahrend, für mindestens 5 Sekunden freien Blick auf die Hündin, die nach seiner Einschätzung eine sehr starke Ähnlichkeit mit den Hunden der Rassen „American Staffordshire Terrier“ bzw. „Staffordshire Bullterrier“ aufwies. Auf die Aufforderung des Antragsgegners, ein Rassegutachten beizubringen, und die Ankündigung einer entsprechenden Ordnungsverfügung erklärte der Antragsteller mit Schreiben vom 5. Mai 2013, bei seiner Hündin handele es sich um die Rasse „Irish Staffordshire Bullterrier“. Ein Rassegutachten legte er nicht vor. Daraufhin gab der Antragsgegner ihm nach Inaugenscheinnahme der vom Antragsteller auf „Facebook“ eingestellten Fotos von „B...“ mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 11. Juli 2013 auf, für seine Hündin binnen 15 Tagen ein Rassegutachten zu erstellen und vorzulegen (Ziff. 1 und 2 der Verfügung). Für den Fall der Nichtbefolgung der Anordnung drohte er die vor-übergehende Sicherstellung und Vorstellung der Hündin bei einem Rassegutachter durch das Ordnungsamt Neuruppin an (Ziff. 3 der Verfügung). Hiergegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 29. Juli 2013 Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Mit ebenfalls für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 2. August 2013, dem Antragsteller am 3. August 2013 zugestellt, setzte der Antragsgegner die vorübergehende Sicherstellung der Hündin (Ziff. 1) fest und ordnete an, dass der Antragsteller diese am 6. August 2013 den Mitarbeitern des Ordnungsamtes zu übergeben habe (Ziff. 2). Für den Fall der Nichtbefolgung der Verfügung zu Ziff. 2 drohte er unmittelbaren Zwang bei geschätzten Kosten i.H.v. 100,- € an. Am 6. August 2013 beantragte der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Potsdam hinsichtlich beider Bescheide. Durch Beschluss vom 30. August 2013 stellte das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 11. Juli 2013 sowie des noch einzulegenden Widerspruchs gegen den Festsetzungs- und Androhungsbescheid des Antragsgegners vom 2. August 2013 wieder her bzw. ordnete diese an. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Das für die Prüfung des Senats allein maßgebliche Beschwerdevorbringen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigt eine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
1. Bezogen auf den Bescheid vom 2. August 2013 hat die Beschwerde des Antragsgegners schon deshalb Erfolg, weil der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung ins Leere geht bzw. es diesem am Rechtsschutzinteresse fehlt. Denn mangels Einlegung eines Widerspruchs gegen den genannten, dem Antragsteller am 3. August 2013 zugestellten Bescheid ist dieser bestandskräftig geworden. Hieran ändert auch entgegen der Ansicht des Antragstellers die Tatsache, dass das Verwaltungsgericht den Bescheid vom 2. August 2013 für rechtswidrig erachtet hat, nichts. Dessen ungeachtet hätte, wie schon aus dem verwaltungsgerichtlichen Tenor hervorgeht („des noch einzulegenden Widerspruchs“), dieser mit einem Widerspruch angegriffen werden müssen. Denn auch ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann in Bestandskraft erwachsen und ist in diesem Fall trotz seiner Rechtswidrigkeit vom Bürger zu befolgen.
2. Hinsichtlich der Ordnungsverfügung vom 11. Juli 2013 ist das Verwaltungsgericht zu Unrecht zu der Auffassung gelangt, dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der Erstellung und Vorlage eines Rassegutachtens der Hündin „B...“ überwiege, weil die Erfolgsaussichten in der Hauptsache für den Antragsteller günstig erschienen.
Ziffer 1 und 2 des angegriffenen Bescheides finden ihre Grundlage in § 13 Abs. 1 OBG, da konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, die den hinreichenden Verdacht einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit (sog. Gefahrenverdacht) begründen, nämlich des Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 Satz 3 Hundehalterverordnung vom 16. Juni 2004 (GVBl. II S. 485) - HundehV -, wonach es verboten ist, Hunde im Sinne des § 8 Abs. 2 HundehV zu halten. Nach § 8 Abs. 2 HundehV gelten die dort aufgelisteten Rassen oder Gruppen sowie deren Kreuzungen untereinander oder mit anderen Hunden auf Grund rassespezifischer Merkmale oder Zucht als - unwiderleglich - gefährlich. Genannt werden u.a. die Rassen „American Pittbull Terrier“ (Ziff. 1), „American Staffordshire Terrier“ (Ziff. 2), „Bullterrier“ (Ziff. 3) und „Staffordshire Bullterrier“ (Ziff. 4).
Der Antragsgegner hat konkrete Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass es sich bei „B...“ um einen „Staffordshire Bullterrier“ oder eine Kreuzung, die rassespezifische Merkmale eines „Staffordshire Bullterrier“ enthält, handeln dürfte. So ergab bereits die Einschätzung eines erfahrenen Mitarbeiters des Antragsgegners am 25. April 2013 durch Inaugenscheinnahme der Hündin „B...“ für 5 Sekunden aus einem Schritttempo fahrenden Auto heraus ebenso wie die Ansicht der vom Antragsteller auf der Internetplattform Facebook eingestellten Fotos seiner Hündin aufgrund der phänotypischen Merkmale der Hündin Veranlassung zu der Annahme, dass es sich insoweit um eine der o.g. gelisteten Rassen bzw. Kreuzungen, insbesondere konkret um einen „Staffordshire Bullterrier“ bzw. um eine entsprechende Kreuzung handeln könnte. Klarstellend hat der Antragsgegner im Beschwerdeverfahren 15 Rassemerkmale genannt, die er bei der Hündin „B...“ festgestellt hat und die in ihrer Gesamtheit nur beim „Staffordshire Bullterrier“ vorliegen (vgl. Aktenvermerk vom 17. September 2013). Diese Übereinstimmungen hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren nicht bestritten. Sein alleiniger Einwand, die Schulterhöhe von „B...“ betrage 47 cm (gegenüber der Standardschulterhöhe bei einem „Staffordshire Bullterrier“ von 35,5 – 40,5 cm), schließt eine Zugehörigkeit der Hündin zur Rasse der „Staffordshire Bullterrier“ bzw. das Vorliegen einer entsprechenden Kreuzung nicht aus. Insoweit hat der Antragsgegner, der im Übrigen die angegebene Schulterhöhe bestreitet, zutreffend darauf hingewiesen, dass eine etwaige Abweichung von den Standardmerkmalen des „Staffordshire Bullterrier“ im Hinblick auf die Schulterhöhe typisch für einen Mischling wäre.
Unerheblich ist auch entgegen der Auffassung des Antragstellers die Bezeichnung seiner Hündin mit „Irish Bulldog Terrier (Mix)“ oder „Irish Staffordshire Bullterrier“ - was im Übrigen weitgehend namensgleich mit „Staffordshire Bullterrier“ ist -. Zum einen weist der Züchter, von dem der Antragsteller „B...“ erworben hat, im Internet in einem für die Käufer seiner Hunde vorbereiteten Formular selbst darauf hin, dass es sich bei den bei ihm erwerbbaren Hunden (eingetragen werden kann: Bullterrier, Staffordshire Bullterrier, American Staffordshire Terrier, Irish Staffordshire Bullterrier, [American] Pitbull [Terrier], Miniatur Bullterrier o.ä.) um Hunde der sog. Rasseliste nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ThürTierGefG (vergleichbar mit § 8 Abs. 2 HundehV Bbg) „handelt oder zumindest handeln könnte“ (). Zum anderen kann die Tatsache, dass der Züchter und sich ihm anschließend die Käufer, so auch vorliegend der Antragsteller, die betroffenen Hunde mit Phantasiebezeichnungen bzw. mit Rassenamen belegen, die im FCI nicht zu finden und unstreitig in Fachkreisen nicht bekannt sind, nicht zur erfolgreichen Umgehung ggfs. einschlägiger Vorschriften nach der HundehV Bbg führen.
Der weitere Einwand des Antragstellers, die Gemeinde B..., Sitz des Züchters J. T., habe diesem mit Schreiben vom 6. März 2012 bestätigt, dass die Hunde der Rasse „Irish Staffordshire Bullterrier“ nicht gefährlich seien, ignoriert, dass die Gemeinde B... diese Feststellung lediglich vor dem Hintergrund getroffen hat, dass Hunde der Rasse „Irish Staffordshire Bullterrier“ im ThürTiergefG in der Liste der gefährlichen Hunde nicht aufgeführt sind. Dies schließt jedoch nicht aus, dass die Rassebezeichnung falsch ist bzw. es sich bei der behaupteten Rasse um eine Mischung handelt, an der einer der gelisteten Rassen beteiligt ist. Im Übrigen hätte eine entsprechende Feststellung der Gemeinde ... keine Bindungswirkung für das hiesige Verfahren.
Die Anordnung der Erstellung und Vorlage eines Rassegutachtens erscheint auch nicht unverhältnismäßig. Eine nähere Inaugenscheinnahme der Hündin durch den Antragsgegner (sowohl auf freiwilliger Basis als auch behördlich verfügt) hat der Antragsteller mehrfach abgelehnt, ebenso wie die bereits mit Schreiben des Antragsgegners vom 26. April 2013 geforderte Beibringung eines Rassegutachtens. Die nunmehr unter Anordnung der sofortigen Vollziehung geforderte Erstellung und Vorlage eines Rassegutachtens stellt einen für den Antragsteller lediglich geringfügigen Eingriff dar. Seine tatsächliche Verfügungsgewalt über das Tier ist nur für kurze Zeit eingeschränkt und beeinträchtigt nicht die Integrität der Hündin. Demgegenüber wiegt der mögliche Schaden für Menschen und Tiere, sofern es sich bei „B...“ tatsächlich um einen gelisteten und damit unwiderleglich vermutet gefährlichen Hund handeln sollte, ungleich höher.
Die mit Ziffer 3 des Bescheides vom 11. Juli 2013 verfügte Zwangsmittelandrohung der Sicherstellung ist aufgrund der Bestandskraft des Bescheides vom 2. August 2013 gegenstandslos geworden, dem hiergegen gerichteten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung fehlt es am Rechtsschutzinteresse.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).